Genug von der Großstadt: Mit dem Bus nach Haapsalu ...

Nach mehr als 3 Tagen Tallinn haben wir erstmal genug von Großstädten: Am 11. Tag machen wir uns auf nach Haapsalu. Ein Taxi bringt uns zum Busbahnhof. Diesmal verhandele ich nicht mit dem Fahrer und der Preis, den ich schließlich zahle, scheint mir ganz angemessen zu sein.

Vom Busbahnhof in Tallinn kommt man fast überall hin: Es gibt Verbindungen ins gesamte Baltikum, nach Moskau und sogar nach Deutschland. Dagegen ist unsere Fahrt ein Katzensprung, die Busfahrt nach Haapsalu dauert etwa nur 1,5 Stunden. Längere Fahrten sind mit kleinen Kindern auch kaum möglich, wenn man nicht als Nervenbündel am Ziel ankommen möchte.

Unser Bus kommt pünktlich, ist sauber und macht auch sonst einen guten Eindruck. Die Fahrt verläuft sehr entspannt. Nachdem wir die Stadt verlassen haben, führt die Strecke durch schöne Landschaften, die mich sehr an das südliche Skandinavien erinnern. Ein paar Felder, viele Wälder, wenig Ortschaften. Wir halten ab und zu an Bushaltestellen mitten im Wald, wo weit und breit kein Haus zu sehen ist. Zwischendrin informiert mich eine SMS über eine Email vom Explorer Magazin. Auf Aland hatte ich eine Karte geschrieben, die wohl heute angekommen ist.

In Haapsalu angekommen bleiben wir am zentralen Busbahnhof beinahe im Bus sitzen, denn diese Haltestelle ist nicht mehr als ein kleines Bushäuschen. Von dort laufen wir ein paar Meter bis zum Hotel Kongo und beziehen kurz darauf ein schönes Zimmer. Für Lennox wird kostenlos ein Kinderbett aufs Zimmer gebracht.

Ein erster Stadtrundgang ist Pflicht: Hier ist es bedeutend ruhiger als in Tallinn, nur auf der Hauptstraße ist etwas Verkehr. Die meisten Häuser sind aus Holz, dazwischen gibt es ein paar Bauten im Sowjetstil und ein paar Neubauten ... 

Am berühmten Bahnhof ... ... von Haapsalu ...

Besonders günstig ist Wohneigentum hier übrigens nicht: Überall in der Stadt haben Immobilienmakler ihre Angebote ausgehängt. Für eine 27 qm große Eigentumswohnung in einem Sowjetbau muss man schon 25.000 Euro hinlegen und für ein richtiges Haus mindestens 50.000 Euro, wenn es noch halbwegs bewohnbar sein soll. Für den deutschen Großstadtmenschen wirken diese Preise vielleicht immer noch sehr günstig, aber Haapsalu ist eine kleine Provinzstadt. Für vergleichbare Immobilien in der deutschen Provinz zahlt man nur wenig mehr. 

Überhaupt ist Estland zwar derzeit immer noch etwas günstiger als Deutschland, aber längst nicht mehr so günstig wie es oft dargestellt wird. Ich schätze, dass die Lebenshaltungskosten ungefähr um ein Drittel geringer sind als in Deutschland.

Nach unserem Rundgang essen wir im Restaurant des Hotels zu Abend: Das Essen ist lecker, die Rechnung erträglich ...  

Der 12. Tag soll ein Ruhetag werden: Nach dem Frühstück laufen wir ein wenig durch die Stadt, verbringen viel Zeit auf einem Spielplatz, kehren gegen Mittag zu unserem Hotel zurück, damit Lennox seinen Mittagsschlaf halten kann. Unser Nachmittagsprogramm sieht ähnlich aus, aber diesmal gehen wir auf einen anderen Spielplatz. Haapsalu gefällt mir gut: Es ist ein ruhiges kleines Städtchen, mit vielen Grünanlagen und wenig Verkehr. Ein schöner Ort zum Leben. Beim Abendessen klinke ich mich mit meinem Communicator ins W-LAN des nahen Konferenzraums ein und suche eine Busverbindung nach Hiiumaa, unserem Ziel für den morgigen Tag. 

Inselhüpfen zum Ersten: Nach Hiiumaa ...

Am 13. Tag geht es recht früh los: Unser Bus verlässt bereits um 09:45 Uhr Haapsalu und kommt am Nachmittag in Kärdla auf der Insel Hiiumaa an. Zunächst frühstücken wir aber noch gemütlich und schnorren wieder beim W-LAN des Konferenzraums.

Am Busbahnhof befindet sich direkt hinter dem Bushäuschen Estlands schönster Bahnhof - klassisch aus Holz gebaut und toll restauriert. Dahinter stehen auf den Abstellgleisen einige alte Dampfloks herum. Reguläre Züge scheinen hier nicht mehr zu fahren, in der Bahnhofshalle sind nur Busfahrpläne ausgehängt (Anm. der Red.: Auch das Explorer Team hatte diesen Bahnhof schon bewundern können während seiner Tour Baltikum 2004!).

Mit dem Bus geht es anschließend zum Hafen nach Rohuküla, wo wir vom Bus auf eine kleine Fähre umsteigen. Die ganze Fahrt bis Kärdla kostet für uns alle übrigens nur 60 EEK. Bevor die Fähre ablegt, stehen wir fast noch eine Stunde im Hafen. Zum Glück gibt es eine Spielecke, in der sich Sohn Lennox zusammen mit ein paar anderen Kindern austoben kann ...

Hiiuuma: Spaßpisten ... ... und ausreichend große Bierflaschen ... ;-))

Nach unserer Ankunft in Heltermaa fahren wir noch ein paar Kilometer Bus bis Kärdla. Dort beziehen wir ein Apartment im Hotel Padu: Es ist eine sehr schöne Unterkunft, mit Holzboden, eigener Sauna, hübsch eingerichtet und selbstverständlich auch mit W-LAN. Während unser Junge seinen Mittagsschlaf nachholt, probieren wir unsere Sauna aus. 

Anschließend folgt selbstverständlich auch ein Rundgang durch Kärdla: Es ist der Hauptort auf Hiiumaa, eine Stadt ist es eher nicht. Das spektakulärste ist die enorme Dichte an Geldautomaten, die hier wirklich an jeder Ecke hängen, obwohl in Estland Barzahlung nach meinen Eindrücken eher unpopulär ist.

Wir gehen im örtlichen Supermarkt einkaufen: "Heute Abend trinke ich mal nur eine einzige Flasche Bier", sage ich zu meiner Freundin und präsentiere lächelnd eine 2 Liter Flasche ...  

Unser Weg führt uns zurück ins tolle Apartment und bereits kurz darauf sitzen wir im Hotelrestaurant beim Abendessen: Auch das ist hervorragend!

Schon gestern ist uns klar geworden, dass wir unbedingt einen Mietwagen brauchen. Kärdla ist ein netter kleiner Ort und unser Apartment ist auch sehr schön, aber wir wollen auch die restliche Insel erkunden. 

Beim gestrigen Rundgang sind uns ein paar Schilder in Kärdla aufgefallen, die auf Autovermietung hindeuten. Zuerst probiere ich es in einer Werkstatt, bei der irgendwas mit "rent" am Eingang steht. Aber dort werden keine Autos vermietet. An der Adresse, wo laut Internet-Recherche eine Autovermietung sein soll, ist auch keine. Ich frage im nahen Restaurant nach, aber dort zuckt man nur mit den Schultern. Daraufhin frage bei der Tourist Info nach. Die Autovermietung sei vor einiger Zeit umgezogen, erklärt mir der freundliche Mann und gibt mir eine Telefonnummer.

Sääretirp ...Ich rufe die Nummer an und bekomme 20 Minuten später einen Volvo ins Hotel gebracht. Ich muss meinen Führerschein vorzeigen und einen kleinen Mietvertrag unterschreiben. Dort ist neben Dauer und Preis aufgeführt, dass ich für eventuelle Schäden am Fahrzeug bezahlen muss. Als ich dem Vermieter das Geld in die Hand drücken will, winkt er ab, das Geld will er erst bei der Rückgabe.

10 Minuten später bekommen wir noch kostenlos einen Kindersitz gebracht und starten kurz darauf zu unserer ersten Tour über die Insel zum Leuchtturm nach Köpu. Zuerst fahren wir über Teerstraßen, dann über schöne Schotterpisten, wie ich sie schon während meiner letzten Skandinavienreise innig geliebt habe. Unser Wagen kostet 500 EEK am Tag, hat bereits 256.000 Kilometer auf dem Tacho, ist aber in einem Top-Zustand.

Leider kann man den Leuchtturm nicht besichtigen. Wir vertreten uns kurz die Beine und machen uns wieder auf den Rückweg. Wir genießen unsere Mobilität, machen den Tank noch mal richtig voll und fahren zum Hafen nach Heltermaa. Dort essen wir eine Kleinigkeit und weiter geht es nach Sääretirp, einer spektakulären Landzunge. Obwohl es eine der Hauptattraktionen Hiiumaas ist, treffen wir in den folgenden zwei Stunden kaum andere Leute.

Vom Parkplatz aus laufen wir ein paar Kilometer über einen Kiesweg durch wunderschöne Landschaft, die vor allem mit Wachholder bewachsen ist. Die Landzunge wird immer enger, bis sie irgendwann nur noch einen halben Meter breit ist und im Meer verschwindet. Nach einer Weile machen wir uns auf den Rückweg.

Anschließend fahren wir weiter nach Söru: Von Söru aus gibt es Fährverbindungen zur Nachbarinsel Saaremaa. Wir würden gerne einen Tagesausflug nach Saaremaa machen, aber die Fähren verkehren zu ungünstigen Zeiten. Also verzichten wir auf den Ausflug und machen uns auf den Rückweg ins Hotel.

Inselhüpfen zum Zweiten: Mit dem Privatflugzeug nach Saaremaa ...

Beim Frühstück am 15. Tag treffen wir einige italienische Jagdgäste, die von hier aus zur Jagd aufbrechen. Danach muss ich erstmal ein Problem lösen: Unsere Weiterreise nach Kuressaare auf die Nachbarinsel Saaremaa gestaltet sich schwierig: Fähren fahren nur von Söru, einem Ort, der von Kärdla aus gesehen auf der anderen Seite der Insel liegt. Da wir kein eigenes Auto haben, müssen wir irgendwie dorthin kommen. Busverbindungen gibt es, aber im Internet finden wir sie nicht. Das Büro am Busbahnhof hat zu, auch an der Hotelrezeption kennt man nur die Fahrpläne im Internet, die uns nicht weiterhelfen.

Wir könnten natürlich mit dem Bus zurück nach Haapsalu und von dort weiter nach Kurressaare fahren, aber dann müssten wir eine Übernachtung in Haapsalu einlegen. Vom Flughafen in Kärdla gibt es nur Verbindungen nach Tallinn. Wir könnten von Kärdla nach Tallinn und von dort wieder nach Kurressaare fliegen, aber da wären wir den ganzen Tag unterwegs.

Strand bei Tahkuma ...Ich fahre zum Flughafen nach Kärdla und frage nach einer Flugverbindung nach Kurressaare. Die Dame am Schalter versteht kein Englisch und übergibt mich an ihren Kollegen. Der ist sehr freundlich und nimmt mich sofort mit in den Tower. Dort schaue ich noch einer kleinen Maschine bei der Landung zu, bevor der freundliche Flughafenmanager für mich Zeit hat. Linienflüge gibt es leider nicht, aber ich bekomme die Telefonnummer von einem Flugveranstalter.

Als ich bei dem anrufe, gibt er mir die Telefonnummer eines Piloten. Mit dem einige ich mich schnell: Er ist bereit, uns für 3000 EEK nach Kuressaare zu fliegen. Wir vereinbaren, dass er uns morgen um 14:00 Uhr in Kärdla am Flughafen abholt. Ich bestätige alles noch einmal per SMS und bin froh, dass die Weiterreise organisiert ist. Hier bekommt man alles, wenn man nur etwas Geld hat und die richtigen Telefonnummern kennt!

Nachdem Sohn Lennox seinen Mittagsschlaf beendet hat, steht ein Ausflug zum Leuchtturm nach Tahkuma auf dem Programm: In den Sommermonaten kann dieser eigentlich besichtigt werden, aber für uns bleibt er leider geschlossen. Lennox darf sich am Strand austoben und ich gehe ein paar Kilometer am Strand spazieren. Es ist ein schöner Sandstrand, den ich an diesem Tag ganz für mich alleine habe. Gerne würde ich mit meinem Paddelboot aufs Meer fahren, aber das Boot musste diesmal leider zuhause bleiben ...  

Wir machen uns auf den Rückweg und genießen noch einmal das gute Essen im Hotelrestaurant und die Sauna, bevor wir morgen abreisen.

Den 16. Tag unserer Reise gehen wir gemütlich an: Bis wir um 14:00 Uhr am Flughafen abgeholt werden, ist noch viel Zeit, in der wir erstmal gemütlich frühstücken, unsere Sachen packen und noch eine letzte Tour mit unserem Mietwagen über die Insel machen. Danach klappt alles wie geplant: Um 13:00 Uhr geben wir den Mietwagen zurück und zahlen die Hotelrechnung. Anschließend werden wir zum Flughafen gebracht. Ich wollte auf jeden Fall rechtzeitig dort ankommen, habe es aber etwas übertrieben: Als wir ankommen ist es 13:10 Uhr.

Der Flughafen ist wie ausgestorben, nur vom Tower schaut jemand aus dem Fenster. Wir setzen uns in der Mittagssonne auf eine Bank vor dem Flughafengebäude und warten: Unser Flugzeug kommt pünktlich um 14:00 Uhr angeflogen.

Wir werden vom Pilot freundlich begrüßt und mitsamt unserem Gepäck in seiner Piper verstaut. Danach ist das Flugzeug ziemlich voll. Ich sitze vorne und bekomme vom Piloten ein Headset angeboten. Ich nehme gerne an und sage ihm, dass ich Flugfunk sehr interessant finde. Der Pilot grinst freundlich; kurz darauf stelle ich fest, dass der Funkverkehr in estnisch abgewickelt wird ...

Auf dem Flug nach Kuressaare ... ... und Ausladen in Kuressaare ...

Nach dem Start steigen wir auf 1000 Fuß und haben einen schönen Ausblick auf die Landschaft. Hiiumaa besteht überwiegend aus Wald. Bevor wir aufs Meer hinaus fliegen, können wir Sääretirp noch einmal aus der Luft bestaunen.

Der Flug verläuft ohne Probleme, nur ab und zu schüttelt uns eine Böe etwas durch.

Auch Saaremaa ist überwiegend bewaldet und wie Hiiumaa nur sehr dünn besiedelt. Nur ab und zu taucht zwischen den Wäldern mal ein Feld oder ein Wohnhaus auf, erst beim Anflug auf die Inselhauptstadt Kuressaare wird mehr Zivilisation sichtbar.

Nach einer halben Stunde Flug landen wir in Kuressaare: Nachdem ich den Flug bezahlt habe und unser Gepäck ausgeladen ist, werden wir vom Flughafenpersonal freundlich und offenbar etwas überrascht begrüßt. Ein Taxi bringt uns ins Hotel.

Schon beim Anflug war klar, dass Kuressaare deutlich größer als Kärdla ist. Beim Stadtrundgang erleben wir eine lebendige Stadt, hier sind auch im September noch alle Cafés und Restaurants geöffnet. Die Straßen sind belebt und während wir in einem Straßencafé etwas trinken, hören wir Gespräche auf Englisch und Französisch.

Unser Weg führt uns wieder zum Busbahnhof, wo wir Verbindungen nach Pärnu suchen. Wir finden gleich zwei, die allerdings leider entweder sehr früh oder ziemlich spät abgehen. Flugverbindungen gibt es auch nicht und ständig ein Flugzeug zu chartern, wird auf Dauer etwas teuer. Wir möchten uns heute noch nicht für eine Verbindung entscheiden und gehen zurück ins Hotel.

Am 17. Tag heißt es nach dem Frühstück Schuhe kaufen: Lennox kann seit etwa einem halben Jahr laufen und ist normalerweise nicht fußfaul. Nur auf dieser Reise mochte er immer weniger laufen, bis uns irgendwann auffiel, dass die Schuhe zu klein geworden waren. In der Nähe des Hotels befindet sich ein Geschäft, in dem Kinderkleider verkauft werden. Wir werden sehr freundlich bedient, müssen uns allerdings mit Zeichensprache behelfen, weil die Verkäuferin weder Englisch noch Deutsch versteht.

Der Einkauf hat sich gelohnt, mit den neuen Schuhen läuft unser Junge wieder freudig mit uns mit. Wir machen uns auf den Weg zur Bischofsburg: Auf dem Weg fallen uns viele Aushänge von Immobilenmaklern auf, aber wie schon in Haapsalu sind auch hier die Preise nicht mehr allzu günstig. Es wird ebenfalls viel gebaut, besonders bei Hotels. Obwohl die Hoteldichte schon jetzt beachtlich ist, bekommen viele noch einen Anbau.

Kuressaare: Burganlagen bei der Bischofsburg ... Kuressaare: Bischofsburg

Die Bischofsburg ist eine schöne Burg aus dem Mittelalter und die Hauptattraktion von Kuressaare. Wir können sie leider nur von außen sehen, da eine Innenbesichtigung ausgerechnet Montags und Dienstags nicht möglich ist - natürlich genau die beiden Tage, die wir in Kuressaare verbringen möchten. Wir spazieren ein wenig auf dem Gelände der Burg herum und gehen dann weiter zum kleinen Strand. Leider finden wir keinen Spielplatz auf dem sich Lennox austoben kann.

Eine alte Frau fegt im Park heruntergefallenes Laub zusammen. Sie sieht aus, als wäre Sie mindestens 70 Jahre alt, scheint aber offiziell für die Stadt zu arbeiten. Das ist in Estland aber nicht außergewöhnlich. Wir haben schon oft bemerkt, dass hier viele Menschen bis ins hohe Alter arbeiten.

Wir gehen zurück ins Hotel, damit der Junge seinen Mittagsschlaf machen kann. Da aber auch unser Hotel erweitert wird, schläft er nicht viel. Direkt neben unserem Zimmer wird gebohrt und gehämmert ...


© 2008 Text/Bilder Karsten Franke, Bahnhof Haapsalu: Explorer Magazin