Gaziantep - "Tapferes Antep"
Um mich ohne schlechtes Gewissen begleiten zu können, hatte Erich mit seiner Frau Grazyna einen Deal vereinbart: Sie solle mit dem Flugzeug nach Gaziantep nachkommen und von dort aus zusammen mit ihm gute zwei Wochen im Mietwagen und Hotel die kulturhistorisch bedeutendste Region der Osttürkei entlang der syrischen Grenze bis Mardin bereisen. Das Hotel in "Antep" war für die ersten Nächte gebucht, ebenso der Mietwagen. Da Grazyna im Urlaub bisher immer Beifahrerin sein durfte nahm sie ihren Führerschein nicht mit auf die Reise.
Nun taucht aber ein unerwartetes Problem auf: Der Vermieter des
Wagens verlangt neben einem Führerschein auch einen Einreisenachweis
in die Türkei, üblicherweise das Flugticket oder den Einreisestempel im Reisepass. Aber
seit einigen Jahren kann man das Land auch mit Personalausweis
betreten, auch das mitgeführte Fahrzeug muss nicht mehr im Pass
eingetragen werden. Wir hatten bei unserer Einreise in Edirne diese
bequemere Variante gewählt, Erich hat also keinen schriftlichen
Einreisenachweis in Händen. Trotz langen Verhandlungen und allen
möglichen Versuchen: Er bekommt kein Auto ...
Natürlich könnten die Zwei ihre Reise von uns abkoppeln und mit öffentlichen Bussen und Taxi von einem Hotel zum anderen fahren. Einfacher ist aber die Lösung, die wir schon in Albanien und in Rumänien erfolgreich übten: Wir rücken im Bremach etwas zusammen, fahren also zu dritt die zwei Wochen herum. Nach Ablauf dieser Zeit werden wir Grazyna zurück zum Flughafen Gaziantep bringen.
Die Stadt Gaziantep gilt als kulinarisches Zentrum der Region und bietet einige touristische Höhepunkte, von denen das Zeugma Mosaik Museum zurecht herausragt. Dort werden einzigartige Mosaikfußböden gezeigt, die in einer abenteuerlichen Rettungsaktion im Sommer 2000 aus einem Villenkomplex der Römerzeit buchstäblich am letzten Tag vor der Überflutung geborgen werden konnten. Insgesamt wurden 45 Mosaike, die Hälfte davon fast unversehrt, gerettet und bei der letzten dieser Grabungen standen die Archäologen schon fußtief im Wasser des aufgestauten Euphrat. Weltberühmt und fast schon Wahrzeichen von Gaziantep ist das Bild eines Mädchens, der sogenannten "Zigeunerin", das zum Schutz vor Umwelteinflüssen in einem separaten, abgedunkelten und mit Kunstlicht nur schwach erhelltem Raum an der Wand hängt. Es zu fotografieren ergibt kontrastarme farblose Bilder. Deshalb hier ein käufliches, gerahmtes Farbbild für Touristen abfotografiert. Es ist schon beeindruckend, wie der Künstler mit dem groben Raster eines Mosaiks eine derart starke Ausdruckskraft erreichen konnte. Ein wahres Meisterwerk der Mosaikkunst: Die Mona Lisa von Gaziantep!
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Gaziantep hat aber auch sonst noch einiges zu bieten: Bei unserer
Ankunft am Sonntag sind abends die Verkaufsstände im Basarviertel
noch alle verschlossen und erst am nächsten Tag wird die Pracht und
Vielfalt erkennbar. Unschlagbar sind hier all die leckeren Sachen,
die aus Pistazien gemacht werden.
Baklava gilt ja als Zuckerbombe,
aber nicht hier in Antep. Der intensive Pistaziengeschmack lässt die
Zuckersüße kaum spüren. Nirgendwo in der Türkei und auch nicht beim
Türken in Deutschland habe ich je derart fantastische Baklava
gegessen. Der Nachteil davon: Ich mag Baklava nicht mehr, weil ich
die genialen Teile aus Gaziantep nirgends sonst bekomme ...
Das starke Erdbeben im Februar 2023 hat Antep schwer getroffen: Ein Zeichen davon ist die immer noch gesperrte und eingerüstete Moschee im Basarviertel. Die Gläubigen müssen ihre Gebete in diesem langen Zelt neben der Moschee verrichten. In Vororten und auf dem Land finden wir oft weitere Ruinen, wobei der Eindruck entsteht, dass vorwiegend mittelgroße Wohnhäuser, also ca. 5–8-stöckige Wohnquader eher jüngerer Bauart, also etwa 50 Jahre alt, betroffen sind. Diese Häuser sind nicht eingestürzt, aber wegen Schäden in der inneren Statik unbewohnbar geworden. Fast nirgendwo sieht man, dass Reparaturarbeiten stattfinden. Nicht betroffen ist das zentrumsnahe Katan Hotel, hinter dem ich 3 Tage lang ruhig und ungestört stehen kann, während Erich und Grazyna in einem anderen Hotel der Stadt weilen. Derartige Stellplätze kann man in Google Maps finden, weggeschickt wird man kaum einmal, die Türken sind diesbezüglich sehr tolerant ...
Sanliurfa, das frühere Urfa
Die nächste Großstadt auf dem Weg in den Osten ist Sanliurfa. Auch hier finden wir mitten in der lebhaften Stadt einen billigen Stellplatz, und zwar auf dem Parkplatz vor dem ausgezeichneten archäologischen Museum. Man muss sich nur trauen, das bewachte Tor zu diesem Parkplatz anzufahren und den Wärter zu fragen, ob man dort übernachten kann. Selbstverständlich kann man übernachten, kostet 100 Lira die Nacht. Und die Fußkranken haben nur wenige Meter bis zu dem riesigen und sehr modernen Museum, das einige unbedingt sehenswerte Abteilungen hat.
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Wer hier im sogenannten fruchtbaren Halbmond reist, interessiert
sich zwangsläufig für die Frühgeschichte der menschlichen
Zivilisation, die in dieser Gegend ihren Ursprung hatte. Das 12.000
Jahre alte Kultzentrum
Göbekli Tepe ist nicht weit von hier und wird
im Museum sehr eindrucksvoll dargestellt. Es gibt hier sogar ein
Modell in Originalgröße vom größten Stelenkreis aus Göbekli Tepe und
diese Kopien sind zum Teil besser als die Originale, vor allen Dingen
besser aus der Nähe zu betrachten. Zum Original nach Göbekli Tepe
muss man danach nur noch, um die Mystik des Ortes und den Bezug zur
Landschaft zu finden. Und um sagen zu können, man war dort ...
Aber Kondition braucht man schon für dieses Museum der Spitzenklasse: Die ganze Entwicklung der Menschheit von der Besiedlung der Gegend mit Jägerkulturen in der Altsteinzeit, der Erfindung des Ackerbaus um Göbekli Tepe in der Neusteinzeit und der späteren Entwicklung wird mit modernen didaktischen Mitteln gezeigt. Nach etwa 2-3 Stunden bin ich erst bei den Griechen angekommen und muss die Römer und spätere Kulturen wegen Erschöpfung streichen. Aber es hat sich gelohnt!
Für Muslime hat Urfa andere, heilige Höhepunkte: Die Parkanlage Dergah enthält neben der angeblichen Geburtsgrotte des Abraham auch
den berühmten Teich der heiligen Karpfen, die nach der alten Sage
aus den glühenden Kohlen entstanden sind, über die Abraham laufen
musste. Heute kann man es dort als Karpfen gut aushalten: Man wird
ständig gefüttert und darf nicht gefischt werden ...
Der Spaziergang von unserem Parkplatz zu den Karpfen führt am Mosaik Museum von Sanliurfa vorbei, welches wir natürlich auch noch sehen wollen. Es ist deutlich kleiner als sein Pendant in Antep, hat aber auch einige sehr schöne Mosaike, die zum Teil leider nur fragmentarisch erhalten sind. Doch langsam reicht es uns mit Kultur und Museum und wir ziehen weiter.
Diyarbakir
Vorbei an Göbekli Tepe und einigen anderen kleineren Ausgrabungsstellen machen wir einen Abstecher an den Euphrat und zu König Antiochus auf dem Nemrut Berg. Danach geht es zur kurdischen Millionenstadt Diyarbakir. Diese kurdische Metropole hatte mir auf meiner ersten Reise so gut gefallen, obwohl ich damals nur einen kurzen Rundgang machen konnte.
Die politische Entwicklung ab November 2014 brachte aber großes
Unglück über die Stadt: Die kurdenfeindliche Politik Erdogans führte
zur Vertreibung hunderttausender von Kurden aus ihren Dörfern nach
Diyarbakir. Heute sind aus den damals 900.000 mehr als 1,6
Millionen Bürger geworden. Im Zentrum der Stadt hat die Regierung
unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung ein ganzes
Altstadtviertel mit Bulldozern und Panzern platt gewalzt und bis
heute nicht wieder entwickelt. 10 Jahre danach beginnt man dort
inzwischen mit Aufräumarbeiten und Planungen. Den demokratisch
gewählten kurdischen Bürgermeister hatte Erdogan ins Gefängnis
werfen lassen (klar, Terrorismusvorwurf!
) und durch seine Getreuen
ersetzt. Verständlich, dass die Leute hier ihren Staatspräsidenten
und seinen Apparat "lieben" ...
Wieder kommen wir genau an einem Sonntagnachmittag hier an und müssen lange durch dichten Verkehr kriechen, bis wir mit riesigem Glück am Rande eines Erholungsparks voller Menschen und innerhalb der Stadtmauer zwei Parkplätze nebeneinander finden und uns in das Treiben zwischen den Marktständen und Straßenlokalen stürzen können. Später erfahren wir, dass genau an dieser Stelle ausnahmsweise das Parken verboten ist wegen direkter Nähe zu einem bewachten Verwaltungsgebäude der türkischen Regierung. Der Wachmann sagt uns das aber erst am nächsten Morgen und bittet uns höflich, 50 Meter weiterzufahren und unser Frühstück dort fortzusetzen. Kein Problem für uns, aber wir wundern uns erneut über die Geduld der Leute mit uns Campern: Wo gibt es das in Europa?
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Mardin
Von Diyarbakir sind es nur 90 km bis Mardin, die als schönste Stadt in der Osttürkei gilt. Die Altstadt ist ein dicht bebauter Hügel und nur eine einzige für den Durchgangsverkehr ausreichend breite Einbahnstraße windet sich in West-Ost Richtung über den Berg. Wir bleiben zwei Nächte auf dem einzigen Campingplatz der Stadt am südlichen Fuß des Berges und wandern idyllisch durch enge Gassen und über viele, viele Stufen zum Stadtzentrum hoch.
Christliche Kirchen
und Klöster gibt es zu besichtigen, und in einem netten Café im
dritten Stock eines Hauses am Straßenrand, mit schönem Blick in
die trockene Ebene südlich, lernen wir sogenannten kurdischen Kaffee
kennen: Der schmeckt mir als Teetrinker sehr gut, ist aber
eigentlich kein Kaffee, sondern ein heißes Instantgetränk aus einer
speziellen Pistazienart, also völlig koffeinfrei. Hier in Mardin
kann ich endlich einmal mein mitgeführtes E-bike einsetzen und diese
Durchgangsstraße rasch und bequem erkunden. Ansonsten ist und bleibt
das Fahrrad auf unserer eng getakteten Reise meist nur Ballast am
Heckträger ...
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Auf dem Campingplatz gibt es wie so oft einige nette Begegnungen
und damit einen interessanten Kontrast zu den einsamen Stellplätzen
in der Natur: Ein deutscher Single zieht mit seinem winzigen Fiat
Cinquecento, also dem neuen Fiat 500, einen ebenso kleinen Wohnwagen
hinterher und kam bisher damit fast überall hin. Neben ihn stellt
sich später der komplette Gegenentwurf dazu: Ein holländisches Paar
in martialisch wirkendem alten Deutz-LKW mit riesigen Stollenreifen
und deutlich zur Schau gestellter Expeditionsausrüstung wie Winde,
Bergegurte und Sandbleche. Zum Niveauausgleich verwendet er zwei
dicke Vetter-Bergekissen. Dagegen wirken unsere 5-Tonner wie kleine
Jungs ...
Kurz vor Sonnenuntergang kommt noch eine große Reisegruppe dazu: Neun große Allrad-Wohnmobile aus Deutschland und der Schweiz unter der Organisation von Seabridge machen Station hier auf ihrer einjährigen Asienreise, die sie bis China führen soll. Einer der Gruppe ist gesprächig und erzählt uns, dass diese Reise mangels Teilnehmerzahl fast nicht zustande gekommen wäre und neun Fahrzeuge die untere Grenze der Rentabilität für den Veranstalter sei. Gut durchorganisiert verschwindet die Gruppe bald vollzählig zu einer Stadtbesichtigung mit anschließendem Lokalbesuch. Am nächsten Tag wartet nach dem Frühstück ein lokaler Guide mit Reisebus auf sie und fährt sie zu allen Sehenswürdigkeiten der Umgebung, die wir entspannter, aber weniger effektiv auch abklappern werden.
Dazu fahren wir zuerst zum berühmten Kloster Zafaran und stellen uns in die Reihe der fast 1.000 Touristen täglich. Der Besuch lohnt sich aber trotzdem, das alte Bauwerk ist beeindruckend und die safranfarbenen Mauern sowie die tiefen Gewölbe wollen wir live sehen und nicht auf dem Reiseprospekt ...
Von Mardin aus war geplant, Grazyna die 300 km Autobahn zurück
nach Gaziantep zu bringen und sie dort in den schon bezahlten Flieger
über Istanbul nach Nürnberg zu setzen. Aus Rücksicht auf unsere
"knappe" Urlaubszeit googelt Grazyna aber nach einer anderen Lösung
und findet für 170 Euro einen frühen Flug von Mardin nach Istanbul,
wo sie zu ihrem Anschluss nach Nürnberg umsteigen könnte. Diese
komplette Schnapsidee wird umgesetzt. In Istanbul ist dann das Gate
zum Anschluss nach Nürnberg schon geschlossen und sie muss, um
überhaupt weiter zu kommen, einen neuen Flug bezahlen. Der geht mangels
Alternative nach Stuttgart und von dort aus muss sie auch noch per Zug nach
Nürnberg fahren: Schlussendlich kommt sie ziemlich gestresst gegen
Mitternacht zu Hause an und hat die gesamte Rückreise extra bezahlen
müssen. Im Vergleich dazu wären die 2 x 300 km Autobahn nach Antep
einfacher und billiger gewesen ...
Unsere Reise geht aber weiter in Richtung Osten zu schönen Naturplätzen und wilden Straßen, worüber aber im dritten und letzten Teil berichtet werden soll ...
Fortsetzung folgt!
© 2025 Sepp Reithmeier, Fotos: Sepp Reithmeier, Erich Junker
Anm. der Red.: Weitere Beiträge von Sepp finden sich in unserer Autorenübersicht!