So 02.08.98: Nach Norden bis Perth

Die Freundlichkeit auf dem Campingplatz fällt auf heute morgen, hierzulande ist es nicht wie auf einem deutschen Campingplatz, wo nach Möglichkeit keiner von seinem Nachbarn Notiz nimmt - es geht eher zu wie auf einem Globetrotter-Treffen oder einer Hausmesse, wo jeder jeden grüßt und eine deutlich engere Beziehung zwischen den Teilnehmern herrscht ...

Nach dem Frühstück ist Liegen unterm Pickup angesagt, die durchgerostete Schelle am Auspuff ist sofort entdeckt - unsere Nissan-Werkstatt hat natürlich bei der nur wenige Monate zurückliegenden Inspektion nicht nur fällige Abgasuntersuchungen vergessen, sondern auch sonst nichts festgestellt ...

Der CB-Funk ist heute wieder genauso eine Enttäuschung wie in Island, allerdings ist jetzt jede Menge DX aus Deutschland zu hören, Einheimische scheinen hier überhaupt nicht zu funken ...

Wir verlassen das Kielder Water Reservoir, es folgt eine längere Fahrt über ruhigere Nebenstraßen wie die A6357 bis Jedburgh. Die touristisch bedeutsame Abtei dort vom Ende des 12. Jahrhunderts ist ein wichtiges Reiseziel für viele Besucher - auch Maria Stuart war vor mehr als 400 Jahren schon hier, wenn auch weniger aus touristischen Gründen ...

Am Jedburgh Abbey ...

Im Laden am Abbey erwerben wir eine Kassette mit "Gregorian Chants", für angemessene Abendmusik ist somit gesorgt. In den folgenden Tagen wird sie häufig abends abgespielt und sorgt dabei immer für eine hochreligiöse Stimmung rund um den Explorer ...

Weiter geht´s die A68 Richtung Norden bis Galashiels zum Melrose Abbey (N55°35.85´ W002°43.04´). Die Ruinen der aus rotem Sandstein erbauten gotische Zisterzienserabtei halten jeden Vergleich mit ähnlichen Gebäuden aus Irland aus. Ein historisch gekleideter Mensch rezitiert in den Gemäuern, die (völlig unmilitärisch) in einem weiten Talkessel angelegt sind, der zumindest Windschutz geboten haben muss ...

Melrose Abbey ...

Im Ort Melrose direkt am Abbey-Laden kaufen wir außer einem Eis auch den unvermeidlichen Schottlandaufkleber - bereits kurz danach ziert den Explorer ein neues Wappen!

Wie war doch die Landschaft sehr ansprechend bei der Einfahrt nach Schottland, mit Unmengen von Schafen am Wegesrand - so dachten und wünschten wir, sollte es weitergehen!

Die unvermeidliche Autobahn hat uns aber schneller wieder, als uns lieb ist und die Verkehrssituation erinnert wieder fatal an die unsrige zu Haus - muss man dafür soweit fahren? Entlang der A703 und der A720 geht die Reise, vorbei an Edinburgh, wieder über Kreisverkehre - der Horror ist diesmal jedoch deutlich geringer, da die hiesigen Anlagen keinem Vergleich mit dem englischen Newcastle standhalten ... 

Landschaft satt, aber nur ein kurzes Vergnügen ...Bereits im zweiten Anlauf schaffen wir es, über die beeindruckende Brücke am Firth of Forth zu kommen. Im ersten Anlauf landen wir selbstverständlich auf einem Hotelgelände (lag sicher an uns und nicht an der "ausgezeichneten" Beschilderung), danach lässt uns ein zuvorkommender schottischer Autofahrer (der unsere Orientierungsprobleme erkennt und Lichthupe gibt zum Einfädeln) wieder auf die genial ausgeschilderte Brückenauffahrt ...

Über Dunfermline geht es über die E15 (= M90 Autobahn) weiter Richtung Norden. Unser heutiges Ziel ist eigentlich der Ort Kinross. Von dem laut Karte vorhandenen Campingplatz am See ist allerdings nichts zu sehen, auch mehrere Umrundungen des Ortes fördern wenig zutage. Der an sich zuverlässige digitale Atlas des Ordnance Survey pflegt hier manchmal einige Vereinfachungen - so wird ein Campingplatz (wie im Fall Kinross) schon mal von einem (realen) abgelegenen Platz an der Autobahn an die (virtuelle) gegenüberliegende Seite verlegt - direkt ans Seeufer!

(Später werden wir feststellen, dass in Schottland tatsächlich kaum Campingplätze an Seen zu finden sind und unser mitgebrachtes Schlauchboot deshalb auch kaum zu benutzen sein wird).

Als wir endlich wenigstens eine Tankstelle zum Nachfragen in Kinross finden, gibt es dort natürlich auch kein Bier (die Tankstelle ist nicht fully "licensed" - den Fluch dieser Festlegung hatte ich nach früheren Aufenthalten in diesen Gegenden schon verdrängt und muss nun die nahezu isländischen Auswirkungen der Regelung an Bord erklären ...).

Auch der Supermarkt hat geschlossen, für heute Abend ist kein Bier mehr zu erwarten an Bord, da wir natürlich nichts mitgenommen haben, denn in diesem Lande bekommt man ja im Gegensatz zu Skandinavien an jeder Ecke sein Bier!

Auch Außenkanister sind verboten, wie der Tankwart mitteilt, nur die auch bei uns gängigen 5 Liter Treibstoff im Fahrzeuginnern sind zugelassen - Entsetzen soll sich in seinen Augen beim Anblick unserer Kanister gespiegelt haben!

... dann hat er uns wieder: Der Kreisverkehr-Horror!Nachdem wir den Alternativ-Campingplatz in Kinross als üblen LKW-Abstellplatz erkannt haben, begeben wir uns so schnell wie möglich wieder auf die Autobahn - weiterbrettern auf der M90 ist angesagt, eigentlich ergeben sich kaum Unterschiede zu deutscher Raserei auf deutscher Autobahn: aber hier sollte eigentlich Urlaub gemacht werden!

Wir fahren weiter nach Norden bis Perth. Auch wenn bereits Theodor Fontane hier die schöne Lage am Tay bemerkte (nicht gerade enthusiastisch, wie der Reiseführer anführt), geht es dennoch ein sehr kurzes Stück weiter bis zum Campingplatz von Old Scone (N56°25.79 W003°26.98´).

Hier erklärt uns neben dem Schild auch der freundliche Platzwart, dass "Non members welcome" sind, aber leider mehr bezahlen müssen, da sie leider "Non members" sind - insgesamt beläuft sich unsere Übernachtungsgebühr auf ca. DM 42, Bier ist da nicht enthalten, denn das gibt es selbstverständlich auch hier nicht ...

Nachdem sich das erste Fluchen gelegt hat, kann man nur an die Formulierung einer Warnung denken: Entweder sollte man vor einem solchen Trip durch Großbritannien die Mitgliedschaft im dortigen Camping- und Caravan-Club prüfen oder große Bogen um Mitglieds-Plätze machen oder tatsächlich trotz fehlender Seitenwege das "wilde Campen" proben ...

Der Abend in Old Scone gestaltet sich insgesamt erfolgreich: kein "licensed" Laden und kein Pub weit und breit, kein Bier, dafür aber Tee. Und die billige Plastik-Wandhalterung der Maglite wird heute Abend auch noch abgebrochen - ein Ersatz ist während der gesamten weiteren Tour nicht zu bekommen ... (Achtung: Inzwischen gibt es von Maglite verbesserte Halterungen, aber immer noch schwachsinnigerweise aus Plastik!). Ein Trost bleibt aber: Als wir schließlich etwas missvergnügt neben dem Explorer sitzen, reift eine Idee, die wir 1999 schließlich umgesetzt haben - unsere Kanisterhalter-Kisten ...

Da es ein warmer Tag mit warmem Abend ist, versuchen wir schließlich doch noch bei einem Fußmarsch den in 2,5 Miles angekündigten Pub in den ebenfalls angekündigten 20 Minuten Fußweg zu erreichen - wie immer wird sich auch an diesem Abend herausstellen, dass man nach 30 Minuten überall ist, nur nicht an einem Pub und die 2,5 Miles auch erheblich mehr sind als 2,5 Miles - verdammt, das nächste Mal wird auch in diese Gegend das Bier wieder mitgenommen!

Mo 03.08.98: Über Braemar und Balmoral Castle bis Ballater

Wir schwingen uns wieder auf die A93 heute morgen, weit wollen wir eigentlich nicht fahren, denn wenn man gegen 15:00 Uhr auf seinem Stellplatz ankommt, hat man noch was vom (Nachmit)Tag, da sind wir ganz konventionell. Herumrasen bringt auch bei dem hier nicht zu übersehenden heftigen Verkehr nichts, und deshalb wollen wir genug Pausen einlegen.

Bis auf weiteres geht´s weiter nach Norden, Braemar ist das nächste Ziel, immer schön entlang der A93. Doch das erste Hindernis soll angeblich ein echter Pass sein, irgendein Reiseführer schreibt was von einer schwarzen Buckelpiste - sicher, das geteerte Band, das sich in Wellen nach Norden windet, kann vielleicht so bezeichnet werden, aber entweder hat der Autor noch nie eine echte Buckelpiste erlebt oder er verarscht seine Leser!

Ziemlich steil geht es bergauf in Richtung zum Skigebiet um den "Devils Ellbow", der Pass wird vor allem bemerkt vom Pickup mitsamt seinem Explorer - beide krauchen nur so herauf, aber es könnte schlimmer sein! Bald schon sind wir oben und stehen am verwaisten Skilift - ist das wirklich "Teufels Ellbogen"??

Skigebiet am Teufels Ellbogen ...

Schotten-Wanderer bestaunen wieder mal den Explorer und fragen, wo man damit schon war - überhaupt fällt auf, welches Aufsehen unser Fahrzeug während der gesamten Tour erweckt: Ein echter "Hingucker" für die Einheimischen und Touristen - scheinbar ist es schon erstaunlich, wenn man hierzulande mal nicht mit einem "echten" Womo herumfährt - wen wundert es jetzt noch!

Wie immer fährt hier keiner mit Licht, auch wenn wie später die Lichtverhältnisse kaum schlechter werden könnten. Es ist schon merkwürdig, dass in nahezu ganz Skandinavien (zu Recht!) Abblendlicht grundsätzlich vorgeschrieben ist, aber hier, bei ähnlichen Umwelt- und Lichtverhältnissen, die meisten offensichtlich Strom sparen wollen, da keine solchen Vorschriften bestehen. Umso besser, wir fallen halt auf, wenn wir als einzige "Skandinavien spielen" und immer alles anschalten - in Umkehrung des militärischen Grundprinzips gilt hier: "Viel sehen und selbst gesehen werden"!

Es geht wieder heftig bergab Richtung Norden auf der A93. Die Straße verläuft aus dem Dee-Tal in südlicher Richtung über die Grampians, als wir uns Braemar nähern. Ein sehr traditioneller Ferienort, was wir sofort an der Zahl der Touristen merken - selbst "Königs" sollen hier oft vorbeikommen, vermutlich von ihrem Schloss Balmoral her, das in der Nähe liegt.

In Braemar dreht sich alles um die Royal Family und auch die Hochlandtreffen der Clans (Braemar Highland Gathering). Nachdem wir am örtlichen Campingplatz ("Non members welcome!") die bisher höchste Strafgebühr für eine Nichtmitgliedschaft angekündigt bekommen (teuerster Platz mit mehr als ca. 14 GBP), regt sich bei uns der Widerstandsgeist: Es würde uns zwar nicht an den Rand des finanziellen Ruins bringen, aber hier wollen wir nicht mehr mitspielen - wir fahren weiter und bleiben nicht länger am gastlichen Touri-Rummelplatz!

Unser Erstaunen ist groß, als wir nur wenige hundert Meter weiter auf der linken Seite einen weiteren Campingplatz zu sehen glauben: Unmengen an (ähnlich) aussehenden Wohnwagen haben sich dort angesammelt - ein unentgeltlicher Ausweich-Campingplatz?

Eine Runde auf dem Platz bringt allerdings merkwürdiges zutage: Nummernschilder auf der Wiese und ungläubige Gesichter hinter den Wohnwagen-Gardinen - merkwürdiger Platz! Wie sich herausstellt, handelt es sich um die "Rallye" eines schottischen Caravan-Cubs, offensichtlich das "etwas andere" Hochlandtreffen eines Clans!

Rolls als Zugmaschine ...

Auf unser Fragen, ob man hier eventuell eine Nacht verbringen dürfe, verweist uns ein freundliches Mitglied zwar an die Rallye-Leitung, aber die bleibt hart: Wir gehören nicht zum Clan und werden freundlich auf den nächsten Campingplatz hingewiesen - nach Braemar! So bleiben wir auch hier nicht, schließlich haben wir keinen Rolls Royce als Wohnwagen-Zugmaschine wie die Camp-Leitung!

Man kommt die A93 entlang weiter sogar bis vor die Tore von Balmoral Castle, wenn man das will, aber heute sind Königs nicht da (schließlich sind noch ein paar Tage bis zum Diana Gedenktag!). Wir hätten nie gedacht, dass man auch mit einem Explorer problemlos über die schmale Brücke bis direkt vor Königs Haustür fahren kann - aber außer Touristen keine Hindernisse!

Am Eingang vorbei biegen wir auf die südliche Umgehung der A93 ab - ein wunderbarer schmaler einspuriger Weg durch einen Wald (zum Glück nur einmal Gegenverkehr, der so was wie einen Explorer allerdings kaum erwartet hatte!) führt südlich am River Dee entlang, auch Abergeldie Castle am Flussufer ist kaum auszumachen. Nicht mehr allzu weit ist es bis Ballater, auch dieser Ort ein echtes königliches Zentrum - nicht nur in Braemar kauft Charles persönlich ab und zu ein!

Auch Ballater profitiert angabegemäß davon, dass die königliche Familie hier von "Brot bis Gummistiefeln" alles einkauft, wenn sie in Balmoral ihre Ferien verbringt; man findet hier laut Reiseführer mehr "Hoflieferanten" als irgendwo sonst in Schottland. Uns beeindruckt das heute alles nicht so, aber was uns freut ist, dass der örtliche Campingplatz nicht zu den "Non members welcome!"-Abzockern gehört, sondern sehr humane Tarife hat: Hier werden wir heute bleiben!

So erhebt unser Ballater-Campingplatz (N57°02.64´ W003°02.32´) zwar keine Strafgebühren, hat dafür aber ausreichend Sonne zu bieten mit 24 °C - die Plane wird heute erstmals auf schottischem Boden aufgebaut und langsam scheint sich sogar so etwas wie ein Erholungseffekt einzustellen. Wir verbringen den Nachmittag an einem sehr angenehmen Ort mit Fluss im Rücken - irgendwie erinnert der Stellplatz an unseren letzten in Zellerreit!

Der Abend erlebt uns endlich im Pub mit etlichen "pint of bitter": im "Prince of Wales" stehen die Dorfschönen und wollen sehen und gesehen werden - können sie haben, aber spät in der Nacht sitzen wir dennoch wieder mit Windlicht unter der Plane. Das Betthupferl aus der eigenen Flasche mit rauschendem Fluss im Rücken kann schließlich kein Pub ersetzen ..!


© Text/Bilder 1998-2002 J. de Haas