Die NC Flugboote

Während Stones´ Kriegseinsätzen arbeitete die Navy bereits eng mit dem Luftfahrtpionier Glenn Curtiss zusammen an der Entwicklung eines großen Wasserflugzeugs, das im offenen Meer unter allen Wetterbedingungen starten und landen sowie stundenlang in der Luft bleiben sollte. Ein derartiges Luftfahrzeug war als Antwort gedacht auf die Bedrohung alliierter Schiffe durch U-Boote. Die Navy forderte Curtiss auf, bei seinem Entwurf auch die Möglichkeit zu berücksichtigen, den Atlantik überqueren zu können. Das von ihm entwickelte NC (Navy-Curtiss) Flugzeug sollte dies unter Beweis stellen.

Querschnitt Rumpf NC FlugbootWas Curtiss daraufhin schuf, war der Entwurf eines Flugbootes, das man selbst unter heutigen Maßstäben als groß einstufen würde. Mit einer Spannweite von mehr als 38 Metern übertraf es um gut 5 Meter die eines modernen Jets vom Typ Boeing 727. Vier dieser Flugzeuge wurden gebaut, nummeriert von NC-1 bis NC-4.

Ihre einzigartigen Rümpfe waren eher die von Booten als die von Flugzeugen. Entworfen, um auch in rauer See zu überstehen, waren sie in 6 wasserdichte Kammern aufgeteilt, wie der rechts nebenstehende Querschnitt zeigt. Es war möglich, sich innen nach vorn und nach hinten zu bewegen, aber die Besatzung musste sich dafür durch wasserdichte Luken zwängen, vorbei an einer Reihe großer Treibstofftanks, die den Mittelteil vom Rumpf des Flugbootes belegten.

Unterwegs mit sechsköpfiger Crew ...Jedes Flugboot hatte eine sechsköpfige Crew. Drei von ihnen, Pilot, Copilot und Navigator, saßen in offenen, unbeheizten Cockpits (siehe Querschnitt, vorne links), den Elementen und dem Getöse der vier Liberty-Motoren ausgesetzt. Die anderen drei Besatzungsmitglieder kauerten hinten in der Techniker- und Funker-Kammer.

Ursprünglich waren die Flugzeuge mit drei "Zug"-Motoren von jeweils 400 PS ausgestattet. Später wurde noch ein vierter "Schub"-Motor hinten hinzugefügt, um einen sicheren Start bei Höchstlast und einem Gewicht von ca. 12,7 t zu gewährleisten. Diese zusätzlichen PS verschafften dem Flugzeug eine Höchstgeschwindigkeit von etwa 155 km/h. Die Maschinen hatten damit eine Reichweite von etwa 2.370 km ohne weitere Betankung und eine Dienstflughöhe von ca. 1.370 m.

Alles in allem recht erstaunlich, denn die Flugzeuge waren überwiegend aus Holz gebaut. Die Oberflächen von Tragflächen und Heck waren mit Stoff bespannt und wurden durch eine Vielzahl vorgespannter Drähte an ihrem Platz gehalten.

Die Herausforderung

Aufgrund der Erfahrungen im Ersten Weltkrieg drängten die amerikanischen Marineoffiziere dazu, einen Versuch zur Atlantiküberquerung mit einem oder mehreren dieser gigantischen Flugboote zu unternehmen. Dies würde eine gewaltige Aufgabe werden. Aber auch andere arbeiteten bereits hart daran, in die Geschichte einzugehen, als Erste den Atlantik überquert zu haben, darunter drei Teams britischer ziviler Flieger.

Dieses Trio wurde durch das Versprechen des London Daily Mail angespornt, einen Preis von $ 50.000 an das Team zu zahlen, das diese Überquerung als erstes erfolgreich bewältigen würde. Es gab keinerlei Anforderungen, dass ein solcher Flug nonstop sein müsste oder gar im Alleinflug zu absolvieren wäre. Allerdings verlangte die britische Zeitung, dass der Flug über den Atlantik in 72 Stunden oder weniger erfolgt sein müsse, um den Preis zu gewinnen.

Die Geschwindigkeit der NC-Flugboote war zu gering, um diese letztgenannte Bedingung zu erfüllen. Nichtsdestotrotz reichte bereits die Ehre und das Prestige, als "der Erste drüber" zu sein, die Navy-Führung zu veranlassen, am 04. Februar 1919 den Versuch eines transatlantischen Fluges zu genehmigen, bevor irgend jemand anderes dies tun konnte.

NC-1 mit noch 3 Motoren ...Dies setzte gewaltige Anstrengungen in Gang: Ein Kurs musste für diesen Flug berechnet und auch die zugehörigen Wetterdaten gesammelt werden. Eine ausreichende Flotte von Unterstützungsschiffen musste ebenfalls zusammengestellt werden. Einige von ihnen wurden vorübergehend mit Treibstofftanks für Flugbenzin ausgerüstet, um ein Flugzeug im Meer nachtanken zu können. Bei allen musste Funk auf dem neuesten Stand der Technik installiert sein, um die Kommunikation zu ermöglichen und den NC-Flugzeugen Navigationsunterstützung zu leisten beim Flug über einen weiten Ozean ...

Parallel dazu wurden einige der NC-Flugzeuge ausgiebig geflogen, um ihre Fähigkeiten für einen transatlantischen Flug weiter auszuloten. Als Ergebnis dieser Untersuchung wurde dem Flugzeug, das ursprünglich mit drei Motoren gefertigt worden war, ein vierter hinzugefügt. Die Maschine NC-1 ist im Bild rechts zu sehen, bevor der vierte Motor hinzugefügt wurde. NC-2 hatte eine andere Kombination von "Zug"- und "Schub"-Motoren als die anderen drei, was letztendlich dazu führte, dass sie für die Ozeanüberquerung ausschied.

Nachdem die Flugroute gegen Ende März 1919 festgelegt worden war - von New York über Neufundland, dann weiter zu den Azoren und von da aus schließlich nach Europa - begaben sich Stone und der vorgesehene Kommandant der NC-1 nach Neufundland, um mögliche Lande- und Startplätze in geschütztem Gewässer ausfindig zu machen sowie die Verfügbarkeit von Unterstützungsmöglichkeiten zu prüfen. Was sie herausfanden, konnte allerdings nur als minimal eingestuft werden ...

NC Wasserflugzeug-Division Eins

Pilot NC-4: Oberleutnant Elmer F. StoneAm 04. Mai 1919 wurden die drei für die Transatlantikmission vorgesehenen Flugboote NC-1, NC-3 und NC-4 aus ihrem Hangar der Rockaway Beach Marinebasis gerollt. Mit ihren Besatzungen, die sich stolz daneben aufreihten, wurden sie als "NC Wasserflugzeug-Division Eins" offiziell in Dienst gestellt. Dies war das erste und einzige Mal, dass eine Gruppe von Flugzeugen die formale Bezeichnung einer Navy Division erhielt, ähnlich wie ansonsten nur bei Seeschiffen üblich.

Jedem Flugzeug wurde ein Kommandant/Navigator, Pilot, Copilot, Funkoffizier und zwei Ingenieure zugewiesen. Sie alle waren US Navy Offiziere oder Mannschaftsdienstgrade - mit einer bemerkenswerten Ausnahme: Oberleutnant Elmer F. Stone von der USCG (Bild links) wurde als Pilot der NC-4 benannt. Seine Auswahl durch die Navy erfolgte größtenteils aufgrund der Wertschätzung von Stones´ beträchtlichen fliegerischen Fähigkeiten während seines Dienstes auf der HUNTINGTON während des Ersten Weltkriegs.

Am 06. Mai schließlich waren trotz einer Reihe von Rückschlägen - einschließlich eines Brandes, der die NC-1 hätte zerstören können - die drei Flugzeuge und ihre Besatzungen bereit zum Start. Während man besorgt auf eine Wetterbesserung wartete, erhielt der befehlshabende Offizier der Gruppe ein Telegramm von Franklin D. Roosevelt, seinerzeit Staatssekretär im Marineministerium, das wie folgt lautete:

"GLÜCKWUNSCH ZU DEN SCHNELLEN REPARATUREN. DIE NAVY WÜNSCHT IHNEN UND IHREN OFFIZIEREN UND MÄNNERN ALLEN ERFOLG BEI DIESER ERSTEN GEMEINSAMEN BEMÜHUNG, DEN ATLANTIK IM FLUG ZU ÜBERQUEREN. ICH WÜNSCHTE, ICH KÖNNTE BEI IHNEN SEIN."

Der missglückte Start der NC-4

Schlechtes Wetter verzögerte ihren Abflug zwei weitere Tage. Sechs Stunden nach dem Start musste Stone, der die NC-4 flog, einen defekten Motor abschalten. Die anderen beiden Maschinen flogen weiter, während  die NC-4, die leicht auch mit drei Triebwerken fliegen konnte, mit geringerer Geschwindigkeit folgte. Dann verlor das schwächelnde Flugzeug auch einen zweiten Motor.

Mit nur noch zwei verbliebenen Motoren sah sich Stone gezwungen, die NC-4 auf mäßig rauer See zu landen. Er beschloss, das beschädigte Flugzeug zum Chatham Fliegerhorst in der Nähe von Cape Cod zu bringen, wo schließlich ein Boot der Navy die NC-4 an die Küste schleppte.

Die Probleme mit den zwei ausgefallenen Motoren der NC-4 erwiesen sich als gravierend: Mehrere Tage waren erforderlich, um den Schaden zu beheben. Inzwischen waren NC-1 und NC-3 wie geplant weitergeflogen und machten Halt in Halifax, der Hauptstadt der Provinz Nova Scotia im Osten Kanadas. Anschließend wurde der Flug weiter nach Neufundland fortgesetzt, um dort auf die Ankunft der NC-4 zu warten.

Zeitungsreporter versahen die NC-4 bereits schnell mit einem wenig schmeichelhaften Spitznamen und nannten sie "The Lame Duck", die Lahme Ente. Gerüchte kursierten, dass die Navy die problematische NC-4 zurückziehen könnte vom übrig gebliebenen Rest der Gruppe beim Versuch des Transatlantikflugs.

Allerdings wurde keine derartige Entscheidung getroffen - oder sogar nur in Erwägung gezogen - und morgens am 14. Mai flog die NC-4 weiter nach Nova Scotia sowie anschließend nach Neufundland ... 


© 2018 Bill Lee, Deutsche Übersetzung: Explorer Magazin