Maira-Stura-Kammstraße

Es war erst später Vormittag und der Weg zum Einstieg in die nächste, noch bekanntere Tour, die Maira-Stura-Kammstraße, war nicht weit. Nach knapp vier Kilometern Auffahrt im Mairatal bogen wir bei Ponte Marmora nach links ab und folgten einer abwechslungsreichen Strecke (Denzel 379) über eine schmale Teerstraße. Anfangs ging es durch ständig lichter werdende Wälder und dann kehrenreich über Almmatten zu den Hochlagen, immer den Schildern zum Colle d´Esischie folgend und von dort weiter zum Colle Valcavera. Da es sich um einen Übergang vom Mairatal nach Demonte im Sturatal handelt, war die Strecke zwar nur einspurig, aber meist gepflegt und etwas verkehrsreicher.

Hier auf dem Pass kam uns ein schicker 5er BMW aus LL entgegen, der nach Angaben der Beifahrerin soeben die Maira-Stura durchfahren hatte. Das erstaunte uns dann schon etwas: Allrad würde er wohl haben und seine PS die fehlende Untersetzung noch ganz gut ersetzen, aber die geringe Bodenfreiheit? Nun denn, der durfte ruhig auch ein paar Kratzer mit nach Hause nehmen! Ansonsten hatten wir abgesehen von mehreren Motorradfahrern keinen Gegenverkehr ...

Am Colle Valcavera zweigt die Maira-Stura von der Teerstraße ab und zeigt gleich zu Beginn ihren Charakter: Häufig schmale und enge Kurven um Felsrippen in alpinem Gelände, vom Straßenzustand derzeit etwas besser und leichter fahrbar als die ruppige Varaita-Maira vom Vortag. Wären da nicht die vielen ausgesetzten Kurven, die ein Navigieren ins Nichts suggerieren. Das Wetter war auch nicht optimal und einige Schneereste auf der Straße verdüsterten zusätzlich die Stimmung. Aber beeindruckend ist die Anlage der Straßenführung schon wie die folgenden Bilder zeigen ...

Breit genug und eigentlich problemlos zu befahren Solche Kehren gibt es viele und noch engere Schneereste vom Gewittertief der Tage zuvor
Das Wahrzeichen der Maira-Stura Nicht schwer zu befahren ... Solch unnötiger Flurschaden schadet dem Ruf der 4x4-Gemeinde

Am Colle Margherina wäre ein Abstecher zum Colle del Mulo möglich gewesen, einer wesentlich schwierigeren Passage, die in einem sehenswerten YouTube-Video eines Landsberger Amateurfilmers sehr anschaulich ab Minute 44 gezeigt wird.

Wir hatten allerdings keine Lust mehr auf motorsportliche Herausforderungen und folgten deshalb der Maira-Stura weiter, um wieder zum Übernachten auf einen einsamen Sattel abseits der Tour zu kommen, den Passo della Gardetta. Die traumhafte Stelle der letzten Nacht hatte uns klargemacht, dass diese genialen Nachtplätze eigentlich die Höhepunkte einer Alpenfahrt sind und nicht die schwierigen Straßen. Aber leider war diese Strecke erkennbar mit einem Verbotsschild versehen und bewusst dagegen verstoßen wollten wir auch nicht ...

Also fuhren wir weiter zum Col del Preit, dem Ende der Maira-Stura sowie anschließend noch drei Kilometer die Teerstraße ins Tal hinunter. Hier befindet sich die Grange Selvest, eine Almhütte in 1.661 m Höhe, die während der Saison wohl gastronomisch bewirtschaftet ist. Nach Überqueren einer kleinen Brücke beginnt an dieser Stelle eine einspurige Almstraße ganz nach meinem Geschmack: technisch nicht schwer trotz einiger Steilabschnitte, aber landschaftlich sehr reizvoll bis zur einsamen Alm Grange della Valetta (2.153 m, im Denzel nicht vermerkt). Dort richteten wir uns für die Nacht ein.

Es war aber erst 15:00 Uhr und somit noch viel Zeit für eine kleine Wanderung zum Lago Nero, einem See im Talkessel nördlich der markanten Felsenpyramide Rocca la Meja, unter deren Südabhängen die Maira-Stura verläuft. Das Wetter hatte sich verschlechtert, ein eiskalter Wind und Regenschauer zwangen mich in die Regenjacke ... und was macht mein Yeti  ..? Seht selbst unten rechts ...

Wanderung zum Lago Nero Ein Yeti in seinem Element, leider ohne Eisdecke auf dem See ... ;-))
Nachtplatz an der Valetta-Alm, hinten Rocca la Meja (2.833 m) Lago Nero mit dem Rocca darüber Am nächsten Morgen 3 weitere Fahrzeuge hier, Jäger suchen Raufußhühner

Die Nacht war sehr stürmisch: Bei dem Radau konnte man kaum schlafen, zusätzlich wurde auch das Auto ständig durchgeschüttelt. Am frühen Morgen kamen weitere drei Fahrzeuge an, Jäger mit ihren Hunden auf Jagd nach Hühnervögeln, Schneehühnern oder Birkhühnern, was es da eben so gibt ...

Die Zeichen standen aber auf Wetterbesserung und unser Sinn nach Alpenpässen: Also fuhren wir ins Tal hinunter und in dem kleinen Ort Preit passierte mir als Fahrer schließlich ein Missgeschick: Beim Zurückstoßen an einem Entsorgungsplatz übersah ich einen Dachvorsprung und stieß gegen eine Dachrinne aus Kupfer. Sowohl die Dachrinne am Haus als auch der Dachkofferraum meines Wohnmobils wurden arg demoliert. Ein freundlicher Dorfbewohner nahm den Schaden auf und zeigte große Bewunderung für den Bremach. Diese Marke ist in den italienischen Bergen nicht unbekannt,  wenn auch fast nur ältere Modelle hier herumfahren. Einen T-Rex als Kommunalfahrzeug habe ich in Italien noch nie gesehen. Zu hoher Preis oder schlechtes Marketing der inzwischen insolventen Firma Bremach? Wer weiß ...

DIE Dachrinne habe ich RICHTIG verbogen ... Das Loch im Dach-Kofferraum konnte ich provisorisch stabilisieren ...

Auf die weitere Reise hatte der Schaden an meinem Auto zum Glück keinen Einfluss: Ein Spanngurt machte eine provisorische Reparatur möglich und eintretendes Wasser wäre an dieser Stelle ohnehin nicht in die Wohnkabine geflossen. Großes Glück dabei: Die auf das Dachblech vollflächig verklebte Solarzelle hatte keinen Schaden genommen, fast unglaublich!

Es ging weiter hinunter ins Mairatal, Ziel war der Ort Acceglio und einige im Denzel hoch gelobte Bergstraßen. Auf dem Weg dorthin kann man noch den Colletto di Canosio (1.650 m) überqueren. Im Denzel steht bei dieser Strecke D 381 zwar, dass die geschotterte Nordrampe nur für Land- und Forstwirte freigegeben sei. Ein entsprechendes Verbotsschild fanden wir aber nicht. Hoch ging es auf der Südrampe über Asphalt bis zum Pass. Dort parkten wir und machten eine kleine Wanderung über 100 Höhenmeter zu einem nahe gelegenen kleinen Gipfel, auch einige Pilze konnte Erich dabei finden. Die angenehm breite Waldstraße hinunter ins Mairatal ist durchaus lohnend und mit einigen besonders engen Kehren auch etwas fordernd. Unten angekommen fanden wir ebenfalls kein Verbotsschild ...

Oberes Mairatal

Das Mairatal ist bis zum Touristenort Acceglio und darüber hinaus noch etwa 7 km bis nach Chiappera zu fahren. Im Denzel gibt es hier drei besonders gelobte Touren: D 378 mit einem Stern, D 377 mit zweien und D 376 sogar mit drei Sternen ausgezeichnet. Wir begannen mit D 377 zum Col de Maurin, einer Passstraße, die zwar als Übergang nach Frankreich geplant und angefangen, aber nie vollendet werden konnte, da auf französischer Seite die Arbeiten nicht einmal begonnen wurden. Diese Geschichte der unvollendeten Passstraße versprach eine interessante und wenig befahrene Anfahrt und eine Übernachtung in der totalen Einsamkeit - genau unser Geschmack. Wanderwege gibt es dort auch viele: Unter anderem führt der berühmte GTA (Grande Traversata delle Alpi) hier vorbei und auch wir sind zumindest ein paar Kilometer auf ihm gegangen ...

Aber nun ereilte uns wieder das Pech wie am Vormittag: Ein Militärposten versperrte den Weg und verbot nicht nur das Fahren, sondern auch eine Wanderung auf den Col de Maurin, ohne Angabe von Gründen. Wir fuhren also zurück und versuchten D 378 auf der anderen Seite des Tals: Hier stoppte uns ein Verbotsschild und auch die dritte Tour war damit wegen Militärpräsenz nicht möglich ...

Der Campingplatz nördlich von Chiappera war besetzt von einem Regiment italienischer Gebirgsjäger mit beeindruckendem Fuhrpark, den wir heimlich auch fotografierten. Alle drei Typen des kleinen Iveco waren vertreten, wir sahen den WM, den Daily 40.10 und den neuen Iveco 4x4. Natürlich auch einige der großen Iveco Trakker und als Hingucker verschiedene Versionen der Hägglunds bzw. von ähnlichem Gerät.

Für eine kleine Wanderung an den Fuß des imposanten Felszahns Rocca Provenzale parkten wir unseren "fast-militärischen" Bremach () nahe seiner Iveco Kollegen und blieben gleich die ganze Nacht dort. Den Fahrbetrieb, also das ständige Kommen und Gehen vieler interessanter Fahrzeuge nahmen wir als interessante Ruhestörung gerne hin und von 22:00 Uhr bis 6:00 Uhr herrschte dann auch Ruhe. Aber es wurde uns klar, warum alles gesperrt war: Das Militär wollte keine Touristenspione, wir hätten schließlich kriegsentscheidende Informationen z.B. an die Chinesen verkaufen können ...

Gebirgsjäger-Fuhrpark: Tagsüber nur ein paar Hägglunds zu sehen Wanderung auf der GTA Chiappera mit dem Zahn des Rocca Provenzale
Passhöhe, Monte Viso exakt aus dem Westen gesehen Mehr Schnee auf der französischen Nordrampe des Agnellopasses

Nun mussten wir neu planen: Es war Mittwochabend, wir waren sehr gut vorangekommen und hatten noch zwei volle Fahrtage in den Bergen. Aber im Mairatal ging nichts mehr und flussabwärts aus den Bergen hinaus wollten wir auch nicht. Deshalb querten wir am nächsten Tag wieder den Colle di Sampeyre (D 374) nach Norden hinüber ins Varaitatal und fuhren anschließend über den hohen Agnellopass (D 371) nach Frankreich und dort über den Col d´Izoard (D 460), Briancon und Montgenevre wieder zurück nach Italien, nach Sestriere, eine Westalpenregion weiter nördlich als bisher ...


© 2020 Sepp Reithmeier, Bilder: Erich Junker, Sepp Reithmeier