Die Reise

Ohne Probleme überqueren wir die polnisch-litauische Grenze und fahren weiter in Richtung Lettland. An der litauisch- lettischen Grenze schließlich begrüßen uns die Zollbeamten mit dem Ausruf: "Paris – Dakar! Camel Trophy!" Alles geht gut bis zu dem Moment, als die Dänen ihre Papiere zeigen. Es stellt sich heraus, dass einer von ihnen nur eine Fotokopie hat ... Die Leute an der Grenze wollen uns helfen, telefonieren und fragen ihre Vorgesetzten. Leider überzeugen unsere Erklärungen sie nicht: in Europa kann man vielleicht ohne diese Dokumente reisen, aber nicht hier!

Wir fahren zurück nach Litauen. Die Dänen organisieren einen Transport ihrer Papiere nach Vilnius, wir bleiben an einem See 20 km von der Grenze entfernt. In unserem Biwak im Wald besuchen uns Kinder aus der Gegend. Sie sind gespannt, woher wir kommen und erzählen uns über ihr Leben. Ihre größte Neugier erweckt Rolf – der Deutsche, der sich selbst Zigaretten dreht! Die Kinder - obwohl nur im Alter von 10 bis 13 Jahren - rauchen sehr viel. Sie schlagen Rolf einen Tausch vor ...

Nach einem Ruhetag fahren wir wieder zur Grenze. Hier kennen uns nun schon alle und so fahren wir ohne Probleme weiter. Nach ein paar Stunden Fahrt erreichen wir endlich die russische Grenze. Hier geht es aber nicht so einfach wie erhofft! Wir füllen Zolldeklarationen aus und beantworten abstruse Fragen (so z.B. wie es sein kann, dass Leute aus verschiedenen Ländern eine gemeinsame Reise unternehmen ..?). Schließlich müssen wir noch unser Bargeld vorzeigen. Weil uns gesagt wurde, dass Kreditkarten tief in Russland nutzlos sein können und US Dollars (in kleinen Scheinen) dort am besten sind, haben wir einen ganzen Haufen Geld dabei - wir sehen wie Bankräuber aus! Eine Zollbeamtin, die uns kontrolliert, ist deshalb wohl sauer ...

Endlich können wir weiter fahren. Unsere erste Nacht in Russland verbringen wir an der Tankstelle, die uns polnische TIR–Fahrer empfohlen hatten. Hier wäre es sicher, es gäbe eine Sauna und die Möglichkeit, Geld zu wechseln. Schon bald folgt eine Szene wie aus einem Gangsterfilm: in einer Garage bekommen wir für ein paar US Dollar eine ganze Tüte mit Rubeln ...

Morgen fahren wir weiter nach Osten!

Seit Anfang der Fahrt ist es heiß. Obwohl wir um 6:00 Uhr aufstehen und am Tag drei kurze Pausen machen, ist es schwer, mehr als 350 – 400 km durchzufahren. Grenzen und GAI – Posten (eine Art Polizei in Russland) verlangsamen unsere Fahrt. Wir werden oft kontrolliert, aber die Kontrollen sind routiniert und die Polizisten stoppen uns mehr aus Neugier als aus Notwendigkeit.

Wir fahren nach amerikanischen Flugkarten, die uns aber praktisch nicht viel helfen. Sie sind ungefähr 20 Jahre alt und das auf ihnen dargestellte Straßen- und Flussnetz ist anders als in der Wirklichkeit. Nicht viel besser sind russische Karten, die wir mit Mühe komplettieren. Am häufigsten fragen wir Leute - und diese Methode erweist sich am besten, besser als GPS!

Die Menschen

Was uns alle überrascht, ist die außerordentliche Freundlichkeit und Gastlichkeit der Leute. Je weiter wir nach Osten und Norden fahren, desto herzlicher werden wir begrüßt. Die Botschaft, dass wir kommen, läuft 200 km vor uns her. So geschieht es, dass wir von Polizisten kontrolliert werden, die schon seit ein paar Stunden auf uns warten. Sie führen sie uns dann oft durch die Städte oder zeigen uns den richtigen Weg.

Immer wenn wir stehenbleiben, fragen uns Leute, wohin wir fahren und woher wir kommen. Für sie ist es erstaunlich, dass wir uns ein so schweres Ziel gesetzt haben. Nach ihrer Meinung sind dort in Sibirien nur Schlamm und Mücken. Es wiederholt sich die Frage, ob wir unbedingt Mücken ernähren wollen. Alle glauben, dass es nicht möglich ist, zu dieser Zeit im Sommer mit dem Auto durch den Ural zu fahren.

In der Nähe von Vologda werden wir von einer Familie eingeladen. In wenigen Augenblicken landet auf dem Tisch alles, was die Familie hat. Was folgt, ist ein einziges Sprachgewirr, wobei russischer Wodka (mit Stalin auf dem Etikett) bei der Verständigung hilft. Am nächsten Morgen helfen unsere Wirte noch mit bei dem polnischen Land Rover, dessen Motor nicht gestartet werden kann, und wir fahren weiter ...

Russen, die wir unterwegs treffen, schenken uns Karten der Gegend, russische Delikatessen wie "piroschki" oder auch nur ein gutes Wort für die Reise. Die Leute betrachten uns mit einer Mischung aus Bewunderung und Sympathie. Die große Gastlichkeit ist für uns oft lästig, wenn wir nach langer Fahrt Hunderte von Fragen beantworten müssen. Auf unsere Land Rover schreiben wir "eine Chronik der Reise" und an jedem Punkt, an dem wir stehenbleiben, lesen die Leute unsere Route ab. Später auf der Rückfahrt, als die Leute wissen, dass wir in Sibirien waren, hören wir oft das Lob "tüchtig"!

Uns ist eigenartig zumute, weil wir nicht das Gefühl haben, etwas Besonderes gemacht zu haben. Dort in Sibirien wohnen schließlich Leute, die  jeden Tag unter härtesten Bedingungen zubringen. Was für uns ein Abenteuer ist, ist für die Bewohner von Sibirien nur Alltag ...

Die Straßen

Die Straßen in Russland sind voll von Überraschungen. Die Hauptstraßen werden am häufigsten geradeaus bis zum Horizont geführt und dicht mit Bäumen bepflanzt. Und obwohl sie eine Asphaltdecke haben und relativ gut sind, wird die Fahrt aufgrund der Monotonie sehr anstrengend. Die Nebenstraßen haben eine Schotterdecke, sind sandig oder einfach matschig, aber insgesamt interessanter!

Wir überlegen, wie normale Pkw hier wohl fahren mögen. Es ist schwer vorherzusehen, wie eine Straße, die auf der Karte genau eingezeichnet ist, dann tatsächlich aussieht. Noch vor dem Ural-Gebirge fahren wir auf einem Weg, der erst mit Asphalt, dann mit Schotter bedeckt ist. Plötzlich stellt sich heraus, dass sogar unsere Land Rover im glatten Lehm versinken. Ohne Seilwinde geht nichts mehr ...

Auf dem Weg zwischen Kotlas und Syktyvkar helfen wir selbst russischen Fahrern, deren Autos tief im Sand stecken geblieben sind ...

Wir bewundern das Panorama: von Zeit zu Zeit kleine Dörfer mit Holzhäusern, die charakteristische Form von russischen Kirchen mit goldenen Zwiebelkuppeln, tiefe Täler mit Flüssen, unbegrenzter Raum ...

Je weiter wir nach Norden kommen, desto weniger Straßen gibt es, Brücken werden durch Pontons und Fähren ersetzt ...

Wir müssen von nun an unsere europäischen Zeitvorstellungen ändern - niemand weiß, wann eine Fähre kommt. Man muss warten ...

Wir besuchen kleine Dörfer in der Taiga. Die Wege, die zu ihnen führen, sind praktisch nur für gute Geländewagen zu fahren. Abgebrochene Brücken, abgesackte "Simnik" (Winterstraßen), unterspülte Dämme – das wäre zuviel für einen Pkw!

Die Fahrt mit einem Auto ist im Sommer wirklich sehr schwer, auch wegen der Temperaturen bis zu + 35 Grad C. Im Winter, wenn die Matsche gefroren ist (die Temperaturen sind dann sogar niedriger als – 50 Grad C), ist es einfacher. Als Straßen dienen dann auch mit dickem Eis bedeckte Flüsse, so entstehen natürliche Fahrbahnen!

Das Netz der vorhandenen Sommerstraßen geht sternförmig von den Hauptstädten aus, Querverbindungen fehlen. Deswegen muss man oft 300 km fahren, um einen nur 100 km entfernten Ort zu besuchen: zuerst in die "Knotenstadt" und dann von dort in die passende Richtung ...


© Text/Bilder 1999 Lucyna Cywka