7. Tag (Do, 29.08.96)

Am nächsten Morgen fahren wir zunächst zum Wildlachszentrum (Norsk Villaks Center) in Laerdal. Wir erfahren viel interessantes zum Verhalten der Wildlachse und ihrer Wanderung zum Meer und zurück. Riesige Lachse können betrachtet werden, wobei es dort echte Langweiler, aber auch richtige Draufgänger gibt, die sich ständig im stärksten Schwall tummeln und die tollsten Sprünge zeigen. Auch so ein Lachs ist nur ein Mensch.

Von Laerdal aus geht es entlang des Ardalsfjorden nach Ardalstangen und von dort die Straße 53 weiter nach Oevre Ardal. Hier erwarten uns wieder Serpentinen der Straße 302, die erneut in die Höhe führen. Wir entpuppen uns als wahre "Schmalspurglückspilze": viele enge Wege, doch kein LKW, Bus oder Größenwahn-Hymerwohnmobil im Gegenverkehr.

Der Weg wird bald mautpflichtig, wobei uns hier ein Kassierer erwartet. Wir sind im berühmten Jontunheimen Nationalpark und es ist wirklich beeindruckend. Bei Aresete verlassen wir die Straße 302 und fahren auf einer kleinen Piste zu einer Art verlassener "Hochalm" mit See und Wasserfall. Wir sind dort vollkommen alleine und der schlechte Weg stellt sicher, daß uns kein Wohnmobil folgen kann. Wir campen am Ufer, die teilweise verfallenen Berghütten der alten Siedlung geben dem Areal eine unwirkliche Stimmung ...

Am wilden Campingplatz (1) ... Am wilden Campingplatz (2) ...
Der wilde Camper (3) ...

Bei dem folgenden ausgiebigen Bergspaziergang werden wir mit einem Blick auf entfernte Gletscher belohnt. Die Vorsuppe vom Abendessen essen wir im Freien am See. Doch dann beginnt es zu regnen, es wird kalt auf unserer Höhe von 800m und wir ziehen uns in die Kabine zurück.

Trotzdem machen wir nach dem Abendessen in der hereinbrechenden Dunkelheit noch einen Rundgang im regenverhangenen Areal um unseren Stellplatz. Bei dieser Beleuchtung wirken die verfallenen Hütten im Regen wie aus einer anderen Welt, in die wir nur durch einen glücklichen Zufall vorübergehend geraten sind. Die dichte Atmosphäre am Bergsee in dieser völligen Einsamkeit ist wieder einmal ein Eindruck, den wir nie wieder vergessen werden.

Die Nacht ist unruhig. Ein Sturm schaukelt uns kräftig durch. Mitten in der Nacht stehen wir auf und prüfen die Außentemperatur am Thermometer unter unserem Sandblech. Trotz 800m Höhe haben wir 8 Grad C - in Island wäre es in solcher Höhe kälter, bestätigen wir uns im nächtlichen Wind.

8. Tag (Fr, 30.08.96)

Glockenklang weckt uns. Eine neugierige Schafherde inspiziert ohne jede Scheu den Explorer. Es wirkt, als ob die Kabine ihnen wohl recht als Komfortstall mit Heizung wäre, doch vielleicht täuscht der Eindruck auch.

Das Eis ist ja soooooo kalt ....Wir messen erneut die Außentemperatur, es ist nach wie vor vergleichsweise mild für unsere Höhe. Unser Übernachtungsplatz liegt auf einer Art "Hauptwanderweg", wie man der Karte entnehmen kann. Was würden mögliche Wanderer wohl denken, wenn sie den landschaftlich schönen Weg am Wasserfall vorbei hochkämen und dann auf der Kuppe direkt vor dem Redaktionsfahrzeug stünden? Und dort jemand auf dem Kassettenklo sitzt bei offener Explorer-Tür? Doch wie am Vortag kommt auch heute morgen kein Wanderer vorbei.

Weiter geht´s über die Höhen bis kurz darauf die Querstraße 55 erreicht wird. Nach kurzer Diskussion wird im Cockpit Einigkeit erzielt: Die Gletscherlandschaft vom Jostedalsbreen soll angefahren werden, auch wenn dies bedeutet, daß dieselbe Strecke wieder zurückgefahren werden muß. Zunächst also südwestlich die Straße 55 am Lustrafjorden entlang bis zur Ortschaft Gaupne, von wo es dann nördlich in eine Sackgasse geht: die Straße 604 zum Jostedalsbreen.

Die Straße selbst ist traumhaft, landschaftlich abwechslungsreich und durchsetzt mit mehreren kurzen Tunneln. Das Touristen-Zentrum am Ende dagegen erscheint weniger vielversprechend: Neben einem scheußlichen Campingplatz mit einigen Hymern im Matsch wartet nur ein gebührenpflichtiger Weg sowie das Zentrum, in dem viele gebührenpflichtige Touren angeboten werden. Allerdings: in Sichtweite lockt vielversprechend die Gletscherzunge Nigardsbreen, die man wohl besucht haben muß.

Eine Tour wird somit im Zentrum nicht gebucht, wohl aber wird wieder einmal die Maut "abgedrückt": Eine kurze schmale, asphaltierte Straße führt zu einem Parkplatz am Gletscher - davor ein See mit Eisbergen und dann der atemberaubende Blaueis-Gletscherrand!

Wir verkneifen uns den Boots-Transfer und wollen unser Ziel stattdessen vollständig zu Fuß erreichen - ein traumhafter Abenteuer-Fußweg entlang des Sees zum Gletscher erwartet uns! Markiert mit Hinweisen zum Ziel führt er durch eine Vielzahl von kleinen Bächen, riesigen schiefen Steinebenen und anderen Hindernissen, die den Weg zu einer Art geführten (unbedingt empfehlenswerten) Abenteuer-Schnitzeljagd macht und ein Mindestmaß an Geschicklichkeit verlangt.

(Fast) ohne nasse Füße erreichen wir nach kurzer Zeit unser Ziel: vor uns liegt das sehr beeindruckende Gletscher-Blaueis einschließlich seiner vielen, zum Teil während unseres Besuches herausbrechenden "Gletscher-Kälbern". Mit tosendem Krach stürzen Wassermassen aus einem Gletschertorbogen in den See.

Unvorstellbar, daß im letzten Jahrhundert hier ein großes Gehöft stand, das dem voranschreitenden Gletscher weichen mußte ...


Nigardsbreen, die Zunge naht ...

Das Maul ist offen ... Gletscherameisen ...

Im mittlerweile wieder strömenden Regen machen wir uns auf den Fuß-Rückweg, auch wenn das Transfer-Boot in der Nähe auf gescheiterte Fußgänger zu warten scheint. Unterwegs kommen uns andere Wanderer entgegen, die jedoch nach Fragen zur Länge und Art des Weges sowie unter den herrschenden Wetter- und Wegverhältnissen den Mut verlieren und gemeinsam mit uns wieder zum Parkplatz zurückklettern.

Noch naß und mit eingeschalteten Sitzheizungen fahren wir zurück - da uns der trostlose Campingplatz am Gletscherrand nicht reizt, soll es weitergehen zum nächsten bzw. vorletzten bei Gjerde.

Hier sind wir nach kurzer Zeit wieder recht einsam und unter uns, unverdrossen bauen wir trotz leichtem Regen, sumpfiger Wiese und "bescheidenen" Temperaturen unser Zeltdach auf - die Plane vor dem Explorer mitsamt den Stühlen drunter macht es überall recht wohnlich.

Kurze Zeit später werden wir bereits wieder von einem deutschen Urlauber aufgesucht, der den Campingplatz mitsamt beinverletzter Ehefrau sowie Kindern und riesigem Zeltanhänger angesteuert und dann eine Hütte gemietet hat. Er fragt, ob seine Frau wohl den Fußweg zum Gletscher schaffen wird (Ha Ha!) und jammert über sein Urlaubsland Norwegen, gegen das er heute abend wieder Aspirin einnehmen wird - ob der Mann hier wohl richtig ist!?

Am Abend ist wieder Sitzen unter dem Vordach angesagt, bei 6 Grad C und Kerzenschein der Expeditionslampe "reißt" es sogar die "Campingplatz-Beauftragte" ...


© Text/Bilder 1996, 1997 J. de Haas