Entwicklung und Test von nuklearen Flugzeugtriebwerken

Unter Vertrag im ANP Programm entwickelte und testete General Electric schließlich erfolgreich eine Serie von Flugzeug-Strahltriebwerken, die mit Kernreaktoren gekoppelten waren. Grundlegende Entwicklungsarbeiten dafür erfolgten in der Flugzeugzeugfabrik von GE in Lockland, Ohio.

"Starwars" in den 1950er Jahren ..?Der Einfachheit halber nutzten sie hierfür einen direkten Luftkreislauf. Die Luft trat dabei in der Kompressorstufe von einer oder mehreren Triebwerksturbinen ein. Von da aus floss die Luft durch den Reaktorkern. Die verdichtete Luft, die als Kühlmittel für den Reaktor diente, wurde beim Durchlaufen des Kerns rapide erhitzt. Nach dem Durchlaufen des Reaktors wurde diese hocherhitzte Luft in die Turbine des Triebwerks geleitet, um dort einen Schub zu erzeugen und von da aus durch das Abgasrohr des Triebwerks auszuströmen.  

Was aussieht wie etwas aus "Starwars", nämlich ein Reaktor mit zwei von ihm angetriebenen Triebwerksturbinen, ist im Bild rechts zu sehen, noch ohne die unterstützenden mechanischen und elektrischen Systeme sowie die tragende Struktur und die Abschirmung.

Etliche Reaktor-Wärmetausch Experimente (Heat Transfer Reactor Experiments -HTRE-) wurden in der "National Reactor Testing Station" der Regierung durchgeführt, die in den Jahren 1955 bis 1960 in einer abgelegenen Region von Idaho angesiedelt war. Die Gerätschaften, die man für diese Tests benötigte, waren riesig, schwer ... und teuer.

Es erfolgten allerdings keinerlei Anstrengungen, die Größe dieser Geräte für den Einsatz in Luftfahrzeugen zu verringern. Ihr einziger Zweck war die Machbarkeit eines solchen Entwurfs nachzuweisen. Mit einem Gewicht von fast 50 Tonnen pro Anlage wurden sie auf Schienenfahrzeugen montiert, um den Transport zu entfernten Teststationen zu ermöglichen.

HTRE-Testanlage ...Nach jedem Test musste der Wagen mit dem Reaktor zu einem stark abgeschirmten Wartungsbereich zurückgefahren werden für das anschließende Wiederzerlegen und Analysieren. Die Größe dieser Gerätschaften kann man wohl am besten einschätzen, wenn man das Bild links dazu sieht.

Das erste Modell dieser Anlagen (HTRE-1) betrieb eine X-39 Turbine und erreichte eine Energieerzeugung von bis zu 20,2 Megawatt. Später wurde es modifziert sowie in HTRE-2 umbenannt; mit ihm gab eine weitere Testserie mit noch höherer Energieerzeugung.

HTRE-3 schließlich kam im gesamten bisherigen Programm am weitesten heran an das Modell für einen Flug. Die Abmessungen des Reaktorkerns sowie die erforderlichen Strukturen und auch die auftretenden Temperaturen erschienen insgesamt geeignet für ein Triebwerk im Flugbetrieb. HTRE-3 war in den Jahren 1958 bis 1960 im Einsatz und erzielte Leistungspegel bis zu 35 Megawatt. Es trieb zwei Strahlturbinen an, hätte leicht aber auch mehr oder größere Turbinen betreiben können.

Am Ende der HTRE-Testreihen erschien die Wahrscheinlichkeit hoch, dass ein nuklear angetriebenes Flugzeug möglich war. Dadurch ermutigt begann die Air Force mit Firmen zusammenzuarbeiten, die Erfahrung hatten in der Entwicklung von Luftfahrzeugen, Jet Triebwerken und Kernreaktoren. Zwei dabei entstandene Designkonzepte zeigen die Bilder unten. Das Bild links hat eine frappierende Ähnlichkeit mit einem konventionell angetriebenen Bomber, dem B-70 Valkyrie, der in den späten 1950er Jahren entwickelt wurde. Das Bild in der Mitte zeigt zum Vergleich eine solche B-70 / XB-70 dieser Zeit.

Abgekupfertes Designkonzept ..? B-70 / XB-70 Entwurf "X-6" ...

Die Hersteller des B-36 Langstreckenbombers schlugen dagegen einen konventionelleren Ansatz vor, mit vier neben dem Rumpf montierten Strahltriebwerken, hinter dem vorgesehenen Bombenschacht der Maschine. Als "X-6" bezeichnet, kam es allerdings nie über das Entwurfsstadium hinaus (Bild oben rechts).

In Anlehnung an das "Play Book" von Admiral Hyman G. Rickover zur simultanen und erfolgreichen Entwicklung brauchbarer Reaktor-Entwürfe bei der Marine gab die Air Force Millionen von Dollar dafür aus, eine Infrastruktur für den künftigen Support des ANP Projekts parallel zu den HTRE-Testprogrammen aufzubauen. Einige dieser Einrichtungen, die niemals so wie geplant verwendet wurden, übernahm man später für andere, nutzbringende Zwecke.

Die "Test Area North"

Unter dem Code-Namen "Test Area North (TAN)" wurden etliche Multi-Millionen Dollar Support-Einrichtungen auf dem höchsten Wüstenplateau in Idaho errichtet. Darunter war ein riesiger, über 100 Meter breiter Hangar, der für Unterbringung und Wartung des X-6 Bombers vorgesehen war. 

Test Area North (TAN)Dieser Hangar war ausgestattet mit dicken Wänden für die Abschirmung und es gab Planungen, den Reaktor des Flugzeugs mittels Fernbedienungs-Technik ausbauen und zu einem abgeschirmten Lagerplatz bringen zu können. Zu diesen nie realisierten Plänen gehörten auch Fernseh-Überwachungsanlagen und ferngesteuerte Roboterarme, um Technikern Arbeiten am Flugzeug und seinem Reaktor zu ermöglichen, ohne selbst starker radioaktiver Strahlung direkt ausgesetzt zu sein, die dort sogar noch kurz nach dem Herunterfahren des Reaktors herrschen würde.

Das enorme Gewicht eines nuklear angetriebenen X-6 Bombers hätte eine Runway von 4,5 km Länge erfordert. Jedoch wurde eine derartige Start- und Landebahn in Idaho niemals gebaut. Einer der Gründe war vielleicht, dass eine sicherheitstechnische Gruppierung empfohlen hatte, nuklear betriebene Flugzeuge nicht über dem amerikanischen Festland einzusetzen und dass derartige Luftfahrzeuge eher auf Inseln stationiert werden sollten.

Nachdem das ANP Programm im Jahr 1961 beendet wurde, veränderte man auch das Testareal TAN, um dort andere nukleare Experimente und Tests durchführen zu können. Unter verschiedensten anderen Aktivitäten hier wurde auch der schwer beschädigte Reaktorkern des Three Mile Island Kernkraftwerks im Jahr 1986 dorthin verbracht zur Untersuchung und Auswertung. 

Im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts beendete das Personal der Test Area Nord alle Programme dieser Anlage und begann damit, diese abzubauen. Derzeit wird sie zerlegt und die Sanierung der Umwelt ist im Gange.

Monumente des "ANP Traums"

Monumente des "ANP Traums" ...Zu gegebener Zeit wird die Test Area Nord außer in Geschichtsbüchern nicht mehr existieren. Jedoch wird es auf absehbare Zeit dennoch zwei Erinnerungsstücke an das geben, was hier einst stattfand.

Ohne Treibstoff, dekontanimiert und verlegt an einen anderen Platz auf der "National Reactor Testing Station", kann der einzige Prototyp, der in diesem Land jemals für nuklear betriebene Luftfahrzeuge entwickelt und getestet wurde, von der Öffentlichkeit besichtigt - aber nicht berührt werden ...

Die Teile wurden benachbart zum geplanten Nationaldenkmal, dem Experimentalreaktor EBR-1 (Experimental Breeder Reactor) aufgestellt. Diese Anlage, mit der die Möglichkeit der Stromerzeugung durch Kernenergie im Jahr 1951 zum ersten Mal nachgewiesen wurde, ist dabei noch einzigartiger als die beiden nahe gelegenen "Monumente" auf unserem Bild oben links.

Nachwort

Heutzutage mögen einige fragen: "Was haben die sich eigentlich gedacht?" Mein Eindruck ist, das zu jener Zeit das ANP Programm tatsächlich einer ganzen Zahl von sehr talentierten, intelligenten und verantwortungsvollen Leuten durchaus sinnvoll erschien. Deshalb möchte ich auch heute nicht über deren Entscheidungen und Tätigkeiten urteilen, denn im Nachhinein weiß man immer mehr.

Mein Interesse an diesem weitgehend vergessenen Programm wurde vor einigen Jahren geweckt, nachdem ich zum ersten Mal davon erfahren und die seltene Gelegenheit hatte, "Insider"-Berichte über das ANP von einem Mann zu bekommen, der dort direkt beteiligt war. Dieser Mann war Tom Nemzek, ein begabter Ingenieur und Manager, der immer auch ein Gentleman war.

Tom NemzekTom war an der Entwicklung des ANP-Reaktorprogramms in Lockland, Ohio, während der frühen 1950er Jahre beteiligt. Wie er dorthin gelangte, ist recht erstaunlich: Als Mitglied der Naval Academy Class von 1949 war er einer von 55 Seekadetten dieser Klasse, die als "Freiwillige" aufgrund ihrer Ausbildung Offiziere der Air Force werden sollten. Die Air Force schickte ihn nach North Carolina, um dort den Master-Abschluss in Kernenergietechnik zu machen und teilten ihn schließlich dem ANP Projekt zu.

Tom Nemzek kam im Jahr 1957 schließlich in die Atomenergie-Kommission AEC und bekleidete in dieser Organisation sowie ihren nachfolgenden staatlichen Behörden eine stattliche Anzahl verantwortlicher und leitender Positionen. Er schied 1976 aus dem Staatsdienst aus und trat in die J.A. Jones Construction Company ein. Zwei Jahre später wirkte er dabei mit, das "Electric Power Research Institute’s Non-Destructive Evaluation Center" aufzubauen, das die Firma unter seiner Leitung mehrere Jahre lang betrieb.

Nachdem er im Jahr 1992 erneut in den Ruhestand gegangen war, starb Tom schließlich 2008 im Alter von 81 Jahren. Ungefähr zwischen 1975 und 1995 hatte ich das Glück, beruflich mit Tom zu tun zu haben, wobei sich auch eine gute Freundschaft entwickelte. Bei verschiedenen Gelegenheiten erfreute er mich mit Geschichten über das ANP Programm und andere fehlgeschlagene staatliche Projekte. Seine faszinierenden Geschichten, immer von trockenem Humor begleitet, waren stets amüsant und manchmal sogar ein wenig unheimlich. Einiges von dem, was er mit mir mitteilte, wird privat bleiben, aber niemals machte er jemanden in der Öffentlichkeit schlecht - ein Charakterzug, dem ich wohl am besten ebenfalls folge!

Allerdings kann sicherlich jeder, der jemals mit irgendwelchen Aspekten der Kernenergie zu tun hatte, auch zwischen den Zeilen dieses Beitrags lesen und sich wohl unschwer "den Rest der Geschichte" vorstellen ...


© 2012-2018 Bill Lee, Deutsche Übersetzung: Explorer Magazin