Kapitel 4: Petropawlowsk - Leben, Gespräche, Begebenheiten, Informationen ...
Im Gebäude der KPD in Petropawlowsk ist auch ein Retro-Café untergebracht. Auffällig ist, dass hier im Ort kaum wirklich alte Männer zu sehen sind, mitunter habe ich das Gefühl, einer der ältesten Touristen hier zu sein ...
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Die Fahrzeuge auf Kamtschatka sind mindestens zu 80% japanisch und
oft Rechtslenker, aber man hat jetzt interessanterweise ein
Einfuhrverbot für japanische Fahrzeuge erlassen, die einen gewissen
Hubraum überschreiten. Das heißt im Klartext, die großen dicken
fetten Autos aus Japan können nicht mehr eingeführt werden, sondern
nur noch die einfachen Klein- und Mittelklassewagen. Konstantin, der
Kapitän der Luxusyacht, prophezeite mir, dass es bald auf
Kamtschatka wie in Kuba aussehen würde mit all den alten
abgewrackten Autos, nachdem Russland dieses Einfuhrverbot für
japanische Autos mit großem Hubraum erlassen hat ...
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Ich sehe das etwas anders: Die Einfuhr von Kleinwagen erlaubt,
die von
großen Fahrzeugen nicht -, also ein Versuch, den Kapitalismus mit
seinen wilden Blüten etwas einzugrenzen. Allerdings können solche
Beschränkungen leicht von Reichen umgangen werden, es kostet halt
ein bisschen mehr und dann importiert man eben Fahrzeuge aus
Kasachstan oder Usbekistan, ob das Auto nun 150.000 Euro kostet oder
180.000 Euro, ist denen doch eigentlich genau genommen scheißegal
...
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Überhaupt stellt sich die Frage, wie man auf Dauer den ständig wachsenden Unterschied zwischen Arm und Reich stoppen bzw. rückgängig machen könnte. Denn langfristig führt diese krasse Ungleichheit zu Neid, Wut und Unruhen in Gesellschaft und Staat.
Statistisch
gesehen sieht das Problem etwas anders aus, der Lebensstandard
insgesamt ist für die meisten Menschen zwar gestiegen und einige
sind überreich geworden, das Problem ist aber die Wahrnehmbarkeit
des Unterschiedes. Aufgrund der heutigen Kommunikationsmittel sind
wir in der Lage, den Luxus der Reichen im Detail und mittlerweile
auch in jedem verslumten Winkel der Erde wahrnehmen zu können. Und
genau das ist das Problem, was dann Neid und irgendwann auch
Wut erzeugen kann.
Neben den neuen Einkaufsmeilen und modernen
Geschäften sieht es im Hinterhof oft so aus wie hier erkennbar.
Sehr
eigentümlich und auch Polar-Orientiert sind die Bushaltestellen,
auch Lenin darf natürlich nicht fehlen im Straßenbild ...
In dem vom Armenier betriebenen Hotel befindet sich auch ein Fliesenleger aus Armenien, der in der Sommerzeit bis zum Herbst arbeitet und dann wieder nach Armenien zurückfährt. Er verdient immerhin ca. 20 Euro pro Stunde, da er als Fliesenleger ein Spezialist ist.
Eine Mikrobiologin aus Moskau macht Urlaub auf Kamtschatka, sie spricht erstaunlich gut Englisch und wir kommen ins Gespräch: Sie hatte ein Stipendium für sieben Jahre von Russland finanziert, um in Amerika zu studieren und den Magister abzuschließen. Jetzt ist sie wieder zurück und arbeitet in Moskau. Meine Frage, ob sie denn nicht lieber in Amerika geblieben wäre, verneint sie, die Kultur dort mag sie nicht, und auch die Werte der Amerikaner kann sie überhaupt nicht teilen. Die Landschaft wäre zwar schön, aber das war´s auch ...
Auf
die Amerikanisierung in Russland angesprochen meint sie, dass im
Moment viele Programme für eine Beschränkung in Arbeit sind, die
auch bereits funktionieren: So z.B. werden keine Musikgruppen mehr
unterstützt, die amerikanisch-englische Texte singen, ebenso werden
russischsprachige Fachartikel gefördert. Aber angesprochen auf die
Problematik, dass immer noch ein Großteil der Bevölkerung in
Russland amerikanische Produkte konsumieren möchte, muss sie mir
Recht geben, dass man aus diesem Grund versucht, nicht mit voller
Härte das Amerikanische in Russland auszumerzen.
Außerdem versucht Russland jetzt Abstand zu gewinnen vom amerikanischen Ausbildungssystem und wieder zurückzukehren zum alten System, das in der Sowjetunion gängig war. Ebenso werden jetzt vermehrt Filme und Talkshows etc. in russischer Sprache gefördert, um von der amerikanischen Seifenoper wegzukommen. Und die Qualität würde auch mittlerweile reichlich zunehmen ...
Im Hotel gastieren noch zwei Chinesen, die als Fremdenführer in ihrer Heimat arbeiten und etwas russisch können, aber kein Englisch. Sie erkunden die Tourismusmöglichkeiten für Chinesen auf Kamtaschatka, um später selber Touren anbieten zu können.
Interessant und politisch erstaunlich ist, dass Russen bisher nach Südkorea ganz einfach mit einem elektronischen Visum für bis zu 60 Tage einreisen können, die Kosten liegen etwa bei 40 Euro. Diese Möglichkeit wird von vielen Russen genutzt, obwohl politisch ein Schulterschluss mit Nordkorea existiert.
Heute steht ein kleiner Ausflug mit dem Bus nach Thermalny auf dem Programm. Dort gibt es natürliche heiße Quellen, die in drei Becken geleitet werden mit jeweils 37°C, 25°C und 14°C. Eintritt 4 Euro, Aufenthalt solange man will. Neben dem Thermalbad befindet sich eine kleine Siedlung und ein sehr großes neues Sportgelände mit neuer Sporthalle.
Dort gibt es auch einen kleinen Stand, wo Verkäufer neben Gemüse und
Obst auch selbstgemachten Brombeerwein anbieten. Die Flasche sollte
1,80 Euro kosten und hatte 14% Alkoholgehalt. Ich habe probiert,
aber fand ihn nicht besonders brauchbar. Dafür habe ich die
teuersten Erdbeeren meines Lebens gekauft, 4 Euro für den
Plastikbecher, aber original aus Kamtschatka vom Privatgarten, sie
schmeckten ganz gut ...
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Das Thermalbad allerdings stammt vermutlich noch aus der Sowjetzeit, es ist nicht renoviert. Vermutlich war in der Nähe mal ein sehr großer Militärstützpunkt, es gibt reichlich Betonruinen. Man fragt sich, was man dort einst bezwecken wollte bei nicht mal Küstenlage, sondern irgendwo im Inneren des Landes. Was ich dort auch sah, war ein Haufen Bärenscheiße ...
Während einem meiner kleineren Ausflüge frage ich einen jungen Mann nach dem Weg zum Meer, er spricht gut Englisch und es stellt sich heraus, dass er ein Flüchtling aus der Ukraine ist. Später schrieb er mir:
"Freunde meiner Eltern kamen im Rahmen des Flüchtlingsumsiedlungsprogramms hierher, es gab sehr gute Bedingungen: Sozialleistungen, monatliche Essensrationen, kostenlose Herberge. Aber das alles galt, bis sie die russische Staatsbürgerschaft erhielten. Um die zu erlangen, mussten sie alles aufgeben, sodass sich die Flüchtlinge nach und nach an die neuen Realitäten gewöhnten.
Nachdem
meine Eltern die Geschichte ihrer Freunde gehört hatten, beschlossen
sie, hierher zu gehen, aber wir traten dem "Flüchtlings"-Programm
erst bei, als wir bereits auf Kamtschatka waren, das heißt, wir
flogen erst 2015 hierher, damals war ich 13 Jahre alt. Natürlich ist
es besser, der Ferne Osten wird sich entwickeln, der gesamte
Haupthandel wird hierher verlagert usw."
Irgendwie hat Kamtschatka Ähnlichkeit mit Lettland: Das Klima, viel Wasser, Postsowjet-Gelände, sehr viel Grün. Nur die Berge gibt’s in Lettland nicht. Auch hier herrscht eine unglaubliche Bautätigkeit im alten Zentrum außerhalb der Stadt: Straßenbau, Kanalisation, Gebäude, teils sogar Restauration ...
Die Preise für Produkte sind auf Kamtschatka ca. 10-15% höher als auf dem "Festland". Das liegt daran, dass doch sehr viel aus Wladiwostok importiert werden muss, was wiederum zur Folge hat, dass alle Dienstleistungen und besonders die Exkursionen sehr teuer sind.
Im Folgenden ein paar Beispiele in Kilopreisen und Fotos vom
größten Markt Kamtschatkas.
Geräucherter Lachs um 20 €, der
günstigste frische Lachs 5 €, Käse zwischen 7,50 € und 10 €,
Kartoffeln 1- 1,50 €, Tomaten 4 - 5 €, Äpfel 3,50
€, Mandarinen, Apfelsinen, Birnen um die 5 €, einfache Wurst 5 €,
gute Salami 10 €, Fleisch um 10 € ...
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Einige zweifeln hier an der Zukunft Russlands, aber es gibt auch andere Stimmen, wie z.B. die von Lena, einer Modedesignerin aus Zarow in der Nähe von Moskau. Sie konzentriert sich speziell darauf, Kleidung und Mode zu designen mit russischen Motiven und nach russischer Art. Sie war in Amerika und konnte dort mit ihren Englischkenntnissen überhaupt nichts verstehen, wie sie sagt, weil man dort einen dermaßen schlechten Slang sprechen würde. Auch mit den Werten und der Kultur Amerikas kann sie nicht viel anfangen. Sie möchte, dass Russland wieder eigenständig wird, mit eigenen Produkten und eigener Kultur. Zum Krieg mit der Ukraine fühlt sie tief im Herzen einen großen Schmerz, sie erklärt, sie könne darüber eigentlich gar nicht wirklich reden. Aber die Sanktionen würden Russland mehr nützen, weil es eigenständig wieder Betriebe und Produkte aufbaut und nicht so abhängig bleibt von amerikanischen / europäischen Artikeln. Sie wünscht sich und glaubt an eine Erneuerung von Russland sowie Selbstbesinnung auf russische Traditionen und Werte.
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Dann treffe ich eine Frau, die erzählt, dass sie bei der
Armeegruppe Wagner im Hospital arbeitet. Sie hat eine entsprechende
Jacke an mit den Symbolen und Kennzeichen darauf. Sie ist sehr
begeistert von der Armee, ich sehe das etwas anders. Bei der
schwierig werdenden Diskussion kommt der Administrator des Hotels
hinzu und warnt die etwas laut gewordene Frau, nicht weiter über
Politik zu diskutieren ...
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Auch die Miliz ist fleißig tätig, wegen Falschparkens wird ein Auto weggetragen. Natürlich wird symbolisch woanders auch für sinnlose Ordnung gesorgt. Und auch die interessante Art, wie sie hier die Wäsche trocknen, fällt mir noch bei meinem späteren Rundgang auf ...
Eine Fahrt zum See Khalaktyrskoye
Die Bilder hier sollen für sich sprechen: Die Gegend wirkt auf mich ziemlich verlassen, aber es wird auch etwas Landwirtschaft betrieben ...
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Kunstmuseum?
Es stand zwar Museum dran, war aber eigentlich nur eine Bilderausstellung auf zwei Etagen und mit 4 Euro relativ teuer für so wenig Material. Im Folgenden auch hierzu ein paar Fotos: Das Bild der Frau mit einem Kind ist ein absoluter Widerspruch, denn die Gesichter passen in keiner Weise zu den so gut wie ausgestorbenen Ureinwohnern. Die sahen nämlich wie auf dem darauf folgenden Bild aus. Auch etwas deplatziert wirkt die Werbetafel für die Armee in einem Kunstmuseum ...
Technisch dagegen durchaus hochwertig ist das gezeigte Meerbild, doch auch Kitsch darf natürlich nicht fehlen. Das letzte Bild zeigt sehr anschaulich eher die Verwirrung unserer Zeit ...
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Auf der großen eurasischen
"Insel" leben immer noch viele "Stämme", die sich heute Staaten
nennen und sich an vielen Stellen immer noch wie im Mittelalter
bekämpfen. Flugzeuge fliegen rund um die Uhr, Waffen werden in Hülle
und Fülle gebaut und benutzt. Und die Atomraketen recken sich wie
Pilze aus dem Boden. Gier und Neid jederzeit bereit, sie loszulassen.
Wie armselig doch immer noch die Menschheit ist. Ihre Zahl ist zwar
gewachsen, aber die Qualität des Denkens und Handelns hat sich nicht
wirklich geändert ...
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© 2025 Michael Gallmeister, Lett-landweit






































