Afghanistan  Afghanistan 1977

Die Nordroute ist genehmigungspflichtig

Reiseerinnerungen aus den Siebzigerjahren ...


Vorbemerkung

Im Sommer 1975 starten Katrin und Klaus Mees mit ihrem T2-VW Bus Richtung Osten: Täglich ändern sich mit den Landschaften auch die Gewohnheiten der Menschen ...

In Bagdad müssen sie vor der Willkür eines jähzornigen Polizeioffiziers kapitulieren. Schlitzohrige Tricks beim Tanken und Handeln können sie in Kabul lernen. Weglos kämpfen sie sich durch die nordafghanische Sandwüste und werden Zeugen einer mittelalterlichen Bestrafung. Erstaunt nehmen sie am Khyber-Pass zur Kenntnis, dass im Grenzgebiet zwischen Afghanistan und Pakistan Handfeuerwaffen frei verkäuflich sind.

Auch Möglichkeiten der Bewusstseinserweiterung sind überall verfügbar: Der "Schwarze Afghane" in Afghanistan, Haschisch-Kuchen in Kathmandu und Opium in Sikkim. In Kalkutta informiert man sie über zwei Möglichkeiten der Feuerbestattung und sie erfahren in Benares, warum man Kinder und Priester nach ihrem Tod nicht auf dem Scheiterhaufen verbrennt.

Bei der Rückreise zeigen afghanische Zöllner, mit welcher Zerstörungswut an Einrichtung und Inventar bei der Drogensuche Bakschisch erpresst werden kann. Aber es bleibt noch viel zu entdecken und so starten sie im Sommer 1976 erneut Richtung Osten ...

Reisepartner beim Zwischenstop ... Reiseerinnerungen  ...

Soweit ein Auszug zum Inhalt des kürzlich veröffentlichten Buchs der beiden Autoren, aus dem wir hier eine Episode vorstellen. Per Allrad waren die beiden seinerzeit nicht unterwegs, aber offroad schon und sogar in erheblichem Umfang. Eine "historische" Reise in Länder, die heute nicht mehr so sorglos und frei bereist werden können wie Ende der Siebzigerjahre ... 


Unterwegs auf der Nordroute ...

Wir müssen zur Polizei, denn die Route, die an der Grenze zur UdSSR entlangführt, ist genehmigungspflichtig, zudem führt sie auf schlechten Straßen durch Gebirge und Wüste und setzt ein Fahrzeug mit guter Bodenfreiheit voraus.

Das Genehmigungsverfahren ist kompliziert: Von einem amtlichen Schreiber, die in Vielzahl vor dem Gebäude sitzen, kauft man einen amtlichen Briefbogen mit Kopf. Da wir schreiben können, füllen wir ihn selbst aus. In Englisch geben wir Auskunft auf die Fragen nach Namen, Auto, Zweck und Dauer der Reise. Dann wird der Briefbogen von einem Schreiber außerhalb des Gebäudes übersetzt und anschließend laufen wir von einem Polizeioffizier zum anderen, die alle unterschreiben müssen. Zum Schluss wird noch gestempelt und dann landet zu guter Letzt alles beim "Tourist Officer". "I will check your cars!"

Ausgiebig nimmt er die Bodenfreiheit unserer Fahrzeuge in Augenschein. Bei dem Mercedes-Transporter L319 von Mahmoud und Frank hat er keine Bedenken. Bei unserem VW-T2 schaut er skeptisch drein und schüttelt den Kopf: "Too low, many problems!"

An die Argumente, die ihn letztlich umstimmten, kann ich mich nicht mehr erinnern, vielleicht war es doch ein Bakschisch. Jedenfalls unterschreibt er schließlich. Es kann ihm ja egal sein, ob der Wagen hängenbleibt oder nicht.

Wir füllen alle Reservekanister mit Benzin und brechen Richtung Norden auf.

Die Straße wird immer schlechter. Tiefe Schlaglöcher und Bäche, die über den Weg fließen, durchfahren wir langsam, und wenn der Wasserstand nicht mehr abgeschätzt werden kann, müssen wir sie durchwaten. Stunden später kommen wir an einem Nomadenlager vorbei. Wir halten an und fragen einen alten weißbärtigen Afghanen. "Können wir Fotos machen?" Wir zeigen ihm die Kamera.

Tätowierungen und viele kleine Zöpfe ... ... und sehr beliebte bunte Kleidung

Ein kleines Bakschisch und alle kommen auf seinen Pfiff ganz schnell zu den Autos. Fast alle, die jungen und noch unverheirateten Frauen dürfen die Zelte nicht verlassen. Im Nu sind wir umringt von Müttern mit Kindern aller Altersstufen. Sie sind bunt gekleidet und mit viel Silberschmuck behängt. Aus der Nähe betrachtet sehen aber viele alt und krank aus, Arme und Gesichter dunkelblau tätowiert, das Haar in viele kleine Zöpfe geflochten.

Die Straße hat schon lange keine feste Oberfläche mehr. Die Fahrspuren sind stark ausgefahren, darin viel Flugsand, dünn wie Puderzucker. Während der Regenzeit haben allradgetriebene Fahrzeuge mit breiten Reifen Spuren hineingegraben, die so tief sind, dass wir ihnen wegen der geringen Bodenfreiheit nicht folgen können, wir würden unweigerlich festsitzen. Deshalb geht jemand vor und gibt, in Blickkontakt mit dem Fahrer mit Handzeichen jeweils den Lenkeinschlag an, was sehr zeitraubend ist.

Die Landschaft wird wieder flacher, Kamelkarawanen begegnen uns jetzt öfter. Wir fahren an Ziegen- und Schafherden vorbei, Siedlungen liegen weit verstreut an noch wasserführenden Flussläufen. Kurz vor Sonnenuntergang setzt ein reges Treiben ein. Hirten auf Eseln treiben ihre Herden heim oder galoppieren auf schlanken feingliedrigen Pferden um ihre Tiere. Frauen und Kinder drängen sich an einem Bach, um durstig aus Tassen, Töpfen, Eimern oder sonstigem Geschirr zu trinken.

Schweres Gerät unterwegs ... Spülen ist hier Männersache ... Mütter mit Kindern aller Altersstufen ...

Wir erreichen Daulatabad, ein staubiges Nest am Rande der Dasht-i-Leili-Wüste: Bald hat sich ein Menschenauflauf um uns gebildet, aufgeregtes Stimmengewirr.

"Die Straße nach Andkui ist unpassierbar, ihr bleibt bestimmt in metertiefem Sand stecken, fahrt doch die direkte Route durch die Wüste!" Natürlich können wir ihre Gedanken lesen: Sie wollen so schnell wie möglich gratis oder noch besser mit Führerlohn nach Andkui. Sie unterbieten sich: "Only six hundred Afghanis, way difficult to find!" Wir gehen nicht weiter auf ihre Argumente ein, ergänzen an einem öffentlichen Ziehbrunnen noch unseren Wasservorrat und verlassen das staubige Dorf auf einer zunächst festen Schotterstraße.

Nach etwa 20 Kilometern wird unser Fortkommen erstmals durch eine fehlende Brücke erschwert. Eine Umleitung führt in steilem Gefälle die Böschung hinab. Vom Wagen ist von vorn nur noch das Dach sichtbar. Gleich muss sich der Bus mit seinem Bug in den Sand bohren! Aber irgendwie steht er alsbald wieder auf allen vier Rädern vor mir.

Im Gehtempo kriechen wir vorwärts, bleiben immer wieder im Sand stecken, wühlen uns tiefer ein, graben uns aus, schieben und ziehen uns gegenseitig aus dem Sand und müssen oft Sandbleche unterlegen.

Dann stoßen wir auf einen afghanischen Bautrupp, der unter sowjetischer Leitung eine neue Straße baut. Ein russischer Ingenieur hat Verständnis für unser Dilemma und gibt uns kurzerhand einen Afghanen als Führer mit. Der steigt bei Mahmoud und Frank ein. Außerdem lässt er die meterhohen Aufschüttungen beiderseits der projektierten Straße mit schwerem Gerät einebnen, damit wir ohne Anstrengung weiterkommen. "Wir sollten diesen Bautrupp ständig dabeihaben, dann wäre die Route kein Problem!"

Jetzt geht es quer durch die Wüste, dreimal bleiben wir noch stecken. Unser afghanischer Begleiter schiebt jeweils kräftig mit. Als wir an einem Fluss ankommen, verabschiedet er sich und läuft wohl ein paar Stunden zu seinem Arbeitsplatz zurück. Der Fluss, vor dem wir jetzt stehen, hat sich ein tiefes Bett, ähnlich einem Canon, in die Wüste geschnitten, das nun etwa fünfzehn Meter tiefer vor uns liegt. Über steile Böschungen winden sich Zu- und Abfahrt mit Spitzkehren den Hang hinunter und auf der Gegenseite hinauf. Obwohl Trockenzeit ist, reicht das Wasser beim Durchwaten noch fast bis an die Knie.

Wir gehen die Strecke ab, sehen aber keine Schwierigkeiten und starten. Als Erste fahren Mahmoud und Frank mit ihrem Mercedes zur Furt langsam runter, geben im Wasser Vollgas und kommen auf der anderen Seite ohne Schwierigkeiten hoch. Der VW-Bus kommt auch gut durch das Wasser, bleibt aber an der gegenüberliegenden Steigung hängen. Wir packen das Seil aus und verbinden unsere Autos, aber das bringt unseren VW-Bus auch nicht vom Fleck. Und dann reißt auch noch das Seil. "Wie sollen wir jetzt den Wagen hochbringen?"

Pause muss sein ... Furten angesagt ... Schafft er das Wasserloch ..?

Schließlich nähert sich eine Kamelkarawane dem Fluss: Wir versuchen den Treiber für unser Vorhaben, seine Kamele vor unseren Wagen zu spannen, zu gewinnen. Doch der zeigt sich von dieser Idee überhaupt nicht begeistert und treibt seine Tiere stoisch weiter zum Wasser. Vom anderen Ufer nähert sich ein mit Afghanen vollbesetzter Pickup. Nach und nach versammeln sich alle um unser gestrandetes Auto. Motor anstellen, den Gang einlegen und alle schieben, bringt nichts.

Nächste Idee: Sandbleche unterlegen! Also zwei Bleche über die aufgeweichte Fahrspur gelegt, Klaus lässt sich wieder in den Fluss zurückrollen, nimmt erneut Anlauf, kommt auch ein Stück weiter und dann macht es laut "Pfffff!" Aus dem rechten Vorderreifen entweicht die Luft mit einem Schlag. "Was ist passiert?" Ein Sandblech wurde im übergroßen Eifer verkehrt herum gelegt mit den Zacken nach oben und einer davon hat den Reifen nun aufgeschlitzt. "Was jetzt?" Wir hängen mit einem Platten auf halber Strecke nach oben. "Wer hat noch eine Idee?"

Ein Afghane geht zu dem Kameltreiber und kommt mit einem langen Strick zurück. Den befestigt er an der Abschleppöse. "Ob er doch noch die Kamele einspannt?" Aber nein, die Afghanen hängen sich selbst ins Seil, alle Mann, fast zwanzig, einer hinter dem anderen, wie beim Tauziehen und der Wagen bewegt sich, zunächst langsam, dann immer schneller und dann johlen sie ausgelassen. Im Nu steht der Wagen oben. Geschafft!!! Uns fällt ein Stein vom Herz. Wir verteilen Zigaretten und Streichhölzer ...

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Ich will dann rasch den Reifen wechseln, muss aber feststellen, dass alle Radmuttern so festsitzen, als ob sie angeschweißt wären. Wir versuchen es abwechselnd, zum Schluss ist der Radschlüssel hin und eine Radmutter ist jetzt kreisrund. Wir sind wahre Genies!! Auch kein anderes Werkzeug hilft weiter. Alle möglichen und unmöglichen Gedanken kommen mir in den Sinn: mit dem platten Reifen in die nächste Ortschaft fahren, den Reifen von der nicht abgeschraubten Felge lösen und versuchen einen neuen aufziehen. "Wie soll das gehen?" Keiner überzeugt wirklich. Inzwischen brennt die mittägliche Sonne erbarmungslos auf uns herab, der Sand heizt sich auf.

Wir rollen die Markise aus, setzen uns in den Schatten und versuchen trotz allem einen kühlen Kopf zu behalten. Die erste gute Idee stellt sich auch bald ein: Rostlöser "Caramba" auftragen und dann folgt gleich darauf die zweite: "Die profillose Neunzehner Schraubenmutter auf eine Siebzehner Größe zurückfeilen." Wir wechseln uns ab, feilen und feilen, probieren, ob der Schlüssel schon passt, feilen weiter, probieren wieder und es scheint zu klappen. Mit einigen brutalen Hammerschlägen wird der Kreuzschlüssel über die gefeilte Radmutter getrieben. Dann ein erster Versuch, nichts bewegt sich, ein nächster, wieder nichts, ein weiterer Versuch und die Schraube rührt sich. "Caramba!" ...


© 2020 Katrin & Klaus Mees