Erholung vom Blues ...

Lisa - unsere gute Navigationsseele - ahnt wohl von unserer Stimmung und wir werden auf nahezu verkehrsfreien Nebenstrecken durch tolle Wälder und an schönen Seen vorbei geleitet. Sogar eine Sandpiste baut sie in unsere Route ein. Vor lauter Glück, so einsam durch die masurischen Wälder zu fahren, denken wir erst recht spät über möglichen Gegenverkehr nach, denn die Sandpiste ist einspurig ...

Lisa kennt sich aus ... Hier kann man es aushalten ...

Spuren vom Ausweichmanöver ...

Wir haben noch nicht zu Ende gedacht, da kommt uns bereits ein großer Holztransporter entgegen, der keinerlei Anstalten macht für ein Ausweichmanöver - allerdings hätte er auch keine Chance dazu. Da staunt der Fahrer aber nicht schlecht, als wir uns mit Allrad ganz schnell ins Gelände verziehen: Lachend fährt er hinter uns vorbei. Er bleibt der einzige, der uns auf der Strecke begegnet. Polen hat also doch seine verborgenen Reize ...

An einem kleinen Supermarkt machen wir Halt: Hier gibt es sogar Fleisch zu kaufen, jedoch scheinen Koteletts in diesem Laden unbekannt zu sein. Als ich der Verkäuferin mit Gesten versuche klar zu machen, dass ich einige Scheiben von einem Kotelettstück möchte, schneidet sie einen Brocken Fleisch ab und zertrümmert die Knochen, so dass ich dann hinterher die gesamten Splitter herausziehen und das Fleisch vom Knochen lösen muss, um etwas Bratbares zu erhalten.

Bei der Anfahrt zum Campingplatz lernen wir wieder ein neues Verkehrsschild kennen: "Der Campingplatz liegt 120m hinter dir" scheint das Schild zu sagen. Eigentlich ist aber der Abzweig zum Campingplatz gemeint, aber da wollen wir mal nicht so genau sein, als wir wenden und wieder zurückfahren ...

Der Campingplatz liegt 120m hinter dir!

Also rollen wir die paar Meter in die Gegenrichtung und stehen schon bald an der Einfahrt zum Platz. Die doppelte Hundesicherung (zwei arme Hunde, die wild aussehen und mit Abstand an Ketten gefesselt sind und sich die Seele aus dem Leib bellen) macht uns klar: Das ist ein bewachter Platz!

Ansonsten ist der Campingplatz wie in Piecki ebenfalls fast leer - nur vereinzelte Wohnwagen stehen hier. Die junge Platzwartin erklärt uns, dass vom 05.07. - 05.08. so viele Leute hier waren und sie wirkt jetzt, Ende August, noch immer nicht ganz erholt von dem Stress, denn sie wiederholt immer wieder: So viele Leute, so viele Leute und atmet dabei recht schwer ...

Wir suchen uns am Seeufer einen wunderschönen Stellplatz mit Tisch und Bank und Blick über den See nach Pasym. Hier wollen wir bleiben und sind mit Polen versöhnt, denn wir hatten bis jetzt nur sehr selten einen solch tollen Platz.

Am frühen Nachmittag ist der erste Rundgang angesagt: Der Ort Pasym hat Kirchen, ein burgähnliches Rathaus und einen Masten mit Entfernungsschildern, die dem Besucher klar machen, welche Stellung Pasym in dieser Welt hat ...

Das Rathaus im Zentrum der Welt ... Warten ... worauf?
1901, 1906 ... Bauboom in Pasym Ein Rundgang durch Paysm lohnt sich ...

Vor den Häusern sitzen Männer - sicher nicht ganz nüchtern - die das Treiben auf den Straßen beobachten, wichtig mit Handy telefonieren und möglicherweise auf den versprochenen Aufschwung warten. Die Häuser mit den Jahreszahlen (alles zu Beginn des 20. Jahrhunderts) könnten sicher Geschichten erzählen aus der Zeit, bevor zwei schreckliche Weltkriege diese Region heimgesucht haben.

Im Restaurant ist Fischessen angesagt: Hecht und Brachse mit Bratkartoffeln, leider wieder einmal alles aus der Friteuse. Die Fleischtaschen vorneweg, die an abgeschmälzte Maultaschen mit viel Majoran gewürzt erinnern, sind aber wirklich gut.

Alle paar Minuten fährt die Polizei vorbei: Sicherheit ist in Polen ganz offensichtlich ein riesiges Thema. Kaum ein Campingplatz oder Parkplatz, der nicht durch Videokameras überwacht wird. Hinzu kommen überall höchst nervöse Hunde, die jede gesichtete Person mit viel Gebell melden und somit Alarmanlagen und Klingeln ersetzen. Wir fragen uns, wie kann man in solchen Orten schlafen? Alle paar Minuten beginnt an einem Ende des Orts ein Hund zu bellen und die Bellkette setzt sich fort bis zum anderen Ende. Da nahezu jeder so einen Hund hat und die auch ständig bellen, funktioniert da noch diese Form der Abschreckung? Wem misstraut dieses Volk - sich selbst? Und warum misstraut ein ganzes Volk sich selbst derart? Handelt es sich um Sicherheitswahn? Ist die Situation tatsächlich so kriminell? Fragen über Fragen, die sich wohl nur über ein ausführliches Statistikstudium klären lassen würden ...

Sicherheit ist alles ... Schatten für den Explorer und Aussicht für uns ...

So kann man Polen gut aushalten ...

Am Abend trifft noch eine Familie aus Trudering nur wenige km entfernt von Ebersberg auf dem Campingplatz ein. Am See mit Lagerfeuer im Hobo-Ofen und kitschigem Blick auf den tief stehenden Halbmond über Pasym lassen wir den Abend ausklingen ...


 © 2009-2010 Text/Bilder Sixta Zerlauth