Wenige Tage später: Ein weiterer Besuch

Das Abenteuer meines ersten Besuchs an Bord des Wracks sollte nicht die letzte Gelegenheit sein, auf das Schiff zu gelangen. Schon ein paar Tage später gelang mir ein weiterer kurzer Besuch an Bord. Zu diesem zweiten Besuch, der sich ebenfalls tief in meiner Erinnerung eingeprägt hat, verhalfen mir zwei Männer, die ich auf der Insel traf: Capi Trillo, ein Künstler, und Jose Azkarraga, ein spanischer Fotograf. Wir hatten die Möglichkeit, die kurze Passage mit einem kleinen Boot direkt vom gegenüber liegenden Strand zu der bereits bekannten Leiter am Wrack zu meistern. Die beklemmende traurige Stimmung, die den sterbenden Giganten umgab und die man förmlich einatmen konnte, wurde durch die heitere und forsche Natur des Künstlers etwas gemildert. 

Es machte ihm eine verblüffende Freude, die ehemals ehrwürdigen Säle des Schiffes mit Ameisenskizzen zu verschönern, die er auf die nackten Stahlkonstruktionen pinselte. Für diese bizarre Kunstaktion hatte er sich zusammen mit seinem Kumpanen für einige Tage auf dem Schiff eingenistet. Die Sprachbarriere zwischen ihnen und mir war letztendlich dafür verantwortlich, dass ich nie ganz verstand, warum sie diese Aktion durchführten, aber wir posierten zusammen auf dem Promenadendeck für ein Erinnerungsfoto.

Ich kann mich nicht daran erinnern, die Farben rot, weiß und blau meiner Kleidung damals bewusst ausgewählt zu haben. Auf dem Bild geben diese Farben aber, die zugleich die Nationalfarben Amerikas und damit des Ursprungslandes des Schiffes sind, einen ehrvollen Ausdruck für die alte Dame. Rückblickend bin ich froh über meine Kleiderwahl für dieses Bild!

Während der Künstler malte, machte ich zusammen mit dem Fotografen einen gewagten Ausflug über die Bruchstelle zum Heck des Wracks. Dabei entdeckte ich die Stelle wieder, an der sich meine Mutter auf unserer ersten Tour mit der AUSTRALIS gerne aufhielt, um sich mit ihren an Bord gemachten Bekanntschaften zu treffen und sich die Seeluft um die Nase wehen zu lassen ...  

Ameisenskizzen vom Künstler Capi Trillo ... ... und unterwegs mit dem spanischen Forografen Jose Azkarraga ...

Als wir auf dem Sportdeck im hinteren Teil des Schiffes angekommen waren, erinnerte ich mich an eine Szene von einem alten Foto aus schönen, vergangenen Tagen (meine Mutter sitzt ganz rechts auf dem Bild unten links).

Wieder wohlbehalten zurück auf dem vorderen Teil des Schiffes, unterbrach der Künstler seine Arbeit kurz, um ein Bild von dem jungen spanischen Fotografen und mir inmitten der Ruinen des Promenadendecks zu machen, einstmals der meist begehrte und makellos herausgeputzte Bereich für die Unterhaltung der Passagiere (Bild oben rechts) ...         

Ein Foto aus besseren Zeiten ... Auf dem hinteren Teil des Sportdecks ...

Zwischen den Dingen, die ich auf und um das Schiff fand, waren Sachen, die angespült worden waren oder die Insulaner bei ihren Beutezügen übrig gelassen und für wertlos erachtet hatten. Insgesamt bekam ich eine ganze Kollektion von Fundstücken zusammen, aber ich war gut vorbereitet: Bei unserer Rückkehr zur Insel hatten wir mehrere mit Taschen vollgestopfte Koffer von Bord getragen ... 

Auf unserem Rückflug nach England war jede Tasche unseres Gepäcks mit Stücken der Reling und der Decksbeplankung aus schwerem Teakholz gefüllt. Meine unschätzbare Sammlung übertraf schließlich unser Gepäcklimit um ein Vielfaches.

Diese Reise bedeutete für mich völlig unvergessliche Tage; alles war perfekt und es blieben mir sehr lebendige Erinnerungen und die einzigartigen Souvenirs von dem gestrandeten Schiff. Es war ein befriedigendes Gefühl, nach den Erlebnissen wieder zu Hause zu sein, aber schon bald kreisten meine Gedanken erneut um die Möglichkeiten eines weiteren Besuchs auf Fuerteventura ... 

Die dritte und letzte Wrackbesteigung

Mein dritter und letzter Besuch an Bord des Schiffes gelang mir im Juli 1998 in Begleitung von zwei jungen Burschen aus Deutschland. Beide waren Medizinstudenten aus Duisburg. Sie waren exzellente Schwimmer, und zusammen gelang es uns, wieder die mir nun bereits vertraute Leiter zu erreichen. Es war keine einfache Aufgabe, und meine Frau erinnert sich oft mit Grauen an die Gefahren dieses Unternehmens. Es war nicht leicht, die unterste Sprosse zu ergreifen, die Leiter war aufgrund der Neigung des Schiffes nach innen verschränkt, zusätzlich herrschte zum Zeitpunkt Ebbe und damit ein sehr niedriger Wasserstand.

Nachdem wir uns dennoch Zugang verschafft hatten, stellten wir fest, das die Überreste des Schiffes in einem extrem schlechten Zustand waren. Ich bereute es fast bereits, die Anstrengungen unternommen zu haben, nochmals auf das Schiff zu gelangen. Egal, ich war mir ziemlich sicher, dass dies die letzte Gelegenheit war, jemals noch ihre Decks zu betreten - und ich behielt in diesem Punkt recht. Ich machte einen Schnappschuss von meinen beiden Begleitern (Bild unten links), und sie revanchierten sich dafür noch ein paar Mal an verschiedenen anderen Stellen des Wracks ...

Meine zwei Kumpel an Bord ... ... und auch ich wurde an Bord fotografiert ...

Das Bild oben rechts entstand steuerbord auf dem Sonnendeck, neben einer Plattform, wo sich einst die Rettungsboote des Schiffes befanden. Hinter mir sind zwei der wenigen vorhandenen Davits zu sehen (Kräne an der Reling, mit denen die Boote ausgesetzt bzw. heraufgeholt wurden), die noch an Bord waren, als das Schiff auf Grund lief. Die anderen Davits sowie alle Rettungsboote waren bereits in den späten 1980er Jahren entfernt worden, als man den Versuch unternahm, das Schiff zu verschrotten, bevor es als AMERICAN STAR nochmals eine neue Karriere antrat.

Im Sommer 1999 kehrten wir noch ein letztes Mal zu den Kanarischen Inseln zurück. Wie schon zuvor führte unser Weg wieder zum Wrack und wir waren sehr beeindruckt, mit welcher stoischen Kraft das Schiff immer noch den Naturgewalten trotzte. Dennoch konnte man an dem übrig gebliebenen vorderen Teil des Schiffes immer mehr Zeichen eines unaufhaltsamen Verfalls beobachten. Stand man direkt gegenüber vom Wrack, konnte man sehen, wie stark die Zerstörungen am Rumpf des Vorschiffes waren; vor allem auf der Seeseite und der Unterseite in Höhe der vorderen Frachträume.

Ich versuchte nicht noch einmal an Bord zu gelangen. Man sagte mir, dass ihre Decks mittlerweile hauchdünn und die Aufgänge mit Trümmern verschüttet seien. Sie war zu einer Todesfalle geworden, den Berichten zufolge hatten bereits einige tollkühne Besucher ihr Leben auf dem Schiff gelassen ...

So gaben wir uns damit zufrieden, das Schiff ein letztes Mal gesehen zu haben und kehrten wieder heim, nicht ohne weitere Holzstücke und andere Souvenirs von der Wrackstelle im Gepäck zu haben. Seit dem sind wir nicht mehr an die Westküste von Fuerteventura zurückgekehrt; ich habe kein Verlangen danach, mit ansehen zu müssen, was von meinem einst stolzen Schiff noch übrig sein könnte.

Das letzte Mal, als ich meine Blicke auf sie richtete, war während des Sonnenuntergangs irgendwann im August 1999. Aber selbst dort, im Zwielicht ihrer untergehenden Existenz und ungeachtet des Verfalls, war ihre zeitlose Schönheit noch immer spürbar ...

Hauchdünne Decks und verschüttete Aufgänge ... ... doch die zeitlose Schönheit des Schiffs war immer noch spürbar ...

Wie schon weiter oben erwähnt, machten auch diesmal unsere voll mit Souvenirs bepackten Koffer und Taschen die Heimreise beschwerlich. Zum Einchecken hatten wir etliche Taschen mit Teakholz, das ich in den nächsten Jahren noch gut würde gebrauchen können. Glücklicherweise gab es keine großartigen Sicherheits- und Gewichtskontrollen. Trotzdem schlug ein Metalldetektor bei einem der Gepäckstücke Alarm. Zur Begründung gab ich dem Sicherheitsbeamten an, im Gepäck massive Metallteile von "el barco American Star" zu transportieren. Er verstand mich sehr genau, lächelte und winkte mich durch. Undenkbar heute - wie sich die Zeiten seit 09/11/2001 geändert haben ...

Zu Ehren ihres Andenkens ...

Schöne Erinnerungstafeln ...In den Jahren seit unserer letzten Pilgerreise zu den rostigen Überresten des Schiffes habe ich mir ihr Andenken bewahrt, indem ich eine Vielzahl von Fundstücken vom Schiff aufgearbeitet habe. Durch verschiedenste Bearbeitungen von Teakstücken, hauptsächlich aus der Decksbeplankung, habe ich einige sehr schöne Erinnerungstafeln geschaffen. Die meisten dieser Stücke schmücken unser Heim, unter anderem auch ein kleines Tischchen, das ich vollständig aus Holzfunden vom Schiff hergestellt habe. 

Auf dem Bild rechts sieht man ein größeres Stück, das ich aus verschiedenen verleimten Teakstücken geschnitzt habe. In mühevoller Handarbeit wurde der Schmutz entfernt und dabei doch die originale Struktur der Holzmaserung erhalten. Es handelt sich um eine exakte Kopie der Werftplakette, die in einem Museum in den USA ausgestellt ist. Es wäre mir nie ohne die Hilfe meines guten alten Freundes Bill Lee gelungen, dem "inoffiziellen Biographen" der AMERICA, dieses Erinnerungsstück zu fertigen, da er eine Matrize vom Original für mich erstellte. 

Es war mir natürlich eine besondere Freude, auch einige einzigartige Stücke für Bill anzufertigen. Als Gegenleistung und aus Dankbarkeit bekam ich von ihm eine Vielzahl von Fundstücken, die er über die Jahre in seiner Sammlung zusammen getragen hatte. Er versicherte mir, dass er für jedes Stück noch ein Duplikat besäße: ich hoffe, es ist so!

Eine noch größere Bedeutung hatte für mich die Zusammenarbeit mit Bill, bei der ich einige einzigartige Erinnerungsstücke für die Mannschaft der U.S. Navy anfertigen konnte, die auf dem Schiff die Gefahren des Zweiten Weltkriegs durchlebte und von ihm wieder sicher nach Hause gebracht wurde. Für mich war es ein kleiner Beitrag, ihren Dienst zu würdigen. 

So wurde zum Beispiel beim Treffen der USS WEST POINT Reunion Gesellschaft im Jahre 2002 jedem Crewmitglied ein Stück Beplankung von IHREM und MEINEM Schiff von Bill als kleines Geschenk überreicht (siehe Bild unten links). Aus Dankbarkeit ernannten sie mich zum Ehrenmitglied ihrer Gruppe - eine Auszeichnung, die man nicht mit Geld kaufen kann ...

Noch befriedigender für mich ist die Tatsache, dass eine meiner Kreationen nun wieder die Ozeane bereist: Im Jahr 2003 hatte Bill die Idee, die SS AMERICA Bibliothek an Bord des Kreuzfahrtschiffes PRIDE of AMERICA einzurichten; die Reederei NCL America unterstützte ihn dabei und setzte die Idee in die Tat um. Bill bat mich, ein passendes Namensschild für den Raum zu entwerfen und dabei etwas von dem Teakholz zu verwenden, dass ich vom Wrack der AMERICA geborgen hatte.

Mit Begeisterung führte ich den Auftrag aus; der einzige Wermutstropfen dabei, dass es mir nicht möglich war, im Juni 2005 der Einweihung dieses ehrenvollen Andenkens an den ehemaligen Stolz der amerikanischen Handelsmarine beizuwohnen ...

Ein Stück Beplankung als Geschenk ... Bill Lee und Trevor Young ...

Aber Bill (rechts, auf dem Bild oben rechts) hat mich und alle "Amerifans" mit seiner Anwesenheit perfekt vertreten. Er steht auf dem Bild oben rechts neben meinem Kunstwerk zusammen mit Trevor Young, dem Vertreter der Reederei, die diese wunderbare Bibliothek Realität werden ließ.

Bill und ich arbeiten weiter daran, die Erinnerung an das Schiff, das Gegenstand unserer Leidenschaft geworden ist, lebendig zu halten. Dieser Artikel ist ein weiteres Beispiel für unsere erfolgreiche Zusammenarbeit. Ich bin ihm dankbar dafür, dass er meine Unterlagen hierzu gesichtet und diesen Bericht fertig gestellt hat. 

Mein Vater begleitete uns 1996 noch einmal nach Fuerteventura ...Unter all meinen Schätzen gibt es jedoch einen, der mir am meisten bedeutet, ich werde versuchen, zu erklären warum ...

Bevor er im Jahre 1998 starb, begleitete uns mein Vater noch 1996 auf einer unserer sieben Reisen zu den Kanarischen Inseln. Auf dieser Reise sah er zum letzten Mal die Überreste des Schiffes, das sowohl in seinem als auch in meinem Leben eine ganz bedeutende Rolle gespielt hatte. Trotz Zerstörung und offensichtlichen Verfalls des Schiffes genoss er diesen Besuch ganz offensichtlich, wie das Foto zeigt, das meine Frau von ihm, seiner Enkelin und von mir damals aufgenommen hat. 

Wieder nach Hause zurückgekehrt, schuf  mein Vater - inspiriert durch unsere Reise und wieder erweckte Erinnerungen an gute alte Zeiten - vier wunderbare Ölbilder. Diese Bilder stellen auf eindrucksvolle Weise das berühmte Schiff während der verschiedenen Stationen seines langen und ausgefüllten Lebens dar.

Diese Bilderserie hat nun einen festen Platz in meinem Haus und zeigen mein Schiff als AMERICA, WEST POINT, AMERICAN STAR und natürlich als AUSTRALIS. Das letztgenannte ist, wie man sich wohl leicht vorstellen kann, mein Lieblingsbild. Es weckt viele Erinnerungen in mir an meine Jugend und an meine erste Begegnung mit dem mir lieb gewonnenen Schiff, das mich in die Ferne zu exotische Häfen gebracht hat.

Mein Vater und mein Schiff - mögen sie nun ruhen in Frieden ..!

Mein Lieblingsölbild: Die AUSTRALIS, die mich in die Ferne brachte ...


© 2008 Steve Tacey; Deutsche Übersetzung: Dr. Georg Draude