Einsame Steinwüste im Osten Marokkos
Arno fährt nach dem Rückflug seiner Gabi den Bremach allein heim, fällt also für uns als Reisebegleiter und Marokkokenner aus. Welch ein unglaubliches Glück, dass die Schweizer Harry und Amary, ein anderes Bremachpaar und erfahrene Wüstenfüchse, gerade in diesen Tagen ihre Marokkoreise beginnen und uns für eine Zeit als Begleitung einladen!
Wir müssen allerdings nach der Trennung von Arno in zwei Tagen knapp 600 km nach Osten fahren, vorbei an der alten Römersiedlung Volubilis und der Königsstadt Meknès, und treffen uns in Taourirt mit den beiden, die über Nador eingereist sind. Sie wollen als erstes durch das Rekkam-Plateau, eine sehr einsame Steinwüste im Osten des Landes, in den Süden fahren und kennen schon die meisten Pisten dort. Führer oder fremde Tracks braucht Harry dazu nicht.
Die 50 km Teerstraße südlich nach Debdou und den Anstieg auf das über 600 Meter höher gelegene Plateau fahren wir noch am selben Tag und finden eine Nachtstelle mit Blick in die Ebene hinunter. Am nächsten Morgen beginnt dann das Wüstenabenteuer auf einsamen Pisten, die nur gelegentlich von Einheimischen befahren werden. Die fahrtechnischen Schwierigkeiten bestehen hier in der Querung der sehr zahlreichen Queds, das sind trockengefallene Wasserrinnen unterschiedlicher Größe und Tiefe, die von früheren Sturzbächen gegraben wurden ...
Flusstäler kennen wir ja aus den Alpen, die sind ebenfalls durch steil und schnell abfließendes Wasser entstanden. Aber hier liegt eine riesige Ebene ohne nennenswerte Erhebungen vor uns und alle paar hundert Meter gibt es einen Qued zu queren. Da müssen in grauer Vorzeit unvorstellbare Starkregenfälle niedergegangen sein, die diese Erosionen im ebenen Sandsteinboden bewirkt haben.
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Gleich der erste Qued, der die Piste quert, sieht für mich unfahrbar aus. Knapp zwei Meter tief und steil hinunter, danach sofort nicht weniger steil wieder hoch. Wir steigen aus und schauen uns das Hindernis aus der Nähe an: Harry meint, das geht schon und auch Amary ist sehr zuversichtlich. Sie gleiten langsam durch, ohne vorn oder hinten zu touchieren. Ermutigt fahren wir langsam hinterher, der tiefste Punkt an meinem Hecküberhang kratzt aber über den Boden und ein vorstehendes Blech verbiegt sich leicht. Wir haben halt einen geringeren Böschungswinkel, für diese Rinne fast zu wenig. Leider haben wir - wie immer - kein Foto von diesem aufregenden Ort geschossen. Und es sollte die schwierigste Stelle bleiben, spätere Passagen werden alle einen Tick leichter zu befahren sein ...
Die nächsten fünf Tage passen wir uns dem Rhythmus unserer
Wüstenfüchse an und das bedeutet: Ziemlich früh aufstehen und
frühstücken, damit wir gegen 8 Uhr fertig sind, wenn Harry und Amary
vom Hundespaziergang zurückkommen und starten wollen. Dann wird 3-4
Stunden gefahren, bis Harry einen ihm schon bekannten einsamen
Stellplatz in schöner Umgebung erreicht und den Motor abstellt für
diesen Tag. Mit einem Augenzwinkern erklärt er uns, dass der
typische Schweizer um 12 Uhr sein Mittagessen haben will ...
Einen sonnigen Tag mitten in der Wüste habe ich mir schlimmer
vorgestellt mit unerträglicher Hitze und quälender Sonnenstrahlung,
ich dachte früher, das könne man nur im fahrenden Auto mit
Klimaanlage aushalten. Aber in der ersten Oktoberhälfte ist das
alles schon viel entspannter als im August. Ich fahre zwar die
Markise aus und hänge noch zusätzliche Lappen zum Sonnenschutz dran,
aber Harry findet das eher belustigend und braucht so einen Kram
nicht. Doch wer hat der hat und ich habe - nämlich eine ganze Tonne
mehr an Gewicht: Allein die Schneeketten wiegen ja schon 36 kg ...
Nach einer kurzen oder längeren Pause haben wir dann den ganzen
Nachmittag Zeit, um entweder die nähere Umgebung zu erkunden, für
Roland einen geeigneten Felsen zum Bouldern zu finden oder für mich,
die Zutaten zum Abendmenü vorzubereiten. Ich habe mir vor der Reise
fest vorgenommen, mich in die Technik der Campingküche mit dem
Omnia
Backofen einzuarbeiten und abwechselnd deutsche und lokale Kost
aufzutischen. Zu Hause bzw. bei Touren mit meiner Frau darf ich das
nämlich nicht und bin immer nur als untergeordneter Tellerwäscher
vorgesehen. Das soll aber jetzt mal Roland übernehmen ...
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Überfallartig kommen plötzlich Ziegen und Schafe angelaufen, stürzen sich auf
meine Küchenabfälle und wandern anschließend weiter: Sie leben ansonsten von
winzigen Gräslein, die dünn gesät sind und kaum einen Zentimeter aus dem
trockenen Boden lugen. Dann kommt ein junger Hirte vorbei und bittet
sehr zurückhaltend um Geschenke. Dringend bräuchte er ein Paar
Schuhe, denn die in Fetzen hängenden Gummiteile an seinen Füßen
kann man nicht mehr als solche bezeichnen. Leider haben wir nur Kekse und
Wasser zu bieten. Für die nächste Wüstenreise werde ich aber wohl Schuhe
zum Verschenken einpacken ...
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Bei unserem Übernachtungsplatz neben dem Col de Belkassem machen Roland und ich eine Wanderung auf den Felsenkamm gegenüber und finden eigenartige, dunkelblau bis schwarzgraue Verfärbungen auf manchen Steinen, die uns Harry als "Wüstenlack" benennt. Laut Wiki sind das Oxidationsschichten auf eisen- und manganhaltigen Tonmineralien. Später werden wir Orte finden, an denen fast alle Steine flächendeckend damit überzogen sind – keine Rarität also.
Am nächsten Tag fahren wir wieder einmal an einer Berbersiedlung vorbei und das läuft immer gleich ab: Harry und Amary haben 100 Meter Vorsprung und kommen noch relativ unbehelligt vorbei. Aber bis wir dann ankommen, haben es die Bewohner, Jung und Alt, meist geschafft, von ihren Zelten oder Lehmhäusern zur Piste heran zu laufen und durch heftiges Winken und Rufen Geschenke einzufordern.
Dabei
führen sich die etwa 10-jährigen Buben besonders aufdringlich,
manchmal sogar aggressiv auf: Man hat den Eindruck, es sei für sie
ein ernster Sport, um später in der Schule mit ihren Erfolgen um die
Wette prahlen zu können. Freundliche Gesichter sehen wir bei diesen
Jungs selten. Manche haben auch schon gelernt, dass man nur nach
Dienstleistungen etwas bekommt und räumen vor dem Eintreffen der
Touristenfahrzeuge irgendwelche kleine Steine als fiktive
Hindernisse von der Straße weg ...
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Nur selten können wir unsere Wasservorräte an Brunnen auffüllen: Die meisten davon sind seit langem trocken. Und wenn sie noch geringe Mengen hergeben, brauchen das die Bewohner dringender. Eine Mittagsrast unter den Palmen zeigt schön die Dattelfamilie: Der hohe Baum ist die Madame mit den reifen Fruchtständen, die zwei oder drei kleinen Pflanzen an der Basis sind die männlichen Pollenspender, ohne die es auch nicht geht.
An unserem letzten gemeinsamen Nachtplatz wenige Meter neben der
Piste beobachten wir am späten Nachmittag eine Gruppe von etwa zehn
Geländewagen, die mit Staubfahnen und Lärmpegel an uns vorbei in die
Zivilisation zurückfahren. Danach bleibt es aber ruhig und wir
können wieder bis in die Nacht hinein zusammensitzen und Wein trinken,
allerdings nur mäßig lange, denn bereits um 6:45 Uhr läutet ja schon
wieder der Wecker ...
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Am nächsten Morgen begleiten uns Harry und Amary noch ein gutes
Stück bis zum "Plateau des großen Steins", welches im
Pistenkuh-Führer auf der Route SBM Boudenib - Merzouga
beschrieben wird. Das aber haben sie schon mehrfach
besucht und müssen es deshalb nicht noch einmal sehen. Wir sind
jedoch neugierig auf diese bekannte Piste und trennen uns deshalb von
den beiden Schweizern, die noch weiter in den Süden fahren und
erneut unbekannte und wenig befahrene Tracks erkunden wollen. Diese
sechs Tage waren für uns Wüstenneulinge eine wichtige Erfahrung und
ich möchte sie nicht missen, obwohl ich schon nach wenigen Tagen die
trockene Landschaft und die vielen Steine ein wenig leid war. Meine
Tochter schickt mir unterwegs auch noch einen Bildgruß aus der Heimat
- und ich
schwärme den ganzen Tag von diesem saftigen Grün dort ...
Das Plateau mit dem großen Stein hat zwei Zufahrten und wir wählen den kurzen südwestlichen Zugang mit einer steilen Rampe, die wir mit unserem schweren Fahrzeug erst gar nicht versuchen wollen. Es sind ja weniger als zwei Kilometer zu Fuß und das tut unseren sitzfaulen Knochen gerade gut. Auf dem Plateau gibt es viele große runde Steine und fast ist es willkürlich, diesen einen Rundling, der näher am Rand der Hochebene liegt (N 31° 38.193' W 03° 51.445'), als Unikat hinzustellen. Das ist meinem Roland aber egal, bezwungen werden muss er trotzdem, wie manche andere auch ...
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© 2023 Sepp Reithmeier, Fotos: Sepp Reithmeier, Sonja Ertl, Roland Schömer