Frauenpower in Gyöngyöspata ...

Wir verlassen nach einem Ruhetag die zauberhafte Umgebung von Lillafüred - unser Weg führt durch das Bükk-Gebirge mit traumhaft schönen Buchenwäldern - eine Gegend, die man schon einmal gesehen haben sollte, wenn man sich zu den Naturfreunden zählt und einen Sinn für landschaftliche Schönheit sein Eigen nennt. Wir halten kurz auf den Höhen um Szentlélek - wir sind sicher, dass man hier irgendwo problemlos wild campen könnte.

Dass Ungarn ein lebendiges Eisenbahnmuseum darstellt, können wir auch während unserer folgenden Reise feststellen, weiterhin passieren wir erneut eine Stupa an der Straße 21 und erleben, dass sich das Land überaus sauber präsentiert: Überall wird auf den Straßen und Bürgersteigen gefegt, überall ist man bemüht um ein gepflegtes Äußeres vor dem eigenen Haus ...

Von Miskolc-Lillafüred  Richtung Südwesten ... ... und hinter Polizeifalle wieder nach Osten ...

Wir durchqueren eines der vielen Straßendörfer unterwegs und erreichen Bátonyterenye - von hier aus geht es wieder nach Süden, dann noch einmal nach Osten Richtung Gyöngyös - wir sind nun im Mátra Gebiet angekommen. Stichworte wie Weinanbau und "Erlauer Stierblut" gehen uns durch den Kopf ...

Durch das Mátra Gebiet, bei dem es sich um ein vulkanisch entstandenes Mittelgebirge handelt und das sich als steile und dicht bewaldete Bergkette präsentiert, führt eine wichtige Touristenstraße, die weiter Richtung Eger verläuft - ein Ort, den wir auf dieser Reise allerdings nicht besuchen wollen. Seit Jahrhunderten wird in dieser Gegend bereits Weinanbau betrieben und es werden hier auch sehr gute Weine gekeltert, die sich durchaus am südlichen Anbaugebiet Villany messen können.

All dies wollen wir noch genauer untersuchen, jedoch rollen wir erst einmal langsam durch den Ort Szurdokpüspöki: Die Einmündung in die Querstraße, von wo aus wir nach Osten Richtung Gyöngyöspata und zum dortigen Campingplatz abbiegen wollen, ist leer wie immer. Kein Auto weit und breit zu sehen und so biegen wir im Schritttempo in die Straße ein, vor der ein Stoppschild steht.

Wir kommen nicht weit: Am Straßenrand lauert eine Polizeistreife, die offenbar aus der Entfernung genau beobachtet hat, dass wir in Anbetracht der leeren Straße langsam vorgerollt sind, ohne anzuhalten - und BINGO!

Der Ort Szurdokpüspöki - vom Fahrer später umbenannt in Abzockschurkos () - erweist sich offenbar als günstig für wirksame Verkehrskontrollen: Die Einmündung ist aus großer Entfernung einsehbar und so ergibt sich endlich einmal die Gelegenheit für die örtliche Polizei, für Recht und Ordnung zu sorgen - endlich einmal ein wirksamer Gegenschlag in Anbetracht all der Raser, die allzu oft mit fast 100 km/Std sogar in Ortschaften hierzulande noch überholen ...

Eine gefährliche Einmündung ... ... und endlich einen Ordnungswidrigkeitstäter erwischt!!

Der Polizist, der die weiteren Verhandlungen führt, gibt sich äußerste Mühe mit völlig korrektem Auftreten: Er versucht uns sogar auf Deutsch darauf hinzuweisen, dass wir wohl ein "Problem" hätten - eine Zeichnung auf der Motorhaube erläutert dem natürlich völlig zerknirschten Verkehrssünder sein Vergehen: "Jürgen ..?", "Wohnort ..?"

So lernt man halt im Ausland wieder mal dazu: Was eine rechtswidrige Stoppschildüberfahrung in Schrittgeschwindigkeit vor einer leeren Straße bedeuten kann und als was man hier auf dem teilweise (vorsorglich?) in deutscher Sprache abgefassten Strafzettel bezeichnet wird: Als "Ordnungswidrigkeitstäter" ...

Man traut hier allerdings wohl seinen eigenen "Abzockschurkos" nicht so recht über den Weg: Als der Ordnungswidrigkeitstäter die bedeutende Summe von rund 4,50 Euro für diese Ordnungswidrigkeitstat bar bezahlen will, geht das nicht - wir erhalten ein Postformular mit der Aufforderung, den Betrag bei einer Poststelle einzuzahlen - so funktioniert das eben, wenn andernfalls hier mitten in Europa bei Barzahlung vielleicht ein wesentlich höherer Betrag in irgendwelchen Kanälen auf der Stelle verschwinden würde. Immerhin, die wohl früher oder später zu erwartenden "40 Wagen ostwärts" treffen auf bestens vorbereitetes Gelände ..!

Noch unter dem Eindruck der Ordnungswidrigkeitstat erreichen wir unser Ziel. Der Ort Gyöngyöspata und das Kiraly Völgy Kemping dort empfangen uns derart angenehm und herzlich, dass wir für alles (Schock und 4,50 EUR) mehr als entschädigt werden: Irén Jankovics muss man einfach getroffen haben, wenn man in Ungarn auf Campingtour ist - die resolute Platzbetreiberin, deren Mann täglich nach Budapest zur Arbeit fährt, während sie hier den Laden schmeißt, ist das erste Beispiel für echte "Frauenpower", auf die wir in Gyöngyöspata treffen. Sie erweist sich als Campingplatzbetreiberin mit Leib, Herz und Seele, der Platz ist ihr Hobby, von dem sie uns an der Bar berichtet, wohin wir auf ein Welcome-Bier eingeladen werden. Sie erzählt uns alles über die tolle Umgebung und ihr schönes Gelände, das während der Saison wohl überwiegend ein Geheimtipp bei Holländern zu sein scheint ...

Geheimtipp ... ... am Kiraly Völgy Kemping ...

... in Gyöngyöspata

Irén hat eine Mitarbeiterin, die im Trikot der deutschen Nationalmannschaft den Rasen säubert, und sie hat beste Kontakte, so zum Beispiel zu ihrer Freundin, der bekannten Winzerin Magda Bernáth, wie wir bald erfahren werden.

Dass wir hier einen Ruhetag mit Wanderung auf den umliegenden Höhen einlegen werden, versteht sich von selbst, und scheinbar ist es für Irén genau so selbstverständlich, dass sie uns mit einem Kékfrankos überrascht, als sie von unserem schrecklichen Abenteuer am Stoppschild erfährt ...

Power-Frauen in Gyöngyöspata: Irén ... ... und Mitarbeiterin: wohl Fan der deutschen Nationalmannschaft ...

Am Morgen unseres Ruhetages machen wir uns auf den Weg, die nähere Umgebung des Camps zu Fuß zu erkunden. Dabei haben wir es auf den "Hausberg" von Gyöngyöspata abgesehen, auf dem bereits von weitem sichtbar an einem Fahnenmast eine gewaltige ungarische Flagge weht. Auf dem Weg dort hoch muss man an unzähligen Weinkellern vorbei, was den Weg sicher noch interessanter macht.

Der Anstieg auf den Hausberg zieht sich, aber als wir endlich oben stehen und den Ausblick auf den Ort zu unseren Füßen und das Mátravorland genießen, wissen wir, dass es sich gelohnt hat.

Oben auf dem Plateau kommen wir zu den Resten eines alten Klosters, das hier vor rund 1000 Jahren gestanden hat und von dem die Fundamente restauriert wurden. Es ist schön hier oben, dennoch aber kehren wir zurück in die Niederungen von Gyöngyöspata und wollen dort endlich einmal einen heimischen Wein verkosten ...

Wanderung durch den Ort ... ... vorbei an unzähligen privaten Weinkellern ...
Ziegenhaltung vor dem Weinkeller ...
Aufstieg auf den "Hausberg" ...
Blick von oben: Unser Camp samt Explorer ...
Auf den Höhen: Klosterreste ... ... tausend Jahre alt ...

Als wir im Ort erfolglos bleiben, da überall geschlossen ist und Schilder, die auf eine mögliche Weinverkostung hinweisen, ins Nirwana führen, klettern wir erneut die Höhen hinauf. Nur eines wissen wir jetzt ganz genau: Auf touristische Bedürfnisse scheint man in diesem Ort noch denkbar schlecht vorbereitet zu sein - es gibt ganz einfach nichts für deren Befriedigung und erst recht kein Marketing à la Villany ...

Nachdem wir erneut auf der halben Höhe über dem Ort angekommen sind, stellen wir fest, dass in einem der privaten Weinkeller Aktivitäten stattfinden: Wir fragen die beiden hier tätigen Winzer, wo man in diesem Ort wohl Wein bekommen könnte, und werden sofort eingeladen: Man holt den eigenen "Turan" herbei und im Schwarm von Fruchtfliegen trinken wir gemeinsam am heimischen Biowein, zu dem wir etliche Erläuterungen bekommen.

Der Turan schmeckt süßlich, man keltert hier für den Eigenbedarf, wie uns erzählt wird, ohne Holzfässer und nach traditioneller Methode. Wir erfahren, dass man am Balaton angeblich mit viel Chemie gegen Mücken vorgegangen ist, während die Fruchtfliegen vom Glasrand entfernt werden - ein echt uriges Szenario ...

Natürlich verlassen wir die beiden Privatwinzer nicht, ohne nach ihrem Wein zu fragen: Wir bekommen abgepackt in eine Pepsi-Zweiliterbombe unseren Turan - der heutige Abend scheint gerettet, wenngleich auch nicht ganz so wie erwartet ...

Zu Besuch bei privaten Winzern ...

Wieder herunter in den Ort ... ... und am "Hausberg" vor dem Keller von Magda Bernáth

Zurück am Camp erwartet uns Irén mit einer Überraschung: Sie wird uns heute Nachmittag zum berühmten Weinkeller der Winzerin Magda Bernáth fahren, die dort eine Weinverkostung veranstaltet - die "Power-Frauen von Gyöngyöspata" offenbar bei der Arbeit!

Unser Ziel gehört zu den großen sehenswerten Kellern des Mátravorlandes: In Gyöngyöspata wurde dieser Keller einst als der "Zehntenabgabekeller" unter dem Haus der Arany János Straße 10 wahrscheinlich zu der Zeit angelegt, als auch die kunsthistorisch bekannte Kirche von Pata gebaut wurde. Er hat lange, von Bogendurchgängen gegliederte Verzweigungen und seine Abzugsrohre machten neben der Durchlüftung auch das Kochen im Keller möglich. Bei Gefahr war er überdies ein Zufluchtsort der Bevölkerung. Solche Informationen gibt es nicht nur hier im Keller heute Abend, sondern auch im Buch über "Die Weine aus dem Mátravorland" von László Csizmadia und Károly Szelényi zu lesen, das wir bei Magda Bernáth erstehen - neben etlichen Flaschen vom guten Rot- und Weißwein natürlich ...

Als Magda vor 15 Jahren das Haus in ihrem Geburtsort gekauft hat, war sie noch Managerin einer Mineralwasserfirma. Die mittlerweile über 50-Jährige gab später ihren Job auf und gründete die "Weinstraße", einen Zusammenschluss von mehreren Dörfern der Umgebung. Info-Tafeln, Schilder für Wanderwege, Veranstaltungen von Weinverkostungen und auch der Betrieb eines Heimatmuseums gehören zu den Aktivitäten dieses Verbundes.

Beobachterinnen ... ... und Power-Frauen in Gyöngyöspata ...
Im berühmten Keller ... ... zu Gast bei Magda Bernáth (rechts) ...

Heute Nacht heißt es zu Fuß zurück zum Camping zu gehen - ein wunderbarer Weg durch den Ort und eine gute Gelegenheit, alles in Ruhe nachwirken zu lassen. Nach der Weinverkostung verzichten wir darauf, heute Abend noch den Turan weiter zu versuchen - auf die Weine von Magda wäre dies wohl eher ein kleiner Frevel. Wir tragen unsere Weinausbeute einschließlich eines geschenkten Nussknackers im Rucksack zurück - ihren besten Rotwein hatte sie leider bereits vorher ausverkauft, denn sie beliefert auch das Interconti-Hotel in Budapest ...

Aber immerhin eine Frage stellt sich heute Abend trotz ausgiebigem Genuss des guten Rotweins aus dem Mátravorland doch noch im Explorer: Warum bricht bei der Deutschen Welle regelmäßig ab 22:15 Uhr auf der Frequenz 6075 der Empfang zusammen ..?


© 2007 Explorer Magazin