Silvester in Reykjavik

Das Land ist auch im Winter atemberaubend: Vor allem wegen dieses unvorstellbaren Lichts! Damit hatte ich nicht gerechnet. Es gibt zwar nur vier Stunden Tageslicht um diese Jahreszeit, aber wenn der Himmel nicht bedeckt ist und die Sonne scheint, gibt es einen permanent niedrigen Sonnenstand mit völlig außergewöhnlichem Fotolicht. Von unseren Bildern wurden die meisten nur mit einfachen Smartphones gemacht, wir sind ja keine Profis, aber dieses umwerfende Licht sorgte für viel beeindruckendere Aufnahmen, als sie die einfachen Kameras in der Regel hergeben.

Man merkte jedoch sehr deutlich, dass all die vielen Touristen sich nicht so gut verteilen können wie im Sommer: Alles ist auf dem "Golden Circle" Islands unterwegs und man kann dem kaum entfliehen. Dazu ist über Silvester Hochsaison, wovon ich ebenfalls keine Ahnung hatte. Mein isländischer Kumpel sagte, dass über Neujahr in Reykjavik nur 0,8% der Zimmerkapazitäten frei wären  - das Land platzte aus allen Nähten. Und in der Tat: Der Golden Circle war rammelvoll mit Touristen. Ich gönne den Isländern sehr, dass sie die unsägliche, von skrupellosen Bankern gemachte Finanzkrise, wirtschaftlich auf diese Art überwinden konnten, aber der Urlaubswert der wunderschönen Insel sinkt für mich dadurch beträchtlich ...

Erik der Rote vor der Halgrimskirkja  Perlan Reykjavik Kuppelrestaurant im Perlan

Im Winter werde ich dort sicher nicht mehr hinfahren, denn man kann nur sehr schlecht ins Hochland oder in die Westfjorde flüchten. Es war einfach zu viel. Eine Reise mit Übernachtungen will geplant sein, denn einfach so unterwegs am Abend ein Zimmer zu finden ist schwierig. Da kann man echt froh sein, wenn man privat bei Freunden untergebracht ist. Es ergab sich also, dass ich vorab bereits im Herbst erst einmal meine Freunde kontaktierte. Dann wurde ich glatt zum siebten Geburtstag ihres Sohnes eingeladen und das zu Silvester. Und wenn man aus der Schweiz kommt, muss er (natürlich!) ein Victorinox Messer zum Geburtstag bekommen ...

Unser erster Eindruck war also, wie die Isländer Kindergeburtstag und Silvester feiern: Der Kindergeburtstag war quasi wie bei uns, vielleicht waren die vielen Kuchen und Torten nur etwas süßer. Aber Silvester war extrem abgedreht: Soviel Knallerei habe ich noch nirgendwo erlebt.

Mein Kumpel arbeitet übrigens bei superjeep.is, falls sich jemand das einmal ansehen will. Er meinte, die Isländer verschießen 350 Tonnen Schwarzpulver an Silvester. Ich habe keine Ahnung, wie das berechnet wurde, aber allein die Zahl ist schon beeindruckend, wenn man bedenkt, wie leicht so eine Rakete oder so eine Batterie ist. Geht man einmal von 200 Gramm pro "Effektschuss" aus, dann sind das bereits 1.750.000 Schuss … bei 330.000 Einwohnern. Und 200 Gramm Schwarzpulver pro Schuss sind sicher nicht wenig gerechnet ...

Es ging tagelang und ich war schwer beeindruckt: In der Silvesternacht selbst war nach einer Stunde Hauptgeballere bereits soviel Pulverdampf in der Luft, dass viele Feuerwerkseffekte gar nicht mehr richtig gesehen werden konnten. Eine unvorstellbare Knallerei. Egal ob es hell oder dunkel war, über Tage hinweg ging das immer wieder so. Es waren nur vier Stunden Tageslicht, aber auch das hielt die Isländer nicht vom Feuerwerk ab. Und Feuerwerk am Tag ist schräg … langsam fing ich an, ihm die 350 Tonnen zu glauben. Zum Hund meiner Freunde komme ich noch ...

Startende Rakete, Zufallstreffer mit dem Handy! Tumi in der Wanne ... Silvesterfeuer

Der Perlan über der Stadt Reykjavik erweist sich als sehr gemütlich zum Brunchen. Es ist ein Heißwasserspeicher, von dem aus ein großer Teil der Stadt mit Heizung und heißem Wasser versorgt wird. Sechs große Tanks werden von nahegelegenen Geothermalgebieten ständig mit heißem Wasser aufgefüllt. Auf diese Tanks ist ein wunderbares Kuppelrestaurant mit umlaufender Terrasse gebaut. Inzwischen reichen wohl fünf Tanks für die Versorgung, denn in einen wurde die Nachbildung des Inneren eines Gletschers mit den vielen genau datierten Asche-Schichten der verschiedenen Vulkanausbrüche gebaut. Brrrrr … echtes Eis …

Immer wieder gab es an vielen Plätzen auch nach dem 31.12. noch deutlich vernehmbar Feuerwerk: Nicht nur ab und zu ein Knaller, nein, FEUERWERK! Am Ortsrand von Kópavogur wurde ein riesiges Feuer aus hunderten Paletten angezündet und der ganze Stadtteil traf sich hier, um gemeinsam zu trinken, bevor die große Ballerei begann. Nein, eigentlich ballerten sie schon Tage vorher ...

Beim Land Rover Treffen im Norden Islands machten sie im Sommer noch Lagerfeuer mit papierenen Wachsscheiten aus dem Baumarkt. Es gibt ja kaum Holz, aber Paletten. Holz, sogar zum Zäune bauen, wird inzwischen natürlich gekauft, aber früher konnte nur Treibholz benutzt werden. Auch zum Hausbau nutzte man in der Vergangenheit nur gesammeltes Treibholz.

Wer Silvester hier verbringen will, muss hart im Nehmen sein und darf keinen ängstlichen Hund haben. Tumi, der Hund meiner Freunde, lag tagelang nur in der Badewanne und hat sich gefürchtet. Die Ballerei zum Jahreswechsel dauerte sage und schreibe eineinhalb Wochen lang ...


© 2019 Sigi Heider