Teil 3: Nach Estland und Lettland

Ankunft am Nationalfeiertag ...

Früher Morgen auf der ROMANTIKA: Wieder einmal schießen einem beim morgendlichen Duschen vertraute Gedanken durch den Kopf - wie kommt es eigentlich, dass bei der Konstruktion von Hotelduschen aller Art, auch solcher auf Fähren wie heute Morgen, offensichtlich nur Idioten beschäftigt werden?

Duschtassen, die sich nach ein paar Tropfen in perfekte Glatteisflächen verwandeln, Armaturen, die auch nach einem 10minütigem Studium nicht bedienbar sind oder aber garantiert anders arbeiten als erwartet, zumeist entweder mit eiskaltem oder aber sehr gern auch mit kochendem Wasser reagieren auf jedwede Einstellung, Seifenspender, die meterweit entfernt sind, Duschwände, die das Wasser direkt zentimeterhoch auf den Boden umleiten usw. usw. ...

Auch die ROMANTIKA muss sich heute Morgen in dieser Auflistung nicht verstecken: Im Duschbereich ist natürlich keine Seife erreichbar, einen Haken zum Aufhängen von Handtuch oder Bekleidung sucht man vergebens, die Tasten an der Duscharmatur geben auch nach langem Rätseln keinerlei Hinweise auf ihre Funktionen, bereits nach kürzester Duschzeit ist der Wasserstand auf dem umgebenden Boden im Bad höher als in der Dusche selbst, die notdürftig irgendwo auf der Türfeder platzierten Handtücher erfreuen sich natürlich umgehend eines Wasserbads auf dem Boden - so herzhaft erfrischt kann der Tag beginnen!

Welche Idioten konstruieren eigentlich Hotelduschen ..? Tallinn naht am Horizont ...

Tallinn naht am Horizont, der Wind beim letzten Rundgang an Deck bläst angenehm frisch gegen die Alkoholfahnen vieler Umstehenden an. Schließlich wird es Zeit, das Fahrzeugdeck aufzusuchen, während das Anlegemanöver Fortschritte macht.

Viele Fahrer von Fahrzeugen in den verschieden Spuren der Fähre haben sich bereits eingefunden - allerdings nicht alle. Dazwischen sieht man nämlich einige leere Autos, deren Besitzer offenbar noch nicht bemerkt haben oder bemerken konnten, dass wir am Ziel sind.

Die schlimmsten Befürchtungen des Vorabends werden bestätigt, als wir in der Spur neben uns einen offenbar noch nicht ganz ausgenüchterten Schweden erblicken, der ein fahrerloses Fahrzeug vor dem seinigen mehrfach umkreist, Urlaute dabei ausstößt und schließlich mit den Fäusten auf Dach und Motorhaube einzuschlagen beginnt. Nach Fußtritten vor die Räder folgt noch ein heftiger Stoß mit dem Knie in die Seitentür, all diese "Notmaßnahmen" schaffen allerdings keinen Fahrer herbei. Einzelne Personen umkreisen in der Ferne andere Fahrzeuge, eine Gestalt nähert sich auch dem geprügelten Wagen, um dann allerdings sofort wieder zu verschwinden - hat da etwa ein gerade nüchtern gewordenes Weichei Angst vor ein bisschen Lynchjustiz unter Deck ..?

Da offenbar auch an anderer Stelle Probleme aufgetreten sind, öffnet sich schließlich nur eine der beiden Klappen der Fähre und die verschiedenen Schlangen verkeilen sich bei der Ausfahrt irgendwie, mit etlichem Hupen und Rangieren werden fahrerlose Fahrzeuge dann doch umkurvt. Wir stehen als zuletzt zugestiegende Åland-Abenteurer naturgemäß ganz hinten und staunen, wie sich schließlich nach und nach das Fahrzeugdeck trotz aller Probleme doch irgendwann und irgendwie weitgehend leert - der Ausfahrt nach Estland steht nun (fast) nichts mehr im Wege!

Auch der letzte Schwede von Bord ..? Kein Vergleich zu vor 10 Jahren: Mit dem Navi entspannt durch Tallinn ...

Schnell verlassen wir daraufhin die Fähre und sind dann schon mitten in Tallinn: Erinnerungen an unseren ersten Estlandbesuch vor einem Jahrzehnt werden wach, als lediglich ein Pfeil des damaligen Garmin GPS 12 XL ungefähr die richtige Richtung aus der Stadt wies, dahin, wo der erste Waypoint gesteckt war. Mit dem Navi ist demgegenüber heute fast überall entspanntes Fahren angesagt, und das natürlich erst recht am Feiertag!

Am Nationalfeiertag Richtung Ardu ...Angekommen sind wir nämlich aufgrund unserer diversen Åland-Exkursionen nun verspätet in Estland und wie hatten wir dazu bereits an anderer Stelle geschrieben: "Bei dem heutigen Mittwoch, den 20.08.14, handelt es sich um ein Datum und einen Nationalfeiertag, an dem sich ein Großteil der Bevölkerung im jährlichen Freudenrausch befindet und an dem natürlich jede Menge Alkohol konsumiert wird und man sich glücklich schätzen kann, wenn die Geschäfte geöffnet haben: Es ist der 23. Jahrestag der "Befreiung", der wiedergewonnenen Unabhängigkeit von der einstigen Sowjetunion und Herstellung der staatlichen Selbständigkeit am 20.08.1991."

Unser Ziel am ersten Estland-Tag ist das Camp Paunküla Heaolukeskus in der Nähe des Dorfes Ardu, wo wir übermorgen eine "Euro-Tour" machen wollen, denn wie der Zufall es will, haben wir auf den Tag genau vor 10 Jahren auch unsere damalige Euro-"Extratour" nach Estland gemacht und dieses Datum verpflichtet natürlich.

Bevor wir uns, wie schon im oben erwähnten Beitrag zur aktuellen Euro-Tour geschildert, im Camp des freundlichen Raimo Oks niederlassen, machen wir noch einen Abstecher ins 3 km entfernte Ardu, um im dortigen kleinen Supermarkt erforderliche Einkäufe zu erledigen, denn schließlich soll hier auch gleich unser erster Ruhetag in Estland folgen, wozu die idyllische Umgebung unbedingt einlädt.

Leider weniger einladend diesmal das Wetter: Vorhersagen sind auch mit unserem aktuellen Meteotime-Nachfolger Dostmann TFA 35.1127 hier kaum möglich, weil Estland nicht zu den 90 Wetterregionen dieses Dienstes gehört und das angabegemäß vorhandene WLAN sich ebenfalls nicht zeigt. Aber der Blick zum Himmel zeigt zuverlässig: Regenschauer und Gewitter werden uns hier verfolgen, wie schon auf den Ålands befürchtet ...

Im Camp Paunküla Heaolukeskus ... Richtiger Ort für eine Euro-Tour ... In den Urwald und Pilze sammeln ...

Dennoch wird der Aufenthalt hier im Camp heute und am Folgetag durchaus angenehm. Erkundungen der Umgebung, des Urwaldes und der Seen, Pilzesuchen und Entspannung ohne tägliches Fährenabenteuer haben auch was für sich ...

Der Ruhetag vergeht und wir wollen weiter Richtung Südwesten, wo unsere Rundfahrt entlang der Bucht von Riga beginnen soll. Ausgeguckt haben wir für das Roadbook Camp Lemmeranna bei Häädemeeste, das bei der Anfahrt auch durchaus einladend wirkt: Nicht weit weg vom Wasser am Waldrand gelegen soll es hier in der kleinen Pizzeria sogar frisch gebackene Pizza geben - was will man mehr?

Weiter zum nächsten Camp ..?Nach kurzem Gespräch mit der Betreiberin des Camps werden die Gesichter im "Expeditionsteam" allerdings immer länger: Offenbar liegt das Camp allzu idyllisch, denn deshalb ist es heute für eine der im Baltikum oft üblichen Feiern auf Campingplätzen gebucht - geschlossene Gesellschaft sozusagen. Zwar könnten wir durchaus auch hier bleiben, meint die freundliche junge Frau, aber in diesem Fall sollten wir keinesfalls daran denken, heute Nacht schlafen zu können, denn dafür würde es mit Sicherheit zu laut sein, selbst dort an der Seite, wo wir evtl. stehen könnten ...

Wir bedanken uns und fahren weiter - Fiesta Baltikana brauchen wir nicht wirklich. Es geht weiter an der Bucht von Riga entlang, doch schon bald wären wir in Lettland, wenn wir denn heute noch deutlich weiter fahren würden. Also schauen wir uns noch ein Camp an, das geringfügig nördlicher liegt und von ihr empfohlen wird: Ein an ein Hotel angeschlossener leerer Campingplatz erwartet uns, die schöneren Stellen in Ufernähe werden auch hier wieder von einem wenig anheimelnden Gebläse direkt aus der Bucht bestrichen, das wir ebenfalls heute nicht brauchen - also zurück nach Süden!

Nach kurzer Zeit erreichen wir einige Stellplätze, die allerdings ganz verlockend wirken: Grillplätze zwischen den Bäumen, sauberes Plumpsklo, insgesamt angenehme Atmosphäre und sicherlich passende Gelegenheit für eine Nacht. Wir bleiben auf dem öffentlichen Platz Krapi Telkimisala, der sich freundlich präsentiert und bei dem wir hinter einem Wall nahe der kaum befahrenen Straße vor dem Wind in Deckung gehen können. Hier steht man gut und es kostet nicht einmal etwas, was wir allerdings erst am nächsten Morgen wissen ...

Durch´s Baltikum wie man es liebt ... Wohin nun ..? Freier Stellplatz an der Bucht von Riga ...

Hier wollen wir hin ...

Einige Camper verlieren sich auf dem langgestreckten Areal von rund 2 km Länge, das sich recht schmal zwischen Ufer und Straße dahinwindet, darunter sind - unübersehbar - auch vereinzelte deutsche Fahrzeuge.

Nur wenige Schritte sind es und man ist am Ufer der Bucht, über der sich im Laufe des Nachmittags wettertechnisch einiges zusammenzubrauen scheint. Zuerst ist es nur eine dunkle Wand, die vom Meer heranzieht und schließlich trauen wir unseren Augen nicht, als diverse Rüssel versuchen, sich aus diesem Gebilde zu entwickeln. Als es einer davon schließlich schafft, sich bis zur Wasseroberfläche herunterzuarbeiten, ist es klar: Vor uns steht tatsächlich eine ganz beeindruckende Wasserhose, die sich nicht nur vergrößert, sondern auch annähert!

Schnell versucht der Expeditionsreisende in dieser Situation natürlich sein meteorologisches Wissen aus der Luftfahrt zusammenzukratzen: Allerdings, da gibt´s nichts, hatten wir seinerzeit iregendwie nicht behandelt ... Aber dann folgt natürlich sofort die Frage: Kann so ein Ding, das da direkt auf uns zuhält, etwa auch an Land steigen ..?

Es braut sich was zusammen ... Anheimelnd ist anders ... Wasserhose voraus ...

Während einem komischerweise ganz plötzlich der in letzter Zeit häufig gehörte Satz: "So etwas haben wir noch nie erlebt ..!" einfällt und man schon anfängt, erste Leinen vom OZtent für einen Alarmstart zu lösen, fällt im Team auf einmal die Bemerkung: "Das Ding heißt doch nicht umsonst Wasserhose, oder ..?" In diesem Augenblick lässt man dann schließlich die Leinen wieder los und beschließt, lieber doch nochmal zum Ufer zurückzukehren und das Ding erneut zu beobachten. Erleichterung macht sich breit, als es schließlich wieder kleiner wird und letztlich in sich zusammenfällt, allerdings in bereits deutlich geringerer Entfernung - nochmal gut gegangen!

Wetterberuhigung am Abend ... Gemütlichkeit im Camp ist angesagt ...

Der Abend klingt wesentlich friedlicher aus, der Platz liegt tatsächlich an einer wenig befahrenen Straße, wie wir feststellen. Doch so schön es hier vielleicht auch sein kann, morgen soll es weitergehen Richtung Lettland, und da wird wind- und wettermäßig sicher endlich vieles besser, oder ..!?


© 2015 J. de Haas