7. Tag - Mont Chaberton (2. Versuch), Colle del Chaberton

Manch einer würde da lieber zu Fuß gehen ...Unter allen Umständen musste es heute auf den Mont Chaberton gehen, denn es war die letzte Möglichkeit in dieser kurzen Woche! In einer Motorradzeitung hatte ich gelesen, dass die Befahrung angeblich DM 2.000,- Strafe kostet. Ich entschied mich, zu Fuß zu gehen, denn so eine Bergtour soll auch gesund sein - redete ich mir zumindest ein. Rainer konnte ich dafür gewinnen, mit zu gehen. Als wir mit dem PKW an der Schranke von Pra Claud ankamen, stand diese offen! Sofort zurück fahren und die Motorräder holen? 

Wir entschieden uns, zu Fuß zugehen, schließlich hat man sich die ganze Woche nur fahren lassen und diese Tour würde uns gut tun. Als wir an der Schranke starteten, war es schon 10 Uhr. Am Anfang war der Weg nicht schwierig und wir bereuten, das Motorrad nicht dabei zu haben. Wir sahen auch Spuren von einem Geländewagen und von Enduroreifen. 

Plötzlich hörten wir von unten ein Geräusch, dass nach einer schweren BMW klang. Da kam doch so ein Riesengerät die Straße heraufgehobelt und danach noch ein anderes Motorrad. Wir waren sprachlos: Wir zu Fuß und diese beiden mit solch schweren Maschinen?? Aber kurz danach war für die beiden der Ausflug jäh zu Ende: Sie standen vor einem riesigen Erdrutsch und studierten gerade die Schlüsselstelle. Es war eine Stelle mit erheblicher Absturzgefahr beim geringsten Fehler - zwar fahrbar, aber nicht so ohne weiteres für eine BMW mit Boxermotor. Sie mussten wieder umdrehen. Der weitere Aufstieg kostete uns viel Zeit, da wir an allen möglichen interessanten Stellen stehen blieben, schauten und fotografierten. 

Auf geht´s ... ... in die Höhen ... ... und Steinfelder ...

Die Zeit verging und wir hatten schon Angst, den Gipfel nicht mehr zu erreichen. Denn mit zunehmender Höhe wird die Luft dünner und man muss mehrere Gänge zurück schalten. Wir rechneten uns aus, dass wir eigentlich umdrehen müssten, wenn wir nicht bis 15 Uhr den Gipfel erreicht hätten: Man muss ja auch die Zeit für den Abstieg mit entsprechender Reserve berücksichtigen, bevor es dunkel wird.

Auf dem Weg zum Gipfel ... ... vorbei an Schneefeldern ... ... und Blick auf Festungsanlagen überall ...

Insgesamt ist die Auffahrt sehr schwierig. Es sind zwei Stellen mit direkter Absturzgefahr vorhanden, der unten erwähnte Bergrutsch und ein Restschneefeld oben unter dem Gipfel. Die engen Kehren (vor denen alte Beschreibungen warnen) sind nicht das eigentliche Problem, vielmehr die gleichzeitigen tiefen Auswaschungen und großen Steinbrocken in der Fahrspur sowie die Stufen, welche den Vorwärtsdrang behindern. Insgesamt eine sehr schwierige Auffahrt, die man nur zu zweit oder dritt wagen sollte. Zu Fuß natürlich eine Bergtour vom Feinsten ...

Rainer stürmte das letzte Stück zum Gipfel hinauf, als ob es galt, den bösen Feind im Überraschungsangriff zu überlisten; die linke Hand hatte er in der Hosentasche und über der rechten Schulter hing lässig der Rucksack. Während ich mit zunehmender Höhe und unter Zeitdruck auf dem letzten Stück immer mehr zu kämpfen hatte. Überglücklich erreichten wir den Gipfel nur ein paar Minuten nach unserem gesetzten Zeitlimit von 15 Uhr. Die Höhe von 3.136 m ist kein Pappenstiel und man sieht es dem Berg von unten wirklich nicht an, dass er doch recht anstrengend ist. 

Geschafft!! Wir hatten noch genügend Zeit, uns alles anzusehen: Aus den über mehrere Stockwerke hohen 8 Stück Geschütztürmen waren die Kanonen heraus gesprengt worden und in den Gängen in den darunter liegenden Unterkünften war ewiges Eis. 

Die Bergspitze besteht aus einer fußballfeldgroßen Fläche, die leicht nach Frankreich hin (also zum bösen Feind) geneigt ist. Über diese Fläche hinweg konnten also die Italiener ins Tal schießen und beherrschten so die gesamte Gegend. Welcher Hass muss damals auf beiden Seiten vorhanden gewesen sein, einen solchen ungeheuren Aufwand zu betreiben und die vielen Festungen und Straßen zu bauen! Irgendwo hatte ich gelesen, dass beim Bau der vielen Anlagen sowie im Winter durch Erfrierungen mehr Menschen ums Leben kamen, als bei direkten Kriegshandlungen. Heute dagegen haben sich diese Völker alle so lieb, dass sie gleich eine gemeinsame Währung haben wollen ...

Zwischen den Geschütztürmen wuchsen kleine Blümchen. Der Abstieg war deutlich weniger anstrengend, viele Stacheldrahtverhaue und noch ganze Stacheldrahtrollen konnte man sehen. Hoffen wir, dass sie wirklich nie mehr gebraucht werden ... Abends beim Abstieg kamen uns drei französische Endurofahrer entgegen, die den Berg noch hinauf fahren wollten - eine günstige Zeit, denn da sind die meisten Bergsteiger verschwunden. Das Verhältnis zwischen Bergsteigern und Endurofahrern ist in dieser Gegend sehr geschädigt. Das wird einem am deutlichsten bewusst, wenn man auf dem letzten Stück vor dem Gipfel die vielen umgebogenen Nägel liegen sieht: Von allein kommen die nicht da hin! Als wir unten am Auto pünktlich um 19 Uhr ankamen, stand die Schranke immer noch offen ...

Tipp für eine Bergtour: Etwas anstrengend durch die enorme Höhe und Länge. Übung und Fitness sollte ausreichend vorhanden sein. Ausreichend zu trinken mitnehmen, da unterwegs kein Bach und keine Möglichkeit (1 Liter war entschieden zu wenig und das wurde mir fast zum Verhängnis).

8. Tag - Ausklang

Bevor es wieder nach Hause ging, sollte vormittags noch das Gebiet nordwestlich der Straße 335 zwischen Salbertrand und Susa erkundet werden. Alle Sträßchen endeten irgendwo oder waren mit dem Verbotsschild mit Zusatztafel (Paragraf und Artikel waren eindeutig) für die Befahrung verboten. Man kann hier durch Weinberge fahren und genießt den Ausblick auf das Tal der Dora Riparia. 

Alte Bauten, wo Dornröschen haust  ... ... und neue Bauten mit alten Steinen ...

Der allgegenwärtige Mont Chaberton beherrscht auch dieses Tal und ist ständig gut zu sehen. Einige alte Häuser werden dem Verfall überlassen. Es gab aber auch Beispiele, wie neue Gebäude im alten Stil mit alten Steinen und viel Einfühlungsvermögen erbaut wurden.

Ein letzter Blick zum Mont Chaberton ...In dem Tal Val Clarea westlich von Susa geht eine brauchbare Straße ziemlich weit herauf. In der Verlängerung könnte man auch zum Colle Clapier gelangen. Ich wusste, dass da schon jemand mit dem Motorrad herunter gefahren war, konnte aber den Einstieg nicht finden und musste bei 1.260 Höhenmetern umdrehen. Dort oben in dem Talkessel waren viele Reste von Fundamenten und alten Bauteilen zu erkennen, die irgend wie nach altem Bergwerk aussahen. Insgesamt war dieses gesamte Gebiet zwar fahrerisch nicht so lohnend, aber trotzdem ein gemütlicher Ausklang dieser schönen und anstrengenden Woche ...


© 2002 Hans-Jürgen Weise