Die Regeln sind die Regeln ...

Es gibt ein Festnetztelefon auf dem Zimmer, auf dem man kostenlos von außen per Durchwahl angerufen werden kann. In der Hausordnung findet sich der Hinweis, dass Gespräche nach 22:00 Uhr nicht durchgestellt werden können. Das sieht man ein, denn die Rezeption ist nachts nicht besetzt. Der Hinweis ist allerdings ganz anders zu verstehen, wie nur der Anrufer verblüfft bemerkt: Nach 22:00 Uhr hört dieser nämlich nur noch kommentarlos Musik, keinerlei Ansagen oder Hinweise auf die Nachtruhe. Man weiß nicht, mit wem man verbunden ist und auch der Angerufene erfährt so vielleicht erst am nächsten Tag von dieser nachtruhestiftenden und mobilfunkfördernden Schalte ...

Der Speisesaal ist für die zahlreichen Patienten zu klein: Deshalb sind die Essenszeiten Teil des Therapieplans und so wird eine Art Schichtbetrieb allerdings nur mit geringer Ähnlichkeit wie auf einem Kreuzfahrtschiff realisiert - man wird ständig daran erinnert, dass man sich an Zeitpunkt und Dauer genau halten muss.

In der Folgezeit bemerkt man, dass die Damen vom Service penibel über die Einhaltung aller Regeln wachen. An manchen Tischen gibt es Klemmen für Krücken und entsprechend ein "Reserviert"-Schild. An manchen Tischen gibt es aber auch nur drei Stühle, da ein Platz für Rollstuhlfahrer vorgesehen ist. So sitzen wir nichtsahnend an einem Tisch, den "Reserviert"-Platz lassen wir frei, aber der Tisch hat vier Stühle. Nach einigen Minuten, kommt die Aufsicht und hält uns vor, hier einen Stuhl ergänzt und das "Reserviert"-Schild verschoben zu haben. Wir bestreiten alles juristisch korrekt mit Nichtwissen, das hilft aber nichts, uns wird nicht geglaubt und wir bekommen einen ausführlichen Vortrag zum Tischmanagement des Speisesaals ...

Ein anderes Mal wagt es eine Dame nach dem Essen, sich für eine Tasse Tee zu uns zu setzen. Ein fünfter Stuhl! Sofort schießt die Aufsicht heran, um solches Tischrowdytum zu unterbinden ... Oder Gnade dir Gott, wenn du versuchst, dein Essenstablett kurz auf einer Ablage abzustellen, um eine Tasse Tee zu ergänzen. Sofort wird einem das Tablett weggenommen und nur gegen einen Rüffel wieder herausgerückt.

Immer wieder finde ich auf Tischen Hinweisschilder, man möge zur Stressvermeidung früher zum Essen kommen. Ich verstehe den Hinweis nicht, steht er doch scheinbar in Widerspruch zu den Anweisungen im Therapieplan. Auch die anderen Patienten wissen nicht, was damit genau gemeint ist. Also frage ich eine Aufsicht, die mir wir folgt antwortet: "San's gehbehindert?", Ich: "Äh, nein", Aufsicht: "Jo, dann geaht Sie des jo nix o", Ich: "Wieso ..?", Aufsicht: "Des is für die Gehbehinderten, weil denen müaßn mir helfa und des dauert, des is doch logisch.", Ich: "Naja, es steht nicht drauf, an wen sich der Hinweis richtet." Die Aufsicht lässt mich stehen und geht grummelnd davon ...

Botschaft an Gehbehinderte? "Mal-Atelier ..."

Die schlimmste Sünde ist aber langsames Essen: Mittags hat man 30 Minuten zum Anstehen, Essen fassen, Essen, Abräumen. Das kann knapp werden und wer zu langsam isst, dem wird zuerst das Licht ausgeschaltet und dann muss er trotz gefülltem Teller den Platz abräumen und gehen. Soviel HO-Charme erzeugt so etwas wie "Ostalgie-Feeling" in Oberbayern ...

Essen dient hier lediglich der schnellen Deckung des Kalorienbedarfs, genauso wie im hektischen Arbeitsalltag. Ein sozialer Prozess, entspannen, genießen und sich dabei nett unterhalten ist bei keiner Mahlzeit möglich, vielleicht sogar in Hinblick auf den Betriebsablauf auch nicht erwünscht. Zum Ausgleich gibt es dafür dann aber den Vortrag: "Leben mit Stress ..."

Zur Freizeitgestaltung gibt es Töpfer- und Malkurse. Die Töpferkurse pausieren allerdings gerade wegen Weihnachten und Neujahr erst einmal. Es wird auch darauf hingewiesen, dass man zwei Termine à zwei Stunden benötigt: Formen, Trocknen, Glasieren, Trocknen, Brennen. Das alles über mindestens zwei Wochen verteilt. Das kommt für mich nicht in Frage.

Das Malen kostet pro Abend (zwei Stunden) 30,- Euro zzgl. Material, das liegt weit über den Gebühren der Volkshochschulen. Das kann sich auch wirklich nicht jeder leisten, denn viele der Rehabilitanden müssen mit Krankengeld über die Runden kommen oder haben aufgrund chronischer Erkrankungen ohnehin ein eher geringes Einkommen. Zwar darf man nach einem bezahlten Kursabend auch immer wieder außerhalb der Kurszeiten hier arbeiten, aber das macht das Angebot leider kaum attraktiver. Hinzu kommt, dass sich das Mal-Atelier im Keller befindet, ein recht enges Kabuff ohne Tageslicht, das hat die "bildende Kunst" nicht verdient!

Wer nicht schwimmen kann, muss hier 15,- Euro Kursgebühr zahlen. Das ist in anderen Reha-Einrichtungen inklusive bzw. Teil der Therapie. Es  gibt übrigens noch eine Patientenbibliothek, die ich schnell aufsuche. Das Angebot ist übersichtlich, man merkt, Deutschland ist kein Land der Leseratten ...

Im Ganzen war der erste Tag eher ernüchternd und ich verstehe nun auch das Alkoholverbot, denn ich könnte jetzt leicht eine Maß Bier verdrücken, oder zwei, oder drei - ach Quatsch, eine Tasse Kräutertee muss nun auch reichen und schon schlafe ich nach erfülltem Tag ein ...

Die morgendliche Blutentnahme ist problemlos und schon erwartet uns eine kleine, junge, sehr aufgeregte Azubine zur Hausführung, begleitet von einer erfahrenen Angestellten.

Wir gehen immer wieder ein Stück, bekommen erklärt, wie der Gebäudekomplex heißt und sollen dann auf die Türschilder achten, um mitzubekommen, was sich wo befindet. Unterm Strich dient das Führungspersonal nur dazu, dass wir auch garantiert an allen wichtigen Türen vorbeikommen, um die Türschilder zu lesen. Eine Art "Guided Self Service Tour" - ein neues Konzept ..?

Es werden auch die Postfächer erläutert: Jedes Zimmer hat im Postfachraum ein eigenes Fach mit der Nummer des Zimmers. Dort findet man abends den Therapieplan für den Folgetag und ggf. auch Post von den Lieben daheim - aber ohne Vorlesen wie im Dschungelcamp ...

Ich habe Zimmer 719: Jeder Mensch würde nun erwarten, dass die 719 zwischen 718 und 720 zu finden wäre. Allerdings Fehlanzeige! In der numerischen Abfolge fehlt 719. Also wieder zur Rezeption: "Ich habe kein Postfach!" "Doch, doch, es befindet sich aber an der anderen Wand im Raum ganz unten!" Und siehe da, die 719 befindet sich tatsächlich zwischen 12 und 14. Ist 719 vielleicht gar eine verdeckte 13? Das würde vielleicht schon so manches erklären!

Und schon liegt bereits der erste Therapieplan im Postfach: Ab ins Schwimmbad, etwas turnen, dann zur Einzelgymnastik. Da bekomme ich den Rat, auf meine Hausschuhe zu verzichten und stattdessen Sportschuhe mit Dämpfung zu tragen, um die Erschütterungen in der Halswirbelsäule zu minimieren. Ein äußerst wichtiger Rat, wie sich später noch herausstellen wird ...

Postfachrätsel ... 719: Eine verdeckte "13" ..?
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© 2019 Sixta Zerlauth