Schnee stört doch einen Unimog nicht ...

Für den nächsten Tag haben wir uns eine anspruchsvollere Fahrstrecke ausgesucht: Wir wollen eine Rundtour unternehmen und abends wieder hier aufschlagen. Es soll zum See Langisjor im Nationalpark Vatnajökull gehen, die Faxasundpiste hoch und vom See aus die weiter östliche F235 zurück Richtung Eldgjá, an der sogenannten Feuerschlucht gelegen.

Als wir bei der Zufahrt in diese Region auf die F208 abbiegen, steht eine einsame Tramperin am Straßenrand und winkt uns heftig auffordernd zu. Sie stehe schon 90 Minuten an dieser Stelle und wir seien erst das zweite Fahrzeug, das vorbeikommt, hören wir. Nehmen wir sie eben mit, wir haben ja noch einen zugelassenen Sitzplatz frei. Es wird eine nette Unterhaltung mit der 19-jährigen durchgefrorenen Studentin aus der Normandie, die einen Ferienjob in einem Gästehaus an der Ringstraße hat und an ihren freien Tagen immer auf der Insel herumreist. Da sie nach Eldgja will und wir sie nicht auf der verkehrsarmen Straße in der Kälte sitzen lassen wollen, fahren wir eben auch nach Eldgja und besichtigen dort den schönen Wasserfall Ofaerufoss. Von Eldgja aus bietet es sich aber an, unsere beabsichtigte Runde in der umgekehrten Richtung, also nicht im Uhrzeigersinn, sondern entgegen zu nehmen ...

Lohnender kurzer Spaziergang: Ofaerufoss in der Feuerschlucht ... Blick auf den unteren Fall, bis 1992 führte eine Steinbrücke herüber

Der Ranger in Eldgja rät uns ab davon, weil die Faxasundpiste ganz hinten nahe des Langisjorsees mindestens eine breite Firnschneestelle hat, er selbst dort umgekehrt sei und heuer noch kein Ranger die Strecke getestet habe – keiner weiß, wie es weitergeht und wie viel Schnee dort noch auf der Piste liegt. Aber die F235 bis zum See sei frei und Sperrungen gäbe es seit zwei Tagen keine mehr.

Wir fahren also die F235 bis zum Ende und wollen eine kleine Nebenpiste ausprobieren, die nach 500 Metern leicht ansteigend durch ein kurzes Schneefeld führt; Spuren eines Superjeeps sind erkennbar. Martin fährt mit Schwung in den Schnee und gibt Vollgas. Aber so geht das nicht: Nach beschämenden 5 Metern Strecke im Schnee bleibt der Laster hängen. Alle Räder drehen entweder nach vorne oder nach hinten durch, darunter blankes Eis - kein Zentimeter Bodengewinn. Wir schaufeln die Schneekeile hinter den 4 Rädern weg und Martin lässt Luft aus den Reifen: Dann ist alles plötzlich ganz easy, locker rollt der Mog im Rückwärtsgang aus der Falle.

Dieses Erlebnis hat uns etwas bescheidener gemacht. Alles kann ein 10 Tonnen Unimog auch wieder nicht. Aber anschauen wollen wir das vom Ranger beschriebene Schneefeld schon. Es stellt sich heraus, dass es leicht ansteigend und nur etwa 50 Meter lang ist. Wenn wir da stecken bleiben, kommen wir in jedem Fall im Rückwärtsgang den Hang wieder herunter ...

Nach 5 Metern Schnee ist Schluss, es geht keine Handbreit nach vorn oder zurück ... Von 1,5 bar zu 0,8 bar dauert es noch fast 10 Minuten Geschafft, nun wieder Druck aufbauen!

Und natürlich bleiben wir stecken, schon nach 10 Metern. Aber der Unimog hat noch Reserven: Durch die Beadlock-Felgen, auf denen die Reifen montiert sind und nicht rutschen können sowie durch die extrem widerstandsfähige Reifenkarkasse des Michelin XZL kann Martin den Reifendruck ohne hohes Risiko extrem tief auf 0,8 bar ablassen (bis maximal 0,5 bar möglich). Und mit der Reifendruck-Regelanlage geht das alles zwar langsam, aber bequem vom Fahrersitz aus. Damit verdoppelt sich insgesamt die Reifenauflagefläche (durch zunehmende Länge) am Boden und langsam, ganz ohne Gaspedal krabbelt der Unimog das Firnschneefeld hoch. Kaum dem Schnee entkommen wird der Reifendruck wieder erhöht, ab 1,5 bar geht das auch bei langsamer Fahrt ohne Beschädigung der Reifenkarkasse. Schon eine erstaunliche Technik. Aber es funktioniert wirklich, ich hab´s selber gesehen ..!

Allerdings leider nur bis zur nächsten Schneepassage, da beginnt das Spiel von vorn und so geht es dann weiter: Insgesamt werden es 12 Schneefelder, drei davon ganz kurz und ohne Druckablassen befahrbar. Schlüsselstelle ist ein längeres Schneefeld mit mäßigem Gefälle. Das kämen wir möglicherweise nicht wieder hoch. Diesen "point of no return" überfahren wir etwas leichtfertig, nicht wirklich wissend, was uns auf der weiteren Strecke erwartet, ob unpassierbare Stellen uns noch stoppen werden. Dass wir in der absoluten Einsamkeit sind und kein Handynetz besteht, ist uns zwar klar, wird aber nicht richtig ins Kalkül einbezogen. 25 km bis zur nächsten Zivilisation könnte man dann noch laufen ..!?

Aber wir haben Glück. Und eine gute Technik. Erschöpft und erleichtert erreichen wir tiefere Lagen ohne Schnee und fahren auf der F208 wieder zum Parkplatz bei Elgdja, den wir gegen 23 Uhr erreichen. Uns ist inzwischen klar geworden, dass sich jemand für das Mitnehmen der Tramperin bedankt hat, indem wir genötigt wurden, die Tour in der einzig möglichen Fahrrichtung, nämlich gegen den Uhrzeiger zu fahren. Ja, ja, die isländischen Geister ...

Das winzige Campingverbotsschild am Straßenrand 1 km vor dem Parkplatz entgeht unserer reduzierten Aufmerksamkeit. Am nächsten Morgen bekommt daher Martin einen Rüffel vom Ranger: Er wird soo klein mit Hut, entschuldigt sich tausendmal und wird als reuiger Sünder bestimmt einige Kerzen am Opferaltar anzünden. Aber dabei bleibt es auch und die weitere Unterhaltung verläuft sehr freundlich. Die Ranger sind wirklich nicht unsere Feinde ...

Nach einem ruhigen Tag ohne größere Fahrstecke machen wir die sehr lohnende Pflichtrunde bei der Lakispalte, dem Ort, an dem im Jahr 1783 der größte Lavaausbruch auf Island seit Menschengedenken stattfand. Es gibt zwei Anfahrtswege dort hin, die einfachere und kürzere F206 ist wegen Straßenbaumaßnahmen noch gesperrt. So müssen wir die nordwestlichere F207 nehmen, die zweifelsfrei die schönere Strecke ist. Wir fahren durch eine wegen der Schneeschmelze beachtlich tiefe Furt und kommen zuerst an einem kleinen Krater vorbei, der mich an den erloschenen Zwergvulkan mit Michael Endes Romanfigur Nepomuk erinnert, den Halbdrachen, ihr wisst schon. Auch an etwas größeren, meist gut zugänglichen Kraterseen geht die Piste vorbei ... 

Alles hervorragend beschildert ... Einspurige Piste, bei Gegenverkehr kann und darf man nicht herunter ... Reifendurchmesser 121 cm, also mindestens 70 cm Tiefe Darin wohnt Nepomuk, der Halbdrache - heute nicht zu Hause!

Wir machen noch die schöne kurze Gipfeltour über den Berg Laki, der bei dem Ausbruch vor 230 Jahren gespalten wurde, selber aber kein Vulkan ist. Hier werden wir von der Rangerin (lauter hübsche Mädels haben die Isländer für diese Posten abgestellt! ) noch einmal gründlich darin eingewiesen, dass wir den schmalen Pfad keineswegs verlassen dürfen und auf kein einziges Moospflänzchen treten sollen.

Am Gipfel ist es zwar kalt und windig, aber wir haben von oben interessante Blicke hinunter auf die 25 km lange Reihe der kleinen und kleinsten Vulkane und auf den großen Gletscher Vatnajökull ganz in der Ferne. Zum Fotografieren ist das Licht sehr mäßig - nicht zu ändern. Wir kommen gerade noch trockenen Fußes hinunter, bevor ein stürmischer Regenschauer beginnt und wir über die F206 zurück fahren. Diese wurde vor zwei Stunden geöffnet, bietet aber fahrtechnisch keine großen Schwierigkeiten und sollte von jedem einigermaßen hoch gebauten PKW gemeistert werden ...

Blick vom Lakigipfel auf die 230 Jahre alte Vulkankette Richtung SW Wasserschlag in dieser flachen Furt, wie ist das möglich?

Trotzdem hat eine französiche Familie im gemieteten Toyota-Kleinbus Pech und bleibt in einer relativ flachen Furt mitten im kalten Fluss stehen: Wir ziehen sie erst einmal heraus aus dem Wasser und erkennen beim Blick in den vor Nässe triefenden Luftfilter das Malheur sofort. Man sieht die Stelle, an der sie stecken geblieben sind und glaubt es kaum: Sind es eher 20 cm Wassertiefe oder noch weniger? Sie müssen einen kapitalen Fahrfehler gemacht haben und mit Schwung hinein gefahren sein. Die Bugwelle hat dann das Wasser hoch und in den Luftfilter gespritzt. Der Motor hat damit Wasser angesaugt und nun einen Totalschaden. Fatalerweise sind Furtschäden in isländischen Leihwagen nicht versichert. Also ein Schaden von 5.000 Euro oder mehr. Und das kommt zum hohen Reisepreis dazu - arme Franzosen! Sie werden dann später von einem Abschleppdienst die restlichen 20 km bis zur Ringstraße gezogen ... (Anm. der Red.: Siehe zu diesem Thema auch unseren damaligen Beitrag über "The Art of Driving on Icelandic Roads" )

Auf unserem Campingplatz in Kirkjubaejarklaustur, einem schönen Ausgangspunkt für einen Besuch der Laki, haben wir Zeit und genug Platz für den Aufbau von Martins Amateurfunkantenne: Ein wenig spinnen wir doch alle und Martin vielleicht etwas mehr, denn er hat sich einen auf 12 Meter Höhe ausfahrbaren Antennenmast ans Heck seines Wohnkoffers montiert. Damit bringt er die insgesamt 40 Meter lange Drahtantenne auf eine ausreichende Höhe am Einspeisungspunkt in der Antennenmitte und wir versuchen eine Verbindung mit Freunden herzustellen, die gerade in Nordnorwegen unterwegs sind. Leider klappt es nicht, weil das geliehene Sendegerät irgendeine Einstellung nicht mag. Aber wenigstens die Kinder auf dem Platz haben ihre Freude an dem gespannten Seil und üben Limbotanz. Unser Applaus und meine Bravorufe animieren sie weiter und sie wollen gar nicht mehr aufhören damit. So kann man mit "kleinen" Dingen ... Übrigens: Mein 10 cm großes Handy hat gegen die 40 Meter lange Antenne ganz klar den Sieg davon getragen und sofort eine Verbindung nach Norwegen hergestellt. Wie es das nur geschafft hat ..?

Amateurfunker auf Empfang im 40 Meter Band ... Limbo Rock unter dem Antennendraht ... Küstenseeschwalbe, Weltrekordler im Weitstreckenflug und Rotschenkel ...

Auch ich komme hier auf meine Kosten: Es ist ein kleines Vogelparadies trotz der Nähe zum Verkehr der Ringstraße. Ein auf der Querlatte eines Fußballtores sitzender und rufender Regenbrachvogel ist mein Höhepunkt, den gibt es in Mitteleuropa nämlich nicht. Im Hintergrund höre ich eine Bekassine im Balzflug, ein Rotschenkel sitzt auf dem Zaunpfosten und Küstenseeschwalben haben wir im Überfluss ...


© 2015 Sepp Reithmeier