Tristesse an der Columbuskaje ...

Am frühen Freitagnachmittag checken wir ein im Bremer Motel One - ein recht günstiges und sehr angenehmes Hotel in zentraler Lage, das uns am nächsten Morgen noch ganz besonders mit seiner besonderen Frühstücksatmosphäre erfreuen wird ...

Heute brechen wir jedoch wieder sehr schnell auf von hier aus: Wir wollen auf möglichst kurzem Weg zum Bahnhof, um noch am diesem Nachmittag Bremerhaven zu besuchen - wenn wir schon mal in der Gegend sind, wollen wir natürlich auch soviel Hafen- und Seeluft wie möglich schnuppern und vor allem eines tun: die heutige Columbuskaje dort besuchen und festellen, ob sie mit der in unserem Modellkeller noch eine entfernte Ähnlichkeit hat ...

Wir sind unterwegs gemeinsam mit unzähligen auf dem Bürgersteig herumrasenden Radfahrern - der hier ungeübte Fußgänger aus München sollte erhöhte Vorsicht walten lassen, wenn er ungeschoren den Bahnhof erreichen will. Wir schaffen auch das und ergattern ein Tagesticket für zwei Personen, das neben Regionalbahn und Regional-Express auch die Nutzung von Straßenbahnen und Bussen hier wie dort erlaubt - genau das, was wir brauchen!

Wessen sich der Touri von außerhalb vermutlich nicht immer bewusst ist und worauf die Bremer Touristik-Zentrale aber hinweist: "Zwei Städte - ein Land: Bremen und Bremerhaven bilden gemeinsam das kleinste der 16 Bundesländer der Bundesrepublik Deutschland. Seine offizielle Bezeichnung lautet Freie Hansestadt Bremen. Bremen und Bremerhaven liegen, umgeben vom Land Niedersachsen, 65 Kilometer voneinander entfernt. Bremerhaven ist heute das maritime Zentrum des Bundeslandes Bremen. ..." lautet die Information, die wir auf unserer heutigen Fahrt hin und zurück verinnerlichen können.

Klimahaus Bremerhaven 8° Ost ... Am Hafen von Bremerhaven: Blick auf den Loschenturm ...
Auf dem Weg zum Klimahaus ... ... Touristenattraktionen ...
Vor dem Zoo ... ... am Referenzpunkt Bremerhaven ...

Mit der Regionalbahn reisen wir hier heute offenbar durch einen niedersächsischen Korridor von Bremen zu dessen Außenhafen im selben Bundesland - irgendwie erinnert das den Reisenden aus dem Süden an frühere Fahrten mit der U-Bahn durch Berlin und die geheimnisvollen Stationen im Ostteil der Stadt, die mit unverminderter Fahrt durchquert wurden auf dem Weg zum Ziel - aber hier und heute ist natürlich alles anders!

Vom Referenzpunkt zur Columbuskaje ...Die Fahrt nach Bremerhaven zieht sich, offenbar hat unsere Regionalbahn auf ihrer deutlich mehr als halbstündigen Fahrt doch viele Haltestellen im niedersächsischen "Niemandsland" zu bedienen ...

Vom Bahnhof am Zielort geht es in wenigen Minuten dann mit dem Bus weiter bis zu den Havenwelten - wir sind angekommen und von nun an Fußgänger bis zum Ziel.

Es sind nur wenige Schritte von der Haltestelle bis zum Hafengebiet: Der eindrucksvolle Bau des "Klimahauses Bremerhaven 8° Ost" erwartet den Touristen - von hier aus wollen wir vorbei am Bremerhavener GPS-Referenzpunkt und auf dem Deich entlang bis zum Columbusbahnhof spazieren.

Die trotz strahlendem Sonnenschein noch ziemlich lausigen Temperaturen und der bevorstehende Sonnenuntergang lassen jedoch den Spaziergang schnell zu einem Eilmarsch werden - die zu erwartenden Fotomotive sollen schließlich nicht zu Nacht- und Nebelattraktionen werden.

Den GPS-Referenzpunkt vor dem Bremerhavener "Zoo am Meer" finden wir problemlos und können dort unsere ersten Vergleichsmessungen und Sammlung von Referenzpunkten beginnen - der von Bremen soll morgen folgen.

Weiter geht´s auf dem Deich: Ein idyllischer Seeblick bei aufkommender Abendstimmung vervollständigt den heutigen Ausflug - besseres Wetter hätte man sich an diesem Februarwochenende kaum wünschen können.

Das Hafengelände bietet für die Reisenden, die sonst eher mit Alpenblick auf den Wendelstein versorgt sind, die gewünschte Abwechslung: Vorbei an Schwimmdocks, Schleusentoren und dem fast 180 Meter langen Massengutfrachter BULKNES geht es Richtung Columbuskaje.

Der Anblick von Containerkränen in der Ferne erinnert daran, dass wir auch davon in unserem Modellkeller nun schon drei Exemplare haben, die zusammen mit den Hafenanlagen, unserem Containerschiff SIDNEY EXPRESS und dem im Bau befindlichen Motorfrachtschiff CONTI BELGICA bald das Diorama für einen neuen Beitrag bilden werden - es hat schon seine Gründe, auch nach Bremerhaven zu fahren!

Deich-Spaziergang ... Portalkräne und Containerhafen ... Beeindruckend: Schwimmdock ... ... und abendliche Kran-Silhouetten ...
Massengutfrachter BULKNES Autotransporter TOMBARRA TOMBARRA Unfall 2011: Mit dem Beiboot fast 30 m in die Tiefe ...

Bevor wir am Columbusbahnhof ankommen, sehen wir in einem der gegenüber liegenden Hafenbecken einen roten Schiffskoloss, der aufgrund seiner Form unsere Aufmerksamkeit erregt: Das hervorragende Teleobjektiv unserer neuen Lumix DMC-TZ61 lüftet das Geheimnis um dieses Schiff problemlos. Wie wir später dem Schiffsregister entnehmen, handelt es sich um hier den Autotransporter TOMBARRA, der unter der Flagge Großbritanniens fährt, rund 200 Meter lang und über 30 Meter breit ist. Die erstaunliche Höhe dieses Schiffes erklärt auch, warum es im Februar 2011 an den Royal Portbury Docks in Bristol zu einem Unfall gekommen ist, bei dem es einen Toten und mehrere Verletzte gab: Bei einer Übung stürzte aufgrund eines defekten Krans ein Rettungsboot des Transporters aus einer Höhe von 29 Metern mit vier Besatzungsmitgliedern in die Tiefe ...

Als wir das Schiff heute Abend aus verschiedenen Winkeln aus der Ferne bestaunen, wissen wir noch nichts von dem Vorfall, aber der Anblick des Transporters in der aufziehenden Dämmerung ist auch schon so ein Erlebnis ...

Auf zur Columbuskaje! Den Columbusbahnhof gibt es auch heute noch ...

Kurz darauf erreichen wir den Columbusbahnhof und sind damit an der Columbuskaje, der legendären "Kaje der Tränen" - was für ein historischer Ort! Einst Ziel für Tausende von Auswanderern, die nach Amerika oder Australien aufbrachen. Die Geschichte dieser Menschen kann man im nahen Deutschen Auswanderer Haus studieren, an dem wir auch bei unserem Rückweg wieder vorbeikommen werden (siehe Bild unten).

Das Ablegen der Auswandererschiffe wurde oft begleitet vom "Muss i denn zum Städtele hinaus", das hier traditionell unzählige Male bei der Abfahrt gespielt wurde. Auch Elvis Presley, der als amerikanischer G.I. im Jahr 1958 an der Columbuskaje ankam, brachte dazu seine Version dieses Lieds "Wooden Heart" heraus - ebenfalls eine Randnotiz in der Geschichte dieses berühmten Hafens, an dessen Kaje eine Plakette zu finden ist, wo der Musiker einst von Bord ging.

Die Columbuskaje: Natürlich auch Anlegestelle vieler berühmter Ozeandampfer - nicht nur die SS AMERICA machte hier einst fest, der wir eine eigene Webseite gewidmet haben, und zwar die der späteren AMERICAN STAR. Und damit sind wir schon in unserem Modellkeller angelangt, wo wir das Abbild eines anderen berühmten US-Schiffes aufgestellt haben, das hier vor vielen Jahrzehnten anlegte.

Im Modellkeller findet sich nämlich die SS UNITED STATES in einem Diorama wieder; allerdings passt dieses in seiner zeitlichen Darstellung nicht so ganz, weil wir dort das Schiffsmodell der fünfziger Jahre an der Kaje des Jahres 1929 anlegen ließen. Zur Columbuskaje hatten wir im Modellkeller-Beitrag erläutert: "Sie ist ein Schiffsanlegeplatz im Nordwesten der Stadt und entstand in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts. Besondere Bekanntheit gewann sie als wichtigster Ablegeplatz von Überseedampfern im Transatlantikverkehr mit den USA und war damit Drehscheibe eines großen Teils des Auswandererstroms von Europa nach Amerika.

Erst im Jahre 1929 wurden die bereits über zehn Jahre zuvor begonnenen Arbeiten wieder aufgenommen und schließlich 1931 abgeschlossen. Für die 1924 in Dienst gestellte COLUMBUS sowie die zwei Jahre später vom Norddeutschen Lloyd bestellten Schnelldampfer BREMEN und EUROPA waren sowohl die vorhandene Anlegestelle als auch die Abfertigungsgebäude zu klein. Aus diesem Grund wurde bis 1927 eine neue 700 m lange Kaimauer an der Weser fertig gestellt. 

In dieser Zeit entstand auch der Columbusbahnhof mit einem über 200 Meter langen Abfertigungsgebäude und ausgedehnten Gleisanlagen. Vor Ankunft eines Dampfers konnten hier bis zu sieben Züge bereitgestellt werden und von zwei Gleisen am Kai aus konnte direkt an Bord gegangen werden. Viele Auswandererzüge, die über die so genannte Amerikalinie aus dem Osten des Deutschen Reiches in Bremerhaven ankamen, endeten hier und machten so einen direkten Umstieg auf die Schiffe möglich ...

Columbusbahnhof 1929: Gute alte Zeit im Modellkeller ... Columbuskaje Modellkeller: Große Zeit der Ozeanriesen ...
Columbusbahnhof 2015: Tristesse unübersehbar ... Columbuskaje aktuell: Keine Spur mehr von großen Zeiten ...
Das Columbus Cruise Café bis auf weiteres geschlossen ... April 2014: MEIN SCHIFF 1 Richtung Werft ...

Im Zweiten Weltkrieg wurde diese Anlage vollständig zerbombt und nach dem Krieg wieder neu aufgebaut. Die großen Überseedampfer AMERICA und UNITED STATES schließlich legten hier mit als die ersten in den fünfziger Jahren wieder an. Während die AMERICA im Juli 1951 Bremerhavens Columbuskaje zum ersten Mal ansteuerte, folgte die wesentlich jüngere UNITED STATES nur eineinhalb Jahre später: In einer Nacht Anfang Januar 1953 lief auch sie die Columbuskaje erstmals an."

Soviel zu diesem historischen Platz, zitiert aus unserem damaligen Beitrag. Hier und heute ist die Enttäuschung allerdings groß: Der triste Bahnhof mit seinen wenigen Güterwaggons erinnert nicht im Geringsten an große alte Zeiten - ganz im Gegenteil! Das "Columbus Cruise Café" hat einen Aushang draußen aus dem Jahr 2014, in dem man sich von seinen Gästen verabschiedet: "In Kürze wird hier an der Kaje das bislang größte in Deutschland gebaute Passagierschiff, die "Quantum of the Seas" zur Endausrüstung liegen. Während dieser Ausrüstungszeit ist unser Café leider nicht frei zugänglich ..."

Neben diesem Aushang hängen noch einsam die Schiffsankünfte aus 2014, die an dem heutigen Kreuzfahrtterminal stattfanden. Diesem Aushang können wir entnehmen, dass das letzte uns bekannte Schiff auf dieser Liste, die MEIN SCHIFF 1, hier im April 2014 an die Werft kam. Witzig dabei, dass wir genau diesen Kreuzfahrer seinerzeit zwei Monate davor zuletzt auf Fuerteventura gesehen hatten.

Wir verlassen die in der Dämmerung erst recht triste Kaje und machen uns auf den längeren Fußweg zurück, am Deich entlang Richtung Bushaltestelle - unser Besuch in Bremerhaven ist beendet ...

Rückweg: Vorbei am Deutschen Auswanderer Haus ... ... und zurück Richtung Bushaltestelle

Der abendliche Regional-Express zurück nach Bremen hält deutlich seltener im "Korridor" und somit sind wir auch schneller wieder zurück. Als wir schließlich durch Bremens Altstadt schlendern auf der Suche nach einem gemütlichen Lokal zum Abendessen, werden wir zunächst nicht fündig: Wie man im Februar lesen konnte, ist zwar laut einer Studie der Wohlfahrtsverbände die Armutsquote in Deutschland gestiegen und hat sich die Kluft zwischen den Bundesländern vergrößert. Am stärksten ist gemäß dieser Studie Bremen dabei von Armut betroffen. Was aber nicht heißt, dass wir in irgend einem der ansprechender wirkenden Lokale dieser Stadt heute Abend einen Platz finden: Ohne Reservierung am heutigen Freitagabend ist das aussichtslos ...

Wieder in Bremen: Im Restaurant `Alte Gilde´... Grünkohl mit Pinkel, Labskaus und etliche Beck´s Pils ...

Als langsam aber sicher Unruhe aufkommt und man schon über einen noch freien Platz im Maredo nachzudenken beginnt, kommen wir an einem Restaurant namens Alte Gilde vorbei - in diesem recht gemütlichen und traditionellen Bremer Lokal kommen wir auch heute Abend schließlich doch noch unter ...

Bei ebenfalls traditionellem Grünkohl mit Pinkel, Labskaus und etlichen frisch gezapften Beck´s Pils, die heute Abend besonders gut zu schmecken scheinen, klingt der Abend aus - Einstand an der Weser gelungen und morgen geht´s weiter!


© 2015 J. de Haas