Sand überall ...

Doch jetzt ab in die Wüste: Wir wollen in die Oase beim Ksar Rhilane am nordöstlichsten Ausläufer des großen Erg. Der Weg führt nach Westen, anfangs frisch asphaltiert, dann Baumaschinen, dann Schotter, dann erste Sandverwehungen. Mit viel Gas und Schwung kommen wir durch ohne Luft aus den Reifen zu lassen. 

Es ist Erfahrungssache zu wissen, wie lang ein Sandstück sein darf, damit einen der vorher geholte Schwung auf den festen Boden rettet. Unsere Maschine ist definitiv zu schwach, um die Fuhre Hunderte von Metern durch ein Weichsandfeld zu ziehen, aber für kurze Verwehungen reicht´s. Dass man bei diesen Gewaltakten sein an sich nicht offroad-taugliches Auto über Gebühr strapaziert, dürfte klar sein und muss zudem schon bei der Reiseplanung in das Für und Wider mit einbezogen werden ...

Wir stoßen rechtwinklig auf die Pipelinepiste, eine Versorgungsstraße entlang der unterirdischen Röhre, die im Süden gefördertes Erdöl ans Mittelmeer verfrachtet. Kleine Rast im Wüstencafe Bir Soltane, von Moktar und Sadok liebevoll ausstaffiert mit Sandrosen und Getöpfertem unterm Beduinenzelt. Wieder ein ganz eigenartiges Erlebnis, denn entgegen aller Gepflogenheiten werden wir mit unserem Tee völlig in Ruhe gelassen. Wir genießen den Schatten unter dem schweren dunkelbraunen Zeltstoff, das Thermometer steigt hier in Wüstennähe fröhlich und stetig nach oben. Das Cafe ist eine Zitaten- und Visitenkartensammlung aller Wüstendurstigen, die hier eingekehrt sind, und das war die halbe Welt.

Dann lange Sandpassage, wir fahren uns fest, ein Landcruiser zieht uns raus (eigener Bergegurt vonnöten, sonst gibt´s nur Schulterzucken; wie überhaupt die Einheimischen nicht sonderlich scharf darauf sind, übermotivierte Touris aus dem Dreck zu ziehen - es sei denn gegen Bares!). Die letzten Kilometer vor dem Dorf Ksar Rhilane sind mittlerweile asphaltiert, dann muss noch der die Oase umgebende Dünengürtel mit viel Schwung überwunden werden (je nach vorherigem Wetter u. U. ohne Hilfe nicht möglich), und man ist drin.

Ob man diesen finalen Schritt nun wagt oder nicht, muss jeder für sich entscheiden. Fakt ist: Die Gefahr, dass man sich das Auto hier noch zuschanden reitet ist extrem hoch. Die Palmeraie vor Augen und mehr als hundert Kilometer Staubfressen in guter Erinnerung lassen einen Dinge tun, die rational nicht erklärbar sind. Brüllt man zu Hause noch einen Hund zusammen, weil er einem an die Alus pinkelt - ganz so, als handele es sich um Salzsäure, die da versprüht wird -, so prügelt man hier mit dem gleichen Auto über Verwehungen, dass es beim unvermeidlichen Bodenkontakt die Motorschutzwanne aufrollt wie eine Sardinenbüchse. Mann oh Mann ..!

Es handelt sich um einen etwa einen Kilometer langen Palmenhain mit deutlichem Nord-Süd-Gefälle: In der unteren Hälfte gibt´s die klassische Oasenbewirtschaftung (Anbauflächen am Boden im Schatten der Palmen werden genutzt), verstreute Arbeitsdromedare und -esel und Wasser aus einem Tiefbrunnen, das mittels Erdrinnen die ganze Oase flutet und alles am Leben erhält. In der Nordhälfte holt uns der Tourismus wieder ein: Landies, Toyos, Trucks und Enduros - alles, was sich GPS-geleitet aus allen Richtungen hier einfindet, trifft sich auf den Camps rings um den Teich, der von besagter Brunnenbohrung gespeist wird.

Beim Thé à la Menthe in einem der Teichcafes schwillt den harten Jungs die Brust beim Erzählen ihrer Wüstenabenteuer, und wenn eine Horde Quads vom zwei Kilometer entfernten Ksar aus den Dünen hereinprescht und zentimetergenau vorm Teich in wallender Staubfahne zum Stehen kommt, geht im Marlboro-Country garantiert die Sonne unter!

Wir, mit unseren 102 TDI-PS und bürgerlicher Karosse zwangsläufig fernab solcher Eskapaden, parken unter einer dicken Palme, klappen das Dach hoch und genießen. Sanft wiegen sich die Palmfächer im Abendwind, es sind noch lauschige 17°C, und wenn das 360° Panoramakino seinen Sternenglanz aufführt, steigen wir in den Teich und baden in körperwarmem Wasser ... Ein Campertraum, der in dieser Abgeschiedenheit natürlich seinen Preis hat: Zwei Ü/F, Strom, warme Duschen und ein Abendessen im Berberzelt mit Folkloreeinlage für happige 40,- Euro!

Wenn man die Entwicklung der Oase von 1997 bei unserem ersten Besuch bis jetzt verfolgt und weiteren kontinuierlichen Ausbau der Infrastruktur zugrunde legt, bleibt die Frage, wie lang dieses Gefühl zwischen "Fernab jeglicher europäischer Norm" und "Geborgenheit in der Oase" noch erhalten bleibt. Es ist noch erträglich, aber die Tendenz geht immer schneller in die (für uns) falsche Richtung. Aber das ist wohl ein Problem überall dort, wo der Tourismus Fuß fasst. Wenn die Asphaltbahn erstmal bis zum Quellteich reicht und dort in einer riesengroßen betonierten Parkfläche endet, dann werden wir uns freuen, dass wir dieses relativ unverfälschte Fleckchen Erde noch erlebt haben ...

Oasenreichtum

Douz am Ostrand des Chott el Djerid mit seinen umliegenden Oasendörfern ist unser nächstes Ziel. Auf dem Weg dahin gibt´s jede Menge eintönige Landschaft mit flachem Steppenbewuchs und durchziehenden wilden Dromedaren. Da die Viecher sich nicht darum scheren, ob sie ihr Päuschen mitten auf einer Piste abhalten, machen die Verkehrsschilder mit dem Kamel-Piktogramm hier sogar Sinn.

In Douz logieren wir auf dem erstklassig organisierten Camp Desert-Club, von dem man abends zu Fuß ins Städtchen gelangen kann. Trotz vieler Touris authentisches Dorfleben, in das man ohne viel Aufhebens integriert wird, ohne sich als bestaunter Exot zu fühlen (Ausnahme Souvenirmarkt). Ein Erlebnis für sich ist der Donnerstags-Viehmarkt, den wir dieses Mal um zwei Tage verpassen. Eine einzigartige Mixtur aus Mensch, Tier, Geblöke, Gefeilsche, Gedränge und Gestank. Unvergesslich! Selbst die Fotografiererei klappt in diesem Tohuwabohu recht unverfänglich, kaum jemand registriert das auf ihn gerichtete Tele. Überhaupt sollte sich jeder Reisende in einem islamischen Land Gedanken über die Art und Weise machen, wie er seine Fotos schießt. Keiner von uns wird auf Film und Foto in solcher Kulisse verzichten wollen, aber es ist doch wohl die Brutalität des Draufhaltens, die einen als wenig einfühlsamen Ausländer degradiert. Nach allem, was uns selber schon unangenehm aufgefallen ist, bleiben dem Hobbyfotograf nur drei Möglichkeiten: Entweder erstmal Vertrauen schaffen und fragen, oder aus sicherer Deckung das Tele ausfahren oder Polaroids machen und auch verteilen. Alles andere ist erniedrigend und demütigend.

Wir bleiben in der Gegend und machen eine kleine Oasenrundfahrt über Zaafrane, El Faouar, Blidet und Kebili. Auge und Fotoobjektiv pendeln zwischen Himmelsblau und knallgelben Sanddünen auf der Suche nach dem ultimativen Bildausschnitt, aber erst der Gesamteindruck mit den Eselskarren, klappernden Pickups und Kohorten von Schulkindern auf der Straße zu jeder Tageszeit macht den Reiz aus. Zu toppen nur noch von den versteinerten Dünen bei Fatnassa, wenn das Abendlicht plastische Formen modelliert, oder der untergehenden Sonne überm Chott, die die algerischen Bergzüge jenseits der Ebene in eine Orgie aus Rot bis Rosa taucht.

Selbst das ausgeschlachtete Buswrack seitlich der Straße erscheint da wesentlich stimmungsvoller als noch am Tag ...

Die Wüste zürnt

Für die letzte Übernachtung in Südtunesien steuern wir das relativ neue Campement in Nouail an, optisch recht ansehnlich in der für diese Gegend typischen Ziegelarchitektur. Vom Stellplatz mitten im Sand Blick auf´s Dorf. Sturm kündigt sich an, fahlgelb hängt die Sonne am Horizont und der feine Flugsand verfinstert den Himmel. Die morbide Abschiedsstimmung passt zu unserer morgigen Rückreise nach Tunis. Obwohl wir die einzigen Gäste sind, wird uns auf Anfrage ein Cous-Cous mit Hühnchen serviert - günstig und gut. Es ist wieder mal ein Rätsel, wie man in dieser entlegenen Gegend so ein Mahl zustande bringt, unerwartet und nur zwei Portionen am ganzen Abend. Gastfreundschaft - besonders außerhalb der Touristenströme - das ist kein leeres Wort.

Die Rückreise über Douz, Matmata, Gabes und weiter Richtung Norden ist reines Kilometerabspulen mit dem zweifelhaften Vergnügen, einen halbtägigen Sandsturm erleben zu dürfen, der die Gegend um Gabes verfinstert wie norddeutsche Nebelsuppe - nur die schemenhaft erkennbaren, sich biegenden Palmen erinnern uns daran, dass wir uns hier nicht zwischen Knicken und Friesenmauern vorantasten. Autos mit Licht und Scheibenwischer. Unbeleuchtete Eselskarren, auf zehn Metern nicht zu sehen, zirkeln über die Straße, mit Peitsche schwingenden Leuten, vermummt wie Kohlensäcke. Ein flüchtiger Gedanke kommt auf: Wird unser Lack jetzt fachmännisch bis auf die Grundierung abgeschliffen? Keiner wagt anzuhalten, um eine Tür zu öffnen ... 

Hinter Sfax ist der Spuk vorbei, das Thermometer fällt innerhalb einer halben Stunde um über 10°C, der Wind dreht um 180° und fegt eiskalt vom Meer her. Kleiner Test, ob der Kreislauf noch fit ist!

Mit der ganzen Palette ihrer Unmutsäußerungen diktieren die Kiddies die Pausen, das Weiterfahren der Papi mit seinem Blick auf den näher rückenden Fährtermin. Wie schon gesagt: Kilometerfressen, Strecke machen ... 

Gerade auf solchen Etappen zeigt sich, wie eingespielt das Team wirklich ist. Hinter vorgehaltener Hand sei erwähnt: Man schafft die Distanz in der vorgegebenen Zeit nicht, wenn nicht alle vitalen Bedürfnisse der Passagiere beim Fahren erledigt werden. Undenkbar, für jede Pipipause, jede geschmierte Stulle und jedes eingeschlafene Bein anzuhalten. Das Risiko - gerade mit Kindern an Bord - muss jeder selbst für sich einschätzen.

Erfahrungsgemäß kann aber auch hier gesagt werden, dass man gar nicht früh genug damit anfangen kann, die Kinder an´s Autofahren zu gewöhnen, sofern man diese Art des Reisens bevorzugt. Es gibt genug Beispiele dafür, dass es ein Fiasko wird, wenn der 6jährige erstmalig im Leben mit einer zweistündigen Autofahrt konfrontiert wird, und somit schon ein Ziel wie der Schwarzwald in ganz weite Ferne rückt.

Ein Punkt in der Lebensplanung einer reiselustigen Familie, der gar nicht hoch genug bewertet werden kann!

Die Menschen - Das Land ...

Tunesien ist zwar ein islamischer Staat, aber politisch und gesellschaftlich sehr modern geprägt und eignet sich nicht zuletzt durch seine offenen, neugierigen Menschen hervorragend für einen ersten Urlaub in Afrika. Wir hatten niemals Angst oder Befürchtungen, dass man uns Schlimmeres antun könnte (obwohl wir generell sehr vorsichtig und wachsam sind), und größtenteils hatten wir es mit sehr freundlichen und hilfsbereiten Menschen zu tun, mit Abstrichen natürlich in reinen Touristengegenden, wo ein gewisser Geschäftssinn die vorgenannten Tugenden überlagerte ...

Die Topografie ist zwar nicht so spektakulär wie die Marokkos, dafür fehlt einfach die Hochgebirgslandschaft. Trotzdem hält gerade Südtunesien mit den einzigartigen Chotts und den relativ flachen Ausläufern des Erg, die zudem schnell erreichbar sind, einige Highlights für den Pistenamateur bereit, so dass man auch ohne großes Equipment schon mal Wüste schnuppern kann. Viel hängt auch vom Wetter ab, denn nach wochenlanger Trockenheit kann man sich auch ohne Allrad auf die eine oder andere Piste trauen, die umgekehrt schon nach einem Wolkenbruch unpassierbar sein kann.

Zu empfehlen sind außerdem das Dahar mit seiner teils grandiosen Aussicht nach Osten in die Djeffara-Ebene, sowie die Bergoasen an der algerischen Grenze, die wir dieses Mal aus Zeitgründen nicht geschafft hatten. Wie man überhaupt sagen muss, dass drei Wochen für eine solche Tour wünschenswerter sind als zwei, zumal es das Urlaubsbudget kaum mehr belastet. Erstmal im Land, kostet doch alles spürbar weniger als in Deutschland.

Dann hätte man auch mehr Zeit für die menschlichen Begegnungen am Wegrand, zu denen man glücklicherweise nicht ständig genötigt wird, die aber dennoch sehr fruchtbar sein können. Ein Tässchen Tee, eine Tauschaktion mit getragener Kleidung für ein Souvenir, hartnäckiges Feilschen um eine Sandrose ... das dunkle, faltige Gesicht mit den gelben Zahnstummeln, mehrfach umschlungen mit einem ausgeblichenen Chech wird einen noch Monate später in unserer sterilen Welt plötzlich vor Augen sein!

Nicht unerwähnt bleiben sollte der Norden Tunesiens mit seinen antiken Stätten und Ausgrabungen, die für den archäologisch Interessierten sicherlich eine Reise wert sind. Und dann wäre da noch Kairouan, als vierte heilige Stadt des Islam mit Moscheen, Marabuts und anderen religiösen Bauten schier überladen und eigentlich ein Muss im Reiseverlauf ...

Die Philosophie der (Tor)Tour ...

Fernweh haben. Über fremde Länder etwas lesen. Neugierig sein. Informationen in Schrift und Bild aufsaugen. Selber hinfahren. Sich auseinandersetzen mit der anderen Kultur. Den Horizont erweitern wollen. Fremde Menschen kennen lernen wollen - flüchtig zwar, aber doch. Erinnerungen gleich welcher Art mitnehmen. Lust aufs nächste Mal bekommen ...

Nachtrag

Nach der Ankunft in Genua auf der Rückreise zeigte das Thermometer 5°C, und oben in den Bergen lag Schnee, während der letzte Wüstenstaub vom Auto geschwemmt wurde ...   


© Text/Bilder 2006 Detlef Bauer


Anm. der Red.: Und noch weitere Berichte von Detlef Bauer führen uns nach Nordafrika, diesmal ins Nachbarland: