Wie Gamvik nicht war ... (1) 

Diorama "Küstenartillerie", oder: Die Kanonen von Navarone


Da waren wir also im heißesten Sommer an der Nordspitze Skandinaviens gewesen und hatten im Verlauf unserer Tour Skandinavien 2000 etliches vorgefunden, was man nur bezeichnen konnte als Hinterlassenschaften: Überreste deutscher Aktivitäten ...

Küstenartillerie: Wie Gamvik nicht war ...Besonders ergiebig war dabei Gamvik, die Nordspitze unweit vom Nordkinn, der interessanteren Alternative zum überlaufenen Nordkap.

Und die Überreste einer alten deutschen Geschützstellung dort am Rande des Eismeeres hatten dann schon fast zu so etwas geführt wie einer kleinen militärhistorischen Debatte im Magazin: So hielt uns Prof. Joachim Schmid zunächst einmal vor, die Realität der deutschen "Festung Gamvik", wie wir sie getauft hatten, könne gar nicht so ausgesehen haben, wie wir sie uns seinerzeit vorstellten.

Dabei ergab sich ein interessanter Email-Austausch, der schließlich später zu einer weitgehenden Aufklärung des Geheimnisses um die dort von uns vorgefundenen "Flak-Drehgestelle" führte.

In seiner ersten Mail an uns schrieb Prof. Schmid einiges sehr Interessantes, das uns letztlich dazu brachte, in dieser und der folgenden Ausgabe zwei Modelle zu präsentieren, die genau das zeigen, was er in seiner Mail beschrieb - auch so etwas einmal ein Anlass, den Modellkeller zu bereichern!

Und das hatte er uns seinerzeit in eigener Interpretation der von uns gezeigten Bilder gemailt:

1. Die Bilder zeigen eindeutig eine Straßenlafette und Drehscheiben deutscher 8,8 cm Flak. 

2. Auch sind die gezeigten Geschützstellungen mit ihren oben offenen, runden Gruben ganz typisch für Flak-Stellungen. Seezielgeschütze waren hingegen zum Meer gerichtet hinter Brustwehren oder in oben geschlossenen Bunkern aufgestellt und schossen durch relativ schmale Öffnungen.

Zwei Geschütze von hinten und ihre Munition ... ... aufgestellt im nach oben geschlossenen Bunker ...
Mit Flak auf der Stellung ... ... auch nach oben abgesichert ...

3. Reine Seezielartillerie wäre in Nord-Norwegen relativ witzlos gewesen, denn diese Gegend ist viel zu unbedeutend für Landeoperationen von See her (ein Angriff über Land aus Richtung Murmansk wäre viel einfacher gewesen), und die alliierten Murmansk-Konvois fuhren natürlich weit ab von der Küste in sicherer Entfernung. Warum hätten die sich beschießen lassen sollen?

4. Flugabwehrgeschütze machten jedoch sehr wohl Sinn, denn Luftangriffe gegen die im Raum Gamvik stationierten Schiffe und Flugzeuge erfolgten in der Tat von Flugzeugträgern und Stützpunkten in der Sowjetunion und Schottland aus.

5. Als Nebenaufgabe hatten diese Fla-Geschütze durchaus auch die Abwehr von Landungsversuchen, vor allem aber von Angriffen über Land. Aber es bleibt Flak, und wenn sich Ihr Autor auf den Kopf stellt.

Gegenübergestellt wurden in dieser Mail also zwei grundverschiedene Formen militärischer Anlagen: Zum einen die typischen Flak-Stellungen mit den nach oben offenen Gruben sowie zum anderen die Seezielgeschütze, mit denen wir uns im vorliegenden Beitrag befassen wollen.

"Seezielgeschütze waren hingegen zum Meer gerichtet hinter Brustwehren oder in oben geschlossenen Bunkern aufgestellt und schossen durch relativ schmale Öffnungen" schrieb also Prof. Schmid und in der Tat liegt er da richtig: Die im Rahmen von Küstenartillerie betriebenen Stellungen wurden in der Regel genau so angelegt und sind als Überreste noch an vielen Stellen der ehemaligen Front zu finden. Insbesondere der Atlantikwall bot viele Beispiele für derartige Küstenbefestigungen.Küstenartilleriestellung im Überflug ...

Ein sehr schönes Beispiel für eine Küstenartilleriestellung findet sich aber vor allem im Roman von Alistair McLean: "Die Kanonen von Navarone" heißt der berühmte Kriegsroman, in dem eine Spezialeinheit ausgesandt wird, eine ansonsten nahezu unverwundbare Festung dieser Art zu knacken. Überdacht von Felsen finden sich im Roman zwei Geschütze, die eine ganze Meerenge beherrschen und die weder aus der Luft noch erst recht von See her zu knacken sind.

Doch irgend wann sind die Eroberer dennoch vor Ort, wie wir im Roman nachlesen können: "... Langsam näherte er sich den Kanonen, schritt halb um die Drehscheibe bei dem Geschütz zu seiner Linken und untersuchte es, so gut das in der Düsternis möglich war. Allein die Größe, der ungeheure Umfang und die Länge des weit ins Nachtdunkel reichenden Rohres machten ihn stutzig. Die Experten hatten doch erklärt, die Geschütze hätten höchstens 23 Zentimeter Kaliber. Vielleicht erschienen sie ihm in der Enge des Gewölbes übertrieben groß? Aber nein - er täuschte sich nicht: 30 Zentimeter hatte diese Kanone mindestens - die größte, die er bisher gesehen hatte. Du lieber Himmel - eine gigantische Waffe! Die Narren, die blinden, wahnsinnigen Toren, die den Zerstörer Sybaris gegen diese Kanonen gehetzt hatten ...".

Unser Airfix-Modell "Coastal Defense Fort", im Maßstab 1:72 unter der Art.-Nr. 150 67 06 bei Scheuer & Strüver zum Preis von knapp über 20,- Euro erhältlich, ist zwar nicht so hervorragend gesichert wie diese Festung von Navarone, stellt aber dennoch eine typische Küstenartilleriestellung dar: Als recht einfaches Steck-Modell stellt es an den Modellbauer eigentlich geringe Anforderungen. Interessant wird es erst, wenn hier durch entsprechenden Anstrich und Verschmutzung Authentizität hergestellt und mit den Mitteln des Modelleisenbahners ein "Diorama" gebaut wird. In unserem Fall reichte ein Papphügel mit Drahtgeflecht und Gipsgewebe aus, den wir mit grauem Kies und mit Moos "bepflanzten".

Obwohl wir wirklich nicht dazu neigen, derartige militärische Aktionen und Szenarien irgend wie noch zu verherrlichen, kam man in diesem Fall dennoch nicht umhin, die im Karton mitgelieferten "Verteidiger", natürlich deutsche Infanterie, und "Angreifer", ein britisches Spezialkommando, im Diorama auch einzusetzen - wann baut man ein derartiges Modell schließlich sonst schon mal? In der Bildserie unten deshalb nun unser Diorama "Küstenartillerie" ...

Also, dem Modellbauer wurde - losgelöst von Sinn oder Unsinn des hier Dargestellten - genüge getan und ein Szenario aufgebaut, wie es unserem Leser in seiner Mail wohl vorgeschwebte: So sahen in der Regel also Küstenartilleriestellungen aus - allerdings nicht in Gamvik, wie wir heute wissen. 

Und wie es dort auch nicht ausgesehen hat, nun, das zeigen wir im 2. Teil unseres Beitrags: Unser Modellhügel ist schließlich auch gut genug für eine echte Flakstellung ... 


 

Nachtrag, Januar ´04: Phantasie-Modelle ...

Gamvik lässt uns nicht los! In diesem Fall mailte uns Harry Lippmann, seines Zeichens Leiter des Deutschen Atlantikwall-Archivs/Köln. Neben seinen Erläuterungen zum Thema "Festung Gamvik" machte er noch einmal deutlich, dass es sich bei unserem obigen AIRFIX-Modell um ein Phantasie-Gebilde ohne Bezug zum realen Atlantikwall handelt. Mehr dazu kam noch in einer späteren Mail:

Lieber Herr de Haas,
zunächst zu originalgetreuen Modellen. Im Zuge des in den letzten Jahren gestiegenen Interesses am Atlantikwall hat's da so manches Produkt gegeben, womit Bastler in die Irre geführt werden. Wir haben da in unserer Zeitschrift DAWA Nachrichten auch schon öfter darauf hingewiesen. ...

Verrückter- oder bezeichnenderweise liegen meine "Ursprünge" eben in den beiden AIRFIX-Modellen, die es ja schon seit zig Jahren auf dem Markt gibt. Wollte damals ein Dioramen erstellen, welches einen Landeabschnitt in der Normandie darstellen sollte. Sie können sich gar nicht meine Enttäuschung vorstellen, als ich dann die "richtigen" Bauwerke gesehen habe. Wobei, das muß man dazusagen, das Modell der einzelnen 15,2cm TBtsK von Airfix sich mit einiger Phantasie noch nutzen ließe ...

Ich will also gar nicht kritisieren, sondern nur potentielle Bastler auf die richtige Fährte leiten (damit sie nicht den gleichen und heute -angesichts Internet und anderen Info-Möglichkeiten- vermeidbaren Fehler wie ich damals machen).

Dolp-Modell ...Die Geschützgröße von Gamvik wäre beispielsweise in einem Regelbau R 679 unterzubringen. Die Firma Dolp / Memmingen will demnächst ein Modell davon in 1:72 herausbringen. ...

Das wäre in recht gutes Beispiel für ein verkasemattiertes Geschütz im Atlantikwall - auch wenn der R 679 fast nur in der Normandie zum Einsatz kam. Sie sehen aber schon anhand der 2m dicken Betonwände, daß die Umsetzung originalgetreuer ist. Sogar einer der kleinsten, aber am meisten gebauten Waffenstände, der R 667 für 50mm Kampfwagenkanone ist - als Modell - riesig! ...

Wichtig für mich ist, daß Dolp sich bei der Entwicklung der Bausätze auf die originalen Zeichnungen stützt und nicht wie beispielsweise der bekannte Hersteller Verlinden sich ein Detail herauspickt und alles andere ist (schlechte) Phantasie.

Natürlich ist auch Eigenbau möglich - dafür muß dann aber im Besitz von Bauplänen oder zumindest Grundrissen sein. Etliche unserer Leser frönen diesem Eigenbau und stellen auch dann und wann ein Modell in unserer Zeitschrift vor. ...

Herzlichst, Ihr
Harry Lippmann

Lieber Harry Lippmann, besten Dank für diese Hinweise. Es ist sicher sinnvoll, auf diese Zusammenhänge noch einmal hinzuweisen, auch wenn unser AIRFIX-Modell keineswegs den Eindruck erwecken sollte, es handele sich hier um das Modell einer real existierenden Stellung des Atlantikwalls. Es sollte lediglich zeigen, wie eine Küstenartillerie im Gegensatz zu einer Flak-Stellung aussieht. Aber es ist sicher richtig, dass ein "richtiger" Modellbauer auch "richtige" Modelle bevorzugt anstelle von Phantasiemodellen. Und unsere AIRFIX-Stellung sieht ja auch wirklich nicht aus wie ein deutscher "Heeresregelbau" - aber lassen wir sie dennoch an dieser Stelle, eben nur als  Demonstrationsobjekt. 

Und wie so ein richtiger Regelbau R 679 aussieht, sieht man dann im 6. und wohl letzten Nachtrag zu den Hinterlassenschaften von Gamvik: Danke, Harry Lippmann!


© 2003-2004 J. de Haas, Bild unten rechts: Bunkermodell Dolp / Memmingen