Erster Tag: Samstag, 10. Mai

Eine Woche später war es dann endlich soweit: Ich hatte aufmerksam den Wetterbericht verfolgt und als ich ein paar Tage ausmachte, in denen das Wetter etwas stabiler als bisher vorhergesagt wurde, gab ich mir selber grünes Licht! Ein schwedischer Freund brachte mich mitsamt meiner Ausrüstung an die Einsatzstelle, die ich aus schlechter Erfahrung heraus schon ein paar Tage vorher genau ausgekundschaftet hatte. Wir hatten verabredet, dass er mich auf Abruf abholen würde. Wo genau ich die Tour beenden würde, hatte ich noch offen gelassen.

Der Nittälven bei "Uvbergsbron" ...Die Einsatzstelle "Uvbergsbron" lag tief in den Wäldern verborgen. Gut 30 km ging es von der nächsten größeren Straße immer weiter hinein in fast völlig unbewohntes Gebiet. Dies ließ erahnen, was da für ein Schmuckstück von Fluss auf mich wartete. Der Schnee hatte dann doch nicht so viel Wasser gebracht, wie ich es mir gewünscht hätte: Der Wasserstand ließ die eine oder andere Treidel- bzw. Watstelle doch sehr wahrscheinlich werden und zumindest die zehn Schwallstrecken könnten Schwierigkeiten bereiten ...

Und nun das altbekannte Problem: Die Ausrüstung musste ins Boot! Auch wenn es nur für mich alleine war, eigentlich das selbe Bild wie immer: Ein großer Haufen Ausrüstung und alles war nötig ...

Da ich ja solo unterwegs war, hatte ich nicht mein Dickschiff mitgenommen, den großen "Yoho III". Stattdessen benutzte ich meinen über dreißig Jahre alten Aluminium Canadier, den ich vor zwei Jahren in Schweden in arg desolatem Zustand gekauft hatte. Den darauf folgenden Winter nutzte ich zur Restaurierung, heraus kam dabei ein passabler Zweier-Canadier, der sich aber auch gut solo paddeln ließ. Da ich ohne Persenning paddelte, war alles Gepäck wasserdicht verstaut. Auch wenn der Wetterbericht keinen Regen in Aussicht gestellt hatte: Sicher ist sicher!

Endlich auf dem Wasser! Es geht los ins Unbekannte ...Nun standen wir also an der Einsatzstelle: Es war 10:00 Uhr am Morgen und das Wetter hielt sich mal wieder nicht an die Vorhersage. Völlig diesig und zugezogen. Dazu gerade mal 4°C. Ich musste verrückt sein! Es half aber alles nichts, Auto entladen, Boot runter vom Dach. Ich schickte meinen Freund wieder los. Nicht dass ich es mir noch anders überlegte!

Doch kaum war er fort, riss langsam die Wolkendecke auf. Als ich endlich bereit zum Ablegen war, schien schon die Sonne von einem fast makellos blauen Himmel. Hah, sag einer was gegen meinen Wettergott!

Schon die erste kleine Schnelle, keine hundert Meter vom Start, war so flach - Muscheln setzt mein Boot jedenfalls keine an! Ein hässliches Ratschen und zwei, drei mal ruckeln, und ich war durch. Aber dann, als ich die erste Kehre von unzähligen noch folgenden nahm, verschlug es mir wirklich die Sprache: Was für eine Landschaft!

Im Flusslauf gab es reichlich kleine Untiefen und Flachstellen, gespickt mit vielen kleinen Steinen. Hier kräuselte sich das Wasser und brach tausendfach die einfallenden Sonnenstrahlen, und so zog ein funkelnd und glitzernder, ansonsten fast schwarz erscheinender Wasserlauf seine gewundene Bahn durch eine fantastische, absolut wilde Landschaft. Keine Frage, hier muss die Zeit vor ein paar hundert Jahren stehen geblieben sein ...

Die erste kleine Schwallstrecke ... ... und gleich die nächste voraus! ... und durch, ohne hängen zu bleiben ... :-))

Kiefernbestandene Sandufer im Wald wechselten mit offenen Gras- bzw. Schilf bewachsenen offenen Landschaftsabschnitten, wo vorwiegend Birken und Erlen wuchsen. Zumindest da, wo die Biber nicht eingegriffen hatten: Hier war eindeutig Biberland!

Wie Zahnstümpfe ragten überall die stehen gebliebenen Strünke aus dem trockenen, noch vorjährigen Gras. Und wie bleiche Knochen auf einem alten Schlachtfeld der Riesen lagen die unzähligen, völlig abgenagten Stämme und Äste kreuz und quer entlang des gesamten Uferbereichs und gaben der einsamen Landschaft einen leicht morbiden Hauch.

Überall am Ufer liegen die von Bibern gefällten Stämme ...Hier sah es wirklich aus, als hätte noch nie ein Mensch seinen Fuß in dieses Land gesetzt. Fast andächtig ließ ich mich durch dieses beeindruckende Panorama treiben.

Inzwischen waren einige Wolken aufgekommen. Im Vorbeiziehen vor der Sonne erzeugten sie ein reizvolles Spiel von Licht und Schatten. Ich bin nicht leicht zu beeindrucken, aber nun war ich wirklich begeistert: Es war so schön hier, es war schon beinahe schmerzhaft. Es lag eine fast unheimliche Ruhe über allem. Einige Vögel sangen zwar, aber wie in Skandinavien üblich, nicht in großer Zahl.

Die vielen Kehren und Schlingen und die schöne, gleichmäßige Strömung verführten zum Spielen mit dem Boot. Während ich so etwas verträumt durch die Kurven driftete, hörte ich plötzlich vor mir ein lautes Platschen. Als ich aufschaute, sah ich gerade noch das Hinterteil eines mächtigen Elches im Wald verschwinden: Er war patschnass und hatte wohl gerade den Fluss überquert. Mann, wo hatte ich nur wieder meine Augen?

Nach etwa zwei Stunden wunderschönem Dahingleiten kam ich an den ersten ausgewiesenen Rastplatz, "Dansarbacken". Eine sehr große Gras bestandene, aber etwas buckelige Fläche mit einigen Tümpeln auf einer Halbinsel, die durch eine fast 180 Grad Kehre des Flusses entstanden war. Es gab einen Windschutz, zwei Feuerstellen und einen kleinen uralten Heuschober, an dem nun Brennholz lagerte sowie zwei Trockentoiletten und eine Mülltonne. Der Legende nach war dieser Platz in früherer Zeit ein altes Räuberlager: Das schien mir glaubhaft, denn wie einsam muss es erst vor vielleicht 200 Jahren hier gewesen sein ..?

Die erste Pause ... Am Rastplatz "Dansarbacken" ...

Nun, einsam war es zur Zeit hier nicht, ich hatte doch tatsächlich Gesellschaft. Der Windschutz war von vier schwedischen Kanuten, wie sich bei der Begrüßung und ein paar gewechselten Worten herausstellte, schon in Beschlag genommen. Nun ja, Wochenende und schönes Wetter, da sind die Schweden nicht mehr zu halten!

Endlich kann ich mir meinen Tee kochen ... :-)) Ich machte es mir weit abseits vom Windschutz, direkt am Fluss in der Kehre gemütlich und wollte mir gerade einen Tee kochen, da kam sehr schnell heftiger Wind und dazu dunkle Wolken auf. Im Nu saß ich in einem typischen "eftermiddagsskur", einem in Schweden oft vorkommenden Nachmittagsschauer.

Die sind meistens nicht von langer Dauer, können aber ziemlich heftig sein. Ich vergaß sofort den Tee und baute rasch mein Tipi auf. Noch war es zu kalt, um sich so richtig nass regnen zu lassen. Damit war die Entscheidung, wo ich heute übernachten würde, gefallen und ich richtete mich erst einmal häuslich ein ...

Nach einer knappen Stunde war der Regen vorbei und es kam auch bald wieder die Sonne hervor. Im nun aber weiter wehenden, leichten Wind war bald alles wieder getrocknet. Ich machte mir endlich meinen Tee und da ich nun viel Zeit hatte, überlegte ich schon kurz darauf, was ich denn gleich kochen sollte.

Paddeln und das Räumen und Tun in freier Natur macht halt hungrig. So sammelte ich mir auch schon einen kleinen Holzvorrat zusammen, denn auch dieses Mal kam natürlich mein kleiner Holzkocher zum Einsatz, der "Luchsfeuer"-Ofen.

Ein traumhafter Lagerplatz!Gegen 17:00 Uhr machten sich die schwedischen Paddler wieder auf den Weg, und ich saß nun (endlich !) wirklich alleine dort. Es war wie ein Traum: Der Himmel inzwischen wieder wolkenlos und ich hatte einen Lagerplatz, der mir garantierte, dass ich die Sonne bis zum Untergang genießen konnte.

Flussuferläufer wuselten völlig arglos um mich herum, zwei Schnepfen zogen über der Halbinsel ihren Strich und die Rotdrosseln begannen mit ihrem Abendkonzert. Ich kann mich nicht erinnern, jemals an einer so schönen Stelle mein Zelt aufgeschlagen zu haben!

Nach all der Natur kam jetzt aber auch etwas Zivilisation zum Zuge: Ich bereitete mir eine große Portion Torteloni mit sizilianischer Nusssoße und dazu ein Glas Rosé. Selten habe ich mein Outdoor-Essen so genossen. Bis 22:30 Uhr blieb es dank des wolkenlosen Himmels noch recht hell und ich saß - gewärmt von meinem kleinen Ofen, die Temperatur lag inzwischen wieder kurz vor dem Gefrierpunkt - vor meinem Tipi und schrieb schon einige Bemerkungen zu diesem Bericht auf.

Einmal mehr begeisterte mich wieder mein kleiner Tastatur-PDA: Wer weiß, was mich morgen erwartet, und ich wollte doch nichts vergessen zu notieren ...

Die Outdoor Küche in voller Aktion ... Schnell aufschreiben bevor es vergessen wird: Trapperromantik meets Computerzeitalter ... ;-)

Als ich gegen 22:45 Uhr in meinem Tipi verschwand, begann gerade eine Bekassine ihren Balzflug mit dem typischen, schlecht zu beschreibenden, sehr seltsam klingenden, irgendwie wummernden Geräusch. Und nach einer Ruhezeit von ein, zwei Stunden begannen auch die Rotdrosseln und einige andere Vögel zu dieser späten Stunde wieder zu singen.

Solche Nachtgeräusche passten perfekt zu diesem herrlichen Lagerplatz. Und um dem Ganzen noch die Krone aufzusetzen, fing kurz darauf auch noch ein Auerhahn an zu kollern. Ich konnte es kaum fassen! Nachdem ich im letzten Jahr zweimal bei dieser Tour gezwungenermaßen passen musste, wurde ich jetzt aber verwöhnt. Der nächste Tag konnte kaum besser werden!


© 2003 Bernd van Ooy (Lodjur)