1.Tag: Vaterstetten - Riegsee (100 km)

Bei strahlend blauem Himmel starte ich gegen 8 Uhr in Vaterstetten. Von dem im Münchner Osten liegenden Ort fahre ich über ruhige Nebenstrecken in Richtung Bad Tölz. Auf den Autobahnen ist überall Stau. Mit einem "Allgemeinen Anruf" über CB-Funk versuche ich Kontakt mit den "armen Schweinen" im Auto aufzunehmen - aber keiner meldet sich.

Auf Bayern 3 läuft gerade die "Sternstunde". "An einem Tag wie diesem muß Kolumbus Amerika entdeckt haben", heißt es. Und überhaupt sei dieser Tag genau richtig, um größere Vorhaben zu verwirklichen - na dann kann ja eigentlich nichts mehr schiefgehen!

Ein paar Kilometer vor Bad Tölz gerate ich versehentlich auf eine riesige Bundesstraße, die in Isarnähe verläuft. Direkt am Isarufer den Kocher auspacken - das wärs jetzt. Doch das gesamte Areal ist Landschaftsschutzgebiet - die überzeugenden Schilder, die so ziemlich alles verbieten, was ich dort vorhabe, lassen mich weiterfahren.

Fast habe ich die Hoffnung, einen Platz zu finden, an dem ich mir mein Mittagessen kochen kann, aufgegeben. Der Magen knurrt. Ich entschließe mich, in ein nettes Fischrestaurant direkt an der Isar zu gehen. Doch die stark überhöhten Preise dort veranlassen mich zum schnellen Rückzug. Dann fällt mein Blick auf das gegenüberliegende Ufer. Dort ist ein breiter Kiesstreifen: ideal denke ich, und fahre hin.

Zwei Männer laufen direkt vor mir mit ihren Kajaks im Kies auf, während ich mir auf meinem Trangia Set einen Nudeltopf aus der Tüte zubereite. Ein Mann kommt mit zwei Klappstühlen an mir vorbei. Wo es denn hingeht, will er von mir wissen. Nachdem ich ihm meine Reise erläutert habe, meint er: "Das habe ich früher auch schon mal gemacht".

Bald ist der Nudeltopf verschlungen und bei einer Tasse Kaffee und der obligatorischen Verdauungszigarette (Anmerkung der Chefredaktion: ekelerregend!) beobachte ich ein Horde Frauen, alle so um die 50. "Die Männer geben immer den Frauen die Schuld, aber ich könnte dir stundenlang erzählen, was die Männer alles falsch machen" - enttäuschte Ehefrauen?

Richtung Bad Heilbrunn geht es weiter. Die Strecke dorthin ist schon recht bergig und so wird es auch bis zum Bodensee bleiben. Unermüdlich strampele ich die Berge hinauf, um sie danach wieder hinunterzufahren. Mir macht es zur Zeit nichts aus, andere Leute der Gattung "Radfahrer" scheint es aber wirklich fertig zu machen. Noch weiß ich nicht, daß es mir in Kürze genauso gehen wird und belächle die Leute mitleidig. Der Unterschied ist nur, daß diese Leute kaum Gepäck mitführen, ich aber mein Rad fast bis zum Zusammenbruch beladen habe.

In Bad Heilbrunn halte ich kurz an einem Wegweiser an. Plötzlich fangen zwei Radfahrer auf der gegenüberliegenden Straßenseite an zu schreien und deuten auf die hinter mir liegende Straße. Ein Auto hupt ebenfalls wie wild - eine meiner Packtaschen hat sich vom Gepäckträger gelöst und liegt jetzt mitten auf der Fahrbahn! Zum Glück ist kein Auto drüber gefahren, sonst wäre meine Tour schon am ersten Tag zu Ende gewesen. Zur zusätzlichen Sicherung verbinde ich die beiden Packtaschen mit dem Zeltschloß. Erste Bedenken über den Gepäckumfang machen sich auf der weiteren Strecke bei mir breit.

Einige Kilometer später geht es mir genauso wie den Sportsfreunden, die ich vorher noch mitleidig belächelt hatte. Die hohen Ozonwerte und die Berge machen mich völlig fertig, jede Steigung wird nur noch mit großen Mühen überwunden. Zum Glück steht auf jedem Berg eine Bank, auf der ich mich ausruhen kann. Irgendwann ist aber Schluß - auf einer Bank lasse ich mich nieder, packe meinen Kocher aus und mache mir erstmal eine Tasse Kaffee mit einem Marmeladenbrot als Zugabe.

Wer rastet, rostet nicht ... (31 KByte)

Erst nach einer halben Stunde geht es weiter. An den Berggipfeln türmen sich Quellwolken, auch der Wind hat etwas aufgefrischt. 3 Kilometer weiter ist ein Campingplatz, dort will ich jetzt so schnell wie möglich hin. Bei der Anmeldung sagt man mir aber, daß der Platz leider völlig voll sei. Ich gebe dennoch nicht auf und suche den ganzen Platz ab - und ich werde fündig: ein traumhafter Standplatz, direkt unter einer Erle gelegen.

Der Baum hat irgendeinen Fehler im Biorhythmus, denn er wirft schon mitten im August sein Laub ab. Vielleicht liegt es aber auch nur an der starken Trockenheit in diesem Jahr. Schnell ist mein Zelt aufgebaut und auf dem Gaskocher "Chilly Pueblo von Maggi" gezaubert (Anmerkung der Chefredaktion: Würg!). Das Zeug schmeckt abscheulich und ich bin froh, daß der Topf nach einer halben Stunde endlich leer ist.

2.Tag: Riegsee-Bannwaldsee (71 km)

Der Tag verspricht sehr heiß zu werden - keine Wolke ist zu sehen und schon um 9.00 Uhr hat es ca. 20°C.

Nach dem Zeltabbau geht es zunächst nach Murnau, von dort durch das gleichnamige Moos in Richtung Bad Kohlgrub. Eine bessere Wahl hätte ich wirklich nicht treffen können. Das Moor entpuppt sich als traumhaft schön. Auf Sandwegen fahre ich durch herrliche Moorlandschaften, Mischwälder und sogar mitten durch Kuhweiden. Bei einem Wildbach kann ich nicht widerstehen und springe kurzerhand hinein. Die vorbeikommenden Wanderer und Radfahrer schauen mich fassungslos an.

Leider erreiche ich kurze Zeit später bereits Bad Kohlgrub und der Traum hat ein Ende. Ich quäle mich unter den mitleidigen Blicken einiger Kurgäste einen steilen Berg hinauf. Ein schlauer Mann hat ganz oben einen kleinen Imbiss eröffnet und ich genehmige mir ein wohlverdientes Eis und einen Spezi. Der Imbissmann erklärt mir, wie ich zu meinem nächsten Ziel Bad Bayersoien komme. Ich will versuchen, das Ammergebirge zu umfahren, durch das nur ein einziger Radweg führt - laut Karte einer mit schlechter Oberfläche. Noch über einen angenehmen Radweg fahre ich zunächst mitten durch ein Moor, dessen Namen ich leider nicht kenne.

Auf einer schönen Bank am Wegesrand beginne ich mein Mittagessen zu kochen. Kaum habe ich meinen Kocher ausgepackt, kommen auch schon die ersten Leute, mit denen sich sofort ein interessantes Gespräch ergibt. Nachdem die ersten gegangen sind, kommen auch schon die nächsten - so geht es fortlaufend weiter. Die normalerweise endlosen 25 Minuten, bis der Naturreis endlich seine Kernigkeit verliert, vergehen diesmal wie im Flug. Insgesamt sind mindestens 20 Leute vorbeigekommen, bevor ich wieder aufbreche.

Von Bad Bayersoien fahre ich zur Echelsbacher Brücke, die eine Superaussicht in eine Schlucht bietet. Leider gibt es davon kein Foto, da ich nicht ganz schwindelfrei bin und mich deshalb veranlasst sehe, diese Brücke möglichst schnell hinter mich zu bringen. Mein Blick fällt auf einen Wegweiser, der Füssen in 31 km ankündigt. Obwohl der ADFC die Strecke als mäßig befahren angibt, tummeln sich darauf Unmengen von Blechhaufen. Nach einigen Kilometern beschließe ich, doch direkt durch das Ammergebirge zu fahren. Kein Berg kann einen Radfahrer so demütigen, wie Autofahrer es tun, wenn sie bei überhöhten Ozonwerten rücksichtslos an einem vorbeidonnern.

Erst nach längerem Suchen finde ich den richtigen Abzweig. Der Weg mit der angeblich schlechten Oberfläche ist glücklicherweise gut zu befahren. So erreiche ich bald Wies mit der berühmten Kirche: ein Treffpunkt für Unmengen von Touristen! Fluchtartig fahre ich weiter über schöne, teils geteerte und teils ungeteerte Wege, die manchmal mitten durch Kuhweiden führen, Richtung Forgensee.

Wer hat Vorfahrt? (28 KByte)

Auf einem Campingplatz am Bannwaldsee, der in unmittelbarer Nähe vom Forgensee liegt, will ich die Nacht verbringen. Eine gigantische Autoschlange steht schon vor dem Eingang. Ich fahre zielstrebig an allen vorbei zur Anmeldung. Der Mann dort füllt ein Formular aus - 32 Mark soll ich bezahlen. Merkwürdig kommt mir das ganze schon vor, als er dann aber sagt, ich solle mich mit meinem Auto in die Warteschlange einreihen und würde dann eingewiesen, klärt sich das Mißverständnis schnell auf. Er hatte angenommen, daß ich mit Begleiterin unterwegs sei, da ich ein Zweipersonenzelt angegeben hatte (Anmerkung der Chefredaktion: Wie kann man nur so blöd sein? ). Und siehe da, die Übernachtung kostet plötzlich nur noch 16,50 DM. Der Platzwart weist mir einen Platz direkt am See zu.

Nachdem das Zelt aufgebaut ist, wird gleich im See gebadet. Mein holländischer Nachbar fragt mich etwas erstaunt, "Oh! You go swimming?".

Leider versammelt sich am nahegelegenen Bootshaus kurz darauf eine Horde Jugendliche. Die drehen auch sofort den mitgebrachten Kassettenrekorder bis zum Anschlag auf und versäuern mir so mein Abendessen. Nach einer Stunde taucht dann endlich der Platzwart auf. Nach seinem überzeugenden Satz "Ihr könnt gleich euer Zelt abbauen und euch einen anderen Platz suchen!!!", kehrt alsbald Ruhe ein.

Wie schon auf einem Plakat zu lesen war, findet heute Nacht eine Camper-Party statt. Für alle, die es dieses Jahr nicht nach Mallorca geschafft haben, läuft hier wohl eine ähnliche musikalische Geschmacklosigkeit wie im dortigen Ballermann. Nachdem die Party um 00.00 Uhr endlich zu Ende ist und die Gäste alle lautstark in ihren Wohnwagen verschwunden sind, fangen direkt hinter mir Vater und Sohn an "Mensch ärgere dich nicht" zu spielen. So gegen 1 Uhr werden dann noch Tür und Fenster des Wohnwagens zugeknallt. Aber der Horror geht weiter: irgendwelche Leute kommen kurze Zeit später auf den Platz und suchen lautstark einen freien Stellplatz - Camping hier bevorzugt für Asoziale???


© Text/Bilder 1998 Karsten Franke