Qom, Damavand und das Kaspische Meer: 19.04. - 24.04.15

Die Millionenstadt Qom gilt nach Mashad als die zweitheiligste Stadt der Schiiten. Hier befindet sich die Grabmoschee von Fatima und Qom gilt wegen seiner zahlreichen theologischen Hochschulen auch als das geistige Zentrum der schiitischen Glaubensgemeinschaft im Iran. Man spricht hier von mehr als 60.000 Studierenden und dies zeigt sich auch im Stadtbild. Es sind sehr viele Geistliche zu sehen; so gut wie alle Frauen tragen hier den schwarzen Tschador. Obwohl Sonja bei 30°C einen weiten schwarzen Mantel trägt, wird sie doch immer wieder kritisch gemustert ...

In der zweitheiligsten Stadt der Schiiten ... Im Stadtbild viele Geistliche ...

Wir haben die Gelegenheit, das zweitwichtigste Heiligtum zu besuchen und werden dabei von einem Geistlichen begleitet. Er erläutert uns ausführlich die Grundzüge des Islam und stellt sich unseren Fragen. Es ist eine ganz andere Gedankenwelt und zugleich ein Regelwerk, welches uns fremd ist. Er äußert sich auch kritisch zu anderen islamischen Ländern wie Pakistan oder Saudi-Arabien, die den Islam nicht so umsetzen wie der Iran. Wir können uns vorstellen, dass viele Iraner nach seinen Werten leben, wir haben aber auch Menschen kennengelernt, die diesen Vorstellungen kritisch gegenüber stehen.

Eine Feuerwehrstation in Qom füllt uns noch unseren Wassertank auf, gemeinsam trinken wir einen Tee; mit Hilfe einer Pinnwand und Zeichnungen führen wir etwas Konversation, da keiner der Feuerwehrleute Englisch kann.

Besuch bei der Feuerwehr von Qom ... Bauvorhaben und Unvollendetes ...

Ist der Iran im Aufbruch oder in der Stagnation?

Wir sehen oft beides: Bauvorhaben, die unvollendet sind oder Arbeiten, die offensichtlich bereits seit Jahren ruhen. Sei es eine riesige Hochbahnanlage in Qom oder immer wieder Stahlskelette geplanter Hochhäuser, die vor sich hin rosten. Ob dies Auswirkungen der Embargopolitik sind, wissen wir nicht.

Andererseits wird mit Hochdruck an einer Autobahn quer durch das Elburzgebirge gearbeitet. 80 km sind eine einzige Baustelle, der Maschinen- und Materialeinsatz ist unvorstellbar, um 2.700 Höhenmeter zu überwinden. Auch verfügen oft kleinere Ortschaften über repräsentative vierspurige Straßen mit gepflegtem Blumenschmuck, an denen sich dann aber einfache, oft unfertige Häuser mit Staub und Unrat aneinander reihen.

Ein nicht abreißender Handelsstrom mit LKW´s und ein ungezügelter Freizeitverkehr an den Wochenenden fordern die Infrastruktur; auch sind Luxusmarken wie BMW oder Mercedes, insbesondere im Großraum Teheran, keine Seltenheit mehr auf den Straßen ... 

Basislager mit Moschee ... Die schneebedeckten Flanken des Damavand ...

Über eine neue, noch auf keiner Straßenkarte verzeichneten Autobahn passieren wir Teheran südlich in Richtung Damavand. Bereits aus der Ferne sehen wir seine schneebedeckten Flanken und auf 2.600 m Höhe übernachten wir am Rande der Piste auf dem Weg zum Basislager. Wir haben freien Blick auf eine hohe Bergkette, allerdings stürmt es und wir müssen ohne unser Hubdach unten beengt schlafen.

Auf dem Weg zum Basislager (in 3.000 m Höhe) treffen wir kurz eine Gruppe Münchner, die den Damavand mit Skiern bestiegen haben. Das Lager selbst besteht aus einigen verschlossenen einfachen Steinbauten mit einer kleinen Moschee sowie den Hinterlassenschaften der letzten Saison. Wir wandern noch gut 500 m höher in Richtung der nächsten Hütte, die auf 4.200 m Höhe liegt ...

Endlich: Ein Streifen frischer grüner Vegetation ...Nur 70 km Luftlinie entfernt liegt das Kaspische Meer und auf einem 20-30 km breiten Streifen ist alles grün. Endlich einmal treten die Staubfarben der letzten Wochen in den Hintergrund und wir genießen die frische Vegetation. Hier regnet es bis auf den Sommer häufig und leider auch heute.

In den Sommermonaten scheint der Trubel hier grenzenlos zu sein: Hotels, Ferienanlagen und Geschäfte, die sämtliche westlichen Produkte im Angebot haben, reihen sich aneinander, dazwischen befindet sich oft Müll, Bauschutt und immer wieder Unvollendetes; der Kontrast ist gravierend.

Folgt man der Art und Anzahl der Geschäfte, muss doch eine erhebliche Kaufkraft vorhanden sein; Teheran ist nur zwei Autostunden entfernt, sofern die Passstraßen nicht verstopft sind. Die überall im Lande sichtbare Präsenz der Religionsführer weicht hier offensichtlich dem Kommerz und dem Werben um neue Kunden. Soll hier bewusst ein Ventil geschaffen werden oder wird mit etwas mehr Freiheit experimentiert ..?

Wir hingegen müssen uns um unser nächstes Nachtlager kümmern, der Strand lockt zwar, Regen und starker Wind sind aber unsere Erzfeinde und wir ziehen uns rasch wieder in ein geschütztes Tal des Elburz zurück.

Es ist Donnerstag gegen Mittag und das iranische Wochenende steht wieder vor der Tür: Der private Verkehr am Elburz von Teheran in Richtung Kaspisches Meer nimmt sprunghaft zu und in gleichem Maße auch die Furchtlosigkeit der Fahrer. Den Gegenverkehr beim Überholen zu beachten, scheint ein Zeichen von Schwäche zu sein, mit Licht im Tunnel zu fahren, wäre hingegen viel zu auffällig. Imbissbuden und Teestände rüsten sich für die anstehende Invasion der kommenden 36 Stunden. All dieses Treiben und die Impressionen, wir sammeln sie ein und nehmen sie mit nach Hause, Fotos können dies nur unvollständig einfangen ...

Staus auf 5-spurigen Autobahnen, die durch wenig attraktive Gebiete führen, gepaart mit aus dem Boden gestampften Trabantenstädten: Wir sind froh, den Großraum Teheran verlassen zu können. Unser nächstes Ziel ist das Alamut-Tal im Elburzgebirge ...


© 2015 Hans-Jörg Wiebe