Von der Mystik des Linksabbiegens
...
Wieder mal fuhr das Explorer Team 1999 im Ausland Auto: Mit geschärftem Blick natürlich, so wie immer und überall und nicht nur unter kanarischem Himmel.
Wie schon in den Vorjahren fiel uns auch diesmal wieder ein Sachverhalt auf, vielleicht ist es nach den Verkehrserlebnissen der letzten Monate im Ausland ganz normal, dass man noch aufmerksamer wurde!
Eigentlich nur wenig Verkehr hier im Norden der Insel, eigentlich dürfte hier nur wenig passieren. Wenn man dann allerdings plötzlich an einem Massenunfall mit ca. 5 beteiligten Fahrzeugen (darunter auch Touristen) vorbei fährt - ein extrem seltener Vorgang hier und von uns in all den Jahren noch nie erlebt - und sich dieser auch noch an einer ganz bestimmten Stelle ereignet hat, dann glaubt man sich sicher in seiner Beurteilung ...
Wo passierte das? Nun, an der Straße von El Cotillo in
Richtung Corralejo muss man an einer Stelle auf der in den letzten
Jahren neu gebauten "Schnellstraße" links abbiegen Richtung Lajares. Und
Linksabbiegen heißt hierzulande abenteuerlich fahren - das war zwar schon
immer so, aber in den letzten Jahren verschärft sich ein Phänomen,
das man nur noch als "Mystik des Linksabbiegens" bezeichnen kann. Wir wissen wie immer mehr und klären die Hintergründe auf!
Und nun unsere Geschichte:
Es war einmal vor langer Zeit auf der Insel, da kamen die Verkehrsweisen
zum Ergebnis, dass Linksabbiegen ein extrem schwieriger, nach Möglichkeit
zu vermeidender verkehrstechnischer Vorgang ist. Zur Bestrafung derjenigen,
die nicht davon abzuhalten sind und als Präventivmaßnahme erdachte
man komplizierte, kreisverkehrsähnliche, fast "schienengesteuerte"
Fahrbahnverläufe. Die werden jetzt im Laufe der Jahre mit immer mehr "modernen",
ausländischen Elementen gekoppelt, so dass wir heute als Ergebnis zwar kaum
noch die ursprünglichen, dafür aber umso mehr Symbiosen aus allen
möglichst abstrusen europäischen Linksabbiegeverfahren
vorfinden. So zählen wir mindestens fünf verschiedene Methoden,
die nach mehrjähriger Fahrerei auf der Insel dazu führen, dass
man sicher nie mehr "normal" abbiegen wird!
Variante 1, die wir vorfinden (zum Glück
für unsere Geschichte nur äußerst selten!), ist die auch im fernen Deutschland übliche:
Unglaublich, man fährt einfach auf eine Linksabbiegespur, lässt
den Gegenverkehr durch und biegt ab! Dass sich ein so einfaches, schier
unglaubliches Verfahren nicht durchsetzen kann, versteht sich von selbst
- das ist viel zu einfach, als dass man ihm wirklich trauen kann und erfüllt
auch nicht die Voraussetzung der Abschreckung und der Bestrafung des Linksabbiegens!
Dagegen schon viel besser ist Variante 2, das heute überall moderne,
von uns insbesondere seit Schottland
98 heiß geliebte Verfahren, an allen möglichst sinnlosen Stellen
(warum nicht auch an Linksabbiegestellen?) einen Kreisverkehr zu bauen. So was ist immer schön, selbst wenn man nur einspurige Gebilde bauen
kann anstatt mindestens dreispuriger und wird nun auch hierzulande natürlich
überall gern praktiziert. Wenn auch alle andere europäische Harmonisierung
noch schwer fällt - bei ausgeprägtem Schwachsinn gibt´s schließlich
immer nur geringe Hindernisse!
Jetzt aber zur Variante 3, die wie wie die
nachfolgende Variante 4 aus den alten kanarischen,
oben erwähnten "Kreis- und Schienenverkehrsanlagen" abgeleitet ist.
Bei dieser Variante kommt man von der Hauptverkehrsstraße und will linksab: Man verlässt die Straße rechts, fährt eine Kurve, wartet dann wieder vor derselben Straße vor einem Stoppschild und überquert sie dann schnellstmöglich und senkrecht - eigentlich auch noch zu einfach, oder?
Variante 4 ist da schon spannender. Sie betrifft den Querverkehr, der linksab
auf die Hauptverkehrsstraße will. So was muss besonders bestraft werden,
warum bleibt er auch nicht zuhause oder fährt woanders hin? Als erste
Stufe des Erziehungsprozesses führt man ihn deshalb senkrecht auf
die Hauptverkehrsstraße zu und lässt ihn dort erst einmal vor einem Stoppschild
braten. Irgendwann fährt dann mal endlich keiner mehr auf der Hauptverkehrsstraße
(Vorsicht, die Höchstgeschwindigkeit von 90 km/h, die hier angeblich
zu beachten ist, wird mit der Anzahl der Fahrzeuginsassen multipliziert,
sollte mal nur einer drinsitzen, bekommt der 50% Zuschlag als Entschädigung,
handelt es sich dabei noch um einen Riesenbus, darf der auch allein doppelt
so schnell fahren!).
Der Abbiegende schießt nun senkrecht über die Straße und wartet dann auf der anderen Seite wieder demütig vor einem Vorfahrtsschild darauf, erneut auffahren zu dürfen. Da die Fahrerei eine Zeitlang dauert, besteht die gute Chance, dass in der Zwischenzeit auch wieder jemand auf der vorfahrtsberechtigten Hauptverkehrsstraße angeschossen kommt, also Vorsicht, siehe obige Ausführungen zur erlaubten Höchstgeschwindigkeit!
Nun, das alles reicht noch nicht. Kommen wir damit zur Variante 5, die wir
als kreative Neuschöpfung bezeichnen wollen. Wie kann man den Linksabbieger
besonders hinterhältig bestrafen? Indem man ihm plötzlich und
unerwartet auch mal Vorfahrt gewährt, und zwar dann, wenn er überhaupt
nicht damit rechnet! Genial! Aber dafür muss man sich was besonderes
einfallen lassen, damit es auch funktioniert - wenn dabei auch mal ein
Rechtsabbieger ins Gras beißt - was soll´s, den Linksabbieger wird es auch
schon treffen!
Für diese Variante erdenken wir uns einen Ablauf, der kaum zu beschreiben ist - wenn man ihn nur bildlich darstellen kann, umso besser! Auf jeden Fall muss man mal sonst üblicherweise Vorfahrtsberechtigte (z.B. auch Rechtsabbieger) überraschend stoppen, um dem Linksabbieger die unerwartete Vorfahrt zu gewähren (dafür werden natürlich die in unserem obigen Bild rot eingezeichneten "Vorfahrt beachten"-Zeichen auch nur unauffällig weiß auf die Fahrbahn gemalt!). Da Touristen mit so was überhaupt nicht rechnen, wird sicherlich schon mal der eine oder andere Linksabbieger abgeschossen - der wird sich´s künftig überlegen!!
Unsere Anmerkung: Variante 5
gibt es z.B. auch an der Abbiegung nach Lajares/El
Cotillo, wenn man aus Corralejo kommt, siehe unser Foto. Und dass die Strategie
der "Mystik des Linksabbiegens" insgesamt aufgeht, nun, davon konnten wir
uns eben bei obigem "Massenunfall" überzeugen - muss doch funktionieren,
wenn man so was bei der Verkehrsdichte hinkriegt!
1. Nachtrag, März ´03: Auch in anderen Teilen des von unseren amerikanischen Freunden mittlerweile als "Neues Europa" bezeichneten Gebiets gibt es tolle verkehrstechnische Lösungen, wie wir wissen - für abstruse Dinge lohnt es sich immer, über den Kanal zu schauen:
Was man nicht haben muss - Britische Kreisverkehre ...
2. Nachtrag, April ´18: Kaum sind weitere 15 Jahre ins Land gegangen, da erreicht uns wieder mal die besorgte Anfrage eines Lesers zur komplizierten Verkehrstechnik auf unserer kanarischen Lieblingsinsel:
... fahre demnächst nach Fuerte und sehe, dass der Artikel ja auch schon älter ist. Wenn es Variante drei noch gibt hätte ich eine Frage, und zwar: Muss ich wenn ich links abbiegen möchte in der Tat nach rechts in die Vorfahrt gewährende Straße und eine 180° Wende machen, um dann geradeaus die Straße zu verlassen? Oder wie muss ich das verstehen Mit freundlichen Grüßen Jonas K.
Lieber Jonas, eine solche Variante wie von dir beschrieben hat es
zwar nie gegeben und wäre wohl endgültig auch von niemandem
mehr zu verstehen, aber wir können dich beruhigen: Wir sind gerade
wieder zurück von einem Start an der
Westküste und die heutzutage wohl schlicht abwegigen
obigen Varianten 3 und 4 gibt es mittlerweile nicht mehr. Beliebt ist neben der Variante 1 und
natürlich insbesondere die 2. Aber immer noch existiert die Variante 5 samt inzwischen vorhandenen
Abwandlungen - irgendeine Herausforderung muss
der Urlauber schließlich doch haben, oder!?
© 1999-2018 J. de Haas