Einschiffen in Travemünde

Wie üblich beginnt die Reise am frühen Nachmittag, da ich noch bis 12 Uhr arbeiten muss. Dann fahren wir am ersten Reisetag soweit es irgendwie geht, diesmal bis in die Gegend von Würzburg und besuchen in dem netten Städtchen Marktbreit Sabine und Robert, die ich auf der Beskidentour kennengelernt habe. Der zweite Tag bringt noch einmal 550 Fahrkilometer und abends sind wir dann in Travemünde. Das Schiff fährt zwar erst gegen 3 Uhr früh, man kann aber laut Beschreibung auf der Seite von Finnlines schon ab 22 Uhr einchecken und sich sofort in der Kabine schlafen legen. Solchen verlockenden Versprechen soll man ja nicht unbedingt glauben, das wissen wir alle, doch wir tappen naiv in die Falle und müssen nach dem frühest möglichen Einchecken noch fast 4 Stunden vor dem Schiff warten.Wir schwören uns, bei der Rückreise höchstens 2 Stunden vor der planmäßigen Abfahrt aufzukreuzen ...

Im Gegensatz zu den Mittelmeerfähren sind die Finnlines bestens gerüstet für Hundehalter: Die Kabine ist haustiergerecht eingerichtet und liegt auf dem Deck 7, welches für die Bedürfnisse der Vierbeiner gewisse Installationen bereit hält. Leider ohne verständliche Bedienungsanleitung. Nicht nur unser Kasper, auch alle anderen Vierbeiner wussten damit nichts anzufangen ...

Deck 7 für Hunde ... ... und Platz für die Hundehalter ...

Der ganze nächste Tag dient zur Entspannung nach zermürbender Anfahrt und langsam schleicht sich Urlaubsstimmung ein. So eine lange Überfahrt mit einer geräumigen Kabine als Rückzugsort hat schon seine Vorteile und zählt für uns mehr zur Urlaubszeit als zur Anfahrt. Natürlich ist diese Route nicht die billigste Methode, um mit dem Auto nach Finnland zu kommen. Aber vermutlich die schnellste und bequemste.

Mechanisch, chemisch und logistisch bestens vorbereitet betreten wir am Morgen des 19. Juni in Helsinki "Feindesland". Doch: Keine Mücken da!! Wie das ..? (Anm. der Red.: Die mögen halt das Landleben, keine Hauptstädte! )

Helsinki ist sicher einen Besuch wert. Doch heute wollen wir uns nicht damit verzetteln, heben uns die Stadt für die Tage vor der Rückreise auf und steuern sofort Richtung Osten. Unser erster Stopp etwa 30 km nach Verlassen der Fähre ist die kleine Stadt Porvoo, nach Turku die zweitälteste Stadt Finnlands und eine Augenweide mit den hübsch restaurierten alten Fischerhäusern am Ufer des Flusses Porvoonjoki. Wir fühlen uns gleich wohl hier, verbummeln einige Stunden und ich kaufe eine finnische G4-SIM-Karte für das Smartphone. Die erhält man ohne irgendwelche persönlichen Angaben in jedem der zahlreichen R-Kioske für etwa 20 Euro, Laufzeit 30 Tage. Damit habe ich wirklich überall in Finnland schnelles Internet und spare mir die zeitaufwendige Suche nach offenem und womöglich langsamem WLAN. Aber das ist ja wohl inzwischen bekannt: Die Zeit der WLAN-Suche im Urlaubsland ist allmählich vorbei.

Erste Vogelbeobachtungen ...

Ja, und die erste Vogelbeobachtung ist zu vermerken: Eine freche und längst futterzahme Dohle müssen wir leider enttäuschen. Kein Futter da ..!

Erste Vogelbeobachtung: Enttäuschte längst futterzahme Dohle ... Porvoo: Die bekannten uralten Fischerhütten ...

Über die Stadt Kotka und einen Besuch des dortigen Maritimmuseums, das auch von außen wegen seiner futuristischen Architektur, die eine Welle symbolisieren soll, einen Umweg wert ist, geht es weiter die Ostseeküste entlang bis zur russischen Grenze.

Die Virolahtibucht dort, etwa so groß wie der Tegernsee, gilt als Sammelbecken sehr vieler Zugvögel und soll im Mai und September Finnlands bester Platz für Birdwatching sein. Die Zugzeit ist zwar vorbei, Vogelraritäten auf dem Durchzug sind nicht zu erwarten, trotzdem hoffe ich auf eine schöne und naturnahe Gegend und einige Beobachtungen vom Übernachtungsplatz aus.

Der in dem sehr brauchbaren Womo-Führer Finnland (ISBN 978-3-86903-416-4) empfohlene Übernachtungsplatz dort ist inzwischen mit einem Verbotsschild belegt, vielleicht eine Folge der Erwähnung im Buch und Überbeanspruchung. Aber wir finden nicht weit davon und genau am Beginn des Fußpfades zu einem der Vogeltürme einen kleinen Parkplatz, der uns mangels Verkehr eine ruhige Nacht bietet.

Hier machen wir zum ersten Mal eine Erfahrung, die uns immer wieder zu guten Nachtplätzen führen soll: Jeder “Lintutorni“, also jeder der vielen Vogelbeobachtungstürme in Finnland, ist mit einem kleinen Parkplatz versehen, von dem es zum Turm nicht mehr weit ist. Zwei Fliegen mit einer Klappe also. In unserer 1:500k Landkarte von Freytag&Berndt sind einige dieser Türme eingezeichnet und damit gut zu finden. Leider nicht sehr viele, aber mein ornithologischer Feldführer "Finding birds in South Finland" von Dave Gosney führt uns zu diesem und einigen anderen ...

Verschiedene Lintutorni ...

“distant views from tower” ... Kartenskizze aus dem Feldführer Parkplatz vor dem Lintutorni

Entlang der russischen Grenze ...

Nach einem zweiten Besuch des Vogelturmes am nächsten Morgen frühstücken wir in aller Ruhe und fahren dann parallel zur nahen russischen Grenze weiter, passieren den Ort Muurikkala, der mich an meine finnische Eisenpfanne Muurikka erinnert und bleiben über Mittag in Ylämaa, dem Fundort des sogenannten Spektrolyt-Steins. Das ist ein dunkelgrauer bis fast schwarzer Feldspat mit bunt schillernden Einschlüssen, den man zu exklusiven Fußbodenplatten und Schmucksteinen verarbeitet. Besonders schöne Stücke sind im dortigen Museum ausgestellt und zeigen im reflektierten Licht eine Vielfalt von Farben und bunten Formen ...

Spektrolyt im reflektierten Licht ...Am Nachmittag erreichen wir nur noch die große Stadt Lappeenranta und gehen auf den Campingplatz: Dort erleben wir zum ersten Mal bewusst, wie locker die städtische Bebauung in Finnland angelegt ist.

Man möchte kaum glauben, dass man sich in der Stadt mit der zweithöchsten Wirtschaftsleistung nach Helsinki befindet, wenn man an der Hauptdurchgangsstraße entlang fährt und nur Bäume sieht, an den Straßenkreuzungen auch mal eine Tankstelle oder einen Supermarkt.

Der Campingplatz wirkt nur direkt neben dem Eingang belebt, weil dem Herdentrieb folgend alle Wohnmobile sich dort hingestellt haben. Zweihundert Meter weiter zum See hinunter fühlen wir uns wie in einem einsamen Park, kein Zivilisationslaut, dafür Vogelgezwitscher und morgens der Besuch des streunernden Platzfuchses. Und das direkt am Rande einer großen Stadt.

Lappeenranta ist in dieser Hinsicht kein Einzelfall, sondern die Regel. Die Finnen haben viel Platz und mögen es offenbar nicht, eng aufeinander zu sitzen. Zumindest in den kleineren Städten sind die Häuser einstöckige Bungalows in riesigen Gärten mit vielen großen Bäumen, die Straßen haben beidseits einen breiten Waldsaum. Aber freilich: Lappeenranta hat natürlich auch eine dichter bebaute Altstadt und einige hohe Häuser ...

Camping-Ruheplatz ... Großstadt im Hintergrund: Es gibt auch größere Häuser ...

Wir haben ja nur wenig Zeit und brechen deshalb schon am nächsten Tag früh auf zum nächsten, sehr bedeutenden Vogelgebiet Siikalahti nahe dem kleinen Ort Parikkala, wo gleich 4 Lintutorni auf uns warten, einer sogar direkt an der Straße, auf dem Bild unten links im Link schön erkennbar.

Wasservögel gibt es heute fast keine zu sehen, aber eine Rauchschwalbe hat ihr Nest in das Gebälk eines der Türme gebaut und fühlt sich von jedem Besucher bedroht. Mich lockt sie weg, indem sie sich knapp außerhalb meiner Armreichweite auf das Geländer setzt und mich ruhig anschaut. Um mit meiner 28 mm-Festbrennweite noch ein Bild zu erhalten, gehe ich langsam näher, die Schwalbe weicht einen halben Meter zurück, ich komme wieder näher und so geht das Spiel weiter, bis ich einige Meter vom Nest weg bin und die Schwalbe in die andere Richtung abstreicht. "Verleiten" nennt man diese Verteidigungstechnik der Vögel - den Feind vom Gelege weglocken.

Einer der hinteren Lintutorni in Siikalahti ... ... und eine Rauchschwalbe, die vom Nest weglockt ...
Monitorbild: Landstreifen Punkaharju ... ... und die Realität im "Tausendseenland"!

Zum Übernachten an diesem Platz ist es noch zu früh, aber ein guter Tipp ist das in jedem Fall. Etwa 200 Meter von dem im obigen Google Link gezeigten Parkplatz entfernt liegt etwas abseits der Straße und deutlich ruhiger noch ein kleiner Parkplatz am Beginn des Pfades zu den drei anderen Türmen. Wir fahren aber weiter und diesmal mitten durch die Seenplatte, bei Punkaharju einen schmalen Landstreifen entlang, den der WoMo-Führer als besonders reizvoll empfiehlt. Über eine Strecke von etwa 6 km hat man enge Tuchfühlung zum See auf der rechten und auf der linken Seite. So stelle ich mir ein "Tausendseenland" vor ..!


© 2016 Sepp Reithmeier