Polen 2009:

Schwerpunkt: Hinterlassenschaften - Die Wolfsschanze ...


Wir befinden uns im ehemaligen Ostpreußen; im heutigen Polen nahe des Dörfchens Gierloz (Görlitz) und etwa acht Kilometer entfernt von der Stadt Ketrzyn (Rastenburg). Der Touristenrummel ist am heute, am 26. August 2009 unübersehbar: Eine Autoschlange wartet bereits vor der Einfahrt des Geländes der Wolfsschanze - die einzelnen Linksabbieger werden an einer Schranke von schwarz gekleideten Einweisern gestoppt und über die Tarife und Möglichkeiten des Besuchs aufgeklärt. Wir haben die Möglichkeit, nach dem Zahlen unseres Eintritts für das Gelände später hier auch günstig zu campen, aber das sollten wir uns vorher ansehen, meint der Mann an der Schanzen-Pforte ...  

Lustige Kriegsspiele im ehemaligen FHQ ...Viel Betrieb herrscht auf dem Gelände: Eine Masse von Fahrzeugen und Bussen ist hier geparkt und auch auf dem hinteren Teil des Parkplatzes, der als "Campingplatz" dienen kann, stehen bereits etliche Fahrzeuge. Vor einem Camper haben sich bereits am heutigen Mittag einige Besucher häuslich eingerichtet.

Eine drückende Schwüle liegt über dem Platz, als wir uns dem Strom von Fußgängern anschließen, um unseren Rundgang auf dem Gelände der Wolfsschanze zu beginnen. Der Explorer bleibt im Schatten geparkt zurück, von Bewachung kann auf diesem von Menschenmassen geprägten Platz nicht wirklich die Rede sein, aber was soll´s, es wird schon nichts passieren, oder ..? Wie wir später feststellen werden, ist auch nichts passiert ...

Der Rundgang beginnt stilecht: Bereits bevor man den Startpunkt erreicht, kann man ein wenig Krieg spielen. Wir beobachten, wie Besucher mitsamt Kindern sich in belustigte Soldaten verwandeln, die mit Spielzeuggewehren und Stahlhelmen für die fotografierenden Familienmitglieder posieren. Da sage mal einer, man kann im ehemaligen FHQ (Führerhauptquartier) keinen Spaß haben ..!

Wir erreichen die Übersichtstafel, die einen guten Überblick über das Gelände verschafft, und hier wie auch im benachbarten Saal mit einer Modellübersicht der Wolfsschanze beginnt man sich eine Vorstellung vom einstigen Geschehen an dieser Stelle zu machen - doch dabei könnte einem die etwas kindliche Freude am Kriegsspiel möglicherweise doch schnell vergehen ...


Touristenziel der Masuren: Wolfsschanze bei Görlitz (Gierloz) ...

"Wolfsschanze" war der Tarnname für eines der Führerhauptquartiere Adolf Hitlers und eines Lagezentrums des Führungsstabes der deutschen Wehrmacht während des Zweiten Weltkrieges.

Das Gelände in Masuren mit dem gewaltigen Bunkersystem, das sich über mehrere Quadratkilometer erstreckte, wurde wie viele andere militärische Bauten dieser Zeit, auf die wir z.B. in Frankreich am Atlantikwall oder an anderen Orten bereits gestoßen sind, ab dem Jahr 1940 von der Organisation Todt errichtet.

Die vier größten Bunkerbesitzer ...Nachdem im Juni 1941 der Angriff auf die Sowjetunion (Unternehmen Barbarossa) begonnen hatte, verließ Adolf Hitler nur wenige Tage später Berlin und begab sich zur Wolfsschanze, die von da an zu seinem Hauptaufenthaltsort an der künftigen Ostfront werden sollte. Erst im November 1944 verließ Hitler die Wolfsschanze für immer, als die Rote Armee nur noch wenige hundert Kilometer entfernt von seinem Hauptquartier stand.

Oberirdisch im dichten Wald verstreut erbaut, von drei Seiten von Seen umgeben und weitab der Hauptstraßen gelegen, entstanden in den Jahren zwischen 1940 und 1944 ca. 100 verschiedene Objekte auf dem Gelände, wozu ca. 40 Wohn-, Wirtschafts- und Verwaltungsgebäude, sowie 7 massive und 40 leichte Schutzbunker gehören. Durch Tarnnetze über allen Straßen und Verbindungswegen sowie durch Flakstellungen gegen Flugzeugangriffe geschützt, wurden die 7 schweren Schutzbunker mit doppelten Wänden und Decken errichtet, wobei die Stärke der Mauern bis zu 8 Metern und die der Decken bis zu 10 Metern erreichte. Einst befanden sich auf den Bunkerdecken Vertiefungen mit einer Erdschicht, in der zur Tarnung Gras und angepflanzte Bäume und Sträucher wuchsen. Wasser wurde über Rohre abgeleitet, die aus den Bunkerwänden heraus ragten.

Bunker mittlerer Größe verfügten immerhin noch über bis zu drei Meter dicke Decken. Daneben gab es auf dem Gelände jedoch auch die Vielzahl von Wohn- und Lagerbaracken, die aus Holz gebaut wurden. Während die schweren Schutzbunker nur Schutz bei Angriffen bieten sollten, vollzog sich der militärische Alltag dagegen auf dem Gelände im Wesentlichen in den leichten Schutzräumen und eben diesen Holzbaracken.

Das Gelände war umgeben von einem bis zu 150 Meter breiten Minengürtel und einem Stacheldrahtzaun. Eingeteilt war es in drei Sperrkreise, wobei sich im stark gesicherten Sperrkreis I neben Hitler und den Kommandeuren der Wehrmacht auch hochrangige Vertreter der NSDAP aufhielten. Im Sperrkreis II befanden sich u.a. in Holzbaracken die Unterkünfte des Führerbegleitbataillons. Eine eigener Bahnanschluss für die Anfahrt von Gästen oder Hitlers Panzerzug war genau so vorhanden wie ein eigener Flugplatz, wo bis 1944 bis zu 40 Flugzeuge untergebracht waren ...

Heute immer noch ..? Geländeübersicht ... ... und Legende ...

Die Flugzeugangriffe, gegen die man sich schützen wollte, fanden allerdings in der Geschichte der Anlage bis zu ihrer Sprengung niemals statt. Der Strategie der "verbrannten Erde" folgend wurde diese Sprengung im Januar 1945 durch deutsche Pioniere vorgenommen, nachdem sich die gegen Kriegsende zurückweichende Wehrmacht aus Ostpreußen zurückgezogen hatte. Bis zu 10 Tonnen TNT mussten für die größten Bunker eingesetzt werden, deren Trümmer wir heute noch besichtigen können.

Wir beginnen unseren Rundgang: Zunächst erreichen wir das Restaurant des Geländes, ein ehemaliges Hotel für SS-Offiziere und solche vom RSD (Reichssicherheitsdienst). Untergebracht ist hier auch ein Modell der gesamten Anlage, wo größere Besuchergruppen von ihren jeweiligen Führern auf das eingestimmt werden, was auf dem Rundgang zu sehen ist.

Wir folgen zunächst dem rot markierten Touristenrundweg, der ungefähr eine Stunde in Anspruch nehmen soll. Nur noch Reste sind zu sehen von der ehemaligen Lagerbaracke (3), in der am 20. Juli 1944 das Attentat auf Hitler durch Claus Schenk Graf von Stauffenberg, Stabschef der Reservearmee, erfolgte. Wie man weiß, wurde seinerzeit bei der Lagebesprechung einer Frontsituation die Aktentasche mit der Bombe von einem Offizier auf die andere Seite des eichenen Tischsockels umgestellt, so dass das Attentat missglückte. Wir stehen vor einer Gedenktafel in Form eines aufgeschlagenen Buches mit zerborstetem Rücken, wo eine Seite zu lesen ist, auf der an die Erhebung gegen die nationalsozialistische Diktatur erinnert wird (Bild zweite Reihe unten rechts).

Besucheransammlung am Modell ... Modell Hitlerbunker (13)
Zerborstener Beton so weit das Auge reicht ... Erinnerung an das Attentat auf Hitler, das hier stattfand ...

Der Weg führt uns weiter: Es geht vorbei an verschiedenen Gebäuderesten, bis wir vor dem ersten der sieben massiven Schutzbunker stehen, die auf dem Gelände zu finden sind (siehe Geländeübersicht oben).

Zu diesen schweren Bunkern gehören sowohl ein allgemeiner Luftschutzbunker (26), ein Nachrichtenbunker (21) und ein "Gästebunker" (6). Die übrigen vier aber sind den offenbar wichtigsten Personen zugeordnet, die alle auf dem Bild weiter oben rechts zu sehen sind, als sie sich kurz nach Stauffenbergs Attentat auf dem Gelände der Wolfsschanze öffentlich zeigen. Von links sind darauf zu erkennen: Wilhelm Keitel, Chef des OKW (Oberkommando der Wehrmacht) (Bunker 19), Hermann Göring, Leiter der Luftwaffe (Bunker 16), Adolf Hitler (Bunker 13) und Martin Bormann, Parteisekretär der NSDAP und Hitlers Stellvertreter (Bunker 11).

Der erste der schweren Bunker, vor dem wir stehen, ist der mit der Nummer 11, also derjenige von Bormann. Man glaubt zunächst kaum, was man da sieht und fühlt sich irgendwie an ägyptische Pyramiden oder hier im Wald eher noch an riesige Mayatempel erinnert: Auf einer Grundfläche von 23 m x 35 m ragt hier hier ein steinerner Koloss in die Höhe, der selbst in seinem heutigen Zustand noch beeindruckt (siehe Bilder weiter unten). Eine 9 Meter dicke Stahlbetondecke ragt über dem Eingang zum Korridor empor, die wie die Bunkerwände doppelt angelegt ist und über eine Zwischenschicht aus Steinsplitt verfügt. Auch das Fundament besteht aus meterdickem Stahlbeton, so dass der nutzbare Raum dieser Bunker rundum vollkommen geschützt ist.

Geradezu lächerlich klein sind im Vergleich zu den hier stehenden Giganten diese nutzbaren Räume: Gerade mal gut 2 Meter hoch und 7 m x 15 m breit (Göring-Bunker 16) oder bis zu 20 m lang wie hier im Bormann-Bunker 11 scheinen sie doch irgendwie in einem krassen Missverhältnis zu stehen im Vergleich zu den ansonsten sichtbaren Abmessungen dieser Gebilde. Ein Korridor führte hier durch den gesamten Bunker, von dem aus auch der einzige Gang in den Innenraum abzweigte. Während dieser Eingang mit einer schweren Eisentür verschlossen war, gab es an den Korridorzugängen dagegen keine Türen, um den Zugang bei evtl. Bombardierungen zu erleichtern ...

Hitlers Bunker (13) ... ebenfalls bei Hitlers Bunker (13)

Gemeinsam mit vielen anderen Besuchern und ganzen Besuchergruppen steigen wir durch das schwüldampfige Gelände, durch geborstene Trümmer- und Betonreste. Der nächste schwere Bunker ist der größte der Wolfsschanze und natürlich der Publikumsmagnet schlechthin: Es ist der Bunker mit der Nummer 13, derjenige von Adolf Hitler mit einer Deckenstärke von rund 10 Metern. Auch vor dieser "Pyramide" in Bunkerform sammeln sich ergriffen ganze Besuchergruppen, bevor es weiter geht. Vorbei am Keitel-Bunker 19 und nach Umrundung des Göring-Bunkers 16 erreichen wir die geradezu zierlichen Bunker der offenbar weniger bedeutenden Persönlichkeiten: Man fragt sich, wie sich z.B. ein General Jodl gefühlt haben muss im Bewusstsein, im Ernstfall in seinen "winzigen" Bunker mit der Nummer 17 zu müssen, immerhin war doch auch er Chef des WFST (Wehrmacht Führungsstabes) ..?

Wir passieren noch den Nachrichtenbunker (21) und den Gästebunker (6). Man kann sich unschwer vorstellen, wie "angenehm" man es hier als "Gast" im Ernstfall gehabt hätte. Jedoch ist dieser wie bereits erwähnt nie eingetreten und auch die zahlreichen Gäste dieses FHQ, darunter auch ausländische Gäste wie z.B. der italienische Diktator Benito Mussolini, bekamen nie Gelegenheit, die Stabilität dieser Unterkünfte zu testen ...

Wir erreichen wieder den Eingang und besuchen noch einmal den Info-Raum mit dem Modell des Geländes - vieles wird jetzt erheblich deutlicher, nachdem man die einzelnen Gebäude bei einem Rundgang selbst gesehen hat. Das Gebiet südlich der Straße und der Eisenbahnlinie besuchen wir nicht mehr, da wir das Gefühl haben, ausreichend viel gesehen zu haben.

Wir kehren zum Explorer zurück, der immer noch an seinem alten Platz auf dem Campgelände steht () und beschließen, unserem Roadbook bereits heute noch weiter zu folgen, ohne hier zu übernachten - der "Hauch der Geschichte", der hier spürbar ist, lädt nicht unbedingt ein zum mehrtägigen Verweilen ... 

Bormanns Bunker (11) Keitels Bunker (19) Görings Bunker (16) Görings Bunker: Gesprengter Eingang
Reichsmarschallhaus (15) Jodls Bunker (17) Gästebunker (6) Nachrichtenbunker (21)

© 2010 Explorer Magazin