Mo 01.09.03: Wettrennen gegen das Islandtief ...

Bereits früh am Morgen wird der Gedanke verworfen, hier in der fantastischen Umgebung des Raufarfells unseren Ruhetag zu verbringen: Über Nacht hat sich das Wetter auch hier verschlechtert, die Sichten sind nur noch minimal bei aufliegender Bewölkung. Ohne Sicht und und in voller Regenmontur könnte man sicher auch woanders bleiben!

Die Ringstraße 1 hat uns wieder, bei diesem Wetter erscheint es sinnvoll, direkt bis in den Westen zu fahren: Wir haben vor, nach vielen Jahren wieder einmal den Ort Selfoss zu besuchen und danach das Ferienhaus, das wir vor 10 Jahren am Alftavatn nördlich von Selfoss gemietet hatten - bei unserem "historischen" ersten Aufenthalt in Island, der bis heute unvergessen bleibt.

Island 2003 ...Wir erreichen Selfoss (Karte/12) bei Dauerregen, genau die richtigen Umstände, noch einmal die Stadt zu besuchen, die sich seit unserem letzten Aufenthalt hier im Jahr 1995 doch recht verändert hat. Zwar erkennen wir einen der Supermärkte wieder, in dem wir damals eingekauft hatten, jedoch die "City" verfügt mittlerweile über ein ganzes Einkaufszentrum, das wir uns anschauen. 

Der Supermarkt dort hat heute Morgen mit der Begründung geschlossen, man würde Inventur machen. Kunden, die gebückt unter dem halbhohen Absperrgitter hindurch kriechen, werden zurück geschickt. Der GAA des Einkaufscenters funktioniert nicht, wir erhalten die Auskunft, dass dies häufiger der Fall wäre und werden zur Islandsbank geschickt.

Dort gelingt es uns endlich, unsere Barbestände aufzufüllen, doch das Einkaufen müssen wir jetzt woanders erledigen. Unser Weg führt uns zu einem benachbarten Discounter - der hat zu unserem Erstaunen etliche Luxuslebensmittel und verfügt über einen gekühlten Bereich im Laden, durch den einige Einkäuferinnen ihre Kinderwagen schieben, während der Atem deutliche Wolken erzeugt. Einkäufe mit EC-Karte sind hierzulande unverändert noch nicht möglich.

Selfoss kann uns nicht halten: Wir wollen jetzt sofort weiter Richtung Alftavatn und danach sehen, wie denn das Wetter am Thingvellir/Thingvallavatn ist - die berühmte Allmännerschlucht hatten wir ebenfalls 1993 zum letzten Mal besucht.

Die Abfahrt zum Alftavatn finden wir sofort, der Weg vorbei am charakteristischen Ingolfsfjall scheint unverändert, die hier vom Steilhang herunter gestürzten Felsbrocken wirken nach wie vor wie für die Ewigkeit hin gestreut ...

Ohne zu zögern biegen wir von der Straße 36 ab, als wir die Stelle erreichen, wo es zu "unserem" Ferienhaus geht, das wir nach kurzem Suchen auch wieder finden (N64.03733° W020.96961°).

Stolzer Pajero-Fahrer am Alftavatn ... ... und wieder da, 10 Jahre später ...

Der Regen peitscht nahezu waagerecht vor die Scheiben, als wir vor der verlassenen Hütte parken: Hier ist niemand zur Zeit, offenbar hat die damals vermietende Familie dies nun zum eigenen Ferienhaus gemacht, denn hier wirkt alles nur noch privat. Wir erinnern uns an den Sommer 1993, wo an dieser Stelle bei bestem Wetter viele Isländer ihren Sommer zubrachten - eine Zeit, wo kaum jemand allzu lang im Büro anzutreffen ist. Wir erinnern uns an einen eingeschlossenen Schlüssel und eine wahre Odyssee zum Vermieter, bis ein Ersatzschlüssel aufgetrieben werden konnte. Natürlich besorgte den der Verursacher des kleinen Dramas, während der andere auf der Terrasse des Hauses bis zum Abend wartete und dabei staunte, wie langsam sich die Sonne in diesem Teil der Welt um diese Jahreszeit am Horizont weiter bewegt ...

Das Wetter erleichtert den raschen Abschied von dem Ort, den wir immer noch sehr ins Herz geschlossen haben nach all den Jahren. Es geht weiter zum Thingvellir-Nationalpark am Thingvallavatn. Wir fahren zum Informationszentrum am Campingplatz dieses wegen seiner historischen Bedeutung berühmten Ortes, an dem im Jahr 930 n.Chr. zum ersten Mal das isländische Parlament zusammentrat, ganz in der Nähe des kilometerlangen, sehenswerten Abbruchgrabens, zu dem auch die "Allmännerschlucht" gehört. 

Die Gegend hatten wir vor 10 Jahren ausgiebig erforscht, heute wird dafür wohl keine Gelegenheit sein, oder sind wir etwa wirklich inzwischen verweichlicht? Eine ganze Schar trauriger Touris sitzt im Infozentrum und starrt bei einer Tasse Kaffee in den strömenden Regen, der vor die Fenster platscht. Eine ganze Gruppe von Radfahrern scheint dabei zu sein, denn ihre Räder stehen in einer Schlange festgemacht vor dem Gebäude, das Wasser perlt von den gefüllten Kartenhaltern ab ...

Auch keine Umgebung heute zum Verweilen: Wie der ausgehängte Wetterbericht im Infozentrum zeigt, herrscht das Sauwetter nur im Süden und Südwesten, im Norden dagegen soll es freundlich sein. Also weiter!

Nach einer Piste geht es vorbei an Laugarvatn, den Musiklehrer von der Norröna und seinen klaustrophobischen Sohn werden wir heute nicht aufsuchen, die Einladung zum Kaffee muss wohl warten ...

Unser Entschluss steht nun fest: Wir wollen durchfahren bis zum Geysir, von wo aus wir morgen über die Hochlandpiste Kjölur wieder Richtung Norden aufbrechen werden. Angenehme Erinnerungen sind auch mit diesem Platz verbunden, den wir nun schon so oft besucht haben, unter anderem 1995 mit unserem Scamper.

Am Geysir jetzt ... ... und einst ...

Die vielen "Blubberer" rund um den berühmten Geysir und den Strokkur sind heutzutage weiträumig abgesperrt, man will offenbar niemanden mehr darin herum laufen haben. Als "Anlieger" machen wir dennoch einen Rundgang auf dem verlassenen Areal, über das heute ebenfalls eher waagerechter Regen peitscht. Wir stehen mit dem Explorer fast an der selben Stelle wie einst mit dem Scamper, nur der Strokkur und seine regelmäßigen Ausbrüche sind diesmal aufgrund des starken Winds aus der Gegenrichtung nicht mehr bis zum Camp zu hören.

Der Abend erlebt uns bei unverändert miserablen Wetter wieder im Explorer bei einem Glas vom eigentlich so hervorragenden "Cotes du Rhône" aus unserem Rotweinkeller. Und heute wird uns endlich klar, was all die Tage mit diesem Wein nicht stimmt: Es ist einfach Humbug, einen solchen Wein mitzunehmen auf eine Islandtour, wenn man in einer Umgebung drinnen wie draußen reist, die selten Temperaturen über 12°C-13°C aufweist: Bei diesen Temperaturen schmeckt einfach kein Rotwein, die Säure überwiegt vollständig und beeinträchtigt den Geschmack erheblich - warum hatte eigentlich daran vorher niemand gedacht? 

Wir sind uns schlagartig darüber im Klaren, dass wir wohl insgesamt dreimal Rotwein nach Island "importiert" haben: Das erste Mal, das letzte Mal, und nie mehr wieder ...

Di 02.09.03: Die Piste ruft ...

Der Suunto zeigt heute Morgen einen Luftdruckabfall von sage und schreibe 5 mbar an, was will man unter diesen Umständen nach dem Frühstück anderes erwarten als immer noch heftigsten Wind und ständige waagerechte Regenschauer?

Ein Bad im Hotspot des Hotels Geysir klappt diesmal trotzdem, die Gutscheine, die im Übernachtungspreis des Campingplatzes enthalten sind, nehmen wir allerdings wieder mit, da sie niemand sehen will ...

Der Kjölur, die Hochlandpiste F35, soll uns heute Richtung Norden bringen. Vorher gilt es noch einmal aufzutanken, Ersatzkanister eingeschlossen: Wir haben den aufwändigsten Tankvorgang an der Tankstelle von Geysir vor uns, den wir je in Island erlebt haben. Man muss Karten kaufen zu 1.000, 3.000 oder 5.000 Kronen, je nachdem, wie viel man tanken will. Für 80l kaufen wir je eine Karte zu 3.000 und zu 5.000 Kronen auf Kreditkarte, diese sind dann in einen Automaten einzulegen, am Automaten ist einzugeben, an welcher Zapfsäule man tanken will. Danach  Karte raus, Benzin zapfen, Karte wieder rein. Beim ersten Mal kommt noch eine Quittung, beim zweiten Mal dann schon nicht mehr. Mit dem Kommentar "Passiert schon mal" erhalten wir einen manuellen Beleg, die Karte wird zigfach durch den Leseautomat gezogen, wir haben einen Rest von 70 Kronen auf der Karte, mit dem wir nun nichts mehr machen können, der ganze Vorgang dauert gute 20 Minuten ...

Wir verlassen Geysir erleichtert und mit vollem Tank, so schnell werden wir hier ja nicht wieder vorbei kommen! Den berühmten Wasserfall Gullfoss, den wir ebenfalls sowohl im Sommer als auch schon im Winter besucht haben, lassen wir diesmal direkt rechts liegen, der Kjölur wartet!

Am Hvitárvatn einst ... ... und heute wieder zumindest in der Nähe ...

Wir hatten ihn gar nicht mehr so in Erinnerung: Manchmal erweist sich die F35 doch als recht unangenehme Piste, insbesondere im südlichen Teil. Und da hier ein Kilometer nach dem anderen abgespult wird, kann einem das Dauergerüttel nach Stunden schon einmal leicht auf die Nerven gehen - ist es da ehrenrührig zu gestehen, dass man ihn manchmal glatt hätte asphaltieren können?

Kjölur-Idyll ...Aber diese Anwandlungen legen sich zum Glück auch wieder und niemand würde ernsthaft diese westliche der beiden Hochlandpisten Islands auf voller Länge asphaltieren wollen - sowohl der Kjölur als auch der östliche Sprengisandur, den wir diesmal nicht befahren werden, gehören wohl zu Island wie die Gletscher und die Bigfoots ...

Den Seitenarm des Kjölurs zum Hvitárvatn benutzen wir diesmal nicht, der dahinter liegende Gletscher, an den wir 1995 bis zur Hütte noch näher heran gekommen waren, ist jedoch heute wie damals ein echter Blickfang.

Während der Fahrt biegt sich die Antenne aufgrund des heftigen Rückenwinds aus Südwest nach vorne - ein doch ungewohntes Phänomen! Während wir noch sinnieren über Wind, Wetter und Pistenverhältnisse, kommt uns ein Defender entgegen, der mindest mit 7-8 Leuten besetzt zu scheint - ein äußerst merkwürdiger Anblick! 

Nur wenige Minuten später wissen wir, warum: Quer über der Piste liegt ein umgestürztes Fahrzeugwrack bei dem noch einige Lampen brennen - die Fahrzeugbesatzung kam uns offensichtlich vor wenigen Minuten entgegen - ein weiteres Thema für unseren Schwerpunkt: "Driving on Icelandic Roads" ... 

Weiter nach Norden: Wir wollen den Kjölur sobald wie möglich verlassen, um ins  Kerlingarfjöll (Karte/13) abzubiegen - schön gelegen im Hochland südlich des Gletschers Hofsjoküll. Der Abweig vom Kjölur wirkt viel versprechend: Ein großes Willkommens-Schild zeigt, dass es nur 9 km und 15 Minuten zum Zentrum sind: 15 Minuten isländischer Autofahrer-Zeitreichnung auf isländischer Piste, der wir nun folgen.

Einladend: In 15 Minuten ist man da ..?? In den 15 Minuten enthalten: Spektakuläre Furten zum Kerlingarfjöll ...

Es geht zum "Kerlingarfjöll Mountain Park": Wie die Broschüre erzählt, zu einem der am besten gehüteten Geheimnisse Islands. 150 qkm von Bergen, Flüssen, vulkanischer Wüste und mehr - zwei Furten sind bis dorthin zu queren. Am Ziel warten ein Infozentrum, Campingplatz, Restaurant und einigen Hütten, die gemietet werden können.

Nach den isländischen 15 Minuten haben wir nicht einmal die Hälfte der Strecke zurückgelegt: Eine spektakuläre Furt neben einem Wasserfall mit recht üblen Gesteinsbrocken im Flussbett erfordert genaue Prüfung der Fahrtstrecke, auch die Piste dahinter erfordert ihre Zeit. Das Wetter hält, was es bisher versprach: Der Sturm wird immer stärker und waagerechter Regen ist wieder angesagt.

Als wir an der Anlage ankommen, sind wir offenbar die einzigen hier weit und breit: Selbstverständlich ist niemand auf dem Campingplatz und auch die Hütten scheinen unbewohnt (N64.6834° W019.30002°). So wie sich der Sturm inzwischen angelassen hat, würde es auf der tiefer liegenden Campingwiese mitten in der Wildnis an der Flussbiegung in einer Höhe von über 700 m äußerst ungemütlich werden - noch nie waren wir bisher auch bei Sturm ernsthaft in die Verlegenheit gekommen, eine "Closed Shop"-Übernachtung in Erwägung zu ziehen, also unser Hubdach geschlossen zu halten und die Betten anders und deutlich unbequemer zu bauen. 

Dies alles heute zum ersten Mal auszuprobieren, dazu haben wir hier und jetzt nicht die geringste Lust: Der Blick fällt auf die Hütten, die derartige Überlegungen erübrigen. Warum nicht einmal was anderes nach all den Jahren? 

Nothütte? So was ähnliches ... Hauptsache bürotauglich ...
The day after: Fotografieren draußen wieder möglich ... ... und lohnender Spaziergang in die Umgebung ...

Der Abend wird urgemütlich, aber nur innen drin: Der Explorer vor der Tür geparkt, die Hütte zur "Ersatzbasis" umfunktioniert, Küche und Bierkeller in voller Aktion. Draußen zwar noch 4°C, aber das Sturmtief verstärkt sich ständig, der Windchill mit inzwischen Minustemperaturen mehr als unangenehm. Erst der nächste Tag wird die Möglichkeit bieten, eine Wanderung in die malerische und urwüchsige Umgebung zu unternehmen und die nahen heißen Quellen zu besuchen.

Doch heute Abend geht draußen nichts mehr: Die Hütte bebt, der Inhalt der Gläser wackelt bei jeder Sturmböe. Eine hervorragende Idee, das mit dem Umzug! Doch wie würde es jetzt weitergehen? Und: Wie rachsüchtig sind Wettergötter ..?


© 2004 Text/Bilder J. de Haas