Wo dich der Waldrapp küsst ...
Es ist nicht weit zur österreichischen Grenze, dem letzten Land unserer 7-Länder-Tour. Diesmal gibt es nicht einmal mehr eine verlassene Grenzstation, lediglich zwei Schilder zeigen dem Reisenden, dass er in ein anderes Land einreist.
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Selbst die Landschaft setzt sich fort mit Weinbergen und Feldern.
Und obwohl die Gegend hier recht flach ist, gibt es doch Felsen, auf
denen Ritter Burgen errichteten. Die kleinen Dörfern wirken genauso
verschlafen und menschenleer wie auf der tschechischen Seite, aber sie
sind doch mehr herausgeputzt. Immer wieder wird man zu Winzern geleitet
und der eine oder andere Buschenschank wartet auf durstige Gäste. Ein
wenig gespenstisch ist es schon, denn wir sehen nirgendwo Menschen auf
den Straßen und kaum Autos, obwohl es Werktag ist. Mit derartigen Eindrücken
könnte mancher üble Science Fiction Film beginnen, aber hier ist es
nur ein reines Vergnügen, und das insbesondere für den Fahrer ...
Unser Ziel ist aber nicht das Weinviertel, wir müssen weiter durch Dörfer mit so netten Namen wie Unterstinkenbrunn und Oberstinkenbrunn bis in das Waldviertel. Waidhofen an der Thaya ist das Ziel.
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Direkt an der Thaya gibt es einen schönen städtischen Campingplatz
mit schattigen alten Weiden, am Ortsrand gelegen und sehr idyllisch.
Doch dann ein kleiner Schreck. Der Campingplatz ist gut belegt mit einer
riesigen Romasippe. Irgendwie sind die Erlebnisse in der Slowakei doch
nicht ganz ohne Wirkung geblieben. Aber schnell wird klar, hier handelt
es sich zum Teil um waschechte "Kölner", die ihren Urlaub
im Waldviertel verbringen, wie sie uns erzählen. Der Campingplatzwart
erklärt auch bei der Anmeldung sofort vorsorglich (obwohl wir überhaupt
nicht gefragt hatten), dass diese Sippe seit Jahren hierher kommt und
er seine Hand ins Feuer legt, dass nichts passiert. Wir hatten keine
Sorge, nur die plötzliche Menge an Menschen ist gewöhnungsbedürftig,
wenn man seit Wochen - beginnend auf einem leeren Fährschiff -, zunehmend
leerere Campingplätze genießen konnte. Aber so kann man sich schon mal
wieder eingewöhnen ...
Waidhofen ist wieder einmal ein idyllischer Ort: Am Ortsrand gibt
es die "Große Basilika", eine Ansammlung von Menhiren, die
an ein kleines Carnac erinnern.
Bevor man aber zu rätseln beginnt, wann, wer und mit welcher Zielsetzung
diese Anlage erbaut hat, löst sich das Rätsel bereits: Die Stadtsparkasse
war's! 1994 hat man das als so genannte Landart (sprich: ländart)
errichten lassen
.
Auf einer Schautafel führt man Hünengräber, Stonehenge und die Menhire der Bretagne auf, von denen man sich hat inspirieren lassen. Scheinbar ignorierte man, dass das Gute doch viel näher liegt, denn das Waldviertel verfügt durchaus über beeindruckende echte Steinmonumente wie die Kogelsteine oder die Feenhaube ...
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Wieder zurück im Ort darf man sich Europas größtes Waldrappgehege nicht entgehen lassen: Diese Vögel waren einst in ganz Europa sehr verbreitet und wurden so gejagt, dass sie seit dem 17. Jahrhundert in Europa ausgestorben sind. Nun versucht man die Waldrappe wieder auszuwildern. Das Projekt Waldrapp in Waidhofen trägt dazu sicher den wesentlichen Teil bei. Hier in der einzigartigen großen Voliere fühlen sich die Vögel so wohl, dass sie Nachwuchs groß ziehen. Eine Gruppe von ihnen wurde in den Wintern 2002 und 2004 mit einem Ultralight von hier in die Toscana geleitet.
Wir werden in die Voliere hineingelassen und es begrüßt uns herzlich
die Betreuerin Rosa, die alles ganz genau erklärt. Zwei Vögel aus Handaufzucht
tun zusätzlich alles, um den Besucher genau zu inspizieren. Vorsichtig
wird alles mit dem langen Schnabel untersucht, auch Nase und Ohren bleiben
nicht verschont, denn der Besucher könnte ja irgendwo einen Wurm versteckt
haben ...
Sie lieben es, gestreichelt zu werden, denn Streicheln gehört zur sozialen Gefiederpflege. Zum einen hat man es sich hier in Waidhofen zur Aufgabe gemacht, diesen Vögeln ein artgerechtes Zuhause zu schaffen, zum anderen werden Menschen mit Behinderung vom Caritas Tagesheim integriert, die die Pflege der Vögel übernommen haben.
Ein kleiner Ausstellungsraum zeigt Bilder und Skulpturen mit Waldrapp und man findet hier sicher das eine oder andere Andenken zum Mitnehmen, mit dessen Kauf man das Projekt unterstützt.
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Mit einem Fahrstuhl gelangt man vom Parkplatz an der Vogelvoliere wieder in die Innenstadt. Hunger wird spürbar: Überall auf dem Weg durch das Waldviertel stehen Plakate mit "Karpfenregion Waldviertel". Diese Empfehlung sollte man durchaus ernst nehmen und dann kann man köstliche Karpfengerichte wie hier beim Kirchenwirt genießen. Zum Abschluss sollte man noch den Mohnbrand probieren, ein schöner Ausklang für diese lange Tour ...
Auf Nebenstraßen schlagen wir uns am nächsten Tag durch nach Deutschland: Diesmal gibt es weder eine verlassene Grenzstation noch ein großes Deutschlandschild. Ein unauffälliges Bayernwappen am Straßenrand zeigt an, dass wir wieder zurück zu Hause sind - die 7-Ländertour geht heute so unspektakulär wie unvergesslich zu Ende ...
© 2010 Text/Bilder Sixta Zerlauth