Alaska, Wunschtraum vieler Menschen ...

"Alaskan Amber, bitte." Ich sitze im Glacier Brewhouse auf der fünften Avenue in Anchorage, Alaska. Gestern saß ich noch im Van und bin den ganzen Weg vom Denali Nationalpark zurück in die Hauptstadt gefahren. Die Tage zuvor wusste ich nicht einmal richtig, wie man einen alten, amerikanischen Van fährt: Einen 15 Sitzer, altes Model, Ford!

Als ich vor vier Tagen in Alaska ankam, regnete es in Strömen, heute ist es genau so und ich frage mich, ob wir überhaupt ein paar schöne Tage abbekommen werden. Meine Reisegruppe ist inzwischen gelandet und wir sitzen zusammen beim Abendessen mitten in der Stadt. Anchorage ist klein, lebendig und praktisch. Es gibt kaum Hochhäuser, wie man es sonst aus den USA gewöhnt ist. Irgendwie hat es den Anschein, dass es hier generell anders ist als im Rest der USA: Nicht umsonst werden hier die anderen Bundesstaaten als die "Lower 49" bezeichnet ...

Weißkopfseeadler, Wappentier der USA (Foto: Gabriele Wagner)Als die Reise ausgeschrieben wurde, war einer der ersten Kommentare: "Ich fahre nicht in die USA wegen Donald Trump." Ich frage mich, wie viele Menschen nicht nach Deutschland reisen wegen Angela Merkel, nach Frankreich wegen Macron oder England wegen Nigel Farage. Wenn man den Wirbel um eine einzige Person in den Vordergrund seiner Reiselust stellt, wird die Unternehmung einer solchen Reise heute relativ schwierig.

Wenn wir also Donald Trump, der fast 5.500 km weit weg von Alaska sitz,t als Grund dafür nehmen, den Denali nicht zu sehen, Bären und Elche nicht in ihrer reinsten Wildheit zu erleben, den Matanuska Gletscher nicht zu erwandern, das Harding Icefield nicht zu bestaunen, dann sollten wir auch nicht das idyllische Cornwall bereisen, die Lavendelfelder der Provence bewundern oder die Gipfel der Allgäuer Alpen erklimmen.

Da wir heute in einer Welt voller Informationen leben, wobei es oft nur noch darum geht, dass man etwas als Erster sagt und nicht mehr die Wahrheit, viele von uns den Überblick verlieren und die meisten über rein gar nichts mehr konkret Bescheid wissen (egal ob arm oder reich), ist die Liste der Länder, die wir meiden sollten, ziemlich lang ...

Für viele ist es ein Kindheitstraum, für viele wird es ein Traum bleiben. Doch wer einmal etwas wagt, der kann gewinnen und zwar Eindrücke und Erlebnisse, die man nie wieder vergisst. Eine Reise fürs Leben eben.

Bevor ich mich nach Alaska aufmachte, verbrachte ich gut zwei Wochen mit meiner Familie. Ich kam davor gerade von meiner Kamtschatka-Tour in Russland zurück und brauchte dringend eine Pause. Im Garten meiner Eltern las ich auf dem Liegestuhl nochmal das Buch von Jack London "Der Ruf der Wildnis". Als ich mir das Buch vor Jahren kaufte, war ich fasziniert von der Wildheit seiner Worte über dieses Land. Schon damals hegte ich den Traum, nach Alaska zu gehen und als ich von Jon Krakauer das Buch "Into the Wild" las, war ich vollkommen gefangen. Natürlich ist Krakauers Buch der Auslöser für schon viele Leute gewesen, nach Alaska zu gehen, und so packte es auch mich, wobei meine Idee nicht war, ein Aussteigerleben wie Christopher McCandless zu führen. Für mich ist es als Reiseleiter eine Herausforderung und ein Traum zugleich, der sich erfüllen sollte.

Alaska sieht auf der Landkarte so unerreichbar aus. Doch sobald das Flugzeug landet, rückt die gewaltige Landmasse näher denn je. Wir essen Lachs, Steaks, Salate und trinken dazu "alaskanisches Bier": Ein guter Start, bevor die große Reise im großen Land beginnt! Die Gäste sind müde und frühzeitig gehen alle ins Bett. Ich laufe noch eine Runde um den Van, dann lege ich mich dann ebenfalls schlafen. Was wird uns Alaska wohl alles zeigen ..?

Into the Wild ...

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Am nächsten Morgen fahren wir hinaus aus der Stadt: Wir rollen entlang der Meeresarme und Buchten hinüber zum Beluga Point und sehen tatsächlich in der Ferne einen Belugawal - unser erstes Highlight auf einer langen Reise. Entlang des Portage Gletscher geht es hinunter nach Seward, ein kleines Dorf mit rund 3.000 Einwohnern, umrahmt von mächtigen Bergen. Wir beziehen unsere Lodge und gehen einkaufen: Neben Obst, Fisch, Eiern, Speck und Müsli finde ich auch endlich den langersehnten "Monster Trail Mix", von welchem Dirk Rohrbach schon in der "Gebrauchsanweisen für Alaska" geschwärmt hat (siehe rechts).

Erdnüsse, Mandeln, salzige Rosinen und das Beste – M&Ms! Diese Mischung schmeckt so gut und macht so süchtig. Den ersten Abend sitzen wir zusammen und ich erzähle einiges über das Land, die Entstehung und die Ureinwohner. Alaska ist einer der wenigen Flecken, wo Menschen noch von Subsistenzwirtschaft tief in den Wäldern leben können. Während die Ortschaften gut ausgebaut sind, gibt es dennoch extrem abgelegene Orte, ohne jeglichen Zugang zur Zivilisation und auch immer noch Menschen, die sich für ein solches Leben entscheiden.

Unsere Lodge ist aus Holz und liegt abseits im Wald, unweit eines reißenden Flusses. Zum ersten Mal spüren wir einen Hauch von Wildnis. Am nächsten Morgen geht es früh los, denn wir wollen eine Bootstour von Seward aus unternehmen. Der Kenai Nationalpark und das Harding Icefield präsentieren sich an diesem Morgen windig, aber die Sonne boxt sich durch die Wolken.

Schon bei der Abfahrt präsentiert sich das Land in voller Größe: Schroffe Berge steigen empor, gigantische Gletscher umgeben uns und inmitten dieser Szenerie springen Wale aus dem Meer, sonnen sich einige Stellersche Seelöwen und sausen einige Papageitaucher über die Wasseroberfläche. Es ist ein Bild wie aus einem Paradies, hier kann Natur noch Natur sein. Wir steuern mit dem Boot einige Buchten an, entdecken Schneeschafe und Weißkopfseeadler, das Wappentier der USA, und sind immer wieder gebannt vor endloser Landschaft, monströsen Eismassen und kompletter Leere. Kein einziger Mensch ist zu sehen in einer Gegend, die kein Auge wirklich derart verarbeiten kann, dass wir in der Lage sind, zu begreifen. Am Ende der Tour bekommen wir von einem Fischer im Hafen frischen Fisch geschenkt, kaufen uns ein paar Garnelen und fahren zurück zur Lodge, um unsere Beute zu kochen. Der Abend ist kurz, denn am nächsten Tag wollen wir unsere erste Wanderung unternehmen ...

Erste Wanderungen

Ich bin diese Tour zuvor in verschiedenen Variationen bereits gelaufen. Unsere Fahrt heute geht am frühen Morgen entlang des gewaltigen Gletscherflusses vom Exit Gletscher. Wir sind so ziemlich die ersten Menschen an diesem Morgen und machen uns bereit für die Tour. Ich habe noch etwas Müdigkeit in den Knochen, da ich nicht nur alle Ausflüge und Wanderungen leite, sondern auch Fahrer bin und koordiniere. Reiseleitung ist ein Beruf mit vielen Facetten. Auf manchen Reisen schleppen wir zudem noch Equipment, kochen für die Gäste und kümmern uns um die gesamte Logistik ...

Aufstieg ... Am Exit Gletscher ...
Kann man die Eindrücke festhalten ..? (Foto: Gabriele Wagner) Ausblick: Harding Icefield ...

Nachdem ich meine Ausrüstung gecheckt habe, können wir losgehen: In meinem Rucksack ist immer ein kleines Überlebenspaket, an mir ein Messer, Bärenspray und eine Extraration Essen und Trinken. Das Erste was wir allerdings vorhaben, ist uns einzucremen, denn die Sonne brennt bereits in den frühen Morgenstunden. Vor zwei Tagen hatte ich noch Angst, das Wetter würde nicht mitspielen, aber wie es scheint, ist das hier nun wohl eine Schönwetterperiode.

Ich erkläre den Gästen das Verhalten bei Bären und Elchkontakt, sage ihnen, dass sie sich unterhalten sollen und zwar laut. Wenn wir einen Bären sehen, dann gehen wir nicht näher heran, sondern warten wie er sich bewegt. In 99% der Fälle wird er weglaufen, aber wenn er sich überrascht fühlt oder Junge dabei hat, kann er sich auch bedroht fühlen. Bei Elchen ist es ähnlich, nur dass die männlichen Bullen in der Paarungszeit sind und besonders aggressiv auftreten. Sie zögern nicht lange und greifen an. Während man bei Bären nicht weglaufen soll, weil es den Jagdinstinkt auslöst, soll man bei Elchen die Flucht ergreifen und zwar mitten in den Wald. Am besten dort, wo dichter Baumbestand ist (sofern vorhanden). Wenn man dann im Kreis um die Bäume läuft, hat es der Elch schwer, den Menschen weiter zu verfolgen, wegen seiner Masse und seinem Geweih ...

Alles unter Verschluss? Mit Bären unterwegs (Foto: Gabriele Wagner)Dies hat mir eine Freundin aus Palmer, Alaska, erzählt, weil sie als Kind jeden Morgen zum Schulbus an Elchen vorbeilief und es nicht anders kennt. Da ich immer auf die Erfahrung von Locals höre, sind mir schlaue Ideen von anderen Menschen, die nicht in diesem Land leben, relativ gleich.

Wir wandern los: Langsam zieht sich der Weg nach oben, immer weiter hinauf. Über Erde, Steine und Granitplatten wandern wir langsam Schritt für Schritt zum Eisfeld hinauf und unterhalten uns über Japaner, Verdauung und Kochen. Irgendwas muss ja erzählt werden, da wir den wilden Tieren signalisieren möchten, dass wir unterwegs sind. Nach knapp drei Stunden kommen wir auf der Höhe des Exit Glaciers an und machen eine Pause.

Zum ersten Mal erhebt sich das Eisfeld vor uns und wir können kaum den Mund zu bekommen vor lauter Landschaft. Wir machen unsere Fotos, essen einen Snack und gehen weiter. Immer wieder über loses Geröll zieht sich der Weg hinauf. Bald schon kommen die ersten Flussläufe, die wir queren und um so höher wir steigen, je mehr verändert sich die Umgebung: Grober Stein, Schotter und schroffe Felsen ragen nun empor. Hier und da liegt Eis und auch Schneefelder breiten sich aus.

Wir kommen dem Ziel näher in einer leeren Welt voller Kargheit. Doch diese Leere ist magisch: Sie nährt die Sucht nach Landschaft, nach Wildnis und bringt das Gefühl von Freiheit hervor. Die ersten Menschen, welche das Eisfeld durchquerten, kamen am Exit Gletscher heraus, darum der Name. Gequert wurde es im Zeitalter des Goldrausches, da man einen schnelleren Weg zu den Goldfeldern finden wollte. Als wir letztendlich an einem Ziel, dem "End of Trail" ankommen, setzen wir uns hin und verstummen. Zu groß ist dieser Anblick, zu massiv sind die Eindrücke, zu viel Fläche für unsere Augen: Wir sitzen nur da und staunen. Wie grandios diese Welt doch ist! Wir sind stolz, liegen uns in den Armen. Wir sind rund fünf Stunden gewandert und haben unser Ziel erreicht. Die reine Schönheit der Natur breitet sich vor uns aus und zieht uns in ihren Bann. Wir sind endlich angekommen. Wir sind jetzt in Alaska und so schnell kriegt uns hier keiner mehr weg ...


© 2019 Dennis Hartke, Bilder: Dennis Hartke, Gabriele Wagner