Estland, 23. - 24.08.04: Am magischen Ort ...

Es fällt schwer, die Aadu Farm zu verlassen, aber es muss sein, wir haben noch viel vor. Auf der Hauptstraße Nummer 74 geht es auf die Insel Muhu zum Fährhafen Kuivastu (N58.57311° E023.39167°). Trotz Werktag und Vormittag ist kaum Verkehr auf der Straße. Eine Baustelle, an der die Straße mehrspurig ausgebaut wird, lässt ahnen, dass man in der Zukunft mit gigantischem Verkehrsaufkommen rechnet - auch hier offenbar wieder der ewig gleiche Ablauf wie überall auf unseren Reisen der letzten Jahre. 

Zurück aufs Festland ...Die Verkehrsregelung an der Baustelle ist etwas unübersichtlich: Zwei blonde Mädels mit Funk leiten den Verkehr einspurig durch die Baustelle, wobei eigentlich genügend Platz ist, dass zwei Fahrzeuge leicht aneinander vorbei kommen könnten. Hinter den Mädels wird es dann tatsächlich eng und die Autofahrer müssen sich selbst abstimmen, wie sie die Engstelle passieren - nun ja, die Uhren gehen hier tatsächlich noch etwas anders ...

Die Insel Muhu ist mit Saaremaa durch einen Damm verbunden, so dass auf dieser Strecke keine Fähre erforderlich ist.

Auf der Insel folgt schließlich ein kurzer Besuch in einem Supermarkt. Auch hier fällt auf: Außer Hackfleisch und Hühnerteilen kein Frischfleisch und keine Selbstbedienung bei hochprozentigem Alkohol. Und hochprozentig ist auch so gemeint: Wodka mit 80% steht neben Strohrum mit ebenfalls 80%. Wer es sanfter mag, bekommt auch Wodka mit 60% und für Weicheier und Leichtmatrosen wie uns gibt es ihn auch mit lediglich 40% ...

Im Hafen kaufen wir die Tickets zum Festland: Die Spur, in die wir eingereiht werden, zeigt deutlich, dass eine Höhenbegrenzung von 2 m besteht - für uns eindeutig zu wenig. Auch auf dem Ticket ist dies zu ersehen: Zu Fuß geht es zurück zum Schalter. Dort blickt die Dame zwangsläufig kurz vom Olympiaprogramm hoch, schaut auf unser Gefährt, winkt ab und macht deutlich, dass es letztlich egal ist. Ist es auch, denn die einige Zeit später erscheinende Fähre ist nach oben offen ...

2 Meter sind 2 Meter, oder etwa doch nicht!?

Nicht jeder kann mit ...
Eine Rampenlösung wartet ... Das Festland hat uns wieder!

Laut Fahrplan gibt es eine Fähre um 12:00 Uhr und für diese Fähre wären wir pünktlich da. Aber an der Zeit 12:00 Uhr ist ein Symbol zu erkennen, das im Fahrplan estnisch erläutert wird. Wir ahnen nichts Gutes und haben Recht: Die Fähre fährt nicht. Also getreu dem Motto "Reise in die Langsamkeit" warten wir auf die 13:00 Uhr-Fähre, auf der wir tatsächlich noch mitkommen. Die Fähre wird auf zwei Etagen angefahren: Für das obere Deck werden die Fahrzeuge über eine Rampe geleitet, es wird dicht gepackt und nicht alle kommen mit. Die Zurückbleibenden müssen eine Stunde warten, bis zur nächsten Fähre ...

Teufelszeug: Nordic Summer hilft gegen Mücken ...Die Überfahrt ist kurz, es lohnt sich nicht auszusteigen. Die Reise geht weiter Richtung Pärnu, ehemals eine Hansestadt, nun ein alter traditionsreicher Kurort, der mit seinen malerischen alten Holzhäusern einst Adelige und reiche Bürger aus ganz Europa beherbergt hat. Auch heute gilt Pärnu noch als die heimliche Sommerhauptstadt Estlands.

Schotterstraßen führen zum Hochmoorgebiet Estlands, dem Soomaa Nationalpark. Immer wieder sind Gärten zu sehen, deren Zäune aus Luftlandeblechen gebaut wurden, es muss hier unglaubliche Mengen dieser Bleche gegeben haben. Im Nationalpark wollen wir einen Tag verbringen. Doch das Touristcenter mit angeschlossenem Campingplatz hat geschlossen, es ist Montag. 

Wir schauen uns ein wenig um und fahren einige weitere Plätze an, an denen das Campieren ebenfalls erlaubt ist. Der Urwald und die Sümpfe sind beeindruckend: Ein Elch kreuzt unseren Weg und ein Fischreiher fliegt eine ganze Strecke im Tiefflug vor uns her, Störche staksen durch die Wiesen. Allerdings muss man wegen des Hochmoors hier Mücken in Kauf nehmen: Auch wenn das Teufelszeug Nordic Summer, das uns Heiko Riedel anlässlich eines Besuchs in München aus Finnland mitgebracht hat, wirklich exzellent wirkt, haben wir keine Lust mehr, umschwärmt zu werden: Wir sind inzwischen zu verwöhnt!

Einfahrt zum Soomaa Nationalpark ... Kuh und Storch im Partnerlook ...

Also wird am Abend die Reise fortgesetzt, denn laut Infokarte soll es Richtung Viljandi einen weiteren Campingplatz geben. Dort angekommen ist allerdings kein derartiger Platz zu finden: Am Straßenrand parkt ein Auto mit drei Männern von einem Vermessungstrupp - die müssten doch wirklich wissen, wo es hier Campingplätze gibt?! Zuerst hören wir natürlich das obligatorische: "Do you have a tent?" und dann will man es ganz genau wissen: "What kind of camp?". Es wird wieder viel diskutiert, aber die Vermesser wissen nichts, rein gar nichts ...

Wir fahren über eine schmale Piste zu einem Haus, um dort zu fragen: Englisch wird zwar nicht verstanden, aber als er auf Russisch angesprochen wird, zeigt sich der junge Mann dort sehr freundlich und er meint: "iks minut". Er geht wieder ins Haus und kommt kurze Zeit später mit einem gelben Post-it-Zettel zurück, auf dem er eine Skizze gezeichnet hat, die uns nach Kivi Talu leitet - dort sollen wir nachfragen.

Tatsächlich findet sich am Ziel ein großes Gästehaus (Vidrik kivi turismitalu): Nach der englischen Frage nach Campingmöglichkeiten meint der Besitzer "Können Sie ein bisschen Deutsch?" Und schon gestaltet sich die Kommunikation deutlich einfacher: Eigentlich betreibt der Besitzer neben seinem Gästehaus keinen Campingplatz, aber nach kurzer Diskussion leitet er uns zu einem traumhaften Platz, auf dem seine private Sauna steht. Überall sind Holzpyramiden und Holztipis zu sehen. Er erklärt uns, dass bei diesen Pyramiden Abnormalitäten in der Erdstrahlung bestehen. Man soll sich an die gekennzeichneten Plätze setzen und meditieren. Eine Spirale aus großen Steinen gibt dem Ort etwas Magisches: Zu diesem Platz gehört ein Sumpf mit Flusssystem, das der Besitzer in einer Länge von zwei Kilometern selbst ausgebaggert hat ..!

Meditieren am magischen Ort ...

Perfekte Sonnenanbeterin ...

Wohin man schaut: Magischer Ort ... Traumhaft schön und keine Mücken!

Es gefällt uns hier so gut, dass wir am Ufer nahe einer großen Lagerfeuerstelle unser Camp aufschlagen und spontan beschließen, zwei Tage bleiben. Im nahen Wald wachsen köstliche Steinpilze und Pfifferlinge, überall huschen eilige Eidechsen vorbei. Ein Biber hat in den ausgebaggerten Fluss bereits seine Burg gebaut. Wir werden mit Holz versorgt, so dass wir abends am urigen Lagerfeuer sitzen können. Was wollen wir mehr ..?


© 2004 Text/Bilder Sixta Zerlauth