Etappe 3: Mashhad und entlang der alten Seidenstraße, 05.04. - 10.04.16

Vom höchsten Heiligtum der Schiiten in Richtung Teheran

Unser Dieselmotor brummt zuverlässig sein sonores Lied bei 80 km/h. Mashhad liegt hinter uns, nach Teheran sind es 700 km. Wir fahren durch die Gegenden uralter Handelsrouten, die China mit dem Westen verbanden. Es sind eintönige, auch heute noch of menschenleere Gegenden.

Nach Norden bestimmen noch schneebedeckte Gebirge die Route, nach Süden erstrecken sich unendlich weite und lebensfeindliche Salzebenen, durch die früher kein Durchkommen war. Riesige Sandhosen wirbeln hoch in die Luft und verdecken die Sicht. Die Weiten und Entfernungen sind kaum zu fassen, die Ebenen erstrecken sich über 1.000 km nach Süden (Dasht-e Kavir und Dasht-e Lut). Immer wieder passieren wir alte, verfallene Lehmbauten, die auf die jahrhundertealte Reiseinfrastruktur der Seidenstraße hinweisen.

Reiseroute, dritte Etappe (türkis eingezeichnet) ... Reste der Jahrhunderte alten Infrastruktur der Seidenstraße ...

Aber noch haben wir die Bilder und Eindrücke der Metropole Mashhad vor Augen: Eine Stadt mit drei Millionen Einwohnern, breiten Stadtautobahnen und Blumenrabatten entlang der Hauptstraßen und der ofmals riesigen, vielspurigen Kreisel, die von den iranischen Autofahrern gerne unter Ignorieren des restlichen Verkehrs passiert werden.

Wir nächtigen am Stadtrand auf einem riesigen Camping- und Freizeitareal, welches die unendlichen Pilgermassen zum Heiligtum bewältigen soll. In Spitzenzeiten an religiösen Feiertagen besuchen bis zu einer Million Pilger am Tag diese heiligen Stätten.

Früh morgens wollen wir zuerst unsere Visa verlängern lassen und sind bereits um 8:30 Uhr bei der Ausländerbehörde. Ein Visum vom Typ B kann nicht verlängert werden, ist der erste Bescheid. Wir weisen darauf hin, dass im Jahre zuvor unser Typ B Visum in Isfahan ohne Probleme verlängert wurde und dies ja auch im Pass ersichtlich ist. Der zweite Bescheid war dann, dass wir ja noch eine Restlaufzeit von 10 Tagen hätten und noch "zu früh" für eine Verlängerung gekommen seien. Wir sollen in einigen Tagen wiederkommen oder eine andere Behörde entlang unserer Reiseroute aufsuchen. Gerne hätten wir frühzeitig etwas mehr Sicherheit in unserer Reiseplanung gehabt ...

Wir verstauen gerade unsere Visa ohne Verlängerung wieder im Auto, als gut 15 schwarze Toyota Pickups voll mit schwarzuniformierten Polizisten in voller Ausrüstung zu einem Einsatz rasen. Es folgen noch eine Menge Motorräder mit Bewaffneten, einige tragen große Feuerlöscher auf dem Rücken. Die Nachhut bilden einige vergitterte Kastenwagen. Ein beklemmendes Gefühl steigt auf: Wir befürchten, dass der Meinungsfreiheit wohl wieder mal Einhalt geboten werden muss. Nicht weit entfernt lächeln die obersten religiösen Führer von riesigen Plakaten an Hauswänden gütig und milde auf ihr Volk - welch ein Kontrast ..!

So interessant Land, Leute und Kultur auch sind, so belastend empfinden wir dagegen die politischen Umstände: Sei es das Thema Meinungs- und Reisefreiheit oder etwa die Rolle der Frau. Der Staat mit seiner religiösen Macht versucht überall präsent zu sein, sei es auf unzähligen Plakaten, mit riesigen Fahnenmasten vor offiziellen Gebäuden oder durch allgegenwärtige Polizei- und Militärpräsenz mit ihren immerwährenden Kontrollen an Einfallsstraßen in Orten und Städten (Anm. der Red.: Siehe dazu unsere Anmerkung unten).

Per Zufall gehört zu unserer Reiseliteratur ein Buch von Anatolij Rybakow (Stadt der Angst), welches die stalinistische Herrschaft um 1937 beschreibt. Die Analogien liegen nicht weit auseinander und es geht immer wieder um das Thema Macht. Sehr zu empfehlen in dem Kontext ist ein weiteres Buch zu diesem Thema mit dem Titel: "Unerwünscht, Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte" ...

Die Geschichte der Stadt Mashhad ist eng mit dem Grab Imams Reza verknüpft, dem 8. Imam nach dem
Propheten Mohammed, der hier im Jahre 818 beerdigt wurde. Aus dem Grabmahl dieses Nachfahren des Propheten hat sich das wichtigste schiitische Heiligtum entwickelt. Die gesamte Anlage hat eine Ausdehnung von gut einem Ouadratkilometer und die Verkehrsströme werden an den Eingängen wie an Flughäfen organisiert, 4-spurige Schnellstraßen führen direkt unter dem Heiligtum durch und verteilen den Verkehr durch unterirdische Kreisel.

Wir werden am Eingang von einem Guide empfangen, der uns für die kommenden zwei Stunden durch das Heiligtum führt. Hinter den Toren verschwindet der Verkehrslärm und die wir stehen vor Gebäuden, die mit verschwenderischer Pracht versehen sind. In einzelnen Innenhöfen sind große Flächen mit Teppichen ausgelegt und die Pilger treffen sich hier zum Gebet. Das Innerste des Heiligtums dürfen wir nur von Außen betrachten, aber wir erhalten einen Eindruck von der religiösen Kraft, mit der die Menschen sich hier versammeln und beten ...

Unser Guide spricht ein sehr gutes Englisch, er hat hat einen Ph.D. in internationalem Recht. Gerne würde er seine Erfahrungen in Europa oder USA vertiefen, doch sein CV ist leider nicht gut genug, als dass sein Professor ihn für einen Auslandsaufenthalt vorschlagen würde, somit wird ihm die Reisemöglichkeit in den Westen verwehrt. Die Öffnung und Liberalisierung im Land sind Themen, die die Jugend oft in ihre Schranken verweist ...

Wichtigstes schiitisches Heiligtum ... Vor Gebäuden mit verschwenderischer Pracht  ... Große Flächen mit Teppichen ausgelegt ...

Abends übernachten wir in einer kleinen Senke zwischen Feldern vor den Toren der Stadt. Später kommt noch ein alter Bauer mit einem Uralt Mazda Pickup vorbei: Mittels einiger vorbereiteter Sätze auf Farsi erklären wir ihm, warum wir hier stehen. Er hat anfangs Bedenken und deutet mit der Wasserflasche auf den Himmel und dann auf den Weg. Ich zeige ihm unser Reifenprofil, als er bei einem Blick unter das Auto unseren Allrad erkennt, ist er zufrieden und wir verabschieden uns mit "khodã hãfez".

Mit der lehmigen Erde ist bei Regen nicht zu spaßen, auch wir hatten schon unsere einschlägigen Erfahrungen, wie schnell sich selbst das Profil von Mud-Terrain Reifen im Lehm in traktionslose Slicks verwandelt. Heute Nacht aber bleibt es trocken. Am Morgen erfolgt nach 10.000 km noch ein technischer Service, die Blattfedern und die Schmiernippel von Fahrwerk und Kardan lechzen nach Nachschub und diverse Filter sind zu tauschen.

Bekanntlich gibt es im Iran hauptsächlich Fladenbrot und auch wir sind immer wieder auf der Suche nach einer Bäckerei, wo dieses ofenfrisch zu erwerben ist. Noch warm, in einem traditionellen Lehmofen klebend an der Innenwand gebacken, schmeckt es köstlich und dies bei einem qm-Preis von 40 Ct. oder 15.000 Rial. Vorbeugend haben wir 4 große Laibe selbstgebackenes Roggenbrot dabei, scheibchenweise luftgetrocknet, und somit ist unser Ballaststofhaushalt gesichert.

Obst und Gemüse in passabler Qualität zu finden, ist nicht immer einfach, oft liegt es überreif stundenlang in der prallen Sonne, dennoch gelingt es Sonny, in unserer Kleinstküche immer wieder leckere Gerichte zu zaubern.

Östlich von Damghan weist uns der Reiseführer auf die Ruinen einer ismailischen Festungsanlage hin: Das Besondere ist deren außergewöhnliche Lage auf einem 300 m hohen zylindrischen Felsen mit allseits steilen Wänden. Auf einer solch exponierten Lage eine umfangreiche Festung zu bauen, ist sicher eine Meisterleistung ...  

Außergewöhnliche Lage: Festung auf einem 300 m hohen steilen Felsen ... Meisterleistung des Festungsbaus ...

Ohne Klettererfahrung ist dieser Felsen, genannt Gerdkuh, nicht zu erklimmen. Im Jahre 1270 ergab sich die Festungsbesatzung nach 17 Jahren mongolischer Belagerung (sagt unser Iranführer). Noch heute sieht man auf dem Felsplateau die Reste der Festung, ringförmig um den Felsen sind deutlich noch ein breiter Mauerring und eine Vielzahl eingestürzter Bastionen zu erkennen.

Mit Glück können wir einige Steinkugeln finden, wie sie von Katapulten aus verschossen wurden. Das weitläufge Gelände wäre eine Fundgrube für Archäologen. Auf Anhieb fnden wir unzählige verzierte Tonscherben alter Gefäße ...

In Semnan wollen wir nun unser Visum verlängern lassen, das in einer Woche ausläuft. Bei der obligatorischen Polizeikontrolle an der Zufahrtsstraße zur Innenstadt fragen wir nach der Visumsbehörde. Kein Problem, sagt der Polizist, steigt in sein Auto und wir sollen im folgen. Er setzt uns direkt vor einer Behörde ab, leicht zu erkennen an hohen Funkmasten, Stacheldraht, kleinen Aussichtstürmen an den Ecken und jeder Menge Uniformierter mit Waffen.

Sofort wird uns das Tor aufgemacht und schneller als uns lieb ist, stehen wir gut bewacht im Innenhof: Nach Sichtung unserer Pässe, einiger Telefonate und einer obligatorischen Teerunde wird uns beschieden, dass unsere Visa hier nicht verlängert werden können, obwohl wir von der Visabehörde in Mashhad eine diesbezügliche Auskunft erhalten hatten. Ob es wirklich so ist oder etwa aus Unkenntnis des Beamten, vielleicht aus Gründen der Gesichtswahrung, wissen wir nicht: Jedenfalls stehen wir ohne den begehrten Stempel da und verlassen diesen Hochsicherheitstrakt.  

Unsere einzige Alternative ist jetzt Teheran: Mitten in der 14 Millionen Stadt, die angeblich jeden Tag einen Verkehrsinfarkt
erleidet, müssen wir jetzt einen neuen Anlauf starten. Es wird spannend, denn unsere Tage ohne Verlängerung gehen dahin mit Visathemen und bestimmen zunehmend unsere weitere Reiseplanung und Stimmung ...

Aktueller Stand 13.-15.04.16:

Für manche Tracks noch zu früh ...Für die Berge und rund um Teheran ist viel Regen avisiert und deshalb haben wir uns an das Kaspische Meer zurückgezogen. Hier soll das Wetter die kommenden Tage passabel sein. So stehen wir hier direkt am Strand zwischen Luxusvillen, halbfertigen Hotelruinen und jeder Menge von Rückstanden der Zivilisation.Die iranischen Touristen spazieren am Strand und drehen Selfies, bis der Arm lahm wird. Wir beobachten das Treiben und führen dabei so manchen Small Talk.

Mittlerweile haben wir die Visa Verlängerungen und jetzt noch etwas Zeit, den Norden mit seinen Bergen zu bereisen, soweit das Wetter einigermaßen erträglich ist. Für so manche Tracks ist es noch zu früh ...


© 2016 Hans-Jörg Wiebe