3. Tag (Di, 22.08.95)

Nach dem Frühstück und dem militärisch geordneten Zeltabbau interessieren sich Teilnehmer der Reisegruppe für unseren Pickup-Camper. Fachmännisch wird festgestellt, dass es ja wohl nur mit einem solchen Fahrzeug möglich sei, ins Hochland vorzudringen, wenn man nicht zelten will.

Achtung - Furten!Ganz unrecht haben sie nicht. Der Scamper-Aufbau ist zwar breiter als der Pickup, was die Sicht nach hinten in Anbetracht nicht verlängerter Spiegel erheblich beeinträchtigt, doch hat dies auch Vorteile. Man kann zu zweit im Alkoven quer zur Fahrtrichtung liegen und spart so viel Platz in der Kabine. Die Befestigung der Kabine auf dem Pickup mit Ketten lässt das ganze jedoch während der Fahrt ins Schaukeln geraten, weshalb wir eine etwas andere Konstruktion bevorzugen würden.

Wir vermissen eine Elektropumpe für das Waschbecken sowie modulare Wassertanks und könnten auf den Überhang der Kabine nach hinten und seitlich verzichten. Dies ist der Beginn einer Wunschliste für ein eigenes Expeditionsfahrzeug, die sich im Verlauf der Fahrt noch verlängern wird ...

An der Tankstelle von Vik füllen wir nicht nur den Tank auf, sondern auch unseren Ersatzkanister randvoll, denn nun soll es bald von der Hauptstraße abgehen. Dass wir den vollen Benzinkanister mit ins Cockpit nehmen müssen, verlängert unsere Liste um einen Wunsch nach Außenbefestigung.

Weiter geht es nordöstlich die Ringstraße 1 weiter durch den Myrdalssandur, eine weite ebene Fläche, die für ihre Sandstürme berüchtigt ist, die die Wirkung eines Sandstrahlgebläses auf den Autolack haben können, wenn man Pech hat. Doch wir haben Glück, das Wetter bessert sich weiter zusehends, und im strahlenden Sonnenschein breitet sich eine imposante Ebene von beeindruckender Weite und Intensität aus.

Wir wollen über die Straßen 208/210 auf die F22 Richtung Landmannalaugar und damit endlich auf die "echte" Piste. Aber voll daneben! Als wir weiter über die Ringstraße 1 und die gewaltige Brücke über die Abflüsse zum Kudafljót fahren, erkennen wir, dass wir den ersten Abzweig bereits verpasst haben. Durch die südliche Begradigung der Ringstraße 1 scheint auch das Mindestmaß an Beschilderung unter die Räder gekommen zu sein, so dass wir das erste Mal wenden müssen. Die Sucherei geht los.

Da wir leider kein GPS oder ähnliches dabei haben, wird an einem der Abzweige der Kompass herausgeholt und unter Aufbietung aller navigatorischen Kenntnisse fachmännisch kreuzgepeilt zur Standortbestimmung. Wir sind auf dem richtigen Weg, und bald bestätigen uns dies auch erste wieder vorhandene Wegweisungen.

Es war richtig, einen Ersatzkanister in Vik zu füllen, denn die Sommertankstelle ist offensichtlich bereits seit längerem außer Betrieb, jedoch noch in unserer Karte eingezeichnet.

Die Auffahrt auf die F22 ist traumhaft. Die erste richtige Piste unter den Allrädern, die Landschaft zu allen Seiten atemberaubend. Als wir an der Abfahrt zur Eldgjá ankommen, ist erst mal Schluss. Die erste richtige Furt liegt vor uns und veranlasst die inneren Landratten, auszusteigen und uns alles zu Fuß genau anzuschauen. Hier gibt es sie wirklich, die Warnschilder aus den Prospekten, die raten, auffällige Kleidung zu tragen, damit man im Fall des Weggespültwerdens noch gesehen und (vielleicht) gerettet werden kann ...

Was genau zuvor geplant wurde, wird nun an dieser und der Vielzahl noch folgender, wunderbarer Furten praktiziert. Während einer mit Gummistiefeln vorausläuft, kommt der andere mit dem Pickup und eingelegtem Allradantrieb hinterher. Bei dem Wasserstand würden Isländer mit ihren Bigfoot-Fahrzeugen vermutlich nur lachen. Wenn es heißt, möglichst gleichmäßig ohne zu schalten oder zu bremsen durch die Furt zu fahren, muss schon ein entsprechender Wasserstand vorhanden sein. Die Hinweise, stets mit der Strömung zu fahren und den Wagen auf keinen Fall abtreiben zu lassen, schießen durch den Kopf. Aber glücklicherweise haben wir in diesem August (weitgehend) niedrige Wasserstände, die einen jedoch niemals in Sicherheit wiegen dürfen. Wir beherzigen die Regel, dass es für den Pickup kein Problem ist, wo ein Fußgänger mit Stiefeln und wasserdichter Hose noch vorausgehen kann.

... lansam furtet man sich ein ...

Nur zweimal halten wir aufgrund dieser Regel an. Als das Wasser bis zur Hüfte zu reichen beginnt, noch kein Ende abzusehen ist und der zum "Vorfurten" verdammte wieder umdreht, ist auch für den Pickup erst einmal Pause angesagt. Immerhin sind noch die obersten Grundsätze der Fliegerei vor Augen, die besagen: 1. "Immer auf der sicheren Seite", 2. "Schnell ist gestorben".

Kurz darauf passiert eine kleine Kolonne von Geländewagen die Furt (einer davon natürlich ein "Draufgänger" mit richtiger Flutwelle bis zur Windschutzscheibe). Wir fahren langsam hinterher - kein Problem!

Als wir uns dem berühmten Campingplatz von Landmannalaugar nähern, trauen wir unseren Augen nicht. Routiniert vom vielen Furten (sicherlich über zehnmal) hatten wir nicht damit gerechnet, dass die größte aller Furten ausgerechnet direkt vor dem Campingplatz liegen würde, dieser selbst in Sichtweite dahinter, davor jede Menge geparkter Pkws, die eine derartige Wasserhöhe niemals würden bezwingen können. Ein weiträumiger Fußweg über eine nahegelegene, schmale Fußgängerbrücke verdeutlicht, wie die Pkw-Besitzer hier wohl weitergekommen waren.

Erneut ist Warten angesagt. Der "Vorfurter" war auf der Stelle umgedreht, als sich das Wasser (bereits in Oberschenkelhöhe) und unter den Gummistiefeln als so heiß entpuppte, dass es bereits in den Stiefeln zu warmen Füßen führte ...

Bald darauf wagt es ein Pajero-Fahrer. Die Bugwelle schwappt zwar über der Motorhaube zusammen, aber das Fahrzeug kommt wohlbehalten am anderen Ufer an. Nun gilt es in die bis dahin höchste Furt zu folgen! Als die Motorhaube auf der anderen Seite sich wieder aus dem Wasser löst, ist Aufatmen angesagt.

Furten vor Landmannalaugar ...

Als stolzer "Offroader" parkt man am Ziel - die heißen Quellen von Landmannalaugar direkt beim Campingplatz.

Eine Stunde später sitzen wir bereits im warmen Topf, die vielen Algen darin stören uns jedoch nicht. Auch Einheimische sitzen hier und genießen die eigentlich unwirkliche Szenerie: Kalte, karge, malerisch schöne Landschaft, bunt schillernde Liparitberge, davor wir in der heißen Quelle, dem "Hotpot".

Abends kommen langsam die Symptome einer Erkältung hoch, die uns noch während des nahezu gesamten kommenden Trips verfolgen und uns einen guten Teil der Freude rauben wird. Später werden wir spekulieren, ob wir uns bereits im Flieger angesteckt haben oder ob es die erste Nacht bei Hella war, in der vielleicht Schal und Mütze im Schlafsack angebracht gewesen wären. Wir werden es nie genau wissen.

Die abendlichen Temperaturen erscheinen mit Erkältungssymptomen noch eisiger, als sie vielleicht wirklich sind. Das Spülwasser wird heute von der heißen Quelle geholt. Eine Gruppe einheimischer Jugendlicher grillt gut gelaunt draußen im Regen.

Wie schlecht es mir wirklich geht, lässt sich vielleicht daran ermessen, dass heute von den abgezählten Bieren etwas übrig bleibt - heißer Tee mit Rum und später Osborne begleiten uns an diesem Abend in die Koje, eine Kombination, auf die wir von nun an noch häufiger zurückgreifen werden und die dazu beiträgt, dass am Ende der Reise tatsächlich Bier übrig bleibt ... 

4. Tag (Mi, 23.08.95)

Am nächsten Morgen sind die Erkältungssymptome stärker, man fühlt sich krank, jedoch nicht krank genug, um nicht ein erneutes Bad in der heißen Quelle von Landmannalaugar vor dem Frühstück zu nehmen, was Besserung zu verschaffen scheint ...

Nachdem der Pickup reisefertig ist, wird - Erkältung hin oder her - ein Fußmarsch auf den Plan gesetzt, der vom Campingplatz weg in die nahe Umgebung führt. 

... in der Umgebung von Landmannalaugar ... ... eine Troll-Erscheinung im Schwefeldampf ...

Wir kommen an Resten von Schneefeldern vorbei, lassen uns von Schwefeldämpfen eines nahen kochenden Schlundes einnebeln und freuen uns über die bunten Steine und die schwarzen, gläsernen Obsidiane. Zurückgekehrt von diesem wunderbaren Spaziergang über die Höhen bei Landmannalaugar starten wir erneut, nicht ohne vorher ausreichend Wasser getankt zu haben.

Unseren Plan, noch heute einen Teil der Sprengisandur-Piste nach Norden zurückzulegen, können wir problemlos verwirklichen. Schon bald verlassen wir die F22 und rollen bei einem Kraftwerk zwischen den Seen Hrauneyjalón und Krókslón auf die Schotterpiste: Der Sprengisandur (F28) schlägt uns unverzüglich in seinen Bann.

Langsam passieren wir den ausgedehnten þórisvatn-See in nordöstlicher Richtung, die Einsamkeit ist bereits vollkommen. Da wir nun bereits dreimal auf einem Campingplatz übernachtet haben und überdies das südlich gelegene Naturschutzgebiet mittlerweile verlassen haben, sind wir der Überzeugung, das nun endlich "wildes" Campen in der Einsamkeit angesagt ist. Wir verlassen den Sprengisandur nördlich vom þórisvatn und folgen einem Abzweig in nordöstlicher Richtung. Kurz nachdem wir ein in der Karte eingezeichnetes Flugfeld passiert haben, stoßen wir auf eine Art Talsperrenmauer an einem Ausläufer der hier befindlichen Fluss-/Seenplatte. Das "Bónuð", auf das wir unterwegs stoßen, können wir leider beim besten Willen nicht übersetzen (oder sollte es vielleicht "Verboten" heißen?).

Da die Einsamkeit vollkommen und das "Bónuð" noch in Erinnerung ist, parken wir den Pickup unwillkürlich rückwärts so am See, dass ein sofortiger Blitzstart möglich erscheint. Doch woher soll hier eine Störung kommen? Lediglich einige Bauhütten in der Umgebung und eine auf der Staumauer angebrachte, mit Stahlseilen gegen den Sturm auf der Kaimauer befestigte Messstation zeugen davon, dass hier ab und zu auch andere Menschen sind ...

... wildes Camp am Sprengisandur ...

Ein kalter Wind sowie die Erkältung in den Knochen mindern etwas die Freude am abendlich einsamen Spaziergang auf der Staumauer. Im Fernglas kann man sehen, wo sich der Sprengisandur in Richtung Norden auf eine leichte Anhöhe zuwindet. Bei einem dieser Blicke wird auch eine Staubwolke in der Ferne sichtbar, die von einem abendlichen Fahrzeug in der Einsamkeit kündet - eine Erinnerung, die sich einprägt ...

Der Wind am See wird stärker und wir befestigen die Trittstufe am Heck, auf der man die Wohnkabine entert, mit einigen Steinen. Der unvermeidliche Osborne nach heißem Tee mit Rum, Windgeräusche, flackernde Kerzen und das mittlerweile im Hochland gänzlich verstummte Radio schaffen an diesem Abend das perfekte Gefühl, am Rande der Zivilisation angekommen zu sein ...


© Text/Bilder 1996, 1997 J. de Haas