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In Kirow

Kirow (früher Wjatka und Chlynow), eine Sowjet Stadt, Stalin war dort zwei Wochen im Hospital, aus einem Gefängnis des Oblast Vologoda dorthin gebracht zur Genesung, anschließend dann noch im örtlichen Gefängnis. An welchen Zipfeln hängt die Geschichte, Stalin hatte damals schon finanzielle Unterstützer, aber genauso gut hätte er auch im Gefängnis oder vor dem Hospitalbesuch sterben bzw. ermordet werden können. Kirow war lange Zeit ein Verbannungsort, auch gab es dort ein deutsches Kriegsgefangenenlager.

Kirow liegt am Fluss Wjatka, dort wo sich der Park befindet, stand früher ein Kreml aus Holz. Wasser wird an modernen Pavillons in Automaten verkauft: Es sei besser zum Trinken, 1,5 Cent der Liter, es kommt angeblich aus einem Brunnen.

Lenin darf nicht fehlen, es gibt viele Ausbildungszentren, technische Universitäten, die Humanitäre Universität (hier wird allerdings fleißig abgebaut, die Philosophie-Abteilung geschlossen, ebenso die deutsche Abteilung in der Philologie), Medizinische Universität, daneben eine Unmenge von Verwaltungsgebäuden. Die Anzahl der Angestellten wächst jährlich, derweil die Bevölkerung etwas abnimmt (dieselbe Entwicklung übrigens auch in Lettland) ...

Von der Altstadt sieht man nicht allzu viel, es waren wohl meist Holzhäuser, die weggefault sind, selten sieht man noch einen baufälligen Rest davon. Das älteste Haus ist renoviert und bis zur Renovierung durchgehend seit seiner Erbauung ein Gasthaus gewesen. Ein seltsames Kulturhaus, wo Frauen im Keller Tarnung gegen die ukrainischen Drohnen zusammenbauen, so sagt man mir. Und alte Männer spielen oben Billard ...

Auffällig ist, dass überall unnötig viele Leute mit relativ wenigen Vorgängen bzw. Aufgaben beschäftigt sind. Aus westlicher Sicht würde man dringend Maßnahmen zur Rationalisierung ergreifen. In einem billigen Hotel sitzt in jeder Etage mindestens eine Aufwartfrau und dazu gibt es noch Reinigungskräfte, Sicherheitsleute, Rezeptionisten ... als hätte Russland Menschen im Überfluss, die irgendwie beschäftigt werden müssen.

Am Bahnhof noch eine kuriose Szene, ich diskutiere mit meinem Bekannten am Ticketschalter über die Rückfahrt nach Petersburg. Wir sind uns irgendwann einig und ich bezahle das Ticket, die Frau fragt noch, ob ich 13 Rubel klein habe, ich wühle in meiner Tasche, mein Bekannter in seiner, dann kommt ein Mann angelaufen und schmeißt die 13 Rubel auf den Tresen und meint, kann es jetzt mal weitergehen ..?

Legitimation des unbegrenzten ReichtumsAngesichts des extremen Ungleichgewichts zwischen Reich und Arm, was höchste Blüten besonders in Russland, aber auch in anderen Ländern treibt, wäre es eigentlich wieder mal an der Zeit, diesen Missstand durch eine internationale Revolution zu verändern. Aber dies scheut das russische Volk wie der Teufel das Weihwasser nach den bösartigen Erfahrungen und Auswüchsen der bolschewistischen Revolution. Und die anderen Völker und Staaten ebenso aus der anschaulichen Erfahrung der Diktatur des selbsternannten und selbstbevollmächtigten Proletariats. Schon Stalin hat den Satz "Diktatur des Proletariats" völlig umgestaltet im Denken und Handeln: Er meinte, dass das Proletariat nur mit diktatorischen Mitteln in die Zukunft geführt werden könnte. Damit war er durchaus zukunftsweisend, denn nichts anderes ist das Tun unserer heutigen Regierungen, den Wohlstand und die Vermehrung des Reichtums von Wenigen sichern sowie die Massen zu kontrollieren und ruhig zu halten. Alles Gelaber von "Demokratie" verdeckt nur diesen diktatorischen Hintergrund der Legitimation des unbegrenzten Reichtums von Wenigen ...

Die Nachrichtenseiten des Westens sind in Russland nur eingeschränkt zugänglich, dazu gehört die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die Süddeutsche Zeitung, CNN, Delfi (lettische Nachrichtenseite) und ERR (estnische Nachrichtenseite) interessanterweise.

Mein Bekannter meint, im Sommer kann es Tage geben, an denen in Kirow 50°C erreicht werden. Viele Kneipen gibt es im Ort zu sehen, aber sie sind weitgehend leer. Menschen in Geschäften schauen sich lange die Produkte an, und zögern, was sie kaufen wollen oder können ...

Nach der Aussage eines Russen soll es ein Treffen von Hitler und Stalin 1940 in Lwow gegeben haben, es soll in den Erinnerungen von Molotow stehen. In Kirow gibt es noch ein Denkmal für die Opfer der politischen Repression, es wurde ca. um das Jahr 2000 aufgestellt. Das Material, also die Steine davon, stammen aus dem Zaren-Denkmal von Alexander dem Zweiten, das zur Zeit des Bolschewismus abgerissen wurde.

In Kirow kam die bolschewistische Revolution sehr spät an, erst 1918 unter dem lettischen Matrosen Juri Drelevski. Dieser stammte laut Unterlagen des Museums aus dem kurländischen Gobernat, war also nicht zwingend Lette, er könnte auch Pole oder Litauer gewesen sein. Er wurde delegiert von Petrograd, die Revolution auch nach Kirow zu bringen. So kam er 1918 mit dem Zug auf der Durchreise in den fernen Osten in Kirow an, er und 70 Revolutionäre stiegen aus und bemächtigten sich der Stadt. Er selbst leitete die Telefonzentrale und erklärte sich zum Justizminister, nach ca. 5 Monaten war seine Aufgabe erledigt und er verschwand weiter Richtung Osten ...

Alexander I. war als einziger Zar ebenfalls in Kirow zu Besuch, hier ist übrigens auch der Geburtsort des Schriftstellers Alexander Grin.

Ich besuchte später mit meinem Bekannten ein Ausbildungskolleg, wo auf dem Hof Fahrstunden für Armeeangehörige abgehalten wurden, es wird dort Zivilschutz, Jura und Feuerwehrausbildung gelehrt. Der freundliche Direktor erzählte von dem gemeinsamen Austausch der Feuerwehr mit Deutschland, bei Frankfurt. 2019 war er zum letzten Mal in Deutschland, seitdem gibt es keinen Austausch mehr, obwohl man immer noch in Kontakt stehe ...

Russlanddeutsche

Ein Russlanddeutscher: Aleksander, Aktionär, nicht arm, seine Vorfahren kamen aus Hardersheim bei Stuttgart und sind 1809 auf die Krim ausgewandert. Er hat ein kritisches Bild, was Putin betrifft, nach seiner Meinung sollte er abtreten und jüngeren Leuten den Vorrang lassen. Er wäre zu lange an der Macht und hätte eine zu große Clique um sich gesammelt, welche die Entwicklung Russlands behindern würde und in Stagnation verfallen ließe. Aleksander hat am Fluss Wijatka eine Fischerhütte und eine Jagdhütte im Wald. Er würde gerne besser Deutsch lernen, hat aber kaum Gelegenheit dazu. Zuletzt war er 2019 für ca. eineinhalb Monate in Deutschland, er ist 8.000 km gefahren und hat alle Regionen dort besucht, auch die Stadt seiner Vorfahren in Hardersheim ...

Er meint, dass Russland nicht den Einsatz und das Werk der Deutschen in Russland entsprechend respektieren würde. Und da waren viele, unter anderem auch Deutschbalten in der Administration, in der Armee als Offiziere und Generäle, als Ingenieure beim Häuser- und Eisenbahnbau, als Fabrikleiter etc. Er zeigte mir ein altes Dokument seiner Familie von der Krim. Sein Vater kam dann unter Stalin ins Waisenhaus, da die Eltern des Vaters im Jahr 1941 deportiert wurden. Aleksander selbst wuchs in Kasachstan auf, er meinte, die Menschen in Kasachstan seien gegenüber den Deutschen sehr hilfsbereit gewesen, im Gegensatz zu den Russen. In der Schule wollte er kein Deutsch lernen, da er nicht als Deutscher auffallen und diskriminiert werden wollte ...

Jetzt hat er drei Autos, eines für die Jagd, ein 6 Monate alter UAZ mit deutschem Lenkrad (technisch elektronisch) und südkoreanischem Getriebe. Jetzt gibt es dafür keine Ersatzteile mehr, die neuen UAZ Jeeps werden nun vollständig nur noch mit russischer Technik gebaut, sagte er mir.

Über die Entwicklung der Menschen auf der Erde macht er sich auch Gedanken, ich sagte, mit 8 Milliarden und mehr kann das auf der Erde nicht mehr lange gut gehen. Er meinte, in Russland ist genug Raum, sind genug Ressourcen. Aber er stimmte mir zu, dass wenn alle Autos und Klimaanlagen etc. haben wollen, das auf lange Sicht nicht gehen kann. Die Gier sei ein großes Problem. Zu meinem etwas unglücklichen Vorfall in Petersburg im Hospital meinte er, er hätte gute Bekannte dort, er könne wegen meinem verlorenen Geld nachforschen. Ich meinte, Quatsch, war selber schuld und weiß keinerlei Nummer oder irgendwelche Namen der Miliz oder der Ambulanz. Was hinter uns liegt, lassen wir hinter uns liegen ...

Das Museum in Kirow

Der Besuch im Museum war interessant:  Auf einer der Karte des Museums vom Norden ist eingezeichnet, das die Waräger ursprünglich von der Insel Rügen (!) nach Nowgorod gekommen sind. Dazu gibt es eine interessante Dokumentation, die bestätigt, dass sich um 900 n.Chr. auf Rügen ein großes Heiligtum der Slawen befand (ab ca. Min. 58).

Und deren Nachkommen sind dann um das Jahr 1000 aus Nowgorod geflohen, um ihre Selbständigkeit zu bewahren. Einige von ihnen haben über den Fluss Wjatka den Platz für die Stadt entdeckt und dort eine Siedlung aufgebaut. Diese wurde dann mitsamt Umgebung um 1400 als vorher kleine unabhängige Republik nach harter blutiger Gegenwehr ins russische Reich eingegliedert ...

Das Museum war sehr gut und künstlerisch aufwändig gestaltet, es gab auch eine englische Audio Führung. Anschließend lud mich der Russlanddeutsche noch ein, eine Brauerei zu besuchen, die früher von einem Deutschen am selben Platz betrieben wurde: die Schneider Brauerei in Kirow ...

Rückfahrt Kirow - Petersburg

Eigentlich wollte ich das Zugrestaurant mal frequentieren, aber die Fischmahlzeit gab es nicht, ebensowenig wie billiges Bier: Obwohl man laut Karte auch Dosen für zwei Euro anbot, hatten sie nur die teuren Biersorten für fünf Euro, also habe ich auf die Gastronomie verzichtet ...

In den Weiten der russischen Landschaft verliert sich auch heute noch das Internet, nur an größeren Ortschaften und an Bahnhöfen taucht es mal sporadisch auf. Die vorbeiziehenden Silhouetten auf der 20stündigen Bahnfahrt von Kirow nach Petersburg, die nicht enden wollenden Szenen der russischen spätwinterlichen Waldlandschaft in weiß-grau, erzeugt das Bild einer unendlichen trostlosen Ferne.

Ein absoluter Gegensatz zu den plakatierten Südseeinseln, Paradiesvorstellungen: Die Ferne hat immer zwei Richtungen, wie die Polarität im Leben, einmal dunkel-grau, einmal sonnig-hell. Wie das Yin und Yang. Beides entpuppt sich nach längerer Zeit des Verweilens in je einer der Sphären als Sehnsucht nach mehr als was man hat oder ist. Darüber hinaus, über das eigene Leben, in die Weiten der negativen und positiven Erfahrungen, das ist das unendliche Wechselspiel der Formen, an welchem man teilhat. Die alten Mütterchen, die immer irgendwohin unterwegs sind, Strapazen einer langen Reise stoisch stöhnend auf sich nehmen, obwohl sie es körperlich kaum ertragen können, sind ebenso ein Bild der Sehnsucht ...

Das Innere Russlands hat bis heute etwas Inselartiges an sich, ein Meer von Wald, wo sich vereinzelt, weitgehend isoliert, Zivilisationsflecken befinden. In keiner Weise ist das Land bis heute wirklich komplett erschlossen und durchsiedelt ...


Nachtrag

Am 24.03.2024 schickte mir Aleksander, der Russlanddeutsche, folgende Notiz, aus dem Russischen übersetzt:

Schlechte Nachrichten für die Ukraine: Putins Ultimatum nach den Wahlen

Eine Quelle aus dem Kreis des Präsidenten der Russischen Föderation berichtete, dass Wladimir Putin die Möglichkeit erwägt, der Ukraine ein hartes Ultimatum zu stellen. Das Volk fordert den Sieg und der Präsident ist zu harten Entscheidungen bereit.

Um den nördlichen Militärbezirk fertigzustellen und möglichst viele Leben unserer Soldaten zu retten und auch eine erneute Mobilmachung zu vermeiden, erwägt Wladimir Putin die Möglichkeit eines harten Ultimatums an die Ukraine. Putin wird den Abzug der ukrainischen Truppen aus russischem Territorium (neue Regionen) und die freiwillige Kapitulation von Charkow, Nikolajew und Odessa fordern. Im Falle einer Weigerung wird Moskau Kiew innerhalb von 24 Stunden den echten Krieg erklären. Danach werden innerhalb von 72 Stunden Kiew, Lemberg, Dnjepr, Poltawa, Ternopil und Winniza zerstört. Der Rest der Ukraine wird massiven Raketen- und Bombenangriffen ausgesetzt sein. Tu-22M3-Bomber mit FAB-5000-Bomben werden alle Brücken über den Dnjepr, zivile Flughäfen und die gesamte Eisenbahninfrastruktur zerstören. Das Zentrum von Kiew, alle Verwaltungsgebäude und Bunker werden durch  "Dolche" zerstört. Alle Umspannwerke der Kraftwerke werden durch einen einzigen Raketen- und Bombenangriff von Tu-95ms-Bombern zerstört.

Die Spezialeinheiten der russischen Streitkräfte in Kiew werden die gesamte oberste Führung der Ukraine festnehmen und, wenn dies nicht möglich ist, sie an Ort und Stelle liquidieren.


© 2024 Michael Gallmeister


Anm. der Red.: Hintergründe dieser Drohung?

Am 03.03.2024 wurde bekannt, dass Russland ein Gespräch deutscher Luftwaffenoffiziere abgehört hat, in dem es sich um einen Einsatz von deutschen TAURUS-Marschflugkörpern gegen die Krim-Brücke drehte. Moskau forderte eine Erklärung dazu von Berlin bis zum 11.03.2024. Ob eine solche Erklärung erfolgte und wenn ja, mit welchem Inhalt, wurde in der BRD nicht berichtet.

Außerdem erfolgte am 22.03.2024 ein verhängnisvoller Terroranschlag in Moskau, bei dem es Spuren in die Ukraine gibt. Mehr dazu sowie zu weiteren Terroraktionen im folgenden Bericht.

Es kann nur darüber spekuliert werden, inwieweit die obigen Ereignisse sowie der unsägliche TAURUS-Skandal mit der am 24.03.2024 von Aleksander berichteten Drohung eines "echten Kriegs" in irgendeinem Zusammenhang stehen, allerdings erscheint dies nicht unwahrscheinlich bei Betrachtung der Gesamtsituation in der Ukraine.