Die Planung

Wie gesagt, auch wenn wir für das ganz große Wüstenabenteuer nicht über das adäquate Gefährt verfügen (4x4, Bodenfreiheit von 25 cm an aufwärts und Powerdiesel nicht unter 150 PS sollten es eigentlich schon sein), so waren wir doch mit vier Sandblechen, zwei Reservereifen, Bergegurt und Luftpumpe für eventuelle Weichsandpassagen gerüstet. Auch unter dem Aspekt, sich mit zwei quengelnden Kiddies nicht ständig dem Stress des Freischaufelns aussetzen zu wollen, erschien uns das Equipment für das eine oder andere Offroad-Erlebnis ausreichend zu sein, und nach diesen Vorgaben planten wir die Route.

Noch mal deutlich: Wir sind keine abgedrehten Freaks mit selbstgedengelter Karosse und der jugendlichen Unbekümmertheit frisch gebackener Abiturienten, sondern sonnenhungrige Normalos im mittelprächtigen Alter mit zweieinhalb-jährigen Zwillingen mit normalem VW-Bus mit normaler fahrzeugtechnischer Unkenntnis, die ihre Vorliebe für Urlaub abseits von Pauschaltouristenpfaden, -gewohnheiten und -peinlichkeiten trotz des Vorhandenseins zweier Quälgeister beibehalten wollen.

Und wenn man bereit ist auf opulente Platzverhältnisse und diversen Luxus zu verzichten, lässt sich die beschriebene Reise - auch in dieser personellen Konstellation - durchaus empfehlen, vorausgesetzt man verfügt über bestimmte elementare Grundkenntnisse und Erfahrungen, die man sich idealerweise vor der Gründung einer Familie zugelegt haben sollte:

  • Unter Umwelt- und Sicherheitsaspekten durchgeführtes Wildcampen, 
  • Das Benutzen einer Roll on - Roll off Fähre mit dem üblichen Einpark-Ritual, 
  • Das Laufzettel-Prozedere beim Grenzübertritt nach Afrika unter permanentem Ablehnen der Dienste unzähliger Helfer, 
  • Etwas Ahnung davon, was das eigene Auto kann und - wichtiger - was es nicht kann, 
  • Orientierungsgefühl, am besten Rom- oder Paris-geprüft, 
  • Einfühlungsvermögen und Neugier auf die Menschen des Landes, weil man ständig unter ihnen ist und sich nicht verstecken kann und will, 
  • Zumindest rudimentäre Fremdsprachenkenntnisse. 

Mit alldem erstmals konfrontiert, während penetrantes Geheule von "hinten" nervt, der frische Spuckbeutel auskippt und die triefenden Schokoladenfinger im Polster abgewischt werden, ohne dass man eingreifen könnte - das führt zu keinem befriedigenden Urlaubserlebnis!

Die Wahnsinnigen und ihr Vehikel

Stichwort Gepäck: Uns, den Eltern, reicht eine Sporttasche. Aber Windelpupser sind da anspruchsvoller: Kindersitze, Tragegestell, Buggy, Sportkarre, Reisebett, Windelpakete plus Klamotten ohne Ende: Buss voll! Denkste, Kinder haben ständig Hunger und Durst, also: Batterie Milch, Breie, Säfte etc. Diverse Paletten Dosenbier komplettieren den Vorratsberg, der quasi alles beinhaltet, was in Afrika selten und/oder teuer ist. Aber es passt, wenn man die Packregeln beachtet = schwer nach unten/Mitte (dabei Bier schnell erreichbar!), Klamotten oben (dabei Papiertücher sehr schnell erreichbar!), Windelpakete und Zewarollen und leichten Campingkram hinten auf den Heckträger (wasserdichter Gepäcksack). Auf diesem Alugestell sind noch ein Reserverad und die Bleche verzurrt (damit hart an der Belastungsgrenze für Träger und Heckklappe).

Sich verrückt zu machen angesichts dieser Massen im Vorfeld lohnt nicht: Fehler beim Verstauen treten nach ein, zwei Übernachtungen sowieso zutage (spätestens dann ist man bis an die Hüften verkeilt mit lose umher fliegenden Zeug). Das ist die Chance, die Packlogistik zu überarbeiten, und am Ende des Urlaubs sitzt dann jeder Handgriff. Erfahrung: Spielsachen sind nicht nötig, da sich Kinder ihr Spielzeug selber suchen = Sand, Wasser, Holz, Steine etc. ...

Die Überfahrt

Von Deutschland am vernünftigsten ab Genua: Für das Rückfahrticket wird man zwischen 800,- und 1000,- Euro los (4er Kabine plus Camper), genießt dafür aber fast den Luxus eines Kreuzfahrtschiffes (C/F Carthage). Rechtzeitige Buchung ist dringend anzuraten, wenn man mit zwei Kindern einigermaßen menschlich untergebracht werden will (auf der C/F Habib z.B. gibt es nicht abschließbare Kabinen, die nur durch Trennwände geteilt sind. Wie in einer Umkleidekabine der Badeanstalt hört man ungefiltert die natürlichsten Geräusche des Nebenbewohners ..! ).

Dabei im Hinterkopf behalten, dass es dank höherer Gewalt immer noch anders kommen kann: Und Verspätungen wie in unserem Fall sind noch die harmlose Variante ... sechs Stunden zusätzlich also, die wir nutzen, um mal das technische Gerät zu inspizieren, das da nach Afrika rübermachen will.

Lustig auf der Mole in Genua: Hartgesottene Wüstenfahrer, allesamt ausgerüstet für die klassische Saharadurchquerung mit einem Fahrzeugtross, um die dritte Welt retten zu können, lachen sich angesichts unserer Magerausstattung kaputt. Und wir fanden unsere Bleche schon so toll. Da muss man durch!

22 Stunden bis Tunis vergehen ratzfatz, sofern sich das Wetter gnädig zeigt. Während der Überfahrt Ausfüllen der "Fiches" an Bord. Grenzformalitäten im Hafen La Goulette, Ein/Auscheckprozedere und die Abfertigungsgebäude selbst ändern sich jedes Jahr, daher keine allgemeingültige Empfehlung, es sei denn die, darauf zu achten, was die Nachbarspuren bzw. die Vorderleute machen; es sind immer ein paar dabei, die sich besser auskennen als man selbst ...

Kontrollen auf jeden Fall bei der Polizei, beim Zoll und zum Fahrzeugeintrag (u. U. auch in Eigeninitiative) durchlaufen, sonst ist beim "Zerberus" an der Schiffsrampe Endstation. Dabei auf festen Schritt achten, zielstrebig durch die Autos eilen und den stahlharten Blick geradeaus nicht vergessen - die beste Abwehr gegen Helfer jeder Art. Auch wenn deren Tun mit Blick auf den schnellen Euro nachvollziehbar ist - aber man braucht sie nicht, wenn man des Lesen und Schreibens mächtig ist.

Abhängig von der Tages-/Nachtzeit und dem damit verbundenen Chaos im Hafen sind da auch noch die Jungs von der "Durchstöber- und Abklopfabteilung". Auch hier die Erfahrung: Je normaler, je gepflegter und je urlaubsmäßiger der Reisende wirkt, um so geringer ist die Aussicht auf Filze oder gar Demontage des Fahrzeugs. Zwei kleine Hosenscheißer wirken zudem wie ein Passierschein! So richtig zum Tragen kommt dieses Dilemma aber erst bei der Ausreise, und da würde ich es langhaarig, mit Jesuslatschen, klapprigem Renault und dem letzten Rauch in der Lunge nicht bis vor den Zoll wagen ... .

Die Route: Der Süden lockt ...

Ist die Ankunft spätnachmittags bis nachts, eignet sich die Jugendherberge in Nabeul zum ersten Stop: Rund um die Uhr geöffnetes Wiesengelände mit Stromanschlüssen, durchs Mäuerchen vom Strand getrennt. Sehr nette Herbergsfamilie, leckeres Essen - eine wunderbare erste afrikanische Begegnung. Übrigens ist Nabeul als Töpferstadt auf dem Rückweg optimal zum Autovollladen, das Angebot lässt sich längs der Durchgangsstraße während des Vorbeifahrens begutachten. Ansonsten sehr touristisch, also weiter.

Und zwar auf der Autobahn nach Süden, ein relativ günstiges Vergnügen, welches das Benutzen parallel laufender Landstraßen nicht rechtfertigen würde. Zumal man auf der Autobahn einigermaßen sicher vor plötzlich abbiegenden Fuhrwerken und Ähnlichem flott und ohne Stress vorwärts kommt.

Bei M´Saken geht´s über kleine Landsträßchen und Dörfer Richtung Küste nach Mahdia: Sehr hübsch auf´s Felsenkap gebaute Altstadt mit grellweißen Fassaden. Am windumtosten Landende Riesenfriedhof, idyllisch mit weidenden Schafen und "freier Sicht auf Palästina". Am Schotterrundweg einige Stellplätze für Camper. Tipp zum Verweilen: Der Place de Caire in der Medina, klein und schnuckelig, von ein paar Cafes mit ihren Stühlen beschlagnahmt. Hier lässt es sich bei hervorragendem Cafe Turk oder Thé à la Menthe herrlich abhängen ..

Auf der küstennahen, gut ausgebauten Straße geht´s zügig voran bis kurz vor Chebba: Einige Stichwege führen zum Strand, hier Spitzenstellplätze direkt am Wasser. Ab und zu ein Fischer mit knatterndem Moped, ein freundliches Kopfnicken, sonst paradiesische Einsamkeit. Sanft-welliger Dünengürtel unter stahlblauem Himmel, glasklares, leicht gekräuseltes Meer und Tagestemperaturen von etwa 18°C ... wir bleiben einen Tag und zwei Nächte.

Weiter nach Sfax: Besuch der Medina innerhalb mächtiger, nahezu erhaltener Wehrmauer, Parkplatzsuche ringsum nicht leicht und kostenpflichtig. Durch eines der Stadttore in´s Gewühl, und in den absolut tourifreien Gassen fallen wir mit unseren Buggies und dem blonden Sohnemann auf wie bunte Hunde. Aber in dieser Authentizität auch kein Nepp oder Anmache wie in Mahdia. Kein Verlaufen möglich, zwei parallele Hauptgassen mit Verzweigungen links und rechts, viel orientalisches Markttreiben und Handwerkskunst mit dem typischen Geruch und Stimmengewirr eines Souks. Tunesischer Alltag, komprimiert auf die Ausmaße des Mauerwerks, sehr eindrucksvoll und überhaupt nicht gekünstelt. Keine Angst sich zu verlaufen, keine Angst vollgequatscht zu werden, keine Angst um die Kiddies. Nur teils scheue, teils neugierige Blicke, die uns klarmachen: Wir sind hier die Ausländer, die bestaunt werden dürfen. Ein warmes Gefühl durchströmt uns, das uns sagen will: Ja, Ihr steht noch auf Gottes bunter Erde, ihr Menschen unter anderen Menschen!

Auf der südlichen Ausfallstraße haben wir dann den "Bonprix" entdeckt, einen normal sortierten Supermarkt ohne Alkohol. Piepsende Scannerkassen erinnern daran, dass moderne Technik auch in Afrika Einzug hält. Seltsam, wieso denkt man als Europäer, dass sich hier das Leben von der Geburt bis zum Tod auf dem Eselsrücken abspielt ..?

Der Tag ist zu Ende, die Dämmerung dauert nur eine halbe Stunde, dann wird es rabenschwarz, leider kein Mond zu sehen. Dafür klappen wir unser 1-Million-Sterne-Hotel auf, dieses Mal am Bordj Younga direkt an der verlandeten Küste des Golfe du Gabes. Bis auf wenige schräg im Schlamm liegende Fischerkähne und der Festung mit ihrem durchschossenen Mauerwerk bieten sich keine weiteren optischen Reize. Wir nächtigen ungestört und nehmen am nächsten Tag Kurs auf Gabes ...

Endlich Palmen!

Ab dieser einzigen Meeresoase - Gabes - wird die Landschaft afrikanisch: Die bisherigen hektargroßen Olivenplantagen werden durch vereinzelt stehende Palmengruppen abgelöst, und der Boden nimmt einen zunehmend erodierten, sandigen Charakter an. 

Außer Schafen und Ziegen, entweder lebend oder im rosafarbenen Metzgerhäuschen abgezogen und mitsamt Eingeweiden blutig-baumelnd aufgehängt, keine weiteren Tiere. Wo bleiben die Dromedare?

Wir verlassen die Küstenlinie Richtung Medenine, es wird wärmer und unter dem knallblauen Himmel blüht am Straßenrand der Schmuggel mit wer weiß was! Beim Tankstopp (Diesel sehr günstig, es macht Spaß zu tanken) werden einem dicke Bündel libyscher Banknoten unter die Nase gehalten, und alle hundert Meter steht eine aufgetürmte Batterie Kanister mit orangefarbenem Inhalt - Sprit? Heizöl? Alk wohl kaum?! 

Die nahe libysche Grenze lässt grüßen, und man spürt, wie der Atem Europas schwächer wird ... eine andere Welt tut sich hier langsam auf.

Zeit zum Abbiegen. Wir wollen ins Dahar, nach Ksar EL Hallouf. Spektakulär dort ist die Speicherburg oben auf einem Felssporn mit Blick ringsum. Ein Teil der tonnenförmigen Ghorfas, in denen seinerzeit alles mögliche geschützt gelagert wurde, ist restauriert und fungiert als Restaurant, Wohnraum, Herberge und WC spartanischster Machart. Aber gerade diese Einfachheit der Dinge, diese Exponiertheit zwischen Himmel und Erde und die ungewohnte Geräuschkulisse eines betenden Muezzins mit vielfachem Echo zwischen den Felswänden - all das sind Zutaten, die uns wieder für banalste Empfindungen empfänglich machen, uns auf irgendeine Weise verzaubern und uns dem Pulsschlag eines fremden Kontinents lauschen lassen.

Wir bleiben für eine Nacht in dieser Wahnsinnsgegend, klappen unser Schlafdach in der Mitte der Ghorfaanlage auf, schlemmen abends Cous-Cous aux Légumes am Hocktisch und fühlen uns wie Luke Skywalker in Mos Eisley. Selbst das Klo wurde in eines dieser tonnenförmigen Gewölbe integriert, und unterhalb des kleinen Fensters tut sich der schwindelerregende Abgrund zum Tal hin auf. So also fühlt sich der Adler, wenn er pinkelt ..! 

Nachts stehen wir auf dem Innenhof und blicken in die Sternenkarte Nordafrikas: Das Bild der funkelnden Diamanten auf schwarzem Samt ist so gestochen scharf, das man ohne viel Fantasie die Umrisse der Sternbilder gleich mit sieht. Surrealistisch wie nach einer LSD-Droge. Neumond sei Dank, Frau Luna am Himmel hätte alles kaputtgemacht.

Das alles gab´s zu einem fairen Preis, vor allem wenn man die einfachen Möglichkeiten der Menschen hier und die weiten Wege bedenkt. Ein tolles Erlebnis - Afrika pur - sehr zu empfehlen.


© Text/Bilder 2006 Detlef Bauer