Susatal / Westalpen (27.09. - 29.09.17)

Heute wollen wir weiter ins Susatal: Der Himmel ist sehr düster und zäher Hochnebel schiebt sich von der Poebene ins Aostatal. Wieder ist es mit 15°C sehr mild. Bis wir gemütlich gefrühstückt haben und alles zusammengepackt ist, wird es fast 10 Uhr. Der Routenplaner geht von 1,5 Stunden Fahrt aus und wir hoffen noch vor einer evtl. Mittagspause am Camping Gran Bosco anzukommen. Die Fahrt verläuft relativ ruhig und nur um Turin herum gibt es etwas mehr Verkehr. Erstaunt sind wir aber darüber, dass die Autobahngebühren für das Susatal exorbitant hoch sind: Von Turin bis zur Ausfahrt Oulx haben wir fast 20 Euro zu bezahlen ...

Der Campingplatz ist gleich gefunden und wir werden auf einen Stellplatz eingewiesen. Das Abstellen des Autos auf dem gegenüberliegenden Parkplatz ist obligatorisch und unsere Nachbarn, zwei Pforzheimer Motocrosser, beäugen uns kritisch. Überhaupt scheinen wir fast die einzigen 4x4er auf dem Platz zu sein.

Nach einer Brotzeit lüftet sich der Hochnebel teilweise und ich will unbedingt noch eine Denzeltour fahren: Die Wahl fällt auf den Colle Sommelier, da hier nicht von ausgesetzten engen Stellen berichtet wird und die fahrerischen Herausforderungen eher in der Länge und der Höhe als in der Straßenbeschaffenheit liegen sollen.

Der Einstieg über Bardonecchia ist schnell gefunden und wir gewinnen rasch an Höhe. Noch vor dem Stausee Rochemolles beginnt die Schotterpiste, die anfangs sehr staubig ist ...

Wir gewinnen rasch an Höhe ... Verbotstafel, die Rätsel aufgibt ... Stausee Rochemolles

Weiter hinten im Tal wird der Belag feuchter und die Sonne spärlicher. Allerdings zeigen sich jetzt die Berge links und rechts ohne Wolkenschleier und der Stausee liegt sogar in der Sonne. Für uns geht es weiter bergauf: Nach einigen Kehren mit starken Auswaschungen gelangen wir auf das nächste Plateau. Vor uns liegt das Rifugio Scarliotti an einem malerischen kleinen See. Rechts geht die Straße weiter und eine Art Mauthäuschen steht gegenüber einer Verbotstafel, die uns einige Rätsel aufgibt.

Da wir seit einigen Kilometern keine Menschenseele mehr gesehen haben, studieren wir die Tafel eingehend und lesen im Denzel nach: Ganz oben steht, dass die Offroadstrecke zum Colle Sommelier gesperrt ist und zwar mit Angabe des Landesgesetzes, was in Italien eigentlich ein striktes Fahrverbot darstellt. Sollte bereits hier das Ende unserer Fahrt sein? Allerdings gibt darunter eine mehrsprachige Tafel darüber Auskunft, dass die Offroadstrecke befahren werden darf und zwar so lange kein Schnee liegt bis Ende Oktober.

Was nun? Wir rätseln hin und her und ich beschließe, dass wir der zweiten Tafel Glauben schenken und weiterfahren dürfen, da ja auch kein Schnee liegt. Prompt kommt uns mitten im ersten Serpentinenblock ein Disco III mit einem Schweizer Pärchen entgegen, die ganz freudig den Daumen nach oben recken, als sie uns passieren. Also alles ok, denke ich und wir fahren weiter.

Nach einigen Kilometern mit sehr grobem Geröll kommt die Einsicht, dass der Endpunkt auf 3.000 Metern doch noch weiter entfernt ist, als wir zuvor gedacht haben. Meine Beifahrerin macht sogar den Vorschlag, umzudrehen! Was wir weiter oben sehen, wirkt in der Tat alles andere als einladend. Der Fahrer (das bin ich … ) beschließt jedoch weiter zu fahren. Schließlich fehlen nach einem Blick auf unsere Wanderkarte nur noch 200 Höhenmeter bis zum Ende.

Beeindruckender Serpentinenblock ... Über Geröll ... Alles ok?
Weiter über groben Schotter ... Nur noch 200 Höhenmeter ... "Parkplatz" am Colle Sommelier ...

Die werden jedoch echt anstrengend: Jede Menge gröbster Schotter und viele spitze Felsbrocken machen die folgenden zwei Kilometer zu einer regelrechten Tortur. Wir peilen zu zweit und versuchen die reifenschonendste Linie zu fahren. Eine kleine Ewigkeit später rollen wir endlich auf den "Parkplatz" am Colle Sommelier ...

Die Landschaft ist beeindruckend und die bedrohlich wirkenden Wolkenfetzen verstärken die schroffen Felsformationen um uns herum. Die Gletscherreste bieten jedoch ein eher trauriges Bild und bei 7°C sowie eisigem Wind ist es alles andere als gemütlich. Aber wir stehen ja schließlich Ende September auf 3.000 Meter Höhe!

Leider haben einige Offroad-Ferkel die sauber aufgestellten Sperrbalken teilweise eingerissen, um bis zum kleinen See zu fahren. Überall sind Fahrspuren zu sehen und wir schütteln beide den Kopf über so viel Dummheit. Solches Verhalten wird ganz sicher in ein paar Jahren zu weiteren großräumigen Fahrverboten führen. Wir machen einige Fotos und sehen wie von Süden dunkle Wolken den Berg herauf drängen.

Bald machen wir uns an den "Abstieg": 2,5 Stunden haben wir bergauf benötigt und wir können davon ausgehen, dass es bergab auch nicht viel weniger sein werden. Bergab kämpfe ich mit den richtigen Gängen und die Schaltpaddel am Lenkrad sind bei schnellen Richtungswechseln eher hinderlich. Erstaunlicherweise müssen wir bergab einige Male reversieren, wo wir bergauf in einem Zug um die Kehren fahren konnten. Mit ein paar Fotostopps und Murmeltier-Fotojagden arbeiten wir uns talwärts ...

Bergab in einem Zug um alle Kehren ..? Talwärts ...

Lächelt er über dilettantisches Röhren ..?

Nachdem wir die erste Talstufe erreicht haben, fahren wir wesentlich entspannter bergab. Wie schon bei der Auffahrt sehen wir Jäger bei der Beobachtung von brünftigen Hirschen am Straßenrand stehen. Wir halten auch kurz an und hören - nichts. Also fahren wir weiter und tatsächlich, auf Höhe des Stausees, läuft uns ein kapitaler Hirsch vors Auto. Ich halte sofort an und lasse die Scheibe herunter, um noch ein Foto zu erwischen. Leider zeigt er mir nur sein Hinterteil und ich versuche mich als Tierstimmen-Imitator. Nach meinem dilettantischen Röhren dreht sich der Zehnender tatsächlich nochmal um und lächelt in die Kamera ...

Erschöpfter Rennradler am Pass ...Danke ?! Am Stausee vorbei erreichen wir wieder die Asphaltstraße und fahren zurück zum Camping. Gute 4 Stunden hat unser Ausflug gedauert und ich bin richtig alle. Die Kurbelei am Lenkrad war anstrengender als gedacht und ich freue mich auf das Abendessen. Wir kochen Kokoscurry mit Huhn und hauen uns bald in die Kojen ...

Vielleicht hätte ich die Fahrt auf den Sommelier nicht mit einer halben Flasche Wein und zwei Grappe feiern sollen, denn ich habe einen ziemlichen Brummschädel beim Aufwachen. Aber die Duschen sind echt gut hier auf dem Platz und es gibt Warmwasser satt, so dass meine Lebensgeister schnell zurückkehren. Nach einem ausgiebigen Frühstück beschließen wir, der Empfehlung unserer Freunde von F&F Expedition zu folgen und den Colle Finestre sowie die Assietta Kammstraße zu fahren.

Das Wetter meint es gut mit uns und der Himmel reißt immer mehr auf. Am Ortseingang von Susa steht bereits das erste Hinweisschild zum Colle Finestre und es geht schon in der kleinen Ortschaft Meana di Susa mächtig bergauf. Nach der Ortschaft zeigt mein Navi den bereits auf der Karte entdeckten Bandwurm an: Ein einspuriges Teersträßchen windet sich in zahllosen Serpentinen steil nach Süden. Ausweichen ist hier kein Spaß und wir sind froh, an zwei Mountainbikern gerade so vorbei zu kommen.

Plötzlich steht ein Traktor vor uns und wir müssen abrupt anhalten. Als wir passieren können, sehen wir, dass kurz zuvor ein stattlicher Baum gefällt wurde und zwar mitten auf die Straße. Ein Glück, dass wir nicht eine halbe Stunde früher aufgestanden sind! Ein paar Kehren weiter das nächste Hindernis: Ein Bagger schaufelt einen kleinen Erdrutsch zur Seite und wir können nur ganz knapp vorbeifahren. Dann geht plötzlich der Asphalt in Schotter über und die Serpentinen werden weniger. Ein paar hundert Meter weiter steht ein Trupp Männer auf dem Weg und wartet bis wir vorbei sind. Klar, dass sie gewartet haben, denn sie wollten gerade eine große Kiefer direkt an der Böschung fällen. Ein paar Minuten später und wir hätten warten müssen, bis der Baum zerlegt ist. Heute scheint unser Glückstag zu sein?

Jetzt öffnet sich die Landschaft und gibt den Blick nach oben auf ein altes Fort frei. Die Schotterpiste ist gut zu fahren und wir sind beide dankbar, dass es nicht so ruppig zur Sache geht wie gestern am Colle Sommelier. Oben am Pass führt nach Süden ein asphaltiertes Sträßchen bergab, von dem ein paar Hundert Meter weiter die Assietta Kammstraße abzweigt. Die 36 Kilometer lange Schotterstrecke ist landschaftlich fantastisch und bietet wechselnde Ausblicke auf die nördlichen und südlichen Nachbarberge ...

Genug Hinweise ..? Wechselnde Ausblicke ... Wer war hier noch nicht?
Die dürfen auf keinen Fall fehlen ... 36 Kilometer lange Schotterstrecke ... ... und fantastische Landschaft

Es ist zwar etwas dunstig, aber wir können über mangelnde Fernsicht nicht klagen. Wir sind begeistert und halten immer wieder an, um die Landschaft zu genießen. Etwa nach einem Drittel der Fahrt legen wir an einem kleinen Rifugio eine Pause ein. Mangels attraktiver Brotzeitkarte machen wir uns aber zuerst über unsere mitgebrachten Fressalien her, um dann anschließend zwei Espressi beim kauzigen Hüttenwirt zu nehmen ...

Mit zahllosen Fotostopps und ein paar Stopps, um Motorradfahrer passieren zu lassen, rumpeln wir von einem schönen Ausblick zum nächsten. Auf dem letzten Stück heißt es dann nochmal Luft anhalten: Ein französischer Motorradfahrer kommt uns hinter einer Kurve viel zu schnell entgegen. Wir waren mit nicht mal mit 20 km/h unterwegs und stehen sofort, der Kradfahrer schafft es mit einer heftigen Vollbremsung gerade noch, eine Kollision zu vermeiden. Der dachte wohl, dass hier außer ihm niemand unterwegs ist ... Wie zuvor schon bemerkt, scheint heute unser Glückstag zu sein!

Am Colle Basset haben wir die gigantischen Skiliftanlagen von Sestriere erreicht und lassen den Blick über die Assietta schweifen ...

Am Colle Basset Die Skiliftanlagen von Sestriere ... ... und Blick über die Assietta
Alternativer Weg zurück ... Über den Lago Nero nach Sauze d`Oulx

Zurück nehmen wir den alternativen Weg über den Lago Nero nach Sauze d`Oulx. Hier rumpelt es wieder mächtig und wir haben teilweise tiefe Querrinnen zu durchfahren, die uns kräftig durchschütteln.

Ab dem Skiort Sauze geht es auf Teer hinab nach Oulx. Nach 6,5 Stunden Fahrt sind wir wieder am Platz. Lange nicht so gerädert wie gestern, aber durchaus mit intensiven Eindrücken vollgepackt. Abends wird es nochmal laut, da eine Gruppe Motocrosser aus dem Schwäbischen am Platz eintrifft. Nach großem Hallo und einem Willkommensbier verschwinden die Jungs aber rasch in ihren Behausungen, so dass gegen 24 Uhr einigermaßen Ruhe einkehrt. Allerdings ist wie in den letzten Nächten der Lärm von Autobahn, Zugstrecke und einer Autobahnbaustelle nahe dem Camping deutlich zu hören. Wenn es mal ruhig ist, röhrt der brünftige Hirsch von der gegenüberliegenden Talseite dermaßen aufdringlich, dass man unweigerlich seinen Schlaf unterbricht ...


© 2018 Matthias Bernhard