La Gomera:

Lava, Hippies und Natur pur ...


Mit dem Flieger in vier Stunden aus der seelischen Krise ...

Jedes Jahr die gleiche Krise: Im deutschen Winter lechzt die Seele nach ein bisschen Sonne, Wärme und blauem Himmel. Sehnsüchtig denkt man an vergangene Tage in südlicher Breite und beneidet die Zugvögel. Es zieht einen förmlich nach Süden - ein paar Tage wegfahren muss einfach sein. 

Landwirtschaftliches Hauptprodukt der Insel - Bananen ... Doch für ein paar Tage den Jeep bepacken und den Aufwand der Strecke betreiben, lohnt sich nicht. Vor allem dann nicht, wenn wirklich nur eine Woche zur Verfügung steht. Die Auswahl des Verkehrsmittel beschränkt sich folglich auf das Flugzeug. Sich ein Ticket besorgen und alles andere dann unten angehen, ist eine Möglichkeit und erhält die volle Flexibilität. Für ein paar Euro mehr ist jedoch ein vernünftiges Hotel als Basis für alle weiteren Aktivitäten zu bekommen. 

Die große Suche nach der Unterkunft vor Ort entfällt folglich. Es bleibt mehr Zeit für Land und Leute, Bewegung und Erholung - also einfach für den Urlaub selbst. Die Einschränkung,  jeden Tag am selben Ort zu bleiben relativiert sich, wenn das Reiseziel eine Insel mit einem Durchmesser von ca. 25  km ist und alles von einem Ort angegangen werden kann. Die Kanareninsel La Gomera ist ein solches Ziel und dieses wählen meine Freundin Christine und ich aus für einen Kurztrip kurz vor Weihnachten 2003 ...

Mit dem Flugzeug ist man in etwa vier Stunden auf Teneriffa, einer der größeren Kanarischen Inseln. Von dort aus nimmt man die Fähre nach Gomera, die in einer dreiviertel Stunde bequem die kleine Insel erreicht. Wer mit dem eigenen Fahrzeug anreisen will, muss mit der Fähre ab Spanien rund zweieinhalb Tage Fahrt und ca. 400 EUR einkalkulieren. Ein Aufwand, der sich allerdings bei längeren Aufenthalten lohnt, da ein eigenes Fahrzeug auf dieser Insel, auf der eine Höhendifferenz von 1.000 m auf 2.500 m Strecke keine Seltenheit ist, vorteilhaft ist ...

Gomera ist wie die Nachbarinseln vulkanischen Ursprungs und zeigt dies in einer wildromantischen, teils lieblichen, teils rauen Landschaft, die wie kein anderer Ort auf der Welt unterschiedlichste Klimazonen auf engstem Raum vereint.

Im Süden und Westen herrscht in der Küstenregion ein arides, also wüstenhaftes Klima vor. Viele sogenannte "endemische" Euphorbienarten sind hier zu finden, was bedeutet, dass diese Pflanze nur hier ihr natürliches Verbreitungsgebiet in freier Natur hat. Überhaupt ist Gomera ein Paradies für den Botaniker.

Klima für Aussteiger

Diese Klimazonen ermöglichen im Jahresdurchschnitt ein sehr gleichmäßiges, bekömmliches Klima, das einer der Gründe für die Ansiedelung zahlreicher Aussteiger ist. Hier finden sich aber nicht die altbekannten Rentnerkolonien wie auf Mallorca oder die Partyszene wie auf Ibiza. Hier regieren die späten 60er, die 70er und frühen 80er. Hier sind all diejenigen Zuhause, die den Traum nach einer besseren Gesellschaft, spiritueller Erleuchtung und einem Leben in Einklang mit der Natur noch nicht aufgegeben haben. Und von diesen Leuten gibt es dort viele.

Das klassische Zentrum für die Suchenden nach anderen Lebensformen ist das Valle Gran Rey. Und genau dort haben wir  - leider nur eine Woche - unsere Zelte aufgeschlagen. Dies ist nur im übertragenen Sinn zu sehen, denn es gibt auf der ganzen Insel nur einen Campingplatz und der befindet sich im Norden, liegt - so sagte man uns - ziemlich schattig und hat nur fließend kaltes Wasser. Wir hingegen gönnen uns ein Zimmer im "Valle Gran Ray", einem komfortablen Hotel, nur durch die Uferstraße vom schwarzen Sandstrand getrennt.

Blick am Strand von Valley Gran Rey nach Norden ... Der Fortaleza: beeindruckender Tafelberg ... Weg beim Künstlerdorf El Guro ...

Der Sandstrand ist schlichtweg ein Traum: Zwar hat der Atlantik im Dezember nicht mehr Badewannentemperatur, doch mit Mut kann man schon ein paar Runden ziehen. Letzteres vermeiden wir, denn wir gehören eher zu den etwas weniger abgehärteten Naturen. Die kühle Wassertemperatur sorgt für Fischreichtum und erstklassige Qualität auf dem Teller eines jeden Fans von Meeresgetier. Viele kleine Restaurants, die sich noch nicht vom touristischen Einerlei haben überrumpeln lassen, laden zum Tafeln ein. Die Umgangsformen zwischen Touristen und Einheimischen sind relaxt und fern die Hektik der Touristenzentren auf Teneriffa und einiger anderer Kanareninseln.

Am Strand in direkter Nähe des Hotels hat ein Hippie seit geraumer Zeit unter einem ausladenden Gebüsch Quartier bezogen und holt jeden Morgen frischen Sand in seine Behausung. Was er genau mit dem Sand macht, bleibt ebenso wie alles andere um den Freak im Dunkeln, denn auf Kontakte zu anderen Menschen legt dieser offensichtlich nicht allzu großen Wert. Lediglich eine kleine Gruppe junger Aussteiger findet sich dann und wann in der durch eine geschichtete Steinmauer von der übrigen Welt getrennten Behausung ein ...

Strand von Valley Gran Rey: Im Süden Ashram und Schweinebucht ...Es gibt auf Gomera drei verschiedene Arten von Aussteigern: Die Basis dieser sozialen Freak-Pyramide bilden die Bewohner der "Schweinebucht", der südlichsten, noch zu Fuß erreichbaren Bucht des Valle Gran Rey. Die meist sehr jungen Jungs und Mädels leben dort in Hütten aus Schilf und ähnlichem Baumaterial unter einer überhängenden Klippe. 

Die Felsen auf dem Weg zur Bucht sind an einigen Stellen mit fantasievollen Zeichnungen verziert, jedoch findet sich im Umfeld des Zugangs auch die buchteigene Müllkippe. Ansonsten leben die Bewohner in direktem Kontakt zu Sonne, Meer und Natur. Wovon sie leben bleibt unergründlich, denn Besucher sind in diesem Bereich nicht gerne gesehen. Kein Wunder - wer will sich schon ins Wohnzimmer schauen lassen?

Diese Siedlung mag zwar auf den ersten Blick recht romantisch erscheinen, hat jedoch einen gravierenden, ja sogar lebensgefährlichen Nachteil: Sollte eine plötzliche Sturmflut einsetzen, gibt es für das lustige Völklein möglicherweise kein Entrinnen mehr ...

Die nächste Stufe der Pyramide stellen die Aussteiger dar, die sich für Wochen, Monate oder auch Jahre in meditative Zentren zurückziehen. Sie suchen den inneren Weg in einer perfekten Umgebung. Solche Ashrams, wie der Argayall direkt am Strand auf dem Weg zur Schweinebucht gelegen, sind Zentren der Fixierung auf sich selbst und kommen bei vielen stressgeplagten Menschen der Altergruppe so um die 40 erstklassig an.

Besucher dieser und ähnlicher Anlagen können ein Zimmer für ein paar Tage buchen oder als freiwillige Mitarbeiter über Monate bleiben. Manche bleiben für immer. Fast alle nehmen an den angebotenen Meditationen oder Seminaren teil. Unter dem riesigen, jedoch erst so um die 30 Jahre alten Gummibaum finden viele Gespräche statt, oftmals mit spirituellem Hintergrund.

Lebensunterhalt als Künstler und Handwerker

Im Künstlerdorf El Guro ...Und dann gibt es als dritte Gruppe diejenigen, die für immer bleiben - oder zumindest für ziemlich lange. Als Künstler und Handwerker sorgen sie für ihren Lebensunterhalt, wohnen in kleinen Häusern in den Seitentälern oder nur in einer Wohnung in einem der Neubauten, die die Hänge der Insel besiedeln. Sie arbeiten in Tauchschulen, als Wanderführer oder als selbstständiger Bäcker. Letzterer hat sein Anwesen über Jahre mitten in der Künstlersiedlung El Guro über Jahre aufgebaut und versorgt nun die Supermärkte und Hotels des Valles mit seinem ökologischen Vollkornbrot, das er mit einem Ying-Yang-Symbol signiert. Das Mehl und die fertigen Brote transportiert er auf den eigenen Schultern oder mit Hilfe eines Esels den steilen Weg zur Bäckerei herauf und herunter.

Nach El Guro führen für den Wanderer mehrere mögliche Wege, von denen der auf der Ortsverbindungsstraße trotz eines riesigen Weihnachtssterns, der einen Tunnel über den Bürgersteig bildet, der nervigste ist. Unten am ausgetrockneten Fluss oder in den Felsen kann man ebenfalls laufen, wer andere Wege sucht, findet sie und somit viele interessante Dinge. Eines davon ist ein Hauswurz mit 60 cm Durchmesser, der zu mehreren Exemplaren auf einer Grundstücksmauer sitzt.

In der Künstlersiedlung von El Guro gibt es neben besagtem Bäcker auch Bilderhauer und Maler und eine Menge Bewohner, die esoterische Seminare und Massagen anbieten. Die Nachfrage nach Kunst und Geist zeigt sich aufgrund der klammen Wirtschaftslage in Europa als verhalten, jedoch immer noch vorhanden. Überhaupt scheint Esoterik statt Gras die Devise der Aussteigerkultur der Jahrtausendwende zu sein. Letzteres war - im Gegensatz zu früheren Zeiten - in diesem Winter Mangelware. Grund hierfür sind die zahlreichen Razzien, mit denen die spanische Polizei den Drogenmarkt ausdünnen möchte. Dabei sind nicht vornehmlich die Anbieter und Konsumenten von Cannabis-Produkten Ziel der Aktionen, sondern der Markt für harte Drogen, auf die einheimische Kids seit den letzten Jahren abfahren. Trotzdem gilt - mitgefangen, mitgehangen und so verzichtet die Szene vorerst auf Gras. Der Marktpreis liegt mittlerweile über dem von Deutschland - trotz der unmittelbaren Nähe des Großproduzenten Marokko. Viele Ansässige haben ohnehin ihren Vorrat im eigenen Garten stehen und werden somit nicht beim Kauf auffällig. Insgesamt scheint der Joint seine einstige Bedeutung zugunsten der innerlichen Fortentwicklung auf meditativer Basis verloren zu haben ...

Alle Gruppen und Schichten dieser kleinen, fast schon isolierten Welt, treffen sich allabendlich vor dem "Maria" am Ortseingang von La Playa im Valle Gran Rey. Die Kneipe hat seit den 60ern Kultstatus und das Meeting zum Sonnenuntergang ist Pflicht. Wir versäumen während unseres Aufenthalts keines: Der Sonnenuntergang wird nicht beobachtet und genossen, er wird förmlich zelebriert. Fast immer sind zwei oder drei Hippie-Trommler, oft auch zusätzlich Feuerspucker und Jongleure am Werk, die spontan von den Zuschauern auf Trommeln oder Flanschen im Rhythmus unterstützt werden. Je nach Wetterlage säumen bis zu 500 relaxte Menschen das Ufer und füllen den Klingelbeutel der Musikanten, die offenbar teilweise von dieser Umlage leben.

Warten auf den Sonnenuntergang am Strand ... ... vor der Casa Maria ...

Ein ganz außergewöhnlicher Bewohner von Gomera ist Alex Vaqx, ein ehemaliger Archäologe und Projektleiter für ökologische Projekte, der die schwerfällige, bürokratische und unbewegliche Arbeitswelt in Deutschland hinter sich gelassen hat und sich für ein freieres Leben entschieden hat. Er ist einer der extremsten Neusiedler, den wir auf der Insel kennen lernen. Alex kam vor einigen Jahren hierher, lebt von seinen Ersparnissen und merkte, als diese aufgebraucht waren, dass man auch ohne Geld als direktes Tauschmittel leben kann. Seine Nahrungsgrundlage findet Alex überwiegend in der Natur der Insel und im Meer. Er streift frei über die Insel, lebt in Höhlen und verlassenen Gebäuden und ähnelt weder äußerlich noch von seinen Einstellungen einem abgestumpften Obdachlosen. Ganz im Gegenteil: Er engagiert sich nun in eigenen ökologischen Projekten, wie Aufforstungen, oder in Kunstprojekten auf der Insel und gibt in Gesprächen viel von seinen Erkenntnissen weiter. 

Seine Zukunft sieht er als ein "Aussteigerberater", der den Menschen andere Arten zu leben und zu wirtschaften nahe bringen möchte. Im Gespräch erzählt er von Methoden alternativer Nahrungsmittelproduktion, die er in einer wissenschaftlich analytischen Weise begründet und die hierdurch, trotz oftmals ungewöhnlicher Lösungsansätze, durchaus überlegenswert erscheinen. Alex erscheint uns als einer der Menschen, die hier dauerhaft ihre Lebensmitte gefunden haben. Dies hat er auch durch eine Steinlegung auf einem Hochplateau in Form eines riesiges Herzens bekundet, dass nach seiner Aussage sogar vom Flugzeug aus zu erkennen ist. Wichtig ist ihm, dass er Mitmenschen Impulse zum Überdenken der eigenen und der globalen Existenz geben kann. Ein Idealist, von dem einige mehr der modernen Industriegesellschaft bestimmt nicht schaden würden ...

Wanderwege durch einen der ältesten Urwälder der Erde

El Guro ist auch Startpunkt für einen Wanderweg, der auf verschlungenen Pfaden zu einem der wenigen Wasserfällen der Insel führt. Hierbei durchquert der Wanderer die aride Zone mit ihren vielen, zwischen Basaltsäulen wachsenden Dickblattgewächsen und steigt in ein enges Flusstal voller wildem Pflanzenwuchs ein. Auf einer kleinen Lichtung mit dichtem Wuchs von Bambus und Papyrus zeigen sich wie leuchtende Edelsteine zwei Monarch-Falter, die so groß sind, dass man ihr Flügelschlagen in einem Umkreis von einem halben Meter sogar hören kann. Sie sind wenig scheu, umkreisen den Wanderer, doch lassen sich nur sehr schlecht am Boden oder an Pflanzen sitzend fotografieren. Für ein paar Aufnahmen muss ich ihnen, teilweise auf allen Vieren kriechend, über eine Viertelstunde nachpirschen. Der Weg führt weiter durch einen schattigen  Palmenhain zu besagtem Wasserfall, an dem schon eine Katze auf die Essensreste aus dem Wanderrucksack wartet.

Wasserfall beim Künstlerdorf El Guro ... Selten: der Monarchfalter ...

Über die Wanderwege von Gomera gibt es ein ganzes Regal voller Bücher, doch bekommt der Gast im Hotel Gran Rey kostenlos eine ganz brauchbare Karte. Die gibt zumindest eine grobe Orientierung, der Rest ist gezieltes Suchen nach Trampelpfaden und irgend welchen Wegmarken, die meist nur als verblasste, rote Punkte zu finden sind.

Wer wenig Zeit hat und auf Schusters Rappen viel sehen möchte, dem seien die Angebote der zahlreichen Wander-Agenturen empfohlen, die überall Werbung machen. Viele Wanderführer sind ausgewanderte, junge Deutsche. Sie finden in der Durchführung von geführten Wanderungen einen sicheren und gesunden Lebensunterhalt, denn wer jeden Tag mindestens 1.000 Höhenmeter überwindet, der bleibt zwangsläufig fit. 

Auch wir schließen uns zwei Touren an: Da die Gruppen gewöhnlich aus maximal einem Dutzend Wanderern bestehen, die allesamt eine ähnlich liberale, fast schon für den Deutschen untypische Einstellung haben, kann man sich mit dem Gruppenzwang arrangieren. Zudem sind viele der Tour Guides naturwissenschaftlich ausgebildet oder haben sich in dieser Richtung nachträglich qualifiziert. Die Erklärungen zu Fauna und Flora sind somit fundiert und unterscheiden sich deutlich von dem üblichen Touristenführer-Geschwafel. Wir nutzen die von Timah angebotenen Touren, die in verschiedenen Schwierigkeitsgraden auf die  jeweiligen konditionellen Fähigkeiten des Reisenden abgestimmt sind. Timah bietet auch einen kompletten Gomera-Urlaub an, buchbar ab Deutschland.

Weg durch das Unterholz am Garajonay ...Eine der Touren führt durch einen der ältesten Urwälder der Erde, der großteils im Parque Nacional de Garajonay liegt. Der Alto de Garajonay ist mit 1.487 m der höchste Berg der gebirgigen Insel und ist auf Forstpisten und Trampelpfaden recht komfortabel zu erreichen. Wir gehen am frühen Morgen los und die Wege im Gipfelbereich weisen im Dezember noch Spuren von Eis auf. Die kräftige Sonne vertreibt schnell die nicht wirklich unangenehme Kälte.

Auf der südlichen Seite des Alto de Garajonay wachsen große Bestände der Kanaren-Kiefer, die mit ihren 30 cm langen Nadeln den Horizontal-Regen einfängt. Der Horizontal-Regen ist die kühle, mit Wasser gesättigte Luft, die vom Meer über die Insel treibt. Die meisten endemischen Pflanzen verstehen diese Form des Niederschlags direkt zu nutzen. Die Feuchtigkeit schlägt sich an der Pflanze nieder, wird entweder direkt über die Pflanzenoberfläche aufgenommen oder läuft den Stamm hinunter zu den Wurzeln. An manchen Stellen des Nebelwalds im Norden der Insel tropft das Wasser aus dem Laub, obwohl es nicht regnet. In Verbindung mit dem herrlich warmen Klima explodiert die Vegetation förmlich. Im Nebelwald hängen Flechten von den Bäumen und bürgen für die Qualität der Luft ...

Unterhalb des Gipfels finden sich große Bestände der Baumheide, die mit bis zu 20 m Höhe das Heidekraut unserer Breiten als moorartigen Bewuchs erscheinen lässt. Die kleinere Variante des Inselgewächses, die Besenheide, erreicht immerhin sieben Meter Höhe. An lichten Stellen wächst eine Distelart, die entfernt wie ein Löwenzahn in Blatt und Blüte aussieht, jedoch in der gesamten Pflanzenhöhe einen Meter überragt. Durch diese Felder geht es auf engen Pfaden bergab, südwärts in die aride Zone, nordwärts in den Nebelwald. 

Bachlauf im Nebelwald ...Dieser Nebelwald als einer der ältesten Urwälder der Erde wird mittlerweile als Weltkulturerbe sehr streng geschützt. Die Forstbehörde versucht sogar, die nicht einheimischen Pflanzen aus dem Nebelwald und aus dem gesamten Nationalpark wieder zu entfernen. Große Bestände der eingeführten Monterey-Kiefer werden gegen Baumheide und Kanaren-Kiefer ausgetauscht. 

Im Nebelwald selbst herrschen Lorbeerarten vor, von denen eine salopp als "Rattenglück" bezeichnet wird. Deren Blätter, für den Menschen toxisch, werden vom Stoffwechsel des Schadnagers zu einer LSD-ähnlichen Droge umgewandelt und die Viecher sitzen dann beglückt und lahm neben den Wegen und Straßen. Auf letzterer lassen sie sich dann auch gelegentlich "final" und durch einen Vorderreifen plattgedrückt nieder.

Auf Gomera findet man überraschend viele Pilze. Für eine Insel, die vom Breitengrad dem unteren Drittel von Marokko entspricht, gibt es sehr viele Arten der feuchtigkeitsbedürftigen Resteverwerter. Welche davon essbar und welche giftig sind, entzieht sich meiner Kenntnis. Hochgiftige Tiere gibt es auf der Insel dagegen nur eins - die "Schwarze Witwe", doch können wir kein Exemplar dieser Spinne ausmachen. Ein giftiger Hundertfüßler, der unter Steinen haust und als sehr aggressiv gilt, soll da schon wesentlich häufiger und unangenehmer sein. Letzteres sind auch die vielen, nur knapp zwei Millimeter großen Ameisen, die schlichtweg alle Gebäudeteile irgendwann einmal in Besitz nehmen. Sie fallen in Rekordzeit in Legionen über alle Esswaren her, die unvorsichtig gelagert werden. Luftdicht verschließbare "Tupperboxen" sind für den Erhalt des Süßigkeitenbestandes zwingend erforderlich. Sogar die Spalte des Verschlusses einer Cola-Flasche wird von ihnen besiedelt. Letztere hängen wir übrigens an Schnürsenkeln auf - und siehe da - die Flasche bleibt unbelästigt.

Opferhandlungen auf dem Tafelberg 

Terrassierte Felder am Weg vom Garajonay zur Fortaleza ...Unweit des Valle Gran Rey steht einer der imposantesten Berge Gomeras - der Fortaleza. Der 1.241 m hohe Tafelberg gilt unter Esoterikern als einer der sieben Kraftplätze der Erde. Man mag daran glauben oder nicht - es überkommt einen auf seinem Plateau ein wohliges Gefühl der Ruhe und des Friedens. Das müssen auch schon die Ureinwohner Gomeras, die Gomanschen, gefühlt haben, denn für sie war der Fortaleza - wie auch der Garajonay - eine heiliger Platz. In den 70ern gruben Archäologen einen alten Opferaltar aus - allerdings nur für Tieropfer. 

Eine große, aus Steinen gelegte Spirale soll auch auf die Zeit vor der spanischen Eroberung zurück gehen. Im Zentrum der Spirale befindet sich ein kleiner Opferplatz, für dessen historischen Bezug es wahrscheinlich keinen Beweis gibt. Vielmehr ist zu vermuten, dass dieser den pflegerischen Aktivitäten von mystisch angehauchten Fans des Berges entstammt. Im Zentrum des Opferplatzes finden sich Spuren von frischen Opferhandlungen, bei denen Kräuter oder Tabak verbrannt wurden ...

Viele Leute lassen es sich - trotz eines offiziellen Verbotes - nicht nehmen, auf dem Gipfel zu übernachten. Durchaus verständlich, denn der Platz hat wirklich etwas ganz außergewöhnliches an sich. Allerdings wird es hier nach Sonnenuntergang sehr kalt und ein dicker Schlafsack ist unbedingt erforderlich. Der Aufstieg zum Fortaleza ist anstrengend und sollte nur von schwindelfreien Besuchern angegangen werden und dies keinesfalls nach Regenfällen, da die Flanken des Berges sich teilweise sofort in Rutschbahnen wandeln. Der Blick vom Gipfel ist einmalig.

Mit dem Linienbus unterwegs auf der Insel

Individueller als in der Gruppe erreicht man alle Ziele der Insel mit dem Bus, der zwar nur selten am Tag, doch zu fast allen Ortschaften fährt. Bei unserem Aufenthalt streiken die Busfahrer - nicht für höhere Löhne, sondern für den Ausbau des Bussystems, das bei den Touristen wie Einheimischen hoch im Kurs steht.

Der Leihwagen ist hierzu eine Alternative, die Preise sind recht zivil und ermöglichen die individuelle Ansicht der Insel. Im Vergleich zu meinem ersten Aufenthalt vor nunmehr 13 Jahren haben sich die Straßen auf Gomera spürbar verbessert, jedoch sollte der Fahrer keine Angst vor engen, steilen Passstraßen haben. Auf nur wenigen Teilstücken wird der Tacho die 80 km/h-Marke erreichen. Einige Strecken sind nach wie vor Pisten und sollten nach Regenfällen nur von Fahrern mit Geländewagen und der entsprechenden Erfahrung genutzt werden. An manchen Stellen gibt es bei einem Abgang von der Straße sicherlich keine Verletzten mehr ...

Bachlauf am Weg vom Garajonay zur Fortaleza ...Der Linienbus hat gegenüber dem Leihwagen jedoch den Vorteil, dass für den Wanderer bei letzteren fast nur Rundwege möglich sind. Sollte das Bussystem mittelfristig einen Ausbau erfahren - und gleichzeitig nicht bestreikt werden - werden sicherlich noch viele Wanderwege erschlossen, die Busstationen als Ausgangs- und Zielpunkt haben. Genügend Ziegenpfade für mögliche Routen gibt es auf jeden Fall.

Das Verkehrswegenetz der Insel wird noch durch kleine Fähren, die viele Küstenorte miteinander verbinden, ergänzt. Sie fahren jedoch nur bei ruhigem Seegang.

Auffallend ist, dass fast kein Dreck am Straßenrand zu finden ist. Ziemlich ungewöhnlich für Spanien - vor allem, da die Insel touristisch genutzt ist. Die Einheimischen scheinen den Wert ihrer intakten Natur als Einnahmequelle des sanften Tourismus erkannt zu haben. 

Lediglich im Süden, in der Bucht von Playa Santiago wird geklotzt, denn hier möchte die Oligarchie der Familie Olsen, der außer der Fährlinie fast alles von Wert und Bedeutung auf Gomera gehört, high-end-Gästen eine ganz besondere Atmosphäre bieten. Sogar ein Flughafen wurde hier - gefördert von der EU - in den Fels gesprengt. Der Airport ist zwar - und glücklicherweise - für Touristenbomber zu klein, steht jedoch für die exklusive Anreise von Gästen der Olsen-Hotels zur Verfügung.

Ein paar Buchten weiter ist dieser Anflug von Exklusivität wieder vorbei. In der Bucht einer ehemalig sehr umstrittenen und mittlerweile stark gewandelten sektenähnlichen Kommune entstand ein weiteres Esoterik-Zentrum und noch ein paar Strände weiter siedeln die puren Aussteiger.

Nach nur einer Woche intensiven Urlaub kann man echte Probleme damit haben, wieder nach Deutschland zurückzukehren: Missmutige Mitmenschen, ein Wetter, vor dem es die Sau graust und ein Verkehrsfluss, der sogar die Fahrt auf einer geraden und breiten Stadtautobahn zur Kampfszene macht. Man kann denjenigen verstehen, der nur dort bleibt, solange er muss. Es gibt schließlich Alternativen ...


© 2004 Text/Bilder Jens Plackner


Nachtrag, August ´05: Noch einmal vor Ort ...

  • Ein Jahr später war unser Autor wieder auf der Insel, diesmal um sich die übrigen Bereiche anzusehen, die bei seinem Besuch im Jahr 2004 ausgelassen wurden. Von dem erneuten Besuch gibt es einen Reisebericht im Explorer Magazin: La Gomera 2005: Noch mehr Lava, Hippies und Natur pur ...