Die Wüste

Am Abend sitzen wir allein (nur mit dem Platzwart) in Erfoud auf dem neuen Campingplatz, Toiletten und Duscheinrichtungen sind ebenfalls nagelneu und sehr gut für Marokko. Wir unterhalten uns über Allah und die Welt und kommen natürlich inmitten eines Fossilienmeeres auch ins Handeln. Warme Kleidung und Schuhe werden immer gerne getauscht und so kommen wir zu einigen schönen Fossilien, allerdings möchte der Wärter auch einen Whisky(!). Er ist zwar Moslem, aber Allah sieht es jetzt in der Nacht nicht - da ich nicht der Wächter über Andersgläubige bin, soll er einen spanischen Osborno bekommen. 

In der Wüste Erg Chebi ...Er erzählt uns von den Problemen, die der "Blechmond" mit sich bringt - gemeint ist die SAT-Schüssel, die man überall sieht. Da werden unerfüllbare Wünsche durch die Konsumgüterindustrie geweckt, außerdem wird bei Jugendlichen die Nacht zum Tag gemacht und die Arbeitsmoral sinkt. Während unserer Unterhaltung ist es schon 22:30 Uhr geworden und die Temperatur liegt immer noch bei 34°C.

Am nächsten Morgen um 6:30 Uhr stehen wir auf, da es schon wieder 28°C hat und man sonst keine Lust mehr verspürt, etwas zu tun. So habe ich in Ägypten einmal zwei Tage nur im Schatten gestanden und bin nicht mehr weiter gefahren. Das soll heute aber nicht passieren und deswegen geht´s beizeiten los, schließlich wollen wir weiter in die Wüste zum Erg Chebi aufbrechen.

Wir fahren mitten durch das versteinerte Meer, hier an dieser Stelle war vor ca. 480 Millionen Jahren noch Wasser, die Tiere versanken im Sandboden, versteinerten, und werden heute weltweit als einmalige Stücke verkauft - selbst die Steinplatte meines Wohnzimmertisches stammt von hier, was durch ein Zertifikat belegt ist.

Wir sind mittlerweile ausgestiegen, um selbst etwas zu graben - aber ehrlich gesagt, die Hitze ist zu groß und es macht keinen Spaß. Die professionellen Fossiliensammler, die überall graben, haben wahrscheinlich noch weniger Spaß dabei, aber es ist eine der wenigen Einkommensquellen hier.

Einige Stunden später stehen wir auf einer Anhöhe. Vor uns kreuzen sich viele Autospuren und führen zu einer Karawanserei  und weiter im Hintergrund sehen wir den rötlichen Schein der großen Sanddünen des Erg Chebi.

Ein Abstecher zur Karawanserei folgt und wir begegnen den ersten Kamelen in freier Wildbahn. Sofort kommt auch ein Beduine, wir werden eingeladen und trinken erst mal kräftig Wasser und Tee. Von ihm erfahren wir, dass Touristen von hier aus mit einer Kamelkarawane für einige Tage nur mit dem Bait el Haar (Haus aus Ziegenhaar, also Beduinenzelt)  unterwegs sind. Obligatorisch werden auch hier wieder Kleider gegen kleine polierte Fossilien getauscht, wobei er uns darauf hinweist, dass er keinen Strom habe und alles mit einer Maschine mit Handkurbel poliere.

Erg Chebi: Impressionen ...

Euphorisch über die wunderbare Landschaft und darüber, endlich das Ziel der Reise erreicht zu haben, fliegen wir  wie auf Wolken über den weichen Sand. Bei meinen 31er Reifen brauche ich noch nicht mal den Reifendruck zu reduzieren, Dieter allerdings hat auf seinem Toyo nun Michelin Sandreifen aufgezogen, die wesentlich schmaler sind als meine, und bleibt auch gleich stecken.

Mit vereinten Kräften geht´s dann wieder weiter. Am Nachmittag suchen wir uns eine schöne Stelle, an der wir übernachten wollen. Natürlich bleibt man in der Wüste nicht unbemerkt, noch dazu wenn man in der Nähe einer Oase mit wunderschönen Palmengärten bleibt. Wir haben uns unter Palmen und Tamarisken im Schutz der Dünen niedergelassen und den besten Platz, den man überhaupt finden kann ausgesucht, mit inzwischen reichlich Erfahrung ist auch sofort das Dachzelt (1000 Sterne-Hotel) aufgebaut. 

Man kann in der Wüste Autos viele Kilometer weit hören, deswegen ist es auch nicht verwunderlich, dass wir schon bald Besuch eines freundlichen Arabers bekommen. Er sagt, sein Vater sei Bürgermeister dieser Oase im Merzuga Distrikt. Er heißt uns willkommen und bittet uns gleichzeitig, bei unserer Abreise keinen Unrat liegen zu lassen. Für uns eigentlich selbstverständlich. Ein anderer Junge, der auch gekommen ist, bietet uns an, die Oase zu zeigen - wir nehmen gern für den nächsten Morgen an.

Dünenfahrt zum 1000-Sterne-Hotel ... ... sie sind schon da: Kinder der Wüste ...

Dann sagt uns der Sohn des Bürgermeisters noch, dass es möglich sei, dass Kinder kommen und uns anbetteln könnten. Wir sollen denen bitte kein Geld schenken auch keine Zigaretten. Er meint, die Kinder würden dadurch ihren Eltern nicht mehr gehorchen und wenn die Eltern den Kindern einen Wunsch verweigern würden, käme die Antwort "dann holen wir es uns von den Touristen". Auch hätten Kinder manchmal mehr Geld von Touristen erhalten, als ihre Eltern mit der Arbeit verdienten! Wir sollen das nicht unterstützen. 

Nach dem Abendessen kommen dann tatsächlich einige Kinder, sie haben kleine, selbstgebastelte Püppchen aus einem Bambusrohr, mit Kleidern ummantelt und einem gemalten Gesicht. Diese Püppchen wollten sie uns jetzt verkaufen und versuchen mit allen Tricks, irgendeinen aus unserer Gruppe ausfindig zu machen, der das abkauft. Nach längerer Zeit hole ich eine Flasche Wasser, Apfelsinen, Spielzeug und Malstifte heraus und legte sie aufgereiht neben die Püppchen. Die Gesichter der Kinder werden immer länger, als ich Ihnen sagte dass es "mafi Fluss" (kein Geld) gäbe. Der Handel gestaltet sich dementsprechend schwierig - am Ende haben wir ein Püppchen und ein paar Fossilien, die sie aus der Tasche ziehen, getauscht gegen Lebensmittel und Spielzeug. Ich denke, dagegen ist nichts einzuwenden. Übervorteilen kann man selbst die Kinder nicht, denn Araber sind geborene Händler, das hatte ich während  meiner 12-jährigen Arbeit  mit Arabern längst gelernt ...

Schon zuhause hatte ich meiner Frau immer wieder  vom fantastischen Sternenhimmel der Wüste vorgeschwärmt und jetzt wollte ich ihn auch zeigen, aber der Vollmond macht mir einen Strich durch die Versprechungen und es ist auch nachts taghell. Wir spazieren nachts durch die noch warmen Dünen und wandeln wie auf Wellen im Meer und können selbst vom hellen Mondlicht unsere Schatten sehen.

Wir genießen den schönen Abend mit einem extra gekühlten Weizenbier, unsere Freunde haben sich eine Schüssel mit Wasser vor den Campingstuhl gestellt und hängen die Füße hinein - mit Bikini und Badehose bekleidet wie am Strand ...

Auf meine Frage "ob sie sich auch gegen Mondbrand eingecremt hätten?" bricht natürlich lautes Gelächter los und der "Mondbrand" wird später noch oft zitiert.

Gegen 4 Uhr am nächsten Morgen nehme ich den schweißtreibenden Anstieg auf eine ca. 170 m hohe Düne bei bereits 27°C auf mich, um den Sonnenaufgang von der höchsten Stelle aus zu erleben, der Weg ist viel länger, als man denkt und so muss ich aus Zeitgründen das letzte Stück fast senkrecht an der Düne hoch klettern.

Es konnte doch nicht sein, dass ich extra so früh aufgestanden war und dann noch zu spät komme - ich schaffe es gerade noch, packe meine Kamera aus und das Schauspiel beginnt Punkt 5:00 Uhr ...

Unvergessliches Erlebnis: Sonnenaufgang in der Wüste ...

Viel später lese ich ihn wieder, den Eintrag in meinem Reisetagebuch: 

"Just in diesem Moment geht die Sonne auf !!

Es ist nicht gemächlich, es ist krass! Man meint, die Sonne dürfe keine Zeit verlieren, selbst hier an einem Punkt der Erde, an dem die Zeit stehen geblieben zu sein scheint. Du bist der Auffassung, es solle langsamer gehen, denn du bist extra deswegen gekommen, jetzt hast du Mühe, die Veränderungen, die das Sonnenlicht bewirkt, zu erfassen.

Du blickst nach links und rechts, immer in der Hoffnung, das Licht und Schattenspiel  zu erfassen, das mit schnellem Fluss die Landschaft berührt. Du wagst es nicht einmal, nach hinten zu schauen, dein Auge könnte jene Landschaft vor dir nicht mehr wiederfinden.

Es werde Licht. Und es ward Licht!
Ein neuer Tag!  Sein Name:  06.06.2001
Und ich war bei seiner Geburt dabei!
Hoch oben am Jebel "Raml Kebir"

Nach meiner Rückkehr zum Camp sind die anderen schon aufgestanden und wir haben Luxus im Überfluss! Wir haben genug Wasser dabei und können ausgiebig die Solardusche genießen ... 

Walter "ohne": Duschfreuden ... ... und Waschzeremonien - lag das Bild zu lange in der Sonne ...?

Von der Düne aus kann ich mit dem Fernglas beobachten, wie die Frauen der Oase mit ihren Eseln bereits nach Sonnenaufgang am Brunnen Wasser holen. Nach dem Frühstück kommt der Junge zu uns, mit dem wir die Oase besichtigen wollen. Hier erfahren wir auch etwas über die "Organisation" einer Oase.

Zunächst sind schon einige Kilometer vor der Oase etliche Brunnen gegraben, das Wasser sammelt sich dort und fließt unterirdisch, weil mit Gefälle gegraben wird, von Brunnen zu Brunnen, bis es an der Oase angekommen ist. Hier ist aus Zement eine Stelle betoniert, in der Größe von ca. 30 x 150 cm und mit ein paar Stufen, um leichter an das Wasser zu kommen. Jede Woche ist eine andere Familie für die Reinigung der Brunnenlöcher zuständig, so dass diese durch den Flugsand nicht wieder versiegen. Auch in der Oase ist das Wasser strikt reglementiert und jede Familie erhält die selbe Menge Wasser.

Rundgang in der Oase ... ... doch die Wüste rundherum ist unübersehbar ...

Bäume sind sehr wertvoll und werden in der Familie vererbt. Hauptsächlich werden Dattelpalmen, Granatäpfel, Gemüse, Rüben und Minze angebaut. Es ist ein karges Leben hier draußen. Natürlich ist der Sohn des Bürgermeisters der Freund des Jungen, der uns zu einem Tee dort hin führt und natürlich hat der Sohn des Bürgermeisters einen Teppichladen, in dem wir jetzt wieder sitzen, Tee trinken und die Geschichte der Teppiche des Landes hören. Sehenswert ist ein "Backhaus" im Hof. Eine alte und eine junge Frau sitzen auf den Boden gekauert und in Schwarz gehüllt, so dass man sie in dem beißenden dicken Qualm erst gar nicht sehen kann. Sie backen auf einem Blech Fladenbrot, zum Heizen verwenden sie Tamariskenholz und Kameldung. Wir verziehen uns aus dem schwarzen engen Loch, als wir Atem holen müssen: Das würde bei uns kein Mensch aushalten!

Wir fahren weiter, immer noch in südliche bzw. südöstliche Richtung - kurz vor der Ortschaft Mfis bleiben wir stehen und fotografieren ein verendetes Kamel. Aus der Ferne sehen wir schon zwei Kinder auf uns zukommen, wir warten, bis sie da sind und schenken ihnen ein paar Farbstifte, über die sie sich richtig freuen. Sie laden uns zu sich ein. Naja, ich wäre nicht mitgegangen, wenn einen Kinder einladen, könnte man ja ungelegen kommen. Unsere Freunde sind aber sehr interessiert, also packen wir die Kinder ein und fahren ein paar Kilometer zu einem Haus, sie erzählen uns, dass genau hier die Rallye Paris-Dakar vorbeikommt und sie immer zuschauen ...

Arabische Gastlichkeit

Am Haus angekommen, geben wir ihnen einen Vorsprung, damit sie wenigstens im Haus Bescheid geben können, dass da Ausländer vor der Tür stehen.

Ein junger Mann kommt heraus, der sich als Bruder vorstellt und uns herzlich einlädt. Also gut - dann gehen wir mit, gleich im Erdgeschoss ist eine Art Wohnzimmer mit einem Schrank und einem Fernseher, der scheinbar immer läuft, an der Wand entlang sind Rückenpolster angebracht.

Wir werden aufgefordert, uns auf den Boden  zu setzen. Sofort beginnt der junge Mann, den ich so auf Mitte zwanzig schätze, mit der Teezeremonie, wir unterhalten uns auf Arabisch, was ganz gut geht - dann spitzt sehr vorsichtig eine junge Frau zur Tür herein und setzt sich zu uns. Marianne sieht die Henna-Tatoos der jungen Frau - es ist ebenfalls eine Schwester der Kinder - und Marianne fragt, ob sie auch so schöne Tatoos haben könne? Ich übersetze so gut ich kann und freudig springt die junge Frau auf, um ein Gefäß mit dem grünen Blattbrei zu holen. Es dauert einige Zeit, bis Marianne ebenfalls an Armen und Beinen bemalt ist, zwischenzeitlich trinken wir den wer weiß wievielten Tee und essen etwas süßes Gebäck ...

Später kommen auch die Eltern der jungen Leute von draußen und wir betrachten uns gegenseitig immer wieder - treffen sich die Blicke, dann lacht man einfach dabei. Die Frau hat den Gesichtsschleier herunter genommen, sie mag ca. 45 - 50 Jahre alt sein und sieht recht hübsch aus für ihr Alter, die Augen hat sie pechschwarz mit Kohl gefärbt (schwarzes Pulver), da es gegen den "bösen Blick" hilft. Bei der Geburt von Jungen werden denen sofort die Augen mit Kohl geschminkt, um ein Mädchen vorzutäuschen, die Kindersterblichkeit war früher noch erheblich höher als heute und so wollte man die Buben als Stammhalter vor einem allzu frühen Kindstod bewahren ...

Jetzt ist es für uns aber Zeit geworden, als Dankeschön für diesen interessanten Nachmittag geben wir noch ein paar Kleidungsstücke und etwas Bakschisch.

Der ältere Sohn fragt, ob wir ihn mitnehmen könnten, er müsse zur Arbeit. Da im Auto leider kein Platz ist, stellt er sich ca. 15 km auf das Trittbrett, bis er irgendwo im Nichts sagt, dass er jetzt da sei. Aber wo? Es ist weit und breit nichts zu sehen ...


© 2002 Walter Troll