Coastal Trail West
Unser Nachtplatz war ein Parkplatz am Meer am Ende einer
Stichstraße zur Küste. Solche Plätze werden von vielen Reisenden als
Übernachtungsplatz benutzt und so finden sich oft mehrere
Wohnmobile dort ein. Auch die ansässigen Briten nutzen die Plätze,
um mit ihren Hunden morgens Gassi zu gehen. Mit erstaunlicher
Konsequenz haben alle ihr Hundesäckchen dabei und nehmen
Hinterlassenschaften der Kö ..., ähh, Hunde wieder mit. Es ist
auffällig, wie viele Hunde es in Schottland gibt: Gefühlt hat jeder
einen ... oder zwei. Später einmal zog es regelrecht unsere
Aufmerksamkeit auf sich, als eine junge Dame mit ihren zwei Kindern
aus dem Auto stieg, um spazieren zu gehen. Hallo? KINDER? ... und wo
sind die Hunde?
Hier im Norden steht der Holunder gerade in voller Blüte, obwohl
zuhause die Blütezeit seit Wochen vorbei ist. Also gibt es demnächst
die britische Variante von
Hollerkiachl mit Guinness. Das ist zwar
nicht britisch, aber irisch. Aus der Gegend halt. Es wird sicher
fein schmecken. In Schottland gibt es übrigens weder TET-Wege noch Byways: Offroadfahren hält sich hier also in Grenzen
...
Wir legten einen Ruhetag in Portsoy bei zunehmend schönem Wetter direkt am Meer ein. Es war ein Campingplatz und wir suchten uns einen wunderschönen Stellplatz mit Sicht auf den Strand aus. Da es aber windig war, erwies sich der Wellengang zwar sehr beeindruckend, aber auch als laut ... auch in der Nacht. Das Meer hält sich nicht an Ruhezeiten und so waren wir froh, Ohrenstöpsel dabei zu haben. Die kann man nicht nur an Nachtplätzen bei lauteren Straßen brauchen, sondern auch am Strand, wie wir lernten. Was für ein Getöse!
Meine Freundin war heute Radlfahren und ich habe in Portsoy der Tide beim tiden zugeschaut, rein und wieder raus. Auch sehr erholsam. Dazu ein Bierchen und den Tag genossen. Alkohol scheint bei den Briten besondere Aufmerksamkeit zu verdienen: Auf Dosen und Flaschen sind sogenannte Alcohol Units angegeben. Man will es den Leuten leichter machen, den Überblick zu behalten, wie viel reinen Alkohol sie denn nun zu sich nehmen. Ein Alcohol-Unit entspricht also 10 ml oder 8 mg reinem Alkohol. Eine UK Unit Alkohol ist darum bei Whisky ein anderes Volumen als bei Bier. Aber der Alkoholi ... sorry Konsument, weiß dann immer wie viel Units er noch trinken kann.
Speyside
Weiter zur NC500: Der Coastal Trail West ist die Straße an der
Westküste entlang. Zwischen Fraserburgh und Elgin mit vielen kleinen
ehemaligen Fischerdörfern wurde so etwas wie "sanfter" Tourismus
realisiert. Es gibt touristische Infrastruktur und trotzdem viele
kleine Läden, aus denen sich die Leute hier versorgen. Das ist
zusammen mit viel Kultur und Geschichte eine sehr angenehme
Mischung. Schließlich gelangten wir an die Mündung des Flusses Spey.
Vom Spey kommen die berühmten Speyside Whiskys und darum ist er hier
natürlich voller Whisky - den Fischen scheint es gut zu bekommen ...
Als Liebhaber der torfigen und rauchigen Islay Whiskys
bezeichnet man die Speyside Whiskys ja gerne als "Mädchenwhisky".
Sie schmecken durch die Bank sehr fruchtig und frisch ... viel
gefälliger. Der Begriff "Mädchenwhisky" beruht dabei auf meiner
Erfahrung, dass Frauen tatsächlich kaum zu den torfigen Islay
Whiskys greifen. Sie mögen die Speyside oft viel lieber. Der Fluss
scheint wunderbar für Kanutouren geeignet zu sein.
Mein Boot war
leider nicht dabei, denn nicht nur der Spey eignet sich
hervorragend. Viele andere Flüsse und Lochs sahen sehr einladend
aus. Den Fluss entlang fuhren wir also ins Speytal hinein auf den
Cairngorms Nationalpark zu. Kann man eigentlich schöne Straßen am
Loch entlang als löchrig bezeichnen? Wenn wir schon bei den
Kalauern sind: Was hat lauter Löcher und läuft trotzdem nicht
aus? Jaaa ... ok, der war sehr flach ...
In Boat of Garten wurde uns das
Restaurant Andersons empfohlen: Indeed war es eine sehr gute Empfehlung.
Cairngorms Nationalpark = Speyside = viele Destillerien? Tatsächlich gibt es hier all das auf engem Raum. In Schottland gibt es derzeit um die 130 aktive Destillerien, viele sehr namhafte davon hier im Speytal.
Bei gut stehendem Wind kann man an den relativ großen Lagerhauskomplexen schon von Weitem den "Angels Share", den "Anteil der Engel" riechen: Den Whisky, der durch das Holz des Fasses in den Warehouses verdunstet ... Das sind immerhin rund 1% bis 2% der eingelagerten Produktion pro Jahr. Natürlich duftet so etwas. Ist es nun doch eine Destillerietour? Zumindest kann ich mich hier noch vornehm zurückhalten, denn Speyside = Mädchenwhisky. Sie schmecken mir auch gut (wie eigentlich alle Single Malts), aber sie bieten nicht das nachhaltige Geschmackserlebnis des Islay Whiskys.
Hier bekommt man als Whiskyliebhaber und -kenner jedoch den
Eindruck, dass man nie in Schottland gewesen sein muss, um trotzdem
das Gefühl zu haben, man würde zumindest dem Namen nach jedes zweite
Dorf kennen. Zumindest habe ich viele davon nun auch in Realität
kennen gelernt. Eine Inverness Stadtbesichtigung klappte nicht
ausgiebig genug, weil wir schon wieder nicht vernünftig genug
vorbereitet waren. Wir sind einfach immer viel zu spontan. Es wird
dann aber doch noch ein wenig Besichtigung zu Fuß in der Stadt mit
Frühstück im Victoria Market. Eine kleine Markthalle. Ein
klassisches schottisches Frühstück mit Ham and Eggs und natürlich
gebratenem Haggis muss sein. Inverness ist eine wunderschöne Stadt,
in der sich ein längerer Aufenthalt lohnt!
North Coast 500
Am nächsten Morgen fahren wir extra zum Frühstück zum nicht weit
entfernten Loch Ness. Dreimal darf man raten: Nessie ließ sich nicht
blicken. Da ich mir allein schon wegen der Blitzer angewöhnte mit
Navi zu fahren, wäre es gar nicht schlecht (wie bereits erwähnt),
wenn es drei- bis viermal am Tag sagen würde " immer schön britisch
fahren" ... bestimmt eine Marktlücke. Leider macht es das immer noch
nicht. Dafür jedoch immer noch anlasslos meine unermüdliche
Beifahrerin. Ich empfand es nie als lästig, sondern nahm immer
dankbar die Erinnerung zur Kenntnis ...
Weiter ging es an der Küste entlang: Einen Übernachtungsplatz fanden wir am Hafen von Lybster. Das war ein wirklich toller Platz am Ende einer Stichstraße zum Meer. Hier war tatsächlich nur ein kleiner Hafen, in dem noch zwei Fischerboote aktiv waren und noch ein paar Häuschen dazu. Zum Frühstück gab es endlich endlich die hiesige Variante der bayrischen Hollerkiachl mit Guinness. Eine Anwohnerin am Hafen in der Nähe unseres Stellplatzes haben wir eingeladen und ein nettes Gespräch gehabt. Auch wenn man sich des Englischen recht mächtig wähnt, scheitert man jedoch immer wieder am schottischen Dialekt.
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Der Besuch eines Vogelfelsens war ernüchternd, denn die Vogelgrippe hat die Populationen sehr ausgedünnt, wie uns gesagt wurde. Papageitaucher (Puffins) sind quasi verschwunden. Entsprechendes fiel mir vor einigen Jahren schon in Island am Vogelfelsen Latrabjarg auf ...
In Wick war nun inzwischen auch mal Wäsche waschen angesagt: Wir verbrachten darum hier drei Nächte auf dem Campingplatz, wo Kaninchen zu Dutzenden auf der Zeltwiese spielten. Da der Campingplatz nur schlecht ausgestattet war, nutzten wir den Waschsalon im Ort. Das war kein Problem und nicht weit weg. Die Stadt war historisch als Heringsstadt sehr wichtig und hat ein nettes Museum. Aber jetzt macht sie einen etwas heruntergekommenen Eindruck: Aus den Ritzen der Bürgersteige wächst Unkraut. Die Autos sind alle schick und gepflegt, aber viele Ladengeschäfte und Häuser sind abgewirtschaftet oder stehen leer. "For sale" und "To let" sind allgegenwärtige Schilder.
Ich weiß nun wieder, warum ich Campingplätze nicht so toll finde: Die Klokabinen und Duschkabinen sind für Minimenschen gemacht. Ich wusste gar nicht, dass es in Schottland nur Menschen bis höchstens 80 kg gibt. Die Tür der Klokabine lässt sich nur schließen , wenn man auf die Kloschüssel steigt.
Durch Ruinen in den Dörfern ergibt sich ein morbider Charme fast wie in Sizilien, nur ohne herum liegenden Müll. Viele verfallene Häuser stehen mitten in den Dörfern. Bei Burgen und Schlössern sieht man ausnahmslos einen "gepflegten" Verfall. Einfache Wohnhäuser aber sind oft nur gesichert und abgesperrt. Die meisten verfallen offensichtlich schon seit vielen Jahren ungepflegt ...
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Das satte Grün der Landschaft sorgt für richtige Glücksgefühle, auch bei nicht so tollem Wetter. Vielleicht ist das der Grund, warum das Wetter den Schotten völlig egal zu sein scheint. Sie lassen sich dadurch weder von der Arbeit, noch von Freizeitspaß abbringen.
An den Küsten und an der NC500 ändert sich die Landschaft häufig. Das satte Grün überwiegt, aber Sandstrände wechseln mit Klippen. Schroffe Felsen und Hügel bekommen ein kroatisches Aussehen, wenn viele weiße Kalkfelsen dazwischen gestreut sind. Dann gibt es plötzlich wieder Wälder wie im Schwarzwald und grünen Dschungel mit Schlingpflanzen und Blüten auf den Bäumen. Bei Durness besuchten wir die Smoo Cave: Eine Höhle fast wie Postojna in Slowenien, nur deutlich kleiner. In der Höhle direkt am Meer gibt es einen Wasserfall mit einem zugehörigen Flüsschen, auf dem sogar Boote verkehren.
Im "Oldschool Café" hatten wir zu einem Frühstück eine nette
Unterhaltung mit der italienischen Besitzerin, die hierher
geheiratet hat. Sie sagt, dass Italiener und Schotten im Verhalten
gegenüber anderen sehr ähnlich wären. Beide sind sehr kommunikativ.
Ich kann das nur bestätigen. Sie beglückwünschte uns, dass wir nach
mehreren Wochen Sonnenschein nun wieder echt schottisches Wetter
erleben dürfen ...
Ich persönlich finde die Westküste schöner als die Ostküste. Für eine Nacht verschlug es uns an die Bucht Loch Ewe: Ein historischer Platz, denn diese Bucht war nach der Aktion der Faschisten in Scapa Flow, wo ein deutsches U-Boot im Oktober 1939 eindrang und die HMS Royal Oak mit 833 Menschen versenkte, die Basis der britischen Navy. Militärisch war die Aktion wertlos, aber man meinte, damit die Schmach des Ersten Weltkriegs zu rächen, als die Reste der kaiserlichen Flotte in Scapa Flow festgesetzt wurden.
Danach verlegte man die britische Flotte hier her nach Loch Ewe. Nach Scapa Flow hinüber schauen kann man im Nordosten Schottlands bei John o` Groats.
Der Regen war in der letzten Nacht recht stark. Die Bäche sehen deshalb appetitlich aus wie Guinness Bier: Braun mit weißen Schaum drauf ... nur, dass diese Bräune vom Torf kommt, durch den das Wasser fließt.
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Wohl wissend, dass der Geschmack des Wassers sehr entscheidend für den Geschmack des Whiskys ist, musste ich einfach probieren. Keine Ansiedlung in der Nähe? Keine Schafe in der Nähe? Dann ist es Trinkwasser! Das bräunliche Wasser aus dem Torf schmeckt hervorragend und noch viel besser mit einem Spritzer Whisky ... "Whiskywasser" ... es wurde von mir bereits 2004 in Norwegen erfunden.
Ich hatte auf einer Motorradtour Whisky in einer
Metalltrinkflasche dabei. Als sie leer war, benutzte ich sie dem
Zweck entsprechend für Wasser. Es waren noch wenige Tröpfchen Whisky
drin und die verliehen dem Wasser aus dem Gebirgsbach einen
unvergleichlichen Geschmack. Alcohol Units waren wohl nur noch in
homöopathischen Dosen vorhanden, aber das tat dem Geschmack
keinen Abbruch ... im Gegenteil!
Nach längerem Regen treten Bäche aber auch mal über die Ufer, was
deutlich zeigt, dass man seinen Übernachtungsplatz mit Bedacht
auswählen sollte. Man will in der Nacht nur ungern fortgespült
werden ...
Die ganze Gegend um den Ben Nevis herum ist überbewertet und mordstouristisch. Für die Briten ist er jedoch ein Riesenberg - mit 1.345 Metern immerhin der höchste in Britannien. Natürlich ist es hier sehr schön, aber man findet nicht einmal einen Nachtplatz, wo man sich ein wenig verkrümeln kann ...
Fortsetzung folgt!
© 2023 Sigi Heider
Anm. der Red.: Weitere Beiträge von Sigi Heider finden sich in unserer Autorenübersicht!