Island  Island 2019

Schon wieder Island ..?


Dieses Mal kein Reisebericht!

Nachdem ich nun mit meinem neu aufgebauten Land Rover One Ten auch im Jahr 2019 wieder in Island war - mit dem Landy inzwischen zum dritten Mal - stellte ich mir die Frage "Mache ich das noch einmal? Oder sind nun fünfmal Island genug?"

Eigentlich zieht es mich schon seit Jahren nach Osten, aber die erste große Reise direkt nach dem Neuaufbau sollte dann doch besser in ein Land führen, wo ich Freunde habe und ich mich mit Englisch sehr gut verständigen kann. Man weiß ja nie, was passiert … alles kann kaputt gehen und bei einem neu aufgebauten Auto noch viel mehr.

Gesagt, getan und der Osten muss warten. Meine Tochter fährt seit einiger Zeit auch einen 110er Land Rover und hatte auch große Lust (für sie nun zum zweiten Mal) nach Island zu fahren. Diese wunderbare Insel im Nordatlantik drängte sich also für den finalen Test förmlich auf. Nun könnte man hier einen chronologischen, netten Reisebericht machen. Den zigtausendsten vermutlich. "Am fünften Tag waren wir dann …" Gähhn! Bloß nicht!

Island ist überall in den Medien inzwischen extrem omnipräsent und darum verbietet sich so etwas, denn mit wenig Suche im Internet wird man ganz sicher mit Reisevorschlägen, -berichten und Bildern nur so überflutet. Das gibt´s gefühlt doch überall. Obwohl, die Landschaft und die Bilder sind häufig so grandios, dass die Verlockung schon sehr groß ist. Tourismus hin, Tourismus her … die Landschaft ist ja die gleiche geblieben … und die ist einzigartig und toll ...

Die Landschaft ist ja die gleiche geblieben …

Warum lohnt es sich also trotzdem weiterhin etwas dazu zu schreiben? Schon wieder Island? Schon wieder ein Reiseartikel?

Nun, es kann durchaus immer noch interessant sein, und zwar dann, wenn man die frühere Situation mit der jetzigen vergleicht. Viele der "alten" Islandreisenden rümpfen mittlerweile die Nase, weil der Tourismus alles so stark verändert hat. So ein bisschen zähle ich mich ja inzwischen auch zu diesen "alten" Islandreisenden. Ja, er hat Island verändert … ziemlich stark sogar. Aber zuletzt bin ich doch auch nur ein Tourist.

... und die ist einzigartig und toll ...Ich glaube, jeder der sich mit dem Thema ein wenig befasst, weiß recht gut, was Island in den letzten Jahren für eine Entwicklung gemacht hat: Bei einer Einwohnerzahl von ca. 360.000 auf der ganzen Insel entwickelte sich der Tourismus rasant. Zum ersten Mal war ich im Jahr 2009 vor Ort: Damals kamen ca. 350.000 Touristen im Jahr und damit ungefähr so viele, wie es Einwohner gibt. Über das ganze Jahr verteilt hält sich das in Grenzen. 2019 waren es nun aber bereits fast 3 Millionen pro Jahr … eine Verzehnfachung innerhalb von 10 Jahren also!

Als ich im Winter 2017/2018 zum Jahreswechsel dort war, lernte ich, dass sogar im Winter Hochsaison ist. Das allein lässt schon auf deutliche Veränderungen schließen. Natürlich hat Island sich an diese Zunahme angepasst. Inzwischen sind die Tourismuszahlen wieder etwas rückläufig und der Boom wohl ein wenig abgeflaut. Eine mögliche Ursache könnte die Pleite der isländischen Fluggesellschaft WOW Air sein. Mein Kumpel arbeitet ja in der Tourismusbranche und er erzählte mir, dass Flüge aus den USA so billig waren, dass es für Amerikaner lukrativ war, für ein Wochenende mal eben schnell nach Island zu jetten. Der größte Teil seiner Kunden kommt aus den USA. In drei oder vier Tagen konzentriert man sich natürlich auf den Golden Circle und so kommt es, dass genau diese Gegend im Süden mit dem Geysir Strokkur, Reykjavik, dem Gullfoss und Þingvellir so überlaufen ist.

Die Zeiten der billigen Flüge aus den USA scheinen nun zunächst einmal vorbei zu sein. Aber klar ist, dass natürlich an all diesen Stellen ein sehr hohes permanentes Touristenaufkommen ist und alle Sehenswürdigkeiten entsprechend bewirtschaftet werden. Von irgend etwas muss der Isländer ja schließlich leben ...

Das führt eben auch zu solchen Blüten, dass gefühlt 80% des Verkehrs auf der Ringstraße mit Leihautos abgewickelt wird (z.B. ein Kleinwagen in 4x4-Version oder ein buntes Miniwohnmobil mit einem jungen Pärchen darin - sofort erkennbar). Die bleiben dann auch gerne mal mitten auf der Straße ungeachtet einer Parkmöglichkeit stehen, weil man gerade so ein schönes Fotomotiv sieht. Man ist ja im Urlaub. Und dann heißt es schnell raus und ein Bild machen.

Die Isländer machen allein verkehrstechnisch echt etwas mit. In Reykjavik ist der unvermeidliche Selfie-Stick überall: Viele tragen ihre Monstranz am Stock vor sich her. Wo ist eigentlich der Reiz daran, dass auf fast jedem Urlaubsfoto mit einer schlechten Kamera neben toller Landschaft das eigene Gesicht prangt ..?

Eines muss man auf jeden Fall vorausschicken: Der Tourismus half und hilft dem Land aus einer echten, von den Banken verursachten Patsche. Island war sehr stark von der Finanzkrise 2008 betroffen. Die Banken boten hohe Zinsen und jonglierten mit einem Vielfachen dessen, was materiell wirklich auf der Insel vorhanden war. Vor dieser Zeit war Island ein sehr teures Pflaster und für viele einfach nicht erschwinglich. Das hielt den Tourismus im Zaum. Für die Isländer gab es ja viele andere Einkommensquellen.

Die C-117 der US-Army ...Mit der Finanzkrise brachen aber nicht nur diese, sondern auch jede Menge Jobs weg. Viele ausländische Arbeitnehmer wurden arbeitslos und gingen nach Hause. In Island war es normal, zum Hausbau einen Kredit in polnischen Zloty zu haben. Das war auch billig, solange der Kurs der isländischen Krone hoch war. Eine Menge Baustellen, auch die berühmte Konzerthalle Harpa in Reykjavik, wurden stillgelegt und erst nach zwei Jahren weitergebaut. Die isländische Krone brach damals um ca. 30% ein, Preise stürzten ab und machten das Land so für Touristen erschwinglich.

Dazu kommt, dass die Isländer es eben nicht so machten wie viele Regierungen in Kontinentaleuropa und durch Verstaatlichungen der Banken (und damit der Schulden) die Miesen dem Steuerzahler aufhalsten. Die Isländer haben also Gewinne privat gelassen, aber Schulden eben auch nicht verstaatlicht. Sie haben kriminelle Banker tatsächlich eingesperrt. Sie ließen die Banken kaputtgehen und so zahlten alle diejenigen, die sich von hohen Rendite- und Zinsversprechen blenden ließen. To big to fail? Nicht mit den Isländern!

Der sich entwickelnde Tourismus brachte anschließend langsam die Jobs zurück. Natürlich gibt es im Rahmen dieser Entwicklung jede Menge Veränderungen: Viele Privatleute erkannten nicht zuletzt aus finanzieller Not die Werte ihrer Landschaft. Natürlich führt das auch zu "Einschränkungen". Ein gutes Beispiel ist das berühmte Flugzeugwrack im Sólheimasandur: Seit dem Jahr 1973 liegt die C-117 der US-Army nach einer Notlandung dort. Sie liegt auf privatem Grund, aber den Besitzer hat das nie sonderlich interessiert und die US-Army offensichtlich auch nicht, oder warum haben die den Flieger liegen lassen? So konnte man mit einem Geländewagen einfach hin fahren. Das ausgeschlachtete und mit Schrot zerschossene Ding wurde langsam zur Attraktion ...

Jetzt gibt es an der N1, der Hauptstraße, einen Parkplatz mit Eintrittspforte zum Wrack und Sicherheitsregeln. Von dort aus geht ein Plane Wreck Shuttle, das regelmäßig zum Wrack fährt. Man kann sich aber immer noch selbst auf den 4 Kilometer langen, extra angelegten Weg machen und kostenlos zu Fuß hin laufen.

An den meisten Natursehenswürdigkeiten sind inzwischen bewirtschaftete asphaltierte Parkplätze, wo man eine Parkgebühr zahlt. Dass Übernachten verboten ist, wird auf Schildern unübersehbar kundgetan. Das gab es früher gar nicht. Längere Zeit wurde sogar eine "Natureintrittskarte" diskutiert, die man kaufen sollte, wenn man in Island einreist. Es wurde nichts daraus, obwohl ich das nicht verkehrt fände.

Zum Dynjandi in den Westfjorden fahren bereits morgens viele Reisebusse bis aus Reykjavik und stehen dann in Reih und Glied auf dem Parkplatz, den es vor zehn Jahren gar nicht gab. Damals war man dort fast alleine. Ein Klohäuschen gibt es jetzt auch und die Schlange davor ist lang. Toilettenhäuschen sind ja was Positives - aber wenn ganze Menschenschlangen davor stehen, hat es eher etwas Bedrückendes ...

Der Dynjandi ist aus der Nähe eine der schönsten Naturkathedralen Islands. Vor ihm kann man nur in Ehrfurcht erstarren, aber der Parkplatz und die Schlange vor dem Klohäuschen relativieren viel ... Die Ehrfurchtsbilder nicht nur vom Dynjandi sind übrigens zuhauf in den anderen Artikeln, die man im Internet finden kann.

Unterwegs mit dem Plane Wreck Shuttle ... ... und Schlangen vor den Klohäuschen ... Natursehenswürdigkeiten mit bewirtschafteten asphaltierten Parkplätzen ...

Nachteile des Tourismus gibt es also durchaus: Speziell im Süden am Golden Circle ist es schon "überlaufen". Warum aber steht überlaufen in Anführungszeichen? Man muss sich vor Augen halten, dass "überlaufen" relativ ist. Wer den Tourismus in so mancher europäischen Großstadt ganz in Ordnung findet, der wird mit dem Tourismus in Island überhaupt kein Problem haben. Im Vergleich dazu kann man auf der Insel beim besten Willen nicht von Massen sprechen. Es ist also ganz offensichtlich, dass zwar die alten Islandfahrer ein Problem mit dem "Massentourismus" haben, aber das eigentlich doch im Vergleich zum Tourismus zuhause eher lächerlich ist.

Gerade die "Alten" stellen wie unter Zwang immer wieder Vergleiche mit früher an und genau das ist das Problem, aber nicht die absoluten Zahlen. Die Vergleiche gehen zugunsten von früher aus, wenn man allein sein will. Wenn man aber Infrastruktur möchte und ein wenig kulinarische Ansprüche stellt, dann nicht. Wenn man ein "Alter" ist, weiß man zum Glück ganz genau, wohin man flüchten kann: Denn diese Fluchtgegenden gibt es immer noch. Sorry, ich verrate hier keine Insidertipps, aber ein richtiger Geländewagen ist hilfreich, denn was in Island eine ganz normale Straße ist, kann für unsereins schon Hardcore Offroad sein ..!

Es lohnt sich ganz eindeutig immer noch, diese Gegenden selbst zu finden, denn dort gibt es alles, was es früher auch gab. Nämlich einfach gar nichts außer grandioser Landschaft. Früher musste man einen Campingplatz suchen, wenn man mal seine Klamotten waschen wollte. Ok, Waschen wird überbewertet. Normal war es eher, sich einen schönen Stellplatz irgendwo draußen zu suchen.

Kuchen- und Tortenkultur ...Heute muss man in den meisten Gegenden den freien Stellplatz und nicht mehr den Campingplatz suchen. Im Süden ist man sogar "verpflichtet", auf einen Campingplatz zu gehen. Draußen zu übernachten wird nicht mehr gern gesehen. Das kann man aber durchaus auch als Vorteil sehen, denn jetzt gibt es auch die entsprechende Infrastruktur dafür. Im Vergleich zu damals gibt es jetzt wenigstens auch eine Menge Campingplätze, oft sehr rudimentär, schnucklig und immer so groß, dass man sich nicht gegenseitig auf der Pelle sitzt. An vielen Orten sind Cafés und Geschäfte.

Die allermeisten Camps sind auf privaten Grund direkt an den Häusern der Besitzer entstanden. Das hat häufig einen sehr persönlichen Charakter. Es leuchtet ein, dass niemand für 2-3 Saisonmonate im Sommer einen Luxuscampingplatz hinstellt. Aber man kann immer alles erledigen. Waschen, trocknen und im Gemeinschaftsraum kochen geht immer.

Ein ganz großer Vorteil ist, dass Island nun keine kulinarische Diaspora mehr ist: Zum Teil an Orten, wo man es zu allerletzt vermuten würde, gibt es jetzt Restaurants und kleine wunderschöne Cafés. Da kommt auch der Sinn für Kunst, den die Isländer haben, voll zur Geltung. Zu finden ist liebevolle Gestaltung bis zum Geschirr und keine Ikea-Dekoration. In den Cafés gibt es jetzt überall Espressoautomaten. Ja tatsächlich! Dinge wie Espresso und Capuccino, Olivenöl und Balsamico sind völlig normal geworden. Die Filterkaffee-Plörre, die schon seit Stunden auf der Warmhalteplatte steht, trifft man nur noch sehr selten an.

Was ebenfalls durch die Cafés zur Geltung kommt, ist die isländische Kuchen- und Tortenkultur: Überall gibt es nun selbstgemachte Kuchen und Torten, die es echt in sich haben. Phänomenal! Was es früher beim Essen an Defiziten gab, wird jetzt überall mit grandiosen Torten ausgeglichen. Das gab es früher nicht und ist zusammen mit tollen Restaurants ein echter kulinarischer Fortschritt - Kalorienbomben noch und nöcher ...


© 2019 Sigi Heider