Spanien  Spanien 2022

Katalonien und "Wilfried der Haarige" ...


Ich fahre weiter nach Osten: Noch immer verfolgt von dem einen oder anderen Schauer. Begleitet von heftigen Böen. Sonst geht es auf den bestens ausgebauten Straßen gleichmäßig und gut vorwärts. Alle Menschen bereiten sich auf den Jahreswechsel 2022/23 vor. Alle? Nein, ich bin nach wie vor nur unterwegs. Aber gleich noch etwas zum Titel dieses "Abenteuers": Ich weiß, dass meine Haare nicht die kürzesten sind. Eine Verbindung zu mir könnte man daraus durchaus ableiten, denn ich bin auf dem Weg nach Katalonien. Doch ich habe mit dem Titel nichts zu tun. Ehrlich! Denn dort war einst noch ein weiterer Haariger ...

Es ist der 30. Dezember 2022: Ich will es deshalb mit dem Fahren heute nicht übertreiben und beschließe, das Örtchen Gelsa anzufahren. Dort soll es, etwas abseits der Autobahn, in dieser Gemeinde einen kleinen Platz für Wohnmobile geben. So verlasse ich die Autobahn etwas südöstlich von Aragoza in fast östlicher Richtung. Die letzten 40 km bin ich dann auf der spanischen Nationalstraße N232 unterwegs.

So habe ich heute doch noch 340 Kilometer geschafft, der kleine Ort Gelsa liegt fast direkt am Ebro. Kurz bevor ich mein heutiges Ziel erreiche, zeigt sich sogar noch etwas blauer Himmel zur Begrüßung ...

Angekommen! Kleiner Platz für Wohnmobile?
Endlich Sonne! Und sogar blauer Himmel wird sichtbar ...

Der Platz für Wohnmobile ist in der Gemeinde tatsächlich vorhanden, allerdings noch nicht fertiggestellt: Gut, es gibt wenigstens schon eine ebene Stellfläche für Womo LERRY, das reicht mir für heute. Versorgung und Entsorgung funktionieren ebenfalls bereits. Die geplanten Stellflächen sind noch der reine Erdboden und das erweist sich entsprechend der Regenzeit als keine gute Wahl zum Abstellen. Viele Schlaglöcher warten noch auf den unvorsichtigen Wohnmobilfahrer. Wenn ich an einem neuen Platz ankomme, sehe ich mich nach der Ankunft gerne erst etwas um, so auch heute. Langsam bricht währenddessen die Dämmerung herein.

Als ich zurück komme, hält der LERRY eine Überraschung für mich bereit: Er scheint sich nicht so recht wohlzufühlen. Es sieht nach "Atemnot" auf dem rechten "Lungenflügel" aus! Ich erinnere mich, heute ist der 30. Dezember 2022, alles ist geschlossen. Doch ich habe Glück: Mein alter LERRY hat tatsächlich noch einen Reservereifen. Das ist bei den modernen Wohnmobilen nicht mehr so. Außerdem habe ich den ADAC, auch das ist gut. Dann keimt noch ein ganz klein wenig Optimismus auf, ich erkenne, der Reifen ist ja nur unten platt!

Exakt an der Stelle, an der ich den LERRY abgestellt habe, muss etwas Spitzes genau für den Vorderreifen gelegen haben! Der Vorderreifen also, denke ich so, war der nicht eigentlich ganz neu ..!?

Stellplatz mit Tücken ... Hilfe naht ..?
Basteln angesagt ... Volltreffer! Wenn es Nacht wird in Gelsa ...

Schnell habe ich den ADAC-Notdienst am Telefon und der organisiert dann auch gleich eine Werkstatt, die noch heute Abend Hilfe schickt: Alles bestens! Der Monteur von der Werkstatt kommt mit einem großen Auto sowie Werkzeug und macht sich gleich ans Werk. So weit, so gut.

Gegen 22 Uhr fährt er wieder weg: Er hat den Reservereifen nicht unter dem Auto hervorholen können. Mit dem Hinweis, dass es in dem Ort hier noch eine Werkstatt geben soll, wünscht er mir noch viel Glück und ein gutes neues Jahr. Dann verschwindet er in der Nacht. Ich bin erst einmal platt. Der LERRY sowieso ...

Hilfreiche Werkstatt!Pünktlich um 8 Uhr morgens stehe ich bei 5°C am 31. Dezember 2022 vor dieser Werkstatt: Das wäre im Normalfall die eigentliche Öffnungszeit dieser Firma. Es ist auch noch ein Samstag. Eigentlich hatte ich mich schon darauf vorbereitet, das neue Jahr auf einem halbfertigen Womoplatz zu begrüßen. Doch, es ist tatsächlich jemand in der Werkstatt: Der Eigentümer persönlich ist mit ein paar Kleinigkeiten an seinem eigenen Fahrzeug beschäftigt und die Firma ist eigentlich geschlossen. Trotzdem hört er sich mein Problem geduldig an. Ich erzähle ihm auch von meinen Reisen, danke an dieser Stelle an das Übersetzungsprogramm auf dem Smartphone! Meine Art der Reisen und der Geschichten dazu scheinen ihm zu gefallen - denn dann geht alles ganz schnell.

Eilig rafft er sämtliches Werkzeug zusammen, es geht damit zügig zurück zum LERRY. Kurz darauf ist der Reservereifen bereits aus der Halterung befreit und vorn wieder auf der Achse. Sofort macht sich der hilfsbereite Mann wieder mit dem kaputten Reifen auf den Rückweg zu seiner Werkstatt. Ich folge ihm mit meinem Auto und komme gleich hinterher. Das Womo muss in die Halle hinein und es geht schnell weiter: Bei diesem Mann passt einfach jeder Handgriff! Nebenbei zeigt er mir noch den Schaden am Reifen und wie er ihn repariert. Der Wagen ist gut in Schuss, meint er freudig.

Man kann es kaum glauben, aber um 10 Uhr steht das Fahrzeug in alter Frische wieder vor der Halle: Mit repariertem Reifen, dem Reservereifen wieder an seinem Platz und überall ist der Luftdruck geprüft. Top! Es heißt zurück auf die Straße, weiter nach Osten führt der Weg. Der Wagen schnurrt wieder wie ein Baby ...

Unsere Reise führt uns heute etwas nördlich von Lleida und Manresa vorbei, das Wetter wird immer besser. Das letzte Stück fahren wir durch den östlichen Ausläufer der Pyrenäen bis zu unserem heutigen Ziel, Besalú. Nach weiteren 320 Kilometern soll hier mein nächstes Treffen stattfinden, mit dem anderen Haarigen, der viel mit diesem Ort zu tun hatte ...

Auch in Besalú gibt es einen großen Schotterplatz vor dem schönen mittelalterlichen Stadtkern. An seinem östlichen Ende finden sich Stellplätze und der Service für Wohnmobile. Ich muss mich etwas beeilen, es ist schließlich Winter und die Sonne bleibt mir nicht mehr so lange am Himmel erhalten. Der reparierte Reifen ist problemlos gelaufen, das Loch bleibt dicht.

Auf nach Besalú! Auf dem Stellplatz von Besalu ...

Das LERRYmobil steht genau in Blickrichtung zum Zugang der Stadt: Dann will ich mal!

Die Kleinstadt in Katalonien hat etwa 2.500 Einwohner. Die ersten Funde von Besiedlungen im Gebiet der Stadt gehen zurück bis etwa 650 v. Chr., auch die Spuren des Mittelalters sind hier noch bestens erhalten. Deshalb wird der Ort auch gerne "mittelalterliches Dorf" genannt. Der alte Stadtkern ist sehr gut restauriert, die Bauwerke im Stil des Mittelalters stehen hier alle unter Denkmalschutz. Der kleine Fluss Fluviá, der auf den Bildern unten gut zu erkennen ist, entspringt in den Pyrenäen und mündet an der Costa Brava ins Mittelmeer.

Ich würde ja in so gut erhaltenen Orten auch über die Dinge berichten, die damals zur Unterdrückung oder Hinrichtung "gebraucht" wurden. Genau so, wie das damals hierzulande durchgeführt wurde. Eine Tafel über die teilweise an den Haaren herbeigezogenen Gründe sollte dabei nicht fehlen. Warum? Ganz einfach. Ich beobachte immer öfter, dass Menschen dermaßen verwöhnt in ihrem wattierten und gesicherten Leben herumlaufen. Sie denken in der Regel nicht darüber nach, welches Glück sie vermutlich haben, HEUTE zu leben und sich über die Gefahren der damaligen Zeit gefahrlos informieren zu können ...

Natursteinbauten und gepflasterte Straßen bestimmen das Erscheinungsbild der historischen Altstadt. Im 9. Jahrhundert taucht nun "Wilfried" auf: Wilfried der Haarige, Besalú war der Sitz dieses Grafen. Seine Grafschaft hatte den selben Namen wie der Ort, seinen Beinamen "der Haarige" war damals eher ein Erkennungsmerkmal. Und auch später für die Geschichte: Es wird etwas Auffälliges der Person genannt.

Wilfried der Haarige war in seiner Zeit ebenfalls der Fürst mehrerer Provinzen in diesem Landstrich: So konnte er eine Voraussetzung schaffen, die in ein frühes Katalonien mündete. Das geschah allerdings erst nach seinem Tod im August 897. Das Schaffen dieser Voraussetzungen brachte ihm bis heute den Ruf ein, einer der Gründer Kataloniens zu sein. Wilfried der Haarige zählt als ein katalanischer Adliger, doch sein Geburtsort war Prades - in Frankreich! Damit war er eigentlich ein Ausländer für dieses Gebiet.

Ich mache mich auf den Weg in die Altstadt: Es wird Zeit, die winterliche Dämmerung ist kurz und kommt nun schnell. Der Weg führt genau über eine besondere Brücke, die Pont Vell. Sie ist 105 Meter lang und gewinkelt. Das liegt daran, dass die Pfeiler ihrer sieben Arkaden auf dem Naturstein des Flussbettes stehen.

Ansehnliches mittelalterliches Dorf ... Über sieben Brücken musst du gehen ..?
Über die Pont Vell in den Ort ... Bauwerke mit wechselvoller Geschichte ... In der historischen Altstadt ... Durch gut erhaltene Gassen ...

Bis etwa zum Jahr 1300 war Besalú eine wichtige Hauptstadt, besonders aber während der Römerzeit. Mit ein Grund dafür war sicher die in der Nähe verlaufende Via Domitia, auch bekannt als eine der Römerstraßen. Sie war Teil eines viel genutzten Handelsweges durch Europa. Viele Betriebe haben sich dadurch bilden können.

Die Pont Vell, über die ich nun zur Altstadt komme, stammt aus dem 14. Jahrhundert. Sie ist allerdings bereits die zweite romanische Brücke an dieser Stelle: Die vorherige Brücke verlief über den Fluss etwas anders, stammte aus dem 11. Jahrhundert und wurde bei einer enormen Flut im Jahr 1315 in ihre Bestandteile zerlegt. Die Zerstörung war so groß, dass sie nicht wieder aufgebaut werden konnte. Die Brücke, die ich heute hier begehe, wurde dank einer speziellen Steuer wieder aufgebaut. Doch auch diese Brücke hat schon einiges hinter sich: Im spanischen Bürgerkrieg wurden zwei Teile von ihr durch die faschistischen Truppen des General Franco gesprengt. Natürlich wurde bis heute sehr viel umgebaut und verändert. Inzwischen wird das Bauwerk in einem guten Zustand gehalten und die Brücke ist heute das Symbol des Dorfes.

Unterwegs in die historische Altstadt: Die "Breite" der Straßen und Gassen ist noch im Original erhalten. Hier findet sich alles, was der Besucher sehen will. Dazu zählen auch Ausstellungen mit Waffen, etliche Souvenir Shops und natürlich auch vieles für das leibliche Wohl. Die Straßen leeren sich jetzt schnell, es ist bereits kurz nach 18 Uhr: Das Tageslicht schwindet  und die Geschäfte schließen. In die schmalen Gassen und Straßen fällt nur noch wenig Licht, eigentlich fehlen auf den Wegen jetzt nur noch ein paar dunkle Gestalten aus dem Mittelalter ...

Hier im Bereich der Altstadt wurden 1964 durch Zufall bei Luftaufnahmen auch noch die Ruinen eines jüdischen Bades aus dem Mittelalter entdeckt. Durch Zufall habe ich auch die damaligen religiösen Regeln zur Reinigung gefunden:

Dazu musste der gesamte Körper in ein Becken innerhalb des jüdischen Bades getaucht werden. Eine Frau reinigte sich demnach, wenn sie heiratete, wenn sie ein Kind bekommen sollte, nach der Geburt und einmal im Monat nach der Menstruation. Der Mann musste sich dann schon häufiger religiös reinigen und zwar jeden Freitag vor dem Sonnenuntergang und vor Eintritt des Sabbat. Auf meinen Reisen passiert mir das hin und wieder, dass ich erst einmal nachdenken muss, welcher Tag eigentlich gerade ist - könnte also mit der religiösen Reinigung problematisch werden! Hier gab es auch das sogenannte Judenviertel: Etwa 20 jüdische Familien sollen hier einmal gelebt haben, bis sie im Jahre 1436 abreisten ...

Idyll mit Mond ... Himmelskunst ... Heute ohne Brückenzoll ...

Ich drehe schließlich um, damit ich draußen vor dem Dorf noch einige Bilder machen kann.

Anschließend heißt es wieder zurück über die Pont Vell: Der Turm der Brücke ist 30 Meter hoch, er war eigentlich einst als Verteidigungsanlage gedacht. Doch hier gab es im Mittelalter sogar einmal eine Art Kasse, die einen Brückenzoll verlangte. Alles, was sich irgendwie fortbewegte, musste zur Finanzierung des Bauwerkes beitragen. Leider wurde er dann im spanischen Bürgerkrieg ebenfalls noch einmal gesprengt. Im Jahre 1881 war der Turm dann schließlich ganz verschwunden. Man nimmt an, dass er für die aufkeimende Wirtschaft einfach im Wege stand, da die ganze Breite der Brücke gebraucht wurde. Erst in den 50er und 60er Jahren des 20. Jahrhunderts wurde er wieder aufgebaut.

Inzwischen ist der Mond über der Brücke aufgegangen und der Sonnenuntergang verfärbt den Himmel in malerischen Farben. Schade, in der Altstadt wären noch weitere interessante Dinge zu entdecken gewesen. Morgen soll es aber einen weiteren schönen Tag geben, das verregnete Portugal ist jetzt offenbar weit genug weg. Morgen will ich weiter in die spanische Stadt Roses fahren und dort Bekannte aus Weener, Ostfriesland treffen. Ich bin mit dem LERRY bei dieser Reise bereits 75 Tage unterwegs - da kann man sich durchaus daran gewöhnen ...


© 2023 Jürgen Sattler


Anm. der Red.: Weitere Beiträge von Jürgen Sattler finden sich in unserer Autorenübersicht!