1. Tag (Fr, 23.08.96, Abfahrt 01:30 Uhr)

Der Pickup steht samt Explorer-Kabine gesattelt vor dem Haus. Obwohl die Reise nur 2 Wochen dauern wird, wollen wir auf nichts verzichten: Schlauchboot, Vorzelt, Campingtisch und Stühle sowie einige Drachen, Windsäcke und der Frisbee müssen mit.

Dafür brauchen wir einen Dachgepäckträger mit Topbox. Dem entgegen steht jedoch die (noch bezahlbare) Höhenbegrenzung in der Fähre von 2,30 m. Also bleibt uns nicht anderes übrig, als Dachgepäckträger mit Topbox und Inhalt in der Kabine zu verstauen, was uns tatsächlich gelingt. Es findet sich sogar noch Platz für einen ansehnlichen Biervorrat.

Wir messen unsere Höhe und es läßt sich nicht verleugnen, wir sind einige Zentimeter höher als 2,30 m. Also stellen wir uns seelisch darauf ein, daß wir Luft aus den Reifen rauslassen müssen.

Um 16:30 Uhr verläßt die Fähre Kiel, so fahren wir sicherheitshalber um 1:30 Uhr (!) aus dem südbayrischen Raum los. Während der ersten 3 Stunden kommen wir mit Tempo 80-90 gut voran, doch dann der erste Stau! Ein Unfall führt zur Totalsperrung der Autobahn. Keine Ausfahrt kann genutzt werden. Wir sitzen 1,5 Stunden fest - die Fähre scheint trotzdem noch erreichbar.

Doch dann läßt uns ein deutliches Klopfgeräusch unter der Motorhaube hochschrecken. Zum Glück haben wir ein Handy dabei und können Kontakt mit dem Notdienst des Herstellers aufnehmen. Der erkennt sofort, hier klopft der Hydraulikstössel und dies sollte er innerhalb der nächsten 5 km wieder aufhören, was er auf wundersame Weise auch macht, um nach weiteren 15 km wieder mit frischem Elan auf unseren Nerven weiterzuklopfen. Wieder nehmen wir Kontakt auf zum Notdienst und es stellt sich heraus, daß wir nur wenige Kilometer von der nächsten Werkstatt entfernt sind.

Also runter von der Autobahn und hin zur Werkstatt. Dort werden die Aktivitäten des Hydraulikstössels begutachtet (klar, daß er jetzt nicht klopft). Man schlägt uns vor, einen Tag zu verweilen, bis ein neuer Stössel da und eingebaut ist. Wir sehen uns um. Zwar sind wir im touristischen Knüllwald, doch Knüllwald statt Norwegen ist für uns doch keine Alternative. Also lassen wir uns bestätigen, daß ein klopfender Stössel an sich nur wenig Risiken birgt und auch Norwegen über Notdienste verfügt - wenn auch erheblich weitläufiger - und beschließen weiter nach Kiel zu fahren.

Die Aussichten die Fähre zu erreichen sind mittlerweile geringer, doch es ist theoretisch noch möglich. Ein erneuter Stau bei Hannover zwingt uns, die Fährgesellschaft anzurufen, um eine mögliche Verschiebung der Abfahrt um einen Tag anzukündigen. Man teilt uns mit, daß wir uns bis 1 Stunde vor Abfahrt entscheiden müssen.

Also rasen wir mit bis zu 105 km/h weiter, denn rein rechnerisch könnte man es noch schaffen. Jede Verkehrsnachricht wird zum Krimi, untermalt vom hektisch klopfenden Stössel und bald wird klar, der Elbtunnel wird unser Schicksal entscheiden ...

Windjammer-Idyll ... Das Storebaelt-Projekt an Bord ...
... am Storebaelt

Und es gibt auch noch Wunder im Norden, der Elbtunnel ist frei, der Oslokai in Kiel ist zu finden, wir können noch volltanken, was sich wegen der norwegischen Benzinpreise empfiehlt und wir befinden uns 45 Minuten vor Abfahrt der Fähre glücklich und fix und fertig in der Autoschlange zur Fähre.

Wir bekommen einen LKW-Platz auf der Fähre, so daß die bayerische Luft in den Reifen bleiben kann. Sofort machen wir einen Erkundungsgang auf der "Prinsesse Ragnhild" (Anmerkung im Juli 99: die Fähre sollte ca. 3 Jahre später noch traurige Schlagzeilen machen nach einem Brand im Maschinenraum und anschließender Evakuierung von über 1.000 Passagieren ...).

Wir bestellen 2 Bier, die wir uns redlich verdient haben. Damit man sich schon mal an norwegische Verhältnisse gewöhnt, werden uns dafür 15,-- DM abgeknöpft. Unserem zaghaften Protest wird entgegengehalten, daß wir in Norwegen mindestens 20,-- DM dafür berappen müßten ...

Trotzdem: das Bier ist wunderbar trotz Plastikbecher und wir schweben bier- und glückselig zum Abendessen. Beim Abendspaziergang auf Deck fahren wir unter dem Storebaelt-Projekt durch. Hier wird gerade das größte Brückenbauprojekt der Welt zwischen den Inseln Fünen und Seeland abgewickelt. Ein Arbeiter hoch oben in den Tragseilen winkt uns zu, während uns ein Windjammer entgegensegelt ...

Nach soviel Idyll fallen wir beinahe ohnmächtig vor Müdigkeit und Glück in unsere Kojen und lassen uns vom Stampfen der Dieselmotoren in den Schlaf dröhnen. 

2. Tag (Sa, 24.08.96)

Am Samstag vormittag fahren wir durch den Oslofjord und bekommen den ersten Eindruck von Norwegen. Man war zwar früher schon mal zwei Wochen in Norwegen, aber den größten Teil der Zeit wurde in der nebligen Hardanger Vidda herumgeirrt und geblieben war nur ein sehr nasser und unvollständiger Eindruck dieser Landschaft.

Das Wetter ist zwar bewölkt, aber die Sichten sind gut. Gegen Mittag verlassen wir die Fähre und wollen an einem ruhigeren Platz Dachgepäckträger mit Topbox auf das Dach montieren und die Topbox füllen. Doch das ist nur der Plan.

Kaum ist die Fähre verlassen, werden wir vom geradezu südländischen Verkehr in Oslo mitgerissen auf eine Autobahn. Zeit für eine Orientierung auf dem Stadtplan läßt man uns nicht, hier sind navigatorische Adhoc-Entscheidungen gefragt, denn es versteht sich von selbst, daß keiner der von uns ausgewählten Orte auf den Wegweisungen zu finden ist. Doch bald sehen wir dank unserem Navigationsinstinkt klarer und wählen den richtigen Abzweig nach Hoenefoss.

Das Wetter zieht sich zu und ein Gewitter scheint aufzukommen. Vor uns liegt der erste mautpflichtige Tunnel mit dem später noch häufig anzutreffenden Schild "BOM" (Maut).

Aufgrund des Wetters wählen wir den ersten Parkplatz hinter diesem Tunnel. Dachgepäckträger und Topbox kommen noch trocken auf das Dach, doch pünktlich beim Füllen der Box beginnt es selbstverständlich zu regnen. Unverdrossen beladen wir unter den staunenden Blicken der einheimischen Wochenend(vorbei)fahrer. Die Wolkendecke senkt sich fast bis zur Straße und so erscheint Norwegen wieder vertraut - Sichten von wenigen Metern, ein auf Dauer alles durchdringender Regen.

Wir lassen Hoenefoss rechts liegen, folgen der E16 bis Hallingby und wechseln die Uferseite der Ådalselva, um nach wenigen Kilometern an einen halbwilden, gebührenfreien Campingplatz zu gelangen. Wir beschließen hier den Abend und die Nacht zu verbringen. Trotz des starken Regens ist im Fluß reges Treiben. Einige Fliegenfischer versuchen ihr Glück und die Leitungsdrähte, die entlang des Flusses verlaufen, tragen Unmengen von Leinenresten der weniger erfolgreichen Kollegen.

... halbwildes Ufer-Campen ...

Als es am Abend etwas aufklart, können wir unseren idyllischen Stellplatz am Ufer mehr genießen und erkunden die Umgebung auf einem Spaziergang. Doch bald setzt der Regen wieder ein und wir beschließen die folgende Tagesfahrt lieber in der Kabine bei einem kräftigen Abendessen und dem obligatorisch abgezählten Bier zu planen. 

3. Tag (So, 25.08.96)

Wir haben uns am Vorabend entschlossen, eine Nebenstrecke nach Steinbekken zu fahren. Die Nebenstrecke ist in der Karte als "Traktorpfad" gekennzeichnet, doch dürfte das unseren geländegängigen Pickup kaum beeindrucken.

Der Weg führt uns entlang der Westseite des großen Sees "Sperillen". Wir erreichen einige Häuser und entnehmen der Karte, daß es sich um Elsrud handeln muß. Aufgrund von heftigen Baumaßnahmen in der Gegend beschließen wir, uns bei einem vorbeikommenden Einheimischen zu vergewissern. Mit unserer Karte weiß er jedoch nichts anzufangen und auf unser fragendes Elsrud? nickt er heftig und mit Armbewegungen in alle Richtungen wiederholt er offenbar den Ortsnamen, weist allerdings in Richtung der Hauptstraße E16 zurück, die wir eigentlich gerade nicht fahren wollten.

Scheinbar heißt nicht nur der Ort. sondern die gesamte Gegend Elsrud. Egal, wir sind sicher, das dies unser Abzweig ist und entrichten die obligatorische "BOM", wobei das Geld in einen Umschlag gelegt wird, auf den man seine Autonummer und Namen schreibt und das ganze in einen offenen Kasten deponiert. Dieses Vertrauen beeindruckt uns sehr.

Nun haben wir endlich einen unbefestigten Weg unter den Rädern, der sich unendlich oft (erheblich häufiger als auf der Karte) gabelt. Doch mit dem Kompaß halten wir die Richtung und erreichen ein wunderschönes Hochland mit Seen und Moor, in dem der Weg immer schlechter wird bis zu einem Punkt, wo alles in einen schmalen, steinigen und unbefahrbaren Fußpfad mündet. Von wegen Traktorpfad!

Auf diesem Weg kommt uns tatsächlich ein Pärchen entgegen mit frisch gepflückten Multbeeren. Wir beschließen, nach dem Traktorpfad zu fragen. Fassunglos blicken die beiden uns an. Traktorpfad? Hier? Nein! Und überhaupt, wie wir auf dem schlechten Weg bis hierher gekommen sind - "Good car!". "Good" ist der Pickup schon, aber eben auch ein wenig lang und so beginnen wir unser Wendemanöver in 40 Zügen oder vielleicht auch ein paar mehr.

Als wir an dem Pärchen - übrigens ein Lehrerehepaar - wieder vorbeifahren, halten sie uns an und laden uns auf einen Kaffee in ihr Ferienhaus ein, denn sie fühlen sich ein wenig verantwortlich für unsere "verfahrene" Situation. Im malerischen Ferienhaus, am Moorsee gelegen, erfahren wir, daß die Gegend Skalerud heißt und weit und breit keine Verbindung - nicht mal ein Elchpfad - zur E16 bekannt ist. Sie können auch nicht verstehen, wie wir auf die Idee kommen konnten, so einen Weg zu fahren, denn ein Weg in der Karte heißt weder, daß er wirklich vorhanden ist, noch daß man ihn benutzen kann.

Mit etwas enttäuschter Stimmung verabschieden wir uns, um den gesamten Weg zurückzufahren zur E16 in Richtung Nes. Auf der Rückfahrt reift der Entschluß, "künftig nicht mehr ohne GPS".

Der E16 folgend finden wir direkt am nordöstlichen Teil des Sees Sperillen einen recht leeren Campingplatz. Das ist zwar keine Wildnis, aber dafür umschwirren uns Wolken netter Mücken, die wir jedoch (dank unserem Moskitonetz) aus der Wohnkabine raushalten können.

Am See Sperillen ...

Es dauert auch nicht lange und ein deutscher Bus-Camper stellt sich neben uns. Nach dem üblichen Zeremoniell (wo kommt ihr her, wo fahrt ihr hin, wir waren am Nordkap, ...) wird unser Pickup begutachtet und kommentiert: "Ja, ja die Blattfedern". Länge, Höhe und Breite werden erfragt und unseren Angaben nicht geglaubt. So groß kann der doch nicht sein! Ausgestattet mit Zollstock springen die Bus-Camper um den Pickup und nehmen alle Maße auf. Erstaunen über das Ergebnis: Er IST so groß.

Der Abend ist wunderschön und wir spazieren nach einem ausgiebigen Abendessen zum See, wo wir Bootfahrern bei ihrem aufwendigen Landungs- und Verlademanöver beobachten - ein Schlauchboot ist nichts dagegen!


© Text/Bilder 1996, 1997 J. de Haas