Weitere Angriffe auf das verschneite Hochland

Am nächsten Tag, es ist Freitag, der 31.7., machen wir uns bei schönstem Wetter fertig für eine Rundtour im Gebiet der Hekla, nur auf der anderen Seite als vorher, also auf der Südostseite des Vulkans. Wir fahren die Ringstraße 27 km in südwestliche Richtung und dann über die F209 auf die F232. Dieser folgen wir, direkt am Ostrand des Gletschers Myrdaljökull entlang, danach weiter die F210 und über ein weites ebenes Aschefeld namens Maelifellssandur mit herrlichem Blick auf die Nordseite des Gletschers.

Es ist der einzige ganztägig schöne Tag während meiner zwei Wochen in Island, das Licht und die Gegend sind gigantisch. Eine unserer ersten Begegnungen ist ein einsamer Troll am Straßenrand: Wir kennen den Einfluß der isländischen Geister und grüßen ihn höflich, fragen nach dem Weg und verabschieden uns sehr artig. Bloß kein schlechtes Omen erzeugen ...

Ein besonderer Leckerbissen auf dieser Etappe ist eine zwar harmlose Furt, die aber knapp oberhalb der Abbruchkante eines kleineren Wasserfalles über den Fluss führt. Leider verpassen wir dieses einmalige Fotomotiv: Unimog oben auf dem Wasserfall. Ich hätte rechtzeitig vorher aussteigen und mich in optimaler Position mit der Kamera aufstellen müssen. Das fiel uns erst eine gute Strecke später ein. Deshalb dieser Tipp für andere Reisende ...

Der Troll, unser Wegweiser ... Auf dem Maelifellsandur, dem Mydraljökull gegenüber ...
Furt oberhalb eines Wasserfalls Auf tauglicher Piste durch malerische, einsame Landschaft  ...
Die Piste verläuft im Bachbett ... Hoppla, da geht es aber steil aus dem Wasser!

Wir machen noch einen kleinen Abstecher zu dem Punkt, wo wir den Eyjafjallajökull am Horizont sehen können, den Berg, der im Jahr 2010 den Flugverkehr in Mitteleuropa fast lahmgelegt hat. Dann den Stich wieder zurück und in ein breites Flusstal: Es kommen zwei Hütten für Wanderer, die gerade einmal 5 km auseinander liegen (sonst sind die Distanzen, die ein Wanderer schaffen muss, erheblich größer), danach einige schöne Furten, wobei wir einmal gute 200 Meter mitten im Bachbett fahren dürfen bei etwa 30 cm Wassertiefe.

Dann, knapp 10 km nach der zweiten Wanderhütte, folgt eine Furt über den Fluss Markarfljot, bei der wir in das tiefste Wasserloch unserer ganzen Reise geraten: Wir nehmen die Furt in der Diretissima zwischen Ein- und Ausfahrt und beim Ausfahren über eine etwas steile Rampe kommt das ganze Hinterrad (volle 121 cm) unter Wasser. Der Unimog und sein Fahrer merken das nicht einmal, nur ich als Filmer und wir beide bei der späteren Betrachtung am Bildschirm erkennen die Wassertiefe.

Durch die Furt ...Man kann diese Furt aber auch wesentlich entspannter und durch Wassertiefen von etwa 40 cm rund 20 Meter weiter flussaufwärts in einem Bogen überwinden. Und erwähnt werden muss, dass die Wasserstände heute relativ hoch sind. Gestern hat es geregnet und heute brennt die Sonne auf die noch zahlreichen Schneefelder. Im September fährt an dieser Stelle wohl jeder Suzuki Vitara durch.

Diese Beobachtung ist jedoch ein klarer Hinweis darauf, dass man mit kleineren Fahrzeugen nicht ohne vorheriges Durchwaten oder Beobachten von Vorausfahrenden in unbekannte Flussquerungen fahren sollte. Dem Unimog jedoch ist das egal. Die bisherigen Fahrstunden heute sind die schönsten und eindrucksvollsten der ganzen Reise. Wir sind richtig high wegen Streckenführung, Wetter und Lichtstimmung ...

Weiter geht es die F210 bis zum Abzweig der Hrafntinnuskerpiste. Und hier müssen wir uns entscheiden: Nach 4 Tagen ohne Dusche möchten wir den ruhigen Campingplatz Landmannahellir erreichen. Dahin gibt es drei Straßen: der 210 folgen bis fast zur Ringstaße und in einem weiten Bogen die 26 hoch bis zur 225 nach Landmannahellir und Landmannalaugar, insgesamt weit über 70 km. Dabei liegt das Tal von Landmannaleidi nur etwa 20 km Luftlinie entfernt  im Norden, man muss dabei allerdings über die Hochebene östlich der Hekla.

Es führen zwei Pisten darüber und die kürzere davon ist die Hrafntinnusker: Sie ist nicht mehr gesperrt, jedenfalls nicht von dieser Seite. Martin hat mit dieser Piste noch ein Hühnchen zu rupfen: 2008 durfte er diese Strecke nicht fahren, weil die Gruppe ein kleines Kind dabei hatte und es für Mutter und Kind zu ruppig geworden wäre. Ich denke, die Mutter hatte damals recht, aber Martin sieht heute seine Chance. Wir nehmen also die besagte Piste.

Anfangs noch ohne Probleme kommen wir höher und höher, ab etwa 800 Höhenmeter fangen aber wieder diese blöden Schneefelder an. Martin weiß jedoch inzwischen, wie er sie zu nehmen hat, lässt Druck maximal ab, legt alle Differentialsperren ein und krabbelt ganz langsam drüber. Wir sind schon fast auf dem höchsten Punkt angekommen, haben mehrere Schneefelder und einige für den Mog schwierige, da enge und schräge Felspassagen überwunden, da treffen wir auf ein ansteigendes, aber vor allem ziemlich schräges Schneefeld, das für uns unbefahrbar ist. Der Unimog würde mit den auf der Talseite stärker belasteten Rädern durch die Schneedecke einbrechen, die Schräglage sich dadurch noch verstärken und mit dem minimalen Luftdruck in den Reifen wäre ein Umkippen kaum mehr zu vermeiden.

Bloß nicht in die Lücke des Baches fahren ... Von da unten zieht sich die Hrafntinnusker herauf ... Heute ist hier das Ende der Hrafntinnuskerpiste

Frustriert fahren wir zurück bis zur 210 und treffen nach einigen Kilometern auf die zweite Piste namens Raudufossafjoell über die Hochebene. Versuchen wir die halt, um den riesigen Umweg zu vermeiden, der uns zwei Stunden kosten würde. Es geht schon auch um die Fahrzeit, wollen wir doch bei Tageshelle noch am Campingplatz ankommen. Nach mehreren Schneefeldern kommen wir in einer Höhe von ca. 800 Metern auf eine weite, fast waagrechte und komplett verschneite Hochebene, direkt südöstlich am Fuße der Hekla. Vorsichtig tastend fährt Martin mal darauf, natürlich mit minimalem Luftdruck und langsamster Geschwindigkeit. Und es geht sehr gut. Ohne ein einziges Mal einzubrechen krabbelt der Unimog drei Kilometer über dieses Schneefeld.

Nach Erreichen des Blickhorizonts sehen wir, dass die Fahrspur im Schneefeld, gezogen von isländischen Superjeeps mit den beeindruckenden Ballonreifen, noch einmal rund 1 km weiter geht und am Ende dieses Kilometers verschwindet das Schneefeld hinter einem vorgelagerten Felsbrocken und dann wohl talwärts.

Mir wird die Sache immer unheimlicher, schließlich ist es schon 21:30 Uhr und das Tageslicht wird langsam schwächer. Das häufige Druckablassen und Aufpumpen geht zwar bequem, aber doch recht langsam vor sich. Wir schaffen die ganze Strecke auf keinen Fall mehr und denken schon an eine Übernachtung im Schnee - Martin hat sich da richtig verbissen ...

Oben an der Geländekante beginnt die verschneite Hochebene Die Spuren einiger Superjeeps auf der Hochebene sind uns zu schmal
Rasanter Rückzug in den tiefen Rillen unseres Unimogs Das rettende Keldur ist erreicht ...

Aber als ich ihn daran erinnere, dass wir dann eine Nacht direkt unter der Hekla mit ihren bekannten Gefahren verbringen müssten, ist alles klar: Nein, das will er definitiv auch nicht. Wir drehen um und fahren in unseren tiefen Spurrillen wie auf Schienen und ziemlich schnell zurück, bis wir am historischen Moosbauernhof Keldur außer Reichweite der misslaunigen Dame sind.

Nach dem Motto "Keldur bei Tag ist besser als Hekla bei Nacht" bekommen wir am nächten Morgen noch eine interessante Museumsbesichtigung. Hekla hat uns geärgert, aber nicht gebissen ... Ich nehme mir jedenfalls vor, Hekla ihr Recht zu lassen und ihre direkte Umgebung in Zukunft zu meiden. Übrigens, ist es nun das Werk der Hekla oder unsere Konzentration auf die Strecke: Wir haben nur ein einziges, eher schemenhaftes Bild von dem Berg. Sonst knipsen wir jeden namenlosen Vulkan fünfmal, aber Hekla wollte das wohl nicht ...


© 2015 Sepp Reithmeier