Von galoppierenden Elchen und feiernden Finnen

Wir wollen heute wieder einmal wild campen und lassen uns von den Empfehlungen des WoMo-Führers leiten, suchen den Stellplatz mit der geländetechnisch schwierigsten Anfahrt (na klar! ) und hoffen, dort nicht allzu viele Camper zu treffen. Aber die Sommerferien haben inzwischen begonnen und der gewählte Platz scheint der Lidostrand der Einheimischen zu sein: Schulkinder tummels sich lautstark in den Fluten, Erwachsene pirschen sich langsam, Zentimeter für Zentimeter tiefer ins kalte Wasser. Für eine Teepause und zum Beobachten des Treibens geht es ja, übernachten wollen wir hier aber nicht. Obwohl die Leute hier abends alle verschwinden und uns nicht stören würden. Nein, die Reiseleitung hat ein anderes Ziel, einen schönen Campingplatz 3 Kilometer vor Hanko ausgekundschaftet und da fahren wir nun hin.

Während ich auf einer Landstraße mit den erlaubten 80 km/h entspannt dahin gleite, sehe ich aus dem rechten Augenwinkel plötzlich eine schwarze Gestalt, die sich vom Waldrand löst und in Richtung Straße die Böschung herab läuft. In den Wochen der Reisevorbereitung habe ich oft von den vielen Toten bei Verkehrsunfällen mit Elchen gelesen und erkannte deshalb die Gefahr sofort: Die Autos ziehen nämlich bei einer Kollision dem Tier die langen Beine vom Boden weg und der 500 kg schwere Körper fällt dann voll auf Fahrer und Beifahrer ...

Das Viech rennt tatsächlich genau vor mir auf die Fahrbahn und der Zusammenstoß erfolgt nur deshalb nicht, weil ich schon vorher stark gebremst habe. Mit schlaksigen, unbeholfen wirkenden Sprüngen überquert der junge Elch die Fahrbahn und verschwindet im Wald. Und zum ersten Mal überhaupt hat meine ständig eingeschaltete Dashcam eine wirklich beeindruckende Aufnahme gemacht!

Schwarze Gestalt im Augenwinkel ... ... entpuppt sich im Heranfahren als junger Elch ... ... der nur wegen starkem Bremsen heil davonkommt ...

Wir kommen nach Hanko und können die Begeisterung der Garmischer Camper, die wir an der Kirche in Pyhämaa getroffen haben, für diesen Ort verstehen: Ein nettes Städchen mit vielen alten Jugendstilhäusern an der Uferstraße, manche etwas kitschig aufgemotzt, andere mit Patina und morbidem Charme daherkommend. Rund um den alten Hafen herrscht reges Treiben von meist jungen Leuten, Paaren oder Familien mit Kindern und am Strand nicht weit davon entfernt findet auf 4 Plätzen ein Beach-Volleyballturnier statt. Auch die Gastronomie hat was zu bieten und die Reiseleitung ist zufrieden.

Nach dem Stadtrundgang fahren wir die 3-4 Kilomterer zum Campingplatz und schon beim Einchecken merke ich, dass wir hier nicht alleine sein werden und es vorwiegend mit Surfern zu tun haben: Man kann hier Bretter mieten, einen Surflehrgang buchen und auch sonst allerlei. An der Rezeption kann ich bei der Stellplatzwahl aus drei Preisklassen wählen und nehme die Teuerste. Eine gute Entscheidung: Vor allem, weil wir damit direkt am Wasser stehen und dazu weit weg von der gröhlenden Masse parken können. Aber ich verfalle wieder in südeuropäische Vorurteile: Gröhlende Massen gibt es nicht in Finnland. Wie schon eine Woche vorher in Pori beobachtet, fallen die jungen Camper überhaupt nicht auf. Sie machen ihr Ding und wir suchen unsere Tätigkeitsfelder, wobei an diesem Ort der schöne Spaziergang durch den lichten Stangenhochwald außerhalb des Platzes Herr und Hund besonders gefällt ...

Hanko Die teuersten Stellplätze am Ort ... Und auch solche Camper findet man hier ...

Am Abend werde ich von einem Platznachbarn, einem geschätzt 35 jährigen Finnen, in Deutsch angesprochen: Natürlich als erstes die Frage nach der Automarke, aber dann wird schnell klar, dass er seine Fremdsprachkenntnisse üben will. Er - Alex - sei noch nie in Deutschland gewesen und habe die Sprache in Helsinki gelernt. Dafür spricht er aber echt gut, hat zwar nur ein Basisvokabular, aber eine ziemlich flüssige Aussprache. Wir sitzen einige Zeit zusammen und quatschen über Lebensführung und Politik. Zwar nicht ganz auf gleicher Wellenlänge, mich stört nämlich seine erhebliche Alkoholfahne und ihn stört wohl, dass ich kein Bier hole, mit ihm trinke und ihn zu weiteren Bierflaschen animiere. Auch politisch sind wir nicht ganz gleicher Meinung, aber interessant ist sein Standpunkt doch. Er ist mit einer Russin verlobt und hat als Selbstständiger wohl auch geschäftlich viel mit Russland zu tun. Deshalb wettert er über die EU und besonders über deren Russlandsanktionen. Finnland ist tatsächlich das EU-Land, das am meisten Nachteile von diesen Sanktionen zu tragen hat. Und mein neuer Freund Alex leidet wohl besonders ...

Hier in Hanko und an diesem schönen Stellplatz direkt am Wasser gefällt es uns gut: Wir bleiben also noch eine zweite Nacht und suchen wieder nach einer kleinen Entschleunigung. Zu Fuß in den Ort, dort ein wenig Spazierengehen und Mittagessen, danach die 4 km zurücklaufen, das ist unser ganzes Tagwerk. Solche Tage bräuchten wir öfter, das wissen wir längst. Aber wie soll man dann in 3 Wochen von Finnland etwas sehen? Also folgen nach diesem Ruhetag wieder die Reisetage, zwei davon haben wir noch bis zu unserem Fährentermin.

Diese zwei Tage sind für Helsinki reserviert und von Hanko sind es nur noch 130 km bis zur Hauptstadt.

Einer alten Gewohnheit folgend fahren wir beim ersten Kontakt mit einer Großstadt mitten durch das Zentrum, geben dem Navi den Hauptbahnhof als Ziel ein und lassen uns von "Signorina Elettra" leiten. Das geht ganz gut mit unserem Wohnmobil, ist es doch nicht größer als ein Sprinter und die fahren ja auch überall hin. Der Kontrast vom Land zur Hauptstadt, auch wenn es die kleinste Hauptstadt Europas ist, erschreckt uns jedesmal wieder und diese Methode führt ganz gerne dazu, dass die Lust auf Stadt etwas gedämpft wird. Schon am Nachmittag fahren wir zu dem Campingplatz am östlichen Stadtrand, dem angeblich einzigen CP von Helsinki.

Bahnhofsviertel Helsinki Ein Bastard unter reinweißen Legehennen ..?

Gestern, auf dem schönen Platz in Hanko, haben zwei unserer Platznachbarn geschwärmt von diesem Hauptstadt-Campinglatz, der auch im Führer mit 4 Sternen ausgezeichnet ist. Die Reiseleitung freut sich also schon auf den Komfort dort und auf die bestimmt gute Gastronomie am Platz. Aber Helsinki ist in dieser Hinsicht wahrlich keine Ausnahme: Mit vielen Sternen und hohen Gebühren ausgestattet finden wir nur Enttäuschendes: Das einzige Restaurant am Platz hat geschlossen, einen Laden gibt es sowieso nicht und auch außerhalb nur einen kleinen Supermarkt mit einem Sortiment ähnlich einem Discounter. Der große Platz ist sehr gut belegt, hat aber den Charme einer Legehennenbatterie. Was müssen die Leute für einen Geschmack haben, die einen solchen Platz loben und mit Sternen versehen? Jedenfalls nicht unseren.

 Auch vom vielgepriesenen Vorteil, von diesem Platz aus mit der S-Bahn und einmaligem Umsteigen ohne Auto direkt in das Stadtzentrum zu kommen, machen wir nicht Gebrauch. Erstens, weil wir dann am Abend wieder auf diesen Platz zurück müssten (Brrrr!! )  und zweitens, weil wir auch mit unserem Fahrzeug weit in die Innenstadt vordringen und nur so unseren Hund ein paar Stunden im Auto lassend loswerden können.

Und ohne die geringsten Probleme finden wir absolut zentral und fast genau vor der alten Markthalle einen sehr schönen Parkplatz, der weniger kostet, als wir für die beiden Eisenbahntickets hätten bezahlen müssen. Wieder ein Lob auf unser im Vergleich noch relativ kleines Wohnmobil ...

Nun sind wir also mitten drin in Helsinki: Die wesentlichen Sehenswürdigkeiten sind alle gut zu Fuß zu erreichen und wir schauen uns den Dom, einige zentrale Plätze und Gebäude und zuletzt die Uspenski-Kathedrale an, den größten christlich-orthodoxen Sakralbau des Landes. Direkt vor die Kathedrale wurde 1962 vom architektonischen Nationalhelden Finnlands,  Alvar Aalto, das Enso-Gutzeit Haus hingestellt, ein modernes, sehr nüchternes Bürogebäude, das einen brutalen Kontrast zu der verspielten Bauweise der Kathedrale bietet. Sicher nicht jedermanns Geschmack, aber immer noch besser, als eine kitschige stilmäßige Kopie der altehrwürdigen Kirche (Anm. der Red.: Ein lustiges Kerlchen vor diesem Gebäude wurde auch vom "gewissen Team" bei seiner Ostsee-Odyssee wahrgenommen! )

Helsinki: Die alte Markthalle neben dem Yachthafen Domplatz
Das "Kaugummi Museum" ... Alt und neu: Das Enso-Gutzeit Haus, umstrittener architektonischer Kontrast

Auch ein "Kaugummi-Museum" haben die hier und ich wundere mich nicht schlecht - so etwas hatten wir bisher noch nicht! Allerdings heißt das Museum beim genaueren Hinsehen Kaupungin und nicht Kaugummi, und es ist das Stadtmuseum. Gerne wäre ich in dieses Museum hinein gegangen, aber unser Hund ...

Nach etwa 2-3 Stunden haben wir alles, was sein muss, gesehen und unser Großstadtkonto ist schon wieder voll. Wir schlendern noch ohne Hund durch die alte Markthalle, dem größten Feinkostladen der Welt (meint eine Großstadt-meidende Landpomeranze), kaufen als Mitbringsel Rentierschinken und Bärentatzen geräuchert, gönnen unserem Astralleib noch ein feines Fischgericht und verschwinden dann so schnell unsere treue "Signorina Elettra" uns führen kann aus diesem Trubel. Ich schreibe es nicht zum ersten Mal: Eine Großstadt besuchen geht anders. Man fliegt hin, mietet sich in einem Hotel in zentraler Lage ein und nimmt sich Zeit für längere Besuche in Museen, Kirchen und Szenetreffs. Dafür reicht eventuell schon ein verlängertes Wochenende. Und ganz wichtig: Ohne Hund!

Ich selber mache so etwas ziemlich oft, nämlich an jedem runden Geburtstag - also alle 10 Jahre ...

Auch der Reiseleitung ist inzwischen klar geworden, dass wir unsere letzte Nacht in Finnland nicht wieder auf einem Campingplatz mit nur 4 oder 5 Sternen verbringen wollen. Tausend Sterne sollen es schon sein und die gibt es nur unter freiem Himmel. Der Fährhafen, von dem morgen Nachmittag unser Schiff ablegt, ist am östlichen Stadtrand von Helsinki.

Zurück zum Fährhafen ...

Wir suchen also östlich nach einem schönen Übernachtungsplatz und finden auf der Landkarte etwa in der Mitte zwischen Helsinki und Porvoo eine Halbinsel mit dem Ort Kalkstrand. Der Name ist gut und regt uns an, den Ort mal anzuschauen: Am Ende der öffentlichen Straße befindet sich neben einer Baustofffabrik, die wohl tatsächlich Kalk herstellt, eine kleine Schiffsanlegestelle für private Motorboote und eine Zubringerlinie, die Pörtö Line.

Wir finden noch einen freien Parkplatz und stellen uns erst einmal hin, machen Teepause und "dogwalk". Dabei beobachten wir das lebhafte Treiben an diesem Anleger: Ständig kommen und gehen Boote, ganze Familien warten auf ihr Wassertaxi zum Sommerhaus in den Schären, ein Mann bringt mit dem PKW Baumaterial und wird kurze Zeit später von einem kleinen Motorboot abgeholt. Die Pörtö Line fährt nach einem festen Fahrplan und bei Eintreffen dieses etwas größeren Bootes wird es noch lebendiger auf dem Platz.

Blick aus unserem Hochdach zum Fähranleger: Containerverkehr ...Den Gipfel an Aktivität bringt ein kleiner Frachtkahn, der offenbar die Inseln abfährt und die gefüllten Müllcontainer abholt. Hier, direkt vor unserem Auto, werden die beiden Container auf LKW umgeladen.

Eine umständliche Prozedur, müssen doch anschließend zwei neue, also leere Container, wieder auf das Schiff, wozu sich der LKW jedesmal über eine Stahlrampe vorsichtig auf das Schiffchen tasten muss. Spannend, spannend, wir kommen zu nichts anderem als nur zum Zuschauen.

Natürlich werden auch wir beobachtet - und angesprochen. Weshalb wohl? Ja, richtig. "Welches Fabrikat ist dieses Auto?" Es entwickelt sich wie immer auf dieser Reise ein kurzes Gespräch daraus und ich nutze den Kontakt zu eigenen Fragen über die Pörtö Line, über die Sommerhäuser auf den Schären und noch dies und das. Ich habe es ja schon erwähnt: alle Finnen sprechen Englisch. Fast alle ...

Der Müllfrachter kommt um 22 Uhr zum letzten Mal, danach haben wir eine ruhige Nacht, doch wegen der Wolken leider keine Sterne. Am nächsten Morgen werden wir schon recht früh von ankommenden und abfahrenden Autos und Booten geweckt, frühstücken dennoch gemütlich und brechen zu unserem ersten und letzten Ziel in Finnland auf, zur Stadt Porvoo.

Passer domestikus: Der Haussperling, bzw. die Spatzendame ...Dort hat die Reise - vom Fährhafen einmal abgesehen - angefangen, dort soll sie einen gebührenden Ausklang finden. Die Stadt hat einfach den Charme dazu und wir genießen den vergleichsweise gemütlichen touristischen Verkehr dort. Wir finden für unser kleines Enkeltöchterchen noch ein nettes Mitbrinsel und setzen uns gemütlich in ein Straßenlokal. Und wir machen die letzte nähere Vogelbekanntschaft in Finnland: Ein "Passer domesticus" will uns die Bedeutung seines Artnamens praktisch erklären und setzt sich dazu auf meinen Tellerrand ...

Langsam, auf keinen Fall wieder vier Stunden zu früh, fahren wir gegen 14:00 Uhr zum Fährhafen und dürfen wenige Minuten nach dem Einchecken schon auf das Schiff. So hatten wir uns das bei der Hinfahrt eigentlich auch vorgestellt. Die Rückfahrt ist wieder langweilig, aber entspannend. Ein schöner, ruhiger Ausklang einer Reise, wären da nicht noch die 900 Autobahnkilometer am ersten Ferientag zweier großer Bundesländer. Na ja, die gehen auch vorbei ...


© 2016 Sepp Reithmeier 



Anm. der Red.: Von unserem Autor Sepp Reithmeier gibt es etliche weitere Artikel in unserem Magazin, sowohl Reiseberichte als auch andere Beiträge: