Fuerte-Fallen (1): Das Schiff des Nordens ...


... Das Schiff des Nordens ...

Februar 2000: Im ersten Moment glaubt man nicht, was man sieht. Nicht hier. Nicht, wo man immer wieder seit Jahren hin kommt. Zwar hatten auch andere Orte eines, insbesondere an der Westküste, aber hier gab es bislang keines, nicht hier im Norden. Und dann so etwas! Etwas, das aussieht, als hätte einer viel Aufwand betrieben, um den Betrachter zu narren - zu genau passt alles, die Lage, die Form, die Farben - das rot und weiß des Leuchtturms wiederholt sich im Schiff in diesem Arrangement, das nur ein wahrer Künstler so angeordnet haben kann!

Auf zum Schiff, der Patrol ist geparkt ...All das schießt einem durch den Kopf, wenn man es zum ersten Mal sieht - wenn man lange Jahre an diese Stelle gekommen ist, wo es noch nicht da war - das Schiff des Nordens! Aber dann dämmert es langsam: Wieder mal ist hier ein Opfer zu sehen - ein Opfer der vielfältigen Fuerte-Fallen!

Wir stehen am Leuchtturm von El Cotillo (N28°42,94´ W014°00,83´) und sind immer noch hin- und her gerissen: Das Schiff ist der Hammer und wir müssen hin, möglichst nahe ran! Die Flut erlaubt derzeit zwar keine Annäherung bis auf den letzten Meter, aber bald wird es soweit sein.

Erste Versuche sind schon recht vielversprechend, bereits nach kurzem Weg über die Gesteinsbrocken in Ufernähe stehen wir vor ihm - eine echte Bereicherung unserer Drachenumgebung der nächsten Tage!

Viele Geschichten hören wir in den nächsten Tagen, eigentlich von jedem eine andere. Egal, wen wir fragen, ob es nun Juan, der Restaurantbesitzer und Fischer von El Cotillo ist, oder der Norweger im Ruhestand, den in der Apartamentos-Siedlung jeder "Fernando" nennt, oder auch Claudio, der Besitzer vom Drachenladen in Corralejo - sie alle wissen etwas besonderes über den Fall, was die objektive Berichterstattung allerdings nicht gerade erleichtert ...

Folgende Geschichte scheint sich nun abgespielt zu haben: Der Kapitän der Massira I aus Tanger war allem Anschein nach betrunken (oder auch nicht!), als es das Schiff hart traf in diesen frühen Morgenstunden des 23. Oktober 1999, als die große Welle kam ...

Man möge uns die Spekulationen über den Alkoholisierungsgrad der fünfköpfigen (muslimischen!) Mannschaft verzeihen - sie stammen nicht von uns! Auf jeden Fall war die Welle an diesem Abend eine ganz besonders gewaltige - vermutlich schon Poseidon-verdächtig (oder es gab gar keine)! Und es herrschte starker Sturm (oder auch keiner!), auf jeden Fall stand das Drachenfest 99 auf Fuerte gerade vor seinem Beginn, als es geschah ...

Die Massira I  - das Schiff des Nordens!

... wie mag man das Schiff nur bis hierhin bekommen haben?? ... es kann nur ein fliegender muslimischer Holländer gewesen sein ...

Auch gemäß Juan, dem Experten von El Cotillo, war an diesem Abend eine gewaltige Strömung zu verzeichnen, immerhin muss man noch wissen, dass die Gezeiten im November höher sind als jemals sonst (jahreshöchste Tiede). Diese gewaltige Strömung hat den Kahn dann wohl an Land gerissen und direkt vor dem Leuchtturm auflaufen lassen - in jedem Fall eine navigatorische Fehlleistung des Kapitäns, da sind sich alle Berichterstatter einig. Aber so ist sie nun mal, die Insel Fuerteventura, ein gewaltige Falle für so manchen einsamen Skipper, der dem Schein eines dortigen Leuchtturms vertraut ...

Wie dem auch sei, nachdem das Schiff aufgelaufen war, konnte sich die Besatzung retten - war wohl knapp, denn mit der See war offensichtlich nicht zu spaßen an diesem Tage - Glück gehabt, ihr Muselmanen mit Tanger-Schiff!

Die anschließend wohl versuchte Bergung des Kahns mit einem gigantischen amerikanischen Hubschrauber scheiterte, da sich das Schiff in den Felsen völlig verkeilt hatte - doch die vollen Tanks und die drohende Umweltkatastrophe an der Küste El Cotillos ließen nicht ruhen. Da auch mit Schiffen der gestrandete Kahn nicht frei zu ziehen war, konnten wenigstens die vollen Tanks zum Glück für die Region abgepumpt werden und die ganze Sache ging noch einmal glimpflich aus ...

Lustig zu hören, wie das Wrack in den ersten Tagen nach seiner Strandung wahre Volksfeststimmung auf der Insel hervorrief: Würstchen und Eisverkauf fand statt, wohl nahezu die gesamte Inselbevölkerung muss sich dort in den Prozessionen der ersten Tage eingefunden haben ...

Nicht viel ist heute mehr davon zu spüren, allerdings fahren immer noch mehr Fahrzeuge als früher üblich bis zum Leuchtturm, viele laufen dann vor bis zum Strand, um das einzigartige Strandgut zu bestaunen. Selbst die tägliche Jeep-Safari, die an unserem Drachengelände in der Nähe des Leuchtturms (nicht ohne freudig zu hupen) täglich vorbeifährt, führt ihre Gäste bis vor zum Wrack - für alle eine willkommene neue Touristenattraktion!

Die American Star ... ... ca. 1995 an der JUCAR ...

Nun haben wir also hier das dritte bedeutende Schiff, das in die Fuerte-Falle gelaufen ist: Neben der "American Star", die in der Nähe der Orte Pajara und La Pared wohl derzeit noch das prominenteste Wrack Fuertes ist, haben wir bereits im Jahr 1995 schon das Wrack der "Jucar" westlich von Llanos de la Conception Richtung Aquas Verdes besucht. Vielleicht werden wir eines Tages ja noch einmal alle Wracks aufsuchen und über sie genauer berichten, die versehentlich (oder auch nicht) in die Fuerte-Falle getappt sind ...


Nachtrag, März 2004: Wir haben unsere Ankündigung wahr gemacht - und alle Schiffe besucht (oder besser das, was von ihnen noch übrig war): Fuerteventura 2004!


© 2000 J. de Haas