Estland, 17.08.04: Ankunft ...

Entgegen allen Wettervorhersagen hört der Regen in dem Moment auf, als wir die Fähre in Tallinn verlassen: Nur ein einziges Womo und etliche Pkws mit deutschen Zollnummernschildern rollen aus dem Bauch des Schiffes.

Auf die Plätze, fertig, los ...Die Grenzformalitäten sind schnell erledigt. Jedoch will der Zöllner zusätzlich zum Personalausweis auch den KFZ-Schein sehen: Ein Gewühle in der Fahrerweste ist die Folge. Der Zöllner fragt, ob wir weiter nach Helsinki müssen, denn im Gegensatz zu unserer letzten Fahrt mit diesem Schiff im Jahr 1999 sind es nun die Finnlandreisenden, die umsteigen müssen. "Nein, wir bleiben in Estland". "Gut", meint er auf Deutsch, "dann haben Sie Zeit". Der KFZ-Schein ist gefunden. Der Zöllner ist zufrieden und merkt noch an: "Viele Autos: Probleme - Wenige Autos, auch viele Probleme".

Nach soviel estnischer Zöllnerphilosophie erwartet uns der Tallinner Stadtverkehr: Es ist wieder mal chaotisch - keine Richtungshinweise, viele sonstige Schilder, Baustellen und temperamentvolle Fahrer. Aber schließlich kommen wir auch vom GPS unterstützt auf die Rannamoisa Mnt., die uns aus Tallinn heraus in den Nordwesten Estlands leitet: Entlang der Straße sieht man viele verfallene Ruinen, die noch aus russischer Besatzungszeit stammen. Im Wechsel mit den neu errichteten Gewerbegebieten ergibt sich ein merkwürdiger Gegensatz, nicht unähnlich dem Wiederaufbau von Kriegsgebieten.

Obwohl wir uns von der Hauptstadt entfernen, ist der Verkehr ziemlich dicht: 19:00 Uhr scheint immer noch Rushhour zu sein. Wir werden auf der Landstraße ständig überholt, teilweise versuchen sich zusätzlich auch mehrere Autofahrer gleichzeitig zu überholen. Über Unfallstatistiken mag man hier und heute Abend nicht wirklich nachdenken ...

Auf der Karte sind entlang der Straße Orte eingezeichnet, doch wenn man fährt, kommt man fast nie durch einen solchen. Das hat System in Estland: Die Orte liegen teilweise recht fernab der Straße und werden durch kleine Schotterwege mit dieser verbunden. Um sich zu orientieren, benutzt man am besten die Bushaltestellen: Dort ist gut sichtbar der Name des Ortes zu lesen, zu dem die Bushaltestelle gehört.

Wir wollen nach Rannamoisa, dort soll es einen Campingplatz geben. Am Ziel angekommen finden wir keinerlei Hinweise, in einem Lokal fragen wir nach. Sofort stellt man eine Gegenfrage, die wir in Estland noch häufiger hören werden auf die Frage nach Campingplätzen: "Do you have a tent?". Nach der Antwort, man würde im Fahrzeug schlafen, sieht der Fragesteller dann jedes Mal sehr nachdenklich aus: Es wird mit umstehenden Leuten diskutiert, auf estnisch, um anschließend mitzuteilen, dass man eigentlich nicht so genau wisse, wo es einen Campingplatz gibt. Am heutigen Tag schickt man uns Richtung Meremoisa, wo tatsächlich einer ist, wie wir allerdings erst am Folgetag feststellen werden ...

Das etwas andere "Campingplatzschild" Der erste Abend in Estland ...
"Estnische" Autowaschanlage ... "Plattendatschen" erinnern an frühere Zeiten ...

Während der Fahrt kommen wir an einem alternativen Campingplatz vorbei, dessen Beschilderung aus einem bunt bemalten ausrangierten VW-Bus besteht (N59.4407° E024.3737°). Die unerwartete Gelegenheit wird ohne zu Zögern sofort genutzt: Ein alter Russe präsentiert eine Tafel, auf der alle seine Dienstleistungen in estnischen Kronen und Euro aufgelistet sind. Wir nehmen das einfache Übernachtungsprogramm für 100,- EEK bzw. 7,- EUR. Der Russe akzeptiert Euros sowie auch estnische Kronen als Zahlungsmittel, er scheint sich auf den Tourismus bestens eingestellt zu haben. 

Der Platz ist recht nett mit jeder Menge neuerer Holzhütten, Plumpsklos und verfallenen kleinen "Plattendatschen", Reste aus der sozialistischen Freizeitkultur. Ein Pärchen aus Dresden bezieht eine Hütte in der Nähe und fragt nach einer Autowäsche. Auch damit kann der Russe dienen: Er schickt den Dresdner auf einen Platz vor einer Holzhütte, holt einen Schlauch, der mit einem Tank in einem roten Holzkasten auf dem Dach der Hütte verbunden ist, und schon beginnt die Autowäsche: "All inclusiv" erklärt uns die Dresdnerin etwas verlegen und gleichzeitig stolz wegen ihres nun wieder blitzblanken Autos - für die beiden scheint sich die Reise bereits gelohnt zu haben ...

Das Wetter bleibt relativ trocken, nur wenige Regentropfen fallen. Etwas ungläubig schauen wir zum Himmel, während wir draußen unser Abendbrot essen: Sollten sich die Meteorolügen tatsächlich wieder so geirrt haben ..?


© 2004 Text/Bilder Sixta Zerlauth