Irrungen und Wirrungen auf dem Weg nach Wardzia

Solche Blicke in die Vergangenheit der menschlichen Gesellschaft oder hier sogar der Gattung Mensch finde ich faszinierend und freue mich schon auf unser nächstes Ziel, Wardzia. Aber wie weit und beschwerlich der Weg dorthin ist, wissen wir zu dem Zeitpunkt noch nicht. Wir folgen vertrauensselig dem Verlauf der gelben Straße und denken uns nicht viel, als diese immer ländlicher, matschiger und ausgewaschener wird. Wir fahren doch Bremach und da kommen wir schon durch.

 Irgendwann in einem kleinen Dorf treffen wir auf Menschen und Hans stellt eine bescheidene Frage nach dem weiteren Verlauf der Straße. "Nein, da geht es wirklich nicht weiter, ihr müsst umdrehen und einer Straße am gegenüberliegenden Höhenzug folgen." Soviel war der eindeutigen Gestensprache zu entnehmen und gut, wir wollen ja irgendwann auch ankommen. Drehen wir also um und lassen den Film der letzten Stunde rückwärts laufen ...

Aber der RKH-Karte glauben wir von nun an nicht mehr. Und OSM auf Garmin schickt uns auch durch Dick und Dünn, bis der Weg erneut im Matsch endet und klar wird, dass wir die Straße auf der anderen Seite der Anhöhe nicht auf direktem Weg erreichen können. Ein Bremach ist eben doch kein Esel ...

Es geht zurück ... Endstation für 4 Räder, Beine sind gefragt!

Und auch hier zeigt sich ein Einheimischer besser informiert als die Karte, seinen Beschreibungen folgend kommen wir problemlos weiter bis kurz vor Tsalka. Die letzten Kilometer geht es aus einem Tal eine breite, fein gekieste Serpentinenstraße hoch, die man richtig raufbrettern kann. Oben angekommen, hören wir über Funk einen Hilferuf von Hans, der 100 Meter hinter uns fährt: "Ich glaube, ich habe einen Platten". Nein, stimmt nicht, er hat nicht einen Platten - er hat zwei platte Reifen. Schnell stellen wir je einen Wagenheber unter die Achse am linken Vorder- und am rechten Hinterrad, um ein Absinken zu verhindern.

Martin und ich haben schon Routine im Reifenflicken mit den bekannten Reparatursets, hatten wir doch vor zwei Jahren in Polen schon ein ähnliches Missgeschick mit einem Nagel. Diesmal zeigt die Schadensanalyse aber eine andere Ursache: Der feine Kies auf der Serpentinenstraße wenige hundert Meter weiter zurück hat zu einem Eindrücken knapp 10 mm großer, scharfkantiger Steinchen in die Profillücken der Reifendecke und damit zu zwei Undichtigkeiten geführt.

Wohl nicht zufällig hat es die abgefahrensten Reifen mit dem geringsten Restprofil erwischt. Aber trotzdem ist es schon verwunderlich, dass kleine Steinchen überhaupt so etwas machen können. Darf man jetzt nicht mehr über Kies fahren? Nein, das nicht, man braucht nur etwas mehr Profil und weniger Pech ...

Pannenhilfe Gesichert gegen Absacken ...
Nachtplatz auf der Wiese, die Reparatur beginnt ... Das Rad geht nicht ab, Reparatur am Fahrzeug ...

Nach etwa einer Stunde bester Zusammenarbeit sind beide Reifen repariert und halten auch den Rest der Reise dicht. Wir setzen die Fahrt fort nach Tsalka und finden dort mit Unterstützung eines jungen Mannes noch eine Kneipe, in der wir nach dem Schrecken trotz später Stunde noch etwas zum Essen und Trinken bekommen. Hans lädt seine Retter großzügig zu einem mehrgängigen Menü ein mit Salat, viel Fleisch etc. und sogar Bier. Nach Erhalt der Rechnung stutzt er erst und meint dann, er könnte sich solche Pannen durchaus öfter leisten. Umgerechnet etwa 15 Euro zahlt er für uns drei zusammen ...

Als wir zurück zu den Fahrzeugen kommen, ist es diesmal an mir zu stutzen: Mein rechtes Hinterrad hat einen Platten. Den ersten Gedanken, ein Reifenstecher sei am Werk gewesen, verwerfen wir schnell und vermuten die gleiche Schadensursache wie bei Hans, nur mit einem kleineren Loch und langsamerem Luftaustritt, den wir erst jetzt bemerken.

Zum Glück habe ich fest eingebaute Druckluft und der Reifen ist schnell wieder aufgepumpt. Die Reparatur wird auf den nächsten Morgen verschoben und klappt wieder problemlos.

Aber ... nun finden wir noch einen undichten Reifen: Auch mein linkes Hinterrad leckt - jedoch minimal und das Loch ist nicht zu entdecken. Was bleibt uns übrig als Aufpumpen und weiterfahren? Es lohnt sich nicht, das Reserverad vom Dach zu holen und wir werden auf der Weiterfahrt etwa alle 200 km aufpumpen müssen. Egal, gehört irgendwie dazu und die Reifendecken sind sowieso fällig. Deshalb sollen sie ruhig weiter abgefahren werden. Irgendwann nervt das aber doch und man kann bei diesen alten Reifen auch einmal ein Experiment machen. Ich besorge in einer Tankstelle eine Sprühdose mit den bekannten chemischen Dichtmitteln und drücke genau nach Bedienungsanleitung die Masse ins Ventil. Ab diesem Moment hält der Reifen die Luft deutlich besser und man muss nur noch alle paar Tage nachpumpen. So eine Sprühdose kommt mir nun in die Ersatzteilekiste.

Nun aber los nach Wardzia, dem letzten und wichtigsten Waypoint vor der Heimreise. Die Strecke über eine Hochebene, ständig auf etwa 2.000 m, geht auf sehr guten Straßen und durch eine interessante Gegend an zwei Steppenseen vorbei und stellt eine hervorragende Verbindung von Tiflis nach Ninotsminda und weiter nach Wardzia dar. Gewarnt habe ich in den letzten Zeilen nur vor dem Umweg von Tsalka nach Dmanisi.

Die gesamte Anlage ist an einem Hang errichtet worden ... Durch einen Felsabbruch frei gewordene Eingänge
Komisches Gefühl im dunklen Höhlengang ... Alte Fresken aus dem 12. Jh. in der Klosterkapelle

Von Ninotsminda sind es nur noch 60 km bis zum Höhlenkloster, wo wir Monika und Herbert wiedersehen, unsere Iveco-Freunde vom ersten Treffen in Batumi. Die beiden Steiermärker haben ein kleines Motorproblem, wollten sich deshalb nicht den wilden Bremachs anschließen und haben ihre Georgienrundfahrt mit "Entschleunigung" durchgeführt. Für mich und meinen Hund wäre diese Reiseform desöfteren auch angemessener gewesen. Dann hätte man halt nicht so viel gesehen ...

Hier in Wardzia sehen wir viel: Früher konnten sich neben den bis zu 800 Mönchen fast 50.000 Personen aus der Umgebung in den 3.000 Sälen hier verstecken bzw. schützen. Nach einem Erdbeben im Jahre 1283 ist ein Teil der Felswand abgebrochen und hat alle heute sichtbaren und bis dato unterirdischen Höhlen und Gänge freigelegt. Die Anlage wurde dann von den Mönchen verlassen, heute sind nur noch wenige von ihnen vor Ort, mehr als touristische Requisiten und Bewacher der Kulturgüter denn als Eremiten.

Ausklang einer schönen Reise

Manfred und Anne sind mit ihrem weissen Trex eine knappe Woche vor uns hier gewesen und wurden zufällig Zeugen einer folkloristischen Veranstaltung. Ihre Bilder mit den bunten Tänzern darf ich hier aber einbauen. Sie erklären sich von selbst ...

Tanz vor dem Höhlenkloster ... Bunte Tänzer ... ... und Tänzerinnen ... ... und auch Kinder im Klettereinsatz ...

Von Wardzia geht es bequem weitere 60 Kilometer bis zur Stadt Akhaltsikhe und wir verlassen von dort über den Grenzübergang Vale das Land Georgien, fahren auf türkischer Seite über zwei hohe Pässe an Ardahan und Artvin vorbei zum Schwarzen Meer und treten, nicht ganz ohne weitere unvermeidliche Waypoints, eine lange Heimfahrt an.

Als Abschluss dieses Berichts will ich die letzten Eindrücke unserer Mitreisenden Peter und Anja vom Land Georgien bringen: Sie fanden mitten in der Stadt Batumi einen Stellplatz neben einer Baustelle und mit freiem Blick auf die Innenstadt. Es ist bezeichnend für Georgien, dass man nahezu überall, wo man einen interessanten Platz findet, über Nacht und unbehelligt stehen kann. Ihr Spaziergang durch Batumi und besonders ihre Aufnahmen vom nächtlich beleuchteten Stadtzentrum schließen die Bilderserie harmonisch ab ...

Batumi ... Weitblick am Meer ...
Batumi bei Nacht ... Beeindruckende Skyline ... ... und lebendige Innenstadt

Ein kurzes Fazit über die Reise und das Land: Trotz der sieben Personen hat sich die Gruppe gut verstanden. Ein bisschen necken und provozieren gehört ja dazu und hat auch nicht gefehlt. Besonders die drei Männer, die ihre Frauen zu Hause gut aufgehoben wussten, haben ihre Freiheiten genossen, durften länger schlafen, rauchen, trinken und mussten sich nicht dauernd waschen. Das darf auch einmal sein, oder? Übrigens: Georgierinnen sollen ja zu den schönsten Frauen der Welt gehören. Wir haben trotzdem keine mit nach Hause genommen. Soviel als Lobgesang auf unsere eigenen Gattinnen ...

Doch so schön und interessant es auch war, ich würde meine nächste Reise nach Georgien anders gestalten: Alleine mit dem Flieger die weite Distanz überbrücken, mit Mietauto oder Minibus die relativ kurzen Strecken zu den Klöstern oder in die Berge überwinden und in Pensionen übernachten. Und vor allem den Hund zu Hause lassen. Das stelle ich mir deutlich entspannter vor. Und mit den etwas verschlossenen Menschen dort würde man auf diese Weise vermutlich auch leichter in Kontakt kommen.

Bei der Vorstellung an eine nächste Türkeireise kommen mir solche Gedanken überhaupt nicht in den Sinn: Dies sagt, glaube ich, viel über die Unterschiede der beiden Länder, ohne jede Wertung ...


© 2014 Sepp Reithmeier


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