Japan  Neugier auf die Welt

Warum es sich lohnt, zu reisen ...


Vorbemerkung der Redaktion

Kurz nach Beginn der weltweiten Heimsuchung durch Corona erschien das Buch "Neugier auf die Welt - In 80 Rätseln um die Erde" von Thomas Bauer. Ein Buch, das noch in der Welt "davor" entstanden ist und dessen Vorwort er uns zusätzlich zu den schon veröffentlichten Rätseln für den nachfolgenden Beitrag ebenfalls zur Verfügung gestellt hat. Niemand hätte sich seinerzeit ausgemalt, welche Konsequenzen diese "Seuche" auf das tägliche Leben haben würde sowie auf unser Miteinander und viele Lebensbereiche.

Was geht hier vor ..?Von wesentlichem Einfluss war auch das dabei aufgetretene "politische Virus" mit seinem Weg zu globalen Ausnahmezuständen: Einschränkung von Grundrechten, Ausgehverbote, Kontaktbeschränkungen, Registrierungen, Demonstrations- und Reiseverbote. Die Fortsetzung dieses Krisenmodus findet sich nach der "Corona-Krise" mittlerweile in der "selbstgemachten Energiekrise" und der alles umschließenden "menschengemachten Klimakrise". Über die erstaunliche Krisenabfolge und die im Zusammenhang damit ausgerufene "Neue Normalität" und deren Inhalte soll an dieser Stelle nicht diskutiert werden. Jedoch genauso wie sich die Pandemie zur größten Profitquelle der Medizingeschichte entwickelte, so zeigt sich ähnliche Geschäftemacherei leider auch bei den anderen "Krisen" ab, von denen zumeist nur wenige profitieren, aber viele in Mitleidenschaft gezogen werden, wozu auch wir uns zählen müssen.

Eine Krise jagt die nächste ..?Durch all diese Sachverhalte haben sich natürlich für viele Menschen inzwischen auch die Reisegewohnheiten verändert: So wird z.B. für Flugreisen ideologisch "untermauert"  bereits eine "Flugscham" verlangt, und selbst der Aufbruch mit dem eigenen Fahrzeug wird mittlerweile durch massive energiepolitische Einflüsse erheblich verteuert. Insgesamt können Reisen derzeit allgemein nicht mehr unbeschwert angetreten werden wie zuvor. Dennoch versuchen manche immer noch so zu reisen wie früher, selbst wenn sich die "Neue Normalität" heutzutage bereits bei Problemen am Flughafen zeigt und schon dabei viele Illusionen zerplatzen können. Andere kaufen sich ein Wohnmobil, weil sie sich davon noch eine gewisse Unabhängigkeit erhoffen, und noch andere bleiben jetzt eher ganz zu Hause, anstatt überhaupt noch zu reisen ...

So ist also auch das Vorwort zum Buch von Thomas ein wenig von der Zeit "vor" all diesen Entwicklungen geprägt, aber seine wesentlichen Erkenntnisse insbesondere zum Reisen werden sich auch über die "Neue Normalität" hinweg in das künftige Leben retten können: Allerdings nur, wenn wir uns auf das Wesentliche und vor allem das Wahre besinnen, ohne uns dabei in ungewollte Bahnen drängen zu lassen ...



Ab durch die Hecke

Eine mannshohe Hecke umgab den Garten meines Elternhauses: Oft stand ich vor ihr und versuchte, einen Blick nach drüben zu erhaschen. Bald stand fest, dass ich auf die andere Seite gelangen musste. Doch für einen Sechsjährigen ist es nicht einfach, sich durch eine Buchsbaumhecke zu schlagen. Meine ersten Versuche - ich warf mich gegen das Gestrüpp, legte unterirdische Gänge an - scheiterten kläglich. Als meine Eltern das nächste Mal außer Haus waren, warf ich ein Sitzkissen des heimischen Sofas auf das Gewächs. Ich zog mich an Ästen empor, ignorierte die Kratzer, die ich später würde erklären müssen, und hievte mich hinauf, bis ich die sichere, weiche Unterlage erreicht hatte. Auf dem Kissen robbte ich hinüber bis zum gegenüberliegenden Rand, warf es dort auf den Boden und sprang mit einem dünnen Triumphschrei auf es herab. Zum Glück wusste unser Nachbar, was junge Helden brauchen: Er lud mich zu einem Kakao ein. Bis heute erinnert eine kleine Delle in der Hecke an mein Erlebnis ...

Grönland: Angriff Moschusochse Grönland: Da lang ...

Eigentlich hat sich seither nicht viel verändert. Noch immer zieht mich ein naiver Entdeckermut hinaus, nehme ich tragbare Risiken in Kauf und mache mir erst unterwegs Gedanken über den weiteren Verlauf meiner Reise. Auch der Hang zu ungewöhnlichen Fortbewegungsmitteln ist mir geblieben: Im Kajak paddelte ich die Donau entlang, auf einem Hundeschlitten zog ich durch Ostgrönland, per Fahrradrikscha fuhr ich durch Südostasien. Ich umrundete Frankreich auf einem Postrad, folgte der türkischen Mittelmeerküste in einem Liegerad und gelangte in einem Velomobil den Mississippi entlang bis nach New Orleans. Wohin ich auch reiste, am Ende traf ich in allen Erdteilen auf Menschen, die mir halfen. Sie luden mich zu sich ein, versorgten mich mit Tipps und gaben mir ihre Geschichten mit auf den Weg.

Die Weltrevolution von Fellbach-Süd

Meine literarische Karriere begann, als ich neun war. Wochenlang schrieb ich Tierbücher ab und schmückte die Texte mit Abenteuern aus, die davon handelten, wie ich mit Delfinen um die Wette schwamm, in einem Löwenrudel aufwuchs und die traurigen Adler aus dem Zoo befreite. Die Angestellten der örtlichen Bücherei kannten mich beim Namen. Ich bin in Fellbach aufgewachsen, einem Vorort von Stuttgart, der bis ich achtzehn war kein Kino aufzuweisen hatte, dafür aber über fünf Altersheime. Knapp die Hälfte der Fellbacher war über fünfzig, und manchmal fragte ich mich, wo sich die andere Hälfte versteckte ...

Um der Langeweile zu entfliehen, diskutierte ich nächtelang mit Freunden: Wir entwarfen schillernde Gegenwelten und erträumten uns die Ereignisse, an denen es uns mangelte. Auf dem Höhepunkt der Pubertät trug ich feuerrote Haare, zog mich so antibürgerlich wie möglich an und erzählte allen Leuten vom bevorstehenden Zusammenbruch des Systems. Doch bevor ich von Fellbach-Süd aus die Weltrevolution anzetteln konnte, geschah etwas, auf das ich nicht vorbereitet war: Das moderne Leben begann mir zu gefallen. Vielleicht habe ich einfach länger als andere gebraucht, bis ich die Spielregeln durchschaut hatte. Der Einzigartigkeitsfetischismus, das wahnwitzige Überangebot an Möglichkeiten und die Flüchtigkeit einer Gesellschaft, deren Mitglieder im Überfluss leben, aber allesamt meinen, dass das Leben gerade sie besonders schlimm erwischt habe - all das stellt uns eine Aufgabe: eigene Maßstäbe zu entwickeln und Raum für echte Leidenschaft zu öffnen.

Japan: Thomas Bauer auf dem Pilgerweg ...Wohin aber richtet man seinen inneren Kompass aus? Wie spinnt man seinen Lebensfaden, statt Futter für die Bedürfnisindustrie zu sein? Wie findet man heraus, wer man sein möchte? Manche gründen eine Firma, andere malen Bilder oder unterrichten Yoga. Ich habe meine Antworten unterwegs gefunden. Zwischen den Orten fühle ich mich leicht. Besonders gut geht es mir, wenn ich draußen bin, mich bewege und mir niemand - kein Vorgesetzter und kein Terminplan - sagt, was ich tun soll.

Abenteuerreisen auf allen Kontinenten

Wenn man selbst nachsieht, merkt man, wie groß und rätselhaft die Welt ist. Statt zu tagträumen musste ich mich unterwegs in ungewohnten Gegenden zurechtfinden und die richtigen Entscheidungen treffen. Früher war ich ein schwächlicher Junge gewesen, voller Flausen im Kopf. Mit zwölf sagte man mir, dass mein Herz unregelmäßig schlage und ich mich sportlich betätigen solle. Vielleicht habe ich die Sache ein wenig zu ernst genommen. Fünfzehn Jahre trainierte ich täglich im Schwimmverein. Später wurde ich Fitnesstrainer, erklomm Berge und durchschwamm den Starnberger See.

Ladakh Himalaya: Das Leben hat tiefe Furchen gegraben ...Als ich nach einem Volontariat nicht übernommen wurde, ging ich von meiner Studienstadt Konstanz aus zu Fuß zweieinhalbtausend Kilometer auf Jakobswegen nach Nordspanien. Was ich dort erlebte, wurde zur Initialzündung für noch abenteuerlichere Reisen. Es war ein großer Schritt für mich und ein eher kleiner für die Menschheit  ...

Eigentlich wollte ich längst einen Roman über die Wissenschaft schreiben, und einen zweiten über die Nacht. Was aber kann man tun, wenn das Leben dazwischenfunkt und seine beste Karte ausspielt: Du sollst Außergewöhnliches erleben, so lange du das kannst. Das tat ich. Im neuseeländischen Abel-Tasman-Nationalpark schwamm ich über Rochen hinweg, in der Nähe von Maracaibo an der kolumbianisch-venezolanischen Grenze hielt ich eine Anakonda in den Händen, in einer Bergfalte des nordindischen Himalaya konnte ich einen der letzten Schneeleoparden in freier Wildbahn beobachten.

Im bolivianischen Santa Cruz wäre ich um ein Haar entführt worden, im türkischen Hatay versuchte man mich für die kurdische Rebellion zu gewinnen, in Nairobi ging ich, einem Impuls folgend, doch nicht ins Westgate-Einkaufszentrum, das kurz darauf von Anhängern der Al-Shabab-Miliz gestürmt wurde. Ich kostete Ratte an einem Straßenstand in Südlaos, aß rohes Robbenherz und Eisbärenfleisch in Ostgrönland.

In den argentinischen Anden merkte ich auf sechstausend Metern, wie sich die Höhenkrankheit anfühlt, in Bangkok übernachtete ich in einem Billigbordell, in dem rechts und links von mir "gearbeitet" wurde, im bulgarischen Vidin fragte man mich beim Einchecken, ob ich mein Hotelzimmer mit oder ohne Frau wolle.

Ich stellte fest, dass ich mehr erlebte, je langsamer ich unterwegs war, dass ich ein Land am besten kennenlernte, wenn ich auf Hilfe angewiesen war, und dass ich überall, selbst in einem Indianerreservat in Ostecuador, früher oder später auf Schwaben treffe. Wenn mich meine Freunde anrufen, fragen sie inzwischen nicht nur wie es mir geht, sondern auch wohin ich als Nächstes reise.

Immer weiter weltwärts

Habe ich früher erzählt, dass ich gerade von Phnom Penh zurückkomme, machten meine Zuhörer große Augen. Heute reagieren viele von ihnen anders: "Klar, Kambodscha, war ich auch schon. Hast du dort auch das Schnellboot über den Tonle-Sap-See genommen?" Wir haben mittlerweile die Chance, Länder zu sehen, von denen unsere Großeltern bestenfalls gehört haben. Galapagos, Ko Samui, die Grenadinen? Warum nicht. Unsere Reiseziele werden immer extravaganter ...

Kambodscha: Transport-Logistik ... Kambodscha: Ausruhen mitten im Getümmel ... Kambodscha: Vor brennendem Feld ...

Oder doch nicht? Wohin ich auch gelange, die Moderne ist schon dort: Überall quakt man mich auf Englisch an, raunzt in Mobiltelefone, aus Radios quengeln minderjährige Popstars. Die Orte gleichen sich einander an. Kann man überhaupt noch Abenteuer erleben in einer Zeit, in der uns bereits das Frühstück als "einmaliges Knuspererlebnis" verkauft wird? Ja, wenn man weniger Wert auf das Ziel legt und mehr auf die Art des Reisens - die "Art", die in mehreren Sprachen "Kunst" bedeutet. Eine echte Reise kehrt die Einstellung gegenüber Raum und Zeit um. Wir haben uns angewöhnt, den Raum zu vernachlässigen. Was früher eine tagelange Kutschfahrt, eine mehrwöchige Schiffsreise entfernt war, erreicht man heute binnen Stunden per Flugzeug. Die Zeit ist dagegen wichtiger geworden. Ständig verlangt sie, "genutzt" zu werden. Moderne Lebensläufe gleichen Sinfonien ohne Pausenzeichen, Beethovens Neunte auf Speed.

Iran: Schiras, Gruppenbild mit Imam ...Unterwegs wird der Raum wichtig: Wir sehen die Welt wie durch Kinderaugen, bemerken Kleinigkeiten am Wegrand und geben unserer Umgebung die Chance, uns zu beeindrucken. Die Zeit hingegen verliert an Bedeutung: Wenn ich ein Etappenziel heute nicht erreiche, komme ich eben morgen dort an. Reisen ist ein Katalysator für unsere eigene Veränderung. Man entfernt sich einen Schritt von seinen Gewohnheiten. Durch die Begegnung mit dem Anderen und den anderen lernen wir neue Aspekte an uns kennen - und das erhoffen wir, wenn wir "das Weite suchen". Dann nämlich kann man Vorurteile abschütteln und manche Dinge in der Heimat erst richtig schätzen lernen.

Früher lebte man an einem Ort, ohne zu wissen, an welchen anderen Orten man stattdessen leben könnte. Diese sorglose Unwissenheit ist uns nicht länger gegeben. Wir sind "zur Freiheit verurteilt", sagt Jean-Paul Sartre, und das bedeutet, dass wir zeitlebens um unseren Lebensweg ringen müssen. Erst wenn man die eigene Komfortzone gesprengt hat, lässt man seinen Charakter nicht von dem verformen, was andere von einem erwarten, sondern stellt ihn durch Entscheidungen und Taten auf ein stabiles Fundament.

Costa Rica: Unterwegs an der Seilrutsche ...Reisen bedeutet Hinterfragen: Gewissheiten können sich als Übereinkünfte entpuppen, manches wird anderswo besser geregelt als zuhause. Es ist kein Zufall, dass jede Diktatur, die etwas auf sich hält, ihren Bewohnern das Reisen erschwert - nichts führt uns unsere Freiheit klarer vor Augen.

In Wahrheit können wir jeden Moment losfahren, den erstbesten Zug nehmen, einen neuen Weg einschlagen. Neun von zehn Hollywoodfilmen basieren darauf, dass ein Held ein System besiegt. Warum sprechen uns solche Filme an? Weil wir, die wir doch eigentlich Rockstars sein wollen, Maler, Abenteurer und Prinzessinnen, am Ende doch in irgendeiner Firma oder Verwaltung gelandet sind. Unterwegs aber glühen neue Aspekte in uns auf. Wir erkennen, welche Teile unseres Charakters veränderbar sind und was unverrückbar zu uns gehört. Wer sich nicht bewegt, spürt auch seine Fesseln nicht.

Am reizvollsten sind gerade die Momente, in denen man nicht weiß, was als Nächstes passiert. Wer nicht vom Weg abkommt, bleibt auf der Strecke. Wie oft habe ich mich unterwegs verirrt, habe Gepäckstücke zurückgelassen oder mit der Post nach Hause geschickt! Doch der lustvolle Kontrollverlust, den wir "Abenteuer" nennen, ist rar geworden. Wann konnten wir zuletzt beweisen, was in uns steckt? Wie erfahren wir, ob das, was wir tun, von Bedeutung ist? Wissen wir, wie sich ein Faustschlag anfühlt, ein Sprung ins Meer, eine hautnahe Begegnung mit einem wilden Tier? Ich bin immer wieder losgezogen, um es herauszufinden, und in einer Welt voller Rätsel und Wunder gelandet. Das ist doch ganz gut gelaufen.

In Zukunft werden unsere Reisen noch beeindruckender sein als bisher. Vielleicht schon bald werden wir schwimmende Städte bauen, in Ultraleichthubschraubern fliegen, im All und am Meeresgrund spazieren gehen. Wir leben in einer spannenden Zeit ...

Omnia mea mecum porto

Alles, was ich besitze, trage ich bei mir: Dieser Ausspruch, den Cicero Bias von Priene zuschreibt und Seneca dem Philosophen Stilpon, verweist auf den inneren Reichtum, den wir unabhängig von Erfolg und Status haben. Jeder von uns kann Geschichten erzählen, die es wert sind, weitergegeben zu werden. Vor allem in vernachlässigten Weltgegenden wie Südamerika, das ich besonders gern besuche, liegen sie auf der Straße; man muss sie nur einsammeln. Malegria steht eintätowiert auf meiner linken Wade. Seit jeher zieht mich diese Mischung aus Weltschmerz (französisch: mal) und Lebensfreude (spanisch: alegria) in ihren Bann.

Um solche Weltsichten zu finden, wurde ich zum Geschichtenjäger. Im Zentrum meiner Reisen steht immer der Mensch, der kämpft: Ich will herausfinden, warum und wofür. Die Menschen, denen ich unterwegs begegne, erzählen mir Dinge, die sie ihren Nachbarn verheimlichen, eben weil sie wissen, dass ich demnächst wieder weg sein werde. Die Welt wird größer, je mehr man von ihr sieht. Sie ist im Gegensatz zu Herrn Tur Tur, dem Scheinriesen aus "Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer", ein Scheinzwerg. Einer, der wächst und sich uns entwindet, wenn man ihm näherkommt.

Bolivien: Carneval Oruro Bolivien: Salar de Uyuni Bolivien: Gespräch in Altiplano ...

Was macht einen Ort zu einem besonderen? Zunächst kann er mir, ganz ohne sein Zutun, eine existentielle Erfahrung bescheren - einfach weil ich zur richtigen Zeit dort gewesen bin. Wer hätte ahnen können, dass in Nordmalaysia ein Lastwagen mein zerbrechliches Liegerad genau in dem Moment von der Straße fegen würde, als ich dabei war, einen Hitzschlag zu erleiden? Dass mich das vermutlich gerettet hat und ich seither an Gott glaube, auch wenn ein ganz ähnlicher Lastwagen, vielleicht sogar derselbe, kurz darauf meinen Mitreisenden überfuhr? Wer hätte geglaubt, dass sich die Umrisse eines Schneeleoparden aus dem Gestein lösen würden, nachdem ich drei Wochen lang im nordindischen Himalaya obsessiv nach dem "Phantom der Berge" gesucht hatte?

Georgien: Streetart in Tbilissi ...Darüber hinaus haftet jedem Ort etwas Spezifisches an - und wenn es nur darin besteht, dass hier bestimmte Dinge eher passieren als anderswo. In Bolivien schwang bei jedem meiner Schritte eine Gefahr mit, die sich bald in drei Entführungsversuchen manifestierte. In Ostgrönland passt man sich dem Takt einer übermächtigen Natur an: Man folgt ihren Regeln oder geht unter. Und nirgendwo bin ich bisher häufiger und beiläufiger zum Sex aufgefordert worden als in Vietnam ...

Wie findet man einen besonderen Ort? Ganz einfach: Wenn Worte beschreiben können, wo man gerade ist, geht man weiter. Die Worte, die zu einem besonderen Ort passen, fallen einem bestenfalls hinterher ein.

Die Ankunft an einem Ort, wie besonders er auch sein mag, ist im Grunde genommen immer banal. Sie kann sich bedeutsam anfühlen, doch nur für einen selbst. Das Unterwegssein hingegen, dieses Kämpfen, Vorwärtskommen, sich Verwandeln, dieses hartnäckige Scheitern und das noch hartnäckigere Weitermachen, das Aufflattern von Möglichkeiten, das Sichtbarwerden neuer Wege, die Unsicherheit, das "In-der-Schwebe-Sein" und die sich abzeichnenden Wendepunkte, die ich kaum erwarten kann - kurzum die Bewegung auf ein Ziel hin: Es ist das Leben selbst, das sich darin spiegelt.

Ich will immer wieder hinaus ins Unbekannte, mich zurechtfinden in der Fremde und neue Aufgaben meistern - so wie wir alle immer weitergehen, unsere Möglichkeiten erweitern und anderen davon berichten. Wir sind die Summe unserer Entscheidungen und Erfahrungen, und wir werden einander immer Geschichten erzählen.

Neugier auf die Welt - In 80 Rätseln um die Erde ...Was uns antreibt, ist Neugier auf die Welt ...


© 2021-2022 Thomas Bauer, Verlag periplaneta


Anm. der Red.: Weitere Beiträge von Thomas Bauer finden sich in unserer Autorenübersicht!