Litauen, 02.09.04: Das Grauen im Walde ...

Auf dem Weg zur Westküste Litauens ...Der Nationalpark Zemaitija birgt im Wald Plokstine noch eine grausige Hinterlassenschaft der Russen, und die ist der Grund für unsere Exkursion hierhin: In diesem Wald wurde eine der ersten Raketenabschussstationen errichtet für thermonukleare Mittelstreckenraketen mit einer Reichweite von bis zu 2.000 km, deren Ziele auch in Deutschland lagen. Diese Raketenstation kann man besichtigen, sie ist ein Militärmuseum, aber es scheint geschlossen zu sein.

Auf einer Tafel finden wir eine Telefonnummer zur Kontaktaufnahme: Das klappt auch! Aber wir müssten die Führerin am anderen Ende des Sees abholen und nach der Führung auch wieder dort abliefern. Die Saison ist bereits seit dem 15.08. zu Ende und sie hat kein Auto, wie sie auf Englisch erklärt. 

Auch wenn es sicher ein toller Service ist, dass man eine individuelle Führung buchen kann, uns ist das Verfahren hier und heute zu kompliziert. Schließlich müssten wir alles zusammen packen, unseren Stellplatz aufgeben, um den See fahren, die Führerin zwischen unseren Campingsachen in den Explorer verstauen, usw.

Wir beschließen spontan, die Atomraketenstation so weit möglich selbst zu erkunden. Von unserem Stellplatz aus führt ein schöner Waldweg zur Station.

Passend zu dem trostlosen Terrain schüttet es zunächst aus Kübeln, aber schon bald hat das Wetter ein Einsehen und der Regen lässt langsam nach ...

Für Kfz gesperrt, für Fußgänger kein Problem ... Auch die zweite Sperre kann niemanden wirklich aufhalten ...

Die Einfahrt ist gesperrt, aber für uns als Fußgänger ist dies kein Problem. Beeindruckend sind die "Betonsandbleche", mit denen hier im Umfeld alle Wege "gepflastert" sind. Auch die zweite Barriere hat Lücken: Im Stacheldrahtzaun haben schon viele Besucher vor uns einen Zugang geschaffen ...

Plan der Raketenstation Plokstine

Ein Plan zeigt, wie groß die Anlage war. In vier 30 Meter tiefen Schächten wurden die Raketen gelagert. Die Schächte sind mit dicken Betondeckeln verschlossen. Unvorstellbar, wie diese tonnenschweren Deckel aufgeklappt wurden. In der Mitte der Anlage befindet sich noch die Leitstelle, die man jedoch nur mit Führer besichtigen kann. Wir finden den Eingang, im Winter soll diese Leitstelle vielen Fledermäusen als Quartier dienen ...

Der offizielle Eingang ... Eingang zur Leitstelle ...
Raketenschacht ... Die Natur beginnt alles zu überwuchern ...

Die Pflanzen bemächtigen sich zusehends der Anlage: Überall, wo Ritzen sind, sprießen Gräser, kleine Büsche und sogar Bäumchen. Pionierpflanzen nennt man dies. Als Mahnmal für den kalten Krieg soll das Museum erhalten bleiben. Wir kehren nachdenklich zurück zu unserem Stellplatz. 

Am Abend kommt tatsächlich der Warden wieder vorbei. Die Übernachtungspauschale ist 1 Litas geringer als am Abend zuvor. Sie räumt uns Rabatt ein, wegen des Regens, wie sie lächelnd erklärt. Sie wird nur noch wenige Tage hier nach Touristen schauen, die Saison ist wirklich vorbei und wir sind wieder völlig allein am See - allein mit den Überresten des kalten Krieges in unserer Nachbarschaft ...


© 2004 Text/Bilder Sixta Zerlauth